Urteil des BGH vom 15.01.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 289/13
vom
15. Januar 2014
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 276 Abs. 1 und 2, 280
a) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach § 276
Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der
Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegen-
heiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom
7. August 2013 - XII ZB 223/13 - FamRZ 2013, 1648 mwN).
b) Das in einem Betreuungsverfahren einzuholende Sachverständigengutach-
ten ist den Beteiligten, namentlich dem Betroffenen, bekanntzugeben. Nur
in Ausnahmefällen kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe
eines Gutachtens an den Betroffenen abgesehen werden (im Anschluss an
Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278).
BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014 - XII ZB 289/13 - LG Itzehoe
AG Itzehoe
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Januar 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der
Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom
3. Mai 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Be-
schwerdegericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000
Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 2 wendet sich gegen die Bestellung eines Berufsbe-
treuers für seine Mutter.
Die Betroffene leidet unter anderem an einer leichtgradigen Demenz.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung
der Betroffenen hat das Amtsgericht für die Betroffene einen Berufsbetreuer
bestellt und als Aufgabenkreise die Sorge für die Gesundheit, die Aufenthalts-
bestimmung ohne die Entscheidung über die geschlossene Unterbringung, alle
Vermögensangelegenheiten, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden,
Kranken- und Pflegekassen sowie gegenüber der Heimverwaltung, alle Woh-
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nungsangelegenheiten sowie die Kontrolle der ein- und ausgehenden Post be-
stimmt, soweit sie nicht offensichtlich den persönlichen Bereich betrifft. Zudem
hat das Amtsgericht den Zeitpunkt, bis zu dem die Betreuung zu überprüfen ist,
auf den 2. Juli 2019 festgesetzt.
Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 zurückgewie-
sen. Hiergegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist wegen Verfahrensfehlern begründet.
1. Zu Recht rügt der Beteiligte zu 2, dass die Instanzgerichte der Be-
troffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt haben.
a) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist ge-
mäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig geboten, wenn der Verfah-
rensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als
möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinn umfassenden Verfahrens-
gegenstand spricht es, wenn die vom Gericht getroffene Maßnahme die Be-
treuung auf Aufgabenkreise erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen
Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen und damit in die Zu-
ständigkeit des Betreuers fallen. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Ent-
scheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahr-
nehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestel-
lung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Be-
troffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenver-
antwortlichen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom 7. August
2013 - XII ZB 223/13 - FamRZ 2013, 1648 Rn. 11 mwN).
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Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen
des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Be-
troffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht.
Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Der
Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob die den Tat-
sacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen wor-
den ist.
b) Gemessen hieran hätte der Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt
werden müssen.
Der vom Landgericht bestätigte Beschluss des Amtsgerichts erstreckt die
Betreuung auf Aufgabenkreise, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Berei-
che der Lebensgestaltung der Betroffenen umfassen und damit in die Zustän-
digkeit des Betreuers fallen. Gleichwohl hat weder das Amtsgericht noch das
Landgericht einen Verfahrenspfleger bestellt.
Dass die Gerichte hier bewusst von der Regelbestellung abweichen woll-
ten, lässt sich den Beschlüssen schon deshalb nicht entnehmen, weil es an ei-
ner entsprechenden Begründung nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG fehlt. Da es
in den Fällen einer Demenzerkrankung regelmäßig keinen Grund i.S.d. § 276
Abs. 2 Satz 1 FamFG dafür geben wird, von der Bestellung eines Verfahrens-
pflegers abzusehen, ist nicht auszuschließen, dass die Instanzgerichte bei der
Beurteilung der Notwendigkeit, für die anwaltlich nicht vertretene Betroffene
einen Verfahrenspfleger zu bestellen, von ihrem Ermessen keinen Gebrauch
gemacht haben.
2. Hinzu kommt, dass sich - wie die Rechtsbeschwerde ebenfalls zu
Recht rügt - anhand der Akten nicht feststellen lässt, dass das Sachverständi-
gengutachten vom 10. Juni 2012 der Betroffenen (bzw. sonst einem Verfah-
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rensbeteiligten) nach § 37 Abs. 2 FamFG bekanntgegeben worden ist. Selbst in
Fällen, in denen die Bekanntgabe des Gutachtens die Gesundheit der Betroffe-
nen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden könnte, was hier aber nicht
festgestellt ist, müsste ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem das Gutachten
übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass er mit der Be-
troffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. August
2013 - XII ZB 691/12 - FamRZ 2013, 1725 Rn. 11 ff. und vom 11. August 2010
- XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 Rn. 9).
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde dürften die von dem
Beschwerdegericht zur Frage der Geeignetheit des Beschwerdeführers als Be-
treuer getroffenen Feststellungen nach dem gegenwärtigen Sachstand einer
rechtlichen Überprüfung standhalten. Hierbei handelt es sich um tatrichterliche
Würdigungen, die der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht grund-
sätzlich entzogen sind. Die diesbezüglichen Angriffe der Rechtsbeschwerde
vermögen die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht zu erschüttern
.
Ent-
sprechendes gilt für die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht
hätte den Berufsbetreuer abberufen müssen.
Ferner hält der Senat die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen
für nicht durchgreifend, wonach das eingeholte Sachverständigengutachten
unzulänglich sei und die gesetzliche Frist zur Überprüfung der Betreuung auf
der Grundlage des Gutachtens nicht hätte ausgeschöpft werden dürfen.
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Schließlich verkennt die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdege-
richt die Möglichkeit der Betroffenen, einen freien Willen zu bilden, nicht in Ab-
rede gestellt hat. Vielmehr ist das Landgericht in von Rechts wegen nicht zu
beanstandender Weise davon ausgegangen, dass es an einem entgegenste-
henden Willen der Betroffenen i.S.d. § 1896 Abs. 1 a BGB fehlt.
Dose
Weber-Monecke
Schilling
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Itzehoe, Entscheidung vom 02.07.2012 - 81 XVII 162/12 -
LG Itzehoe, Entscheidung vom 03.05.2013 - 4 T 267/12 -
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