Urteil des BGH vom 15.11.2010

BGH (stgb, stpo, strafkammer, anordnung, unfall, rechtsmittel, einziehung, höhe, ampel, verletzter)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 413/10
vom
15. November 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und der Beschwerdeführer am 15. November 2010 gemäß § 154
Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte
P. im Fall II. B. 3 der Urteilsgründe wegen uner-
laubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist.
Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens
und die notwendigen Auslagen des Angeklagten P. .
2. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Itzehoe vom 3. März 2010
a) im Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten
P. dahin geändert, dass die Verurteilung we-
gen unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Fall
II. B. 3 der Urteilsgründe entfällt,
b)
im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben,
aa) soweit über ein Handbohrgerät mit 8 mm-
Bohrer hinaus weitere Gegenstände eingezo-
gen worden sind; die weiter gehende Einzie-
hungsanordnung entfällt;
bb) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit
festgestellt worden ist, dass bei allen Ange-
klagten der Anordnung des Verfalls von Wert-
ersatz in Höhe von 100.070 Euro Ansprüche
Verletzter nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ent-
gegenstehen.
- 3 -
3. Im Umfang der Aufhebung der Feststellung zum Verfall
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
4.
Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
jeweils wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in drei Fällen, davon in
zwei Fällen tateinheitlich begangen mit schwerem Bandendiebstahl sowie in
einem Fall tateinheitlich begangen mit versuchtem schweren Bandendiebstahl,
und wegen vorsätzlicher Brandstiftung, darüber hinaus den Angeklagten E.
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls und den Angeklagten P. wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt und gegen den Angeklagten
E. die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten, gegen den
Angeklagten C. die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Mona-
ten sowie gegen den Angeklagten P. die Gesamtfreiheitsstrafe von sechs
Jahren verhängt. Des Weiteren hat es mehrere Gegenstände eingezogen und
festgestellt, dass in Bezug auf alle drei Angeklagten der Anordnung eines Ver-
falls von Wertersatz in Höhe von 100.070 Euro Ansprüche Verletzter nach § 73
Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen.
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Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen je-
weils die Sachrüge erhoben und von den Angeklagten E. und P. darüber
hinaus das Verfahren beanstandet wird. Die Rechtsmittel haben mit der Sach-
rüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind
sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Soweit der Angeklagte P. im Fall II. B. 3 der Urteilsgründe we-
gen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist, stellt der Senat
das Verfahren aus Gründen der Verfahrensökonomie auf Antrag des General-
bundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil die Urteilsgründe das Vor-
liegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht
belegen.
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Die von der Strafkammer getroffenen tatsächlichen Feststellungen erge-
ben weder, ob der Angeklagte die Kollision mit dem Fahrzeug des Geschädig-
ten - eine touchierende Berührung beider Fahrzeuge - unmittelbar während des
Unfallgeschehens bemerkte oder erst bei dem späteren Halt an einer Ampel
von dem Geschädigten auf den Unfall hingewiesen wurde, noch verhalten sie
sich zu der Frage, welche Wegstrecke der Angeklagte bereits zurückgelegt hat-
te, als er von dem Geschädigten an der Ampel angesprochen wurde. Nach den
Feststellungen bleibt daher die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte noch in
Unkenntnis des Unfalls den Unfallort verließ. Das Entfernen nicht vom Unfallort
selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals vom
Unfall erfahren hat, erfüllt nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB
(BGH, Beschluss vom 30. August 1978 - 4 StR 682/77, BGHSt 28, 129, 131).
Auch eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheidet aus, da das un-
vorsätzliche Verlassen des Unfallorts nicht vom Wortlaut der Norm erfasst wird
(BVerfG, NZV 2007, 368). Entgegen einer in Rechtsprechung (vgl. OLG Düs-
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seldorf, NZV 2008, 107) und Literatur (vgl. Blum, NZV 2008, 495; Laschewski,
NZV 2007, 444, 448) vertretenen Ansicht sieht der Senat keine Veranlassung,
die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zum Begriff des Unfallorts (vgl.
OLG Stuttgart, NZV 1992, 327; OLG Karlsruhe, NStZ 1988, 409; OLG Köln,
NZV 1989, 197, 198) zu modifizieren, um auf diese Weise Fälle strafrechtlich zu
erfassen, in denen der Täter nachträglich auf den Unfall hingewiesen wird und
sich dennoch weiter entfernt (vgl. OLG Hamburg, NZV 2009, 301; SSW-
StGB/Ernemann § 142 Rn. 43; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 142 Rn. 52).
Vom Wegfall der für die Tat II. B. 3 verhängten Einzelgeldstrafe von
20 Tagessätzen wird die Gesamtstrafe nicht berührt. Angesichts der vier Einzel-
freiheitsstrafen von zweimal drei Jahren sechs Monaten, drei Jahren drei Mona-
ten und zwei Jahren kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer ohne
die entfallende Einzelstrafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt
hätte.
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2. Die über die Einziehung des bei der Tat II. B. 1 benutzten Handbohr-
geräts mit Bohrer hinausgehende Einziehungsanordnung hält einer rechtlichen
Prüfung nicht stand. Die Strafkammer hat die Anordnung damit begründet, dass
die verschiedenen Gegenstände dazu bestimmt waren, künftig von den Ange-
klagten für die Begehung von Straftaten verwendet zu werden. Die Einziehung
von Tatmitteln ist aber nach § 74 Abs. 1 StGB nur möglich, wenn sie zur Bege-
hung oder Vorbereitung einer Tat gebraucht worden oder bestimmt gewesen
sind, die den Gegenstand der Anklage bildet und vom Tatrichter festgestellt
worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 1996 - 2 StR 256/96, BGHR StGB
§ 74 Abs. 1 Tatmittel 6).
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3. Der Ausspruch nach § 111i Abs. 2 StPO kann ebenfalls keinen Be-
stand haben. Dem angefochtenen Urteil kann nicht entnommen werden, ob das
Landgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 111i Abs. 2 Satz 3 StPO
die Härtevorschrift des § 73c StGB geprüft hat (vgl. BGH, Beschluss vom
18. Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242; Beschluss vom
7. September 2010 - 4 StR 393/10). Hierfür hätte es tatsächlicher Feststellun-
gen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten bedurft.
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Für die insoweit neu zu treffende tatrichterliche Entscheidung verweist
der Senat auf die Ausführungen in seinem Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR
215/10 (zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
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Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Bender