Urteil des BGH vom 14.10.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 272/08 Verkündet
am:
14. Oktober 2009
Ermel,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 555
Wird im Rahmen eines Räumungsprozesses zwischen den Parteien eines Wohn-
raummietverhältnisses in einem Prozessvergleich ein bestimmter Mietrückstand fest-
gestellt und vereinbart, dass der Rückstand ratenweise zu tilgen ist, so stellt die vom
Mieter für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung der Ratenzahlungspflicht über-
nommene Verpflichtung, die Mietwohnung zu räumen, jedenfalls dann kein gemäß §
555 BGB unwirksames Vertragsstrafeversprechen dar, wenn im Zeitpunkt des Ver-
gleichsschlusses der Räumungsanspruch des Vermieters bei Zugrundelegung des
im Vergleich festgestellten Mietrückstands begründet war.
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2009 - VIII ZR 272/08 - LG Nürnberg-Fürth
AG
Neumarkt
- 2 -
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Hessel, sowie
den Richter Dr. Schneider und die Richterin Dr. Fetzer
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des
Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. September 2008 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten sind die Vermieter einer von den Klägern angemieteten
Doppelhaushälfte in P. . Die monatliche Kaltmiete beträgt 700 €.
In einem Vorprozess umgekehrten Rubrums beim Amtsgericht Neumarkt
i.d.OPf. schlossen die Parteien am 20. Juli 2007 einen gerichtlichen Vergleich,
in dem sie unter anderem vereinbarten:
1
"I. Zwischen den Parteien wird unstreitig gestellt, dass für die Zeit bis
31. März 2006 keine Mietrückstände bestehen.
- 3 -
Für die Zeit vom 1. April 2006 bis schließlich 31. Dezember 2006
stellen die Parteien die Mietrückstände pauschal mit einem Betrag
von 1.900 EUR fest.
II. Die Beklagten verpflichten sich, diesen Rückstand in monatlichen
Raten von 200 EUR, beginnend ab Juli 2007 zusätzlich zur fälligen
Miete zu bezahlen.
III. Die Miete für das streitgegenständliche Anwesen ... sowie die mo-
natliche Rate von 200 EUR sind jeweils am dritten Werktag eines
jeden Monats an die Kläger zu bezahlen. Für die Rechtzeitigkeit der
Zahlung kommt es nicht auf die Absendung, sondern auf den Ein-
gang des Geldes an.
...
VI. Sollten die Beklagten hinsichtlich der monatlichen Raten von
200 EUR gemäß Ziff. II und III dieses Vergleiches länger als 14 Ta-
ge in Verzug geraten, verpflichten sich die Beklagten bereits jetzt,
das Anwesen ... (Doppelhaushälfte mit fünf Zimmern, insgesamt ca.
150 qm Wohnfläche nebst 500 qm Garten Carport) innerhalb von
acht Wochen ab Eintritt des Verzuges vollständig zu räumen und
geräumt an die Kläger herauszugeben ..."
Die vereinbarten Ratenzahlungen erfolgten zunächst rechtzeitig. Bezüg-
lich der Novemberrate ging am 8. November 2007 nur ein Betrag von 100 € auf
dem Konto der Beklagten ein. Die Kläger hatten zwar bereits am 2. Oktober
2007 eine weitere Zahlung von 100 € an die Beklagten veranlasst; wegen einer
falsch angegebenen Kontonummer wurde die Überweisung jedoch nicht ausge-
führt. Erst am 4. Januar 2008 wurde den Beklagten die restliche Rate für No-
vember gutgeschrieben. Die Beklagten verlangten mit Schreiben ihrer anwaltli-
chen Vertreter vom 26. November 2007 Räumung des Anwesens gemäß den
Vereinbarungen in dem Vergleich. Am 28. November 2007 erteilte die Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle den Beklagten eine vollstreckbare Ausfertigung
des Vergleiches vom 20. Juli 2007.
2
Die von den Klägern erhobene Vollstreckungsgegenklage mit dem An-
trag, die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 20. Juli
3
- 4 -
2007 für unzulässig zu erklären, blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit ihrer
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebe-
gehren weiter.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, in Ziffer VI des Vergleichs liege
kein nach § 555 BGB unwirksames Vertragsstrafeversprechen. Nicht jede Ver-
fallklausel sei einem Vertragsstrafeversprechen gleichzustellen. Dies sei nur
dann der Fall, wenn eine Verfallklausel neben der Fälligstellung einer Leistung
noch eine gesonderte Leistung des Vertragspartners vorsehe oder an sich be-
stehende eigene Rechte des Vertragspartners verloren gingen. Daran fehle es
hier. Der ursprüngliche Rechtsstreit sei von der Unsicherheit gekennzeichnet
gewesen, ob die den Gegenstand der damaligen Klage bildenden Ansprüche
auf Räumung und Zahlung bestanden hätten. Der subjektive Rechtsverzicht sei
daher bereits durch den Vergleich selbst erfolgt, indem - im gegenseitigen
Nachgeben - die damaligen Kläger auf die sofortige Durchsetzung ihres ver-
meintlichen Räumungsanspruchs und die damaligen Beklagten auf ihr unbe-
schränktes Nutzungsrecht verzichtet hätten. Entsprechend seien die Parteien
beim Zahlungsanspruch aufeinander zugegangen. Wollte man heute die Unsi-
cherheit hinsichtlich der Räumungsverpflichtung zur Begründung einer Ver-
tragsstrafe genügen lassen, würde die damalige Absicht der Parteien, die
Rechtsunsicherheit durch den Vergleich aus der Welt zu schaffen, in ihr Gegen-
teil verkehrt.
5
- 5 -
Die Vollstreckungsgegenklage habe auch nicht deshalb Erfolg, weil im
Vergleich nicht davon die Rede sei, dass auch bei einem Teilverzug mit einer
Rate Räumung verlangt werden könne. Nach § 362 BGB erlösche das Schuld-
verhältnis erst, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt werde.
Nach § 266 BGB sei der Schuldner zu Teilleistungen nicht berechtigt. Eine ge-
sonderte vertragliche Regelung für Teilleistungen sei angesichts dieser gesetz-
lichen Regelung nicht erforderlich gewesen.
6
Die Vollstreckungsklausel sei auch zu Recht vom Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle und nicht vom Rechtspfleger erteilt worden, da es sich nicht um
eine qualifizierte Klausel im Sinne des § 726 ZPO handele. Maßgebend für die-
se Beurteilung sei, dass die Parteien einen vollstreckbaren Titel für die Räu-
mungsgläubiger hätten schaffen wollen und die damaligen Kläger nicht auf ei-
nen neuen Rechtsstreit hätten verwiesen werden sollen. Dies ergebe nicht nur
die Interessenlage, sondern auch der Wortlaut des Vergleichs, wonach "bereits
jetzt" eine Verpflichtung zur Räumung habe anerkannt werden sollen.
7
Das Räumungsverlangen sei auch nicht deshalb treuwidrig, weil den
Klägern - nach ihrer Behauptung - ein Anspruch gegen die Beklagten in Höhe
von 1.469,99 € zustehe. Dieser behauptete Anspruch sei bereits bei Ver-
gleichsabschluss bekannt gewesen. Ihm sei von den Parteien ersichtlich keine
Bedeutung beigemessen worden. Deshalb könnten die Kläger sich nun bei
Nichterfüllung ihrer im Vergleich übernommenen Pflichten nicht auf eine dem
Vergleichsabschluss vorangegangene vermeintliche Pflichtverletzung der Be-
klagten berufen.
8
- 6 -
II.
9
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist
daher zurückzuweisen. Zu Recht hat das Berufungsgericht das Räumungsver-
langen der Beklagten als berechtigt und die ihnen erteilte Vollstreckungsklausel
als wirksam angesehen.
10
1. Die Regelung in Ziffer VI des Prozessvergleichs vom 20. Juli 2007
stellt weder eine Vertragsstrafe dar, noch sind die Regeln über die Vertragsstra-
fe auf diese Abrede entsprechend anwendbar. Die Vereinbarung ist daher nicht
nach § 555 BGB unwirksam.
a) Gemäß § 555 BGB ist eine Vereinbarung unwirksam, durch die sich
der Vermieter eine Vertragsstrafe vom Mieter versprechen lässt. Unter einer
Vertragsstrafe wird das Versprechen einer Zahlung (§ 339 BGB) oder einer an-
deren Leistung (§ 342 BGB) durch den Schuldner verstanden für den Fall, dass
dieser eine Verbindlichkeit nicht oder in nicht gehöriger Weise, insbesondere
nicht rechtzeitig (§ 341 BGB) erfüllt. Zwar kann nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs und der herrschenden Ansicht in der Literatur auch in dem
Verzicht auf eigene Rechte eine Leistung zu sehen sein, die im Einzelfall dazu
führen kann, die für die Vertragsstrafe geltenden Vorschriften jedenfalls ent-
sprechend anzuwenden (BGH, Urteil vom 27. Juni 1960 - VII ZR 101/59, NJW
1960, 1568; Urteil vom 8. Oktober 1992 - IX ZR 98/91, NJW-RR 1993, 243, un-
ter B I 1 c cc; vgl. auch Urteil vom 21. Februar 1985 - IX ZR 129/84, NJW 1985,
1705, unter II 2 c; MünchKommBGB/Gottwald, 5. Aufl., Vor § 339 Rdnr. 36;
Blank/Börstinghaus, Miete, 3. Aufl., § 555 Rdnr. 4; Schmidt-Futterer/Blank,
Mietrecht, 9. Aufl., § 555 BGB Rdnr. 4; Lammel, Wohnraummietrecht, 3. Aufl.,
§ 555 BGB Rdnr. 8; Erman/Jendrek, BGB, 12. Aufl., § 555 Rdnr. 2; Palandt/
Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 555 Rdnr. 1; differenzierend: Staudinger/
11
- 7 -
Emmerich, BGB (2006), § 555 Rdnr. 3). Entgegen der Auffassung der Revision
verzichteten die Kläger in Ziffer VI des Vergleichs jedoch nicht auf ihnen (even-
tuell) zustehende Rechte.
12
Der in dem Vorprozess geltend gemachte Räumungsanspruch der Be-
klagten stützte sich auf § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB. Danach liegt ein Grund
für eine den Räumungsanspruch auslösende außerordentliche Kündigung eines
Mietverhältnisses über Wohnraum dann vor, wenn der Mieter entweder für zwei
aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht
unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich
über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe
eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Diese Vor-
aussetzungen lagen bei einer vereinbarten monatlichen Miete von 700 € nach
Ziffer I Satz 2 des Vergleichs vom 20. Juli 2007 vor, denn dort stellten die Par-
teien die Mietrückstände für die Zeit vom 1. April 2006 bis 31. Dezember 2006
pauschal mit einem Betrag von 1.900 € fest. Bei diesem Mietrückstand war der
Räumungsanspruch der Beklagten im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses
begründet. Damit ist in der Vereinbarung gemäß Ziffer VI des Vergleichs, in der
sich die Beklagten für den Fall der Nichterfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen
aus dem Vergleich "bereits jetzt" zur Räumung des Anwesens verpflichteten,
kein Rechtsverzicht der Kläger zu sehen, sondern ein auflösend bedingter
Rechtsverzicht der Beklagten, die ihren an sich begründeten Räumungsan-
spruch zunächst nicht weiter verfolgten, sondern solange zur Fortsetzung des
Mietverhältnisses bereit waren, als die Kläger ihre Zahlungsverpflichtungen aus
dem Vergleich erfüllten.
Derartige vergleichstypisch als Belohnung ausgestaltete Verfallklauseln
sind grundsätzlich wirksam (Senatsurteile vom 19. Dezember 1979 - VIII ZR
46/79, NJW 1980, 1043, unter II 1 b; vom 8. Juli 1981 - VIII ZR 247/80, NJW
13
- 8 -
1981, 2686, unter I 2; OLG München, NJW-RR 1998, 1663, 1664; Staudinger/
Rieble, BGB (2009), Vorbemerkung zu §§ 339 ff. Rdnr. 28 f.; Münch-
KommBGB/Gottwald, aaO, Vor § 339 Rdnr. 8; Palandt/Grüneberg, aaO, § 339
Rdnr. 6). Entgegen der Auffassung der Revision hat der Bundesgerichtshof dies
nicht bereits in ihrem Sinne anders entschieden. Die Revision führt zur Unter-
stützung ihrer Auffassung das Urteil vom 6.
Juni 2002 (X
ZR 68/00;
www.bundesgerichtshof.de) an. Dem in dieser Entscheidung mitgeteilten Sach-
verhalt ist indes nicht zu entnehmen, dass die damals zu beurteilende ver-
gleichsweise Regelung als Belohnung ausgestaltet war.
b) Entgegen der Auffassung der Revision war das Berufungsgericht nicht
gehalten, einen ausdrücklichen Hinweis darauf zu geben, dass seiner Ansicht
nach ein Vertragsstrafeversprechen nicht vorliegt. Soweit die Revision geltend
macht, die Kläger hätten auf einen entsprechenden Hinweis eine Zusammen-
fassung ihres Verteidigungsvorbringens aus dem Vorprozess vorgetragen, ist
dies bereits aus Rechtsgründen unerheblich, weil die zu Beginn des Vorprozes-
ses bestehende Unsicherheit über die Höhe der bestehenden Zahlungsrück-
stände durch den geschlossenen Vergleich beseitigt werden sollte und auch
beseitigt wurde. Der Vollzug des Vergleichs kann daher keine zusätzliche Be-
lastung der Kläger mit einer als Vertragsstrafe zu qualifizierenden Leistungs-
pflicht begründen.
14
3. Die Vollstreckung verstößt auch nicht gegen § 242 BGB.
15
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen befanden sich die Kläger seit
dem 7. November 2007 mit einer halben Rate in Höhe von 100 € in Verzug. Ist
- wie vorliegend - für den Fall einer nicht rechtzeitigen Zahlung zu einem be-
stimmten Termin eine bestimmte Rechtsfolge (bedingt) vereinbart, so geht es
zu Lasten des Schuldners, wenn er auch nur einen Tag zu spät zahlt und die
16
- 9 -
Bedingung damit eintritt. Der Sinn solcher Verfallsregelungen ist es gerade, fes-
te Fristen und Termine zu schaffen, durch deren Nichteinhaltung Rechtswirkun-
gen im Sinne auflösender oder aufschiebender Bedingungen ausgelöst werden.
Derjenige, der in einem Vergleich auf einen Teil seiner Ansprüche gegen die
Zusicherung verzichtet, dass nunmehr der vereinbarte Zahlbetrag genau und
pünktlich unter den festgesetzten Bedingungen an ihn gelangen werde, hat ein
Interesse daran, dass auch sein Gegner diese ausgehandelten Zahlungsbedin-
gungen einhält (Senatsurteil vom 8. Juli 1981, aaO, unter I 3). Es kann ihm da-
her nicht als treuwidriges Verhalten angelastet werden, wenn er die für den Fall
des Zahlungsverzugs vereinbarte Rechtsfolge auch bei einer nur verhältnismä-
ßig geringfügigen Verletzung der im Vergleich festgelegten Zahlungspflicht des
anderen Teils für sich in Anspruch nimmt. Dem von der Revision angeführten
Umstand, dass den Klägern angeblich eine Forderung gegen die Beklagten in
Höhe von 1.469,99 € zustand, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeu-
tung zu.
4. Die Rüge der Revision, nicht der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,
sondern der Rechtspfleger hätte die Vollstreckungsklausel erteilen müssen,
bleibt bereits deshalb ohne Erfolg, weil - wie die Vorinstanzen zutreffend er-
kannt haben - nach dem Inhalt des Vergleichs die Erteilung einer einfachen
Vollstreckungsklausel genügte, für die der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
zuständig ist (§ 794 Abs. 1 Nr. 1, §§ 795, 724 ZPO). Bei Vereinbarung einer
Verfallklausel der vorliegenden Art trägt der Schuldner die Beweislast für recht-
zeitige Leistung. Daher liegt kein Fall des § 726 Abs. 1 BGB vor (BGH,
17
- 10 -
Urteil vom 30. September 1964 - V ZR 143/62, DNotZ 1965, 544; Zöller/Stöber,
ZPO, 27. Aufl., § 726 Rdnr. 14).
Ball
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
AG Neumarkt, Entscheidung vom 16.05.2008 - 3 C 260/08 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 30.09.2008 - 7 S 4544/08 -