Urteil des BGH vom 11.07.2001

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 270/99
Verkündet am:
11. Juli 2001
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
Richter Dr. Hahne, Sprick, Weber-Monecke und Prof. Dr. Wagenitz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 19. Zivilsenats
- Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom
1. Juni 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Be-
rufung der Klägerin als unzulässig verworfen wurde.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin rückständigen Trennungsunterhalt
in Höhe von 4.281,74 DM sowie laufenden Trennungsunterhalt, und zwar für
die Zeit von Juli bis Dezember 1997 monatlich 2.421,57 DM abzüglich für Juli
bis Oktober 1997 monatlich gezahlter 600 DM, für die Zeit von Januar bis Juli
1998 monatlich 1.832,97 DM und ab 1. August 1998 monatlich 2.181,97 DM.
Das Amtsgericht sprach ihr 5.460 DM zu. Die Urteilsformel dieser als
Teilurteil bezeichneten Entscheidung lautet, vom Ausspruch über die Voll-
streckbarkeit abgesehen, wie folgt:
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"Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.460,-- DM zu zahlen.
Die Entscheidung über die Restforderung und die Kostenentscheidung
bleibt dem Schlußurteil vorbehalten."
In den Entscheidungsgründen dieses Urteils wird ausgeführt, die Klage
sei für die Zeit von Januar bis Dezember 1997 teilweise und für die Monate
Dezember 1996 sowie Januar bis Juli 1998 nicht begründet. Für die Zeit ab
August 1998 habe mangels Wahrung der Einlassungsfrist zur Sache noch nicht
entschieden werden können. Es folgen Darlegungen zur Berechnung des zu-
gesprochenen Betrages sowie Ausführungen dazu, weshalb für die Zeit bis
einschließlich Juli 1998 kein bzw. kein weitergehender Anspruch auf Unterhalt
bestehe.
Gegen dieses Teilurteil legte die Klägerin kein Rechtsmittel ein, nach-
dem ihr Prozeßbevollmächtigter das Gericht unter Hinweis darauf, er sehe kei-
ne Beschwer der Klägerin, um Stellungnahme gebeten hatte, ob eine Berichti-
gung oder Ergänzung des Urteils zu erwarten sei, und der Familienrichter den
Parteien daraufhin Folgendes mitgeteilt hatte:
"In pp. enthält das Teilurteil ... tatsächlich keine Klagabweisung im Te-
nor. Das war vom Gericht auch nicht beabsichtigt. Die im Ergebnis eine
Klagabweisung rechtfertigende Begründung sollte nur zur Erläuterung
des Fehlens einer Sachgrundlage für weitere Ansprüche der Klägerin
dienen. Über die mögliche Klagabweisung soll im Schlußurteil entschie-
den werden."
Durch nachfolgendes Schlußurteil wies das Amtsgericht die Klage ab,
"soweit der Klägerin nicht durch Teilurteil ... Beträge zuerkannt worden sind".
Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin wies das Berufungsge-
richt hinsichtlich des ab 1. August 1998 geltend gemachten Unterhalts zurück;
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im übrigen verwarf es die Berufung als unzulässig. Gegen die Verwerfung
richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie ihr über den zugesprochenen
Betrag hinausgehendes Begehren für die Zeit bis einschließlich Juli 1998 wei-
terverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 621 d Abs. 2 ZPO statthafte Revision führt im Umfang der
Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der
Sache.
1. Soweit die Klägerin mit der Berufung ihren Anspruch auf weiteren
Unterhalt für die Zeit vor dem 1. August 1998 verfolgt, hält das Berufungsge-
richt das Rechtsmittel für unzulässig, weil ihm die Rechtskraft des Teilurteils
entgegenstehe. Mit dieser Entscheidung sei der Klägerin nicht nur der Betrag
von 5.460 DM zugesprochen, sondern zugleich die weitergehende Klage für
den Zeitraum bis Ende Juli 1998 abgewiesen worden. Der fehlende Ausspruch
einer Abweisung in der Urteilsformel stehe dem nicht entgegen, weil diese nur
eine Auslassung, nicht aber einen Widerspruch zu den Entscheidungsgründen
enthalte und daher nach Maßgabe der ausdrücklich und mehrfach eine Teilab-
weisung aussprechenden, in sich widerspruchsfreien Entscheidungsgründe
auszulegen sei.
2. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Das Teilurteil des Amtsgerichts hat - entgegen der Auffassung des Be-
rufungsgerichts - über die Zuerkennung des Betrages von 5.460 DM hinaus
keinen der Rechtskraft fähigen Inhalt.
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Zutreffend weist das Berufungsgericht zwar darauf hin, daß das Teilurteil
der nachträglichen Disposition des Amtsgerichts entzogen war, so daß es auf
die "authentische" Erläuterung durch den erkennenden Richter nicht ankommt
und das Teilurteil daher allein der Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht
unterliegt.
Die Auslegung durch das Berufungsgericht, die der Senat uneinge-
schränkt zu überprüfen hat, erweist sich jedoch als fehlerhaft.
Es trifft bereits nicht zu, daß in den Entscheidungsgründen "mehrfach
eine Teilabweisung" ausgesprochen worden sei. Vielmehr wird darin lediglich
ausgeführt, die Klage sei teilweise unbegründet, und für bestimmte Zeiträume
stehe der Klägerin ein Unterhaltsanspruch nicht zu. Die prozessuale Konse-
quenz einer Teilabweisung der Klage ist jedoch auch in den Entscheidungs-
gründen des Teilurteils an keiner Stelle ausgesprochen.
Dem Berufungsgericht ist auch darin nicht zu folgen, daß die Urteilsfor-
mel des Teilurteils lediglich eine Auslassung enthalte, den Gründen aber nicht
widerspreche. Dies träfe nur dann zu, wenn der Teil der Klageforderung, der
auf den Zeitraum vor August 1998 entfällt und die zugesprochenen 5.460 DM
übersteigt, vom Wortlaut der Urteilsformel nicht erfaßt wäre. Davon kann indes
keine Rede sein, denn der zweite Satz der Urteilsformel lautet, daß die "Ent-
scheidung über die Restforderung" dem Schlußurteil vorbehalten bleibe; der
Begriff Restforderung umfaßt aber die gesamte Klageforderung, soweit sie
über den mit dem ersten Satz der Urteilsformel zugesprochenen Betrag hin-
ausgeht.
Eine Divergenz zwischen Urteilsformel und Entscheidungsgründen kann
hier auch nicht mit dem Argument verneint werden, wegen der Ausführungen
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zur Unbegründetheit eines Teils des auf den Zeitraum vor August 1998 entfal-
lenden Unterhaltsanspruchs sei die Urteilsformel offensichtlich lückenhaft. Es
bedürfe lediglich eines dem ersten Satz anzufügenden Ausspruchs dahinge-
hend, die weitergehende Klage werde abgewiesen, soweit sie auf den Zeitraum
vor August 1998 entfalle, um den zweiten Satz der Urteilsformel dahin zu ver-
stehen, daß (lediglich) die Entscheidung über den die Zeit ab August 1998 be-
treffenden Teil der Klage dem Schlußurteil vorbehalten werden solle, was dann
mit den Entscheidungsgründen in Einklang stehe. Dies wäre methodisch nicht
korrekt, weil somit die "Lücke" im Tenor, die die Möglichkeit der Ausfüllung an-
hand der Gründe eröffnen soll, ihrerseits nur das Ergebnis einer vorwegge-
nommenen Auslegung anhand der Entscheidungsgründe darstellen würde.
Verbleibt es nach alledem aber bei einem Widerspruch zwischen Tenor
und Gründen, weil nach dem Tenor noch keine Sachentscheidung über die
5.460 DM übersteigende Klageforderung getroffen wurde, während die Ent-
scheidungsgründe hierzu Ausführungen in der Sache enthalten, kann hier offen
bleiben, ob in derartigen Divergenzfällen stets der Urteilsformel der Vorrang
gebührt, weil die Gründe der Auslegung der Formel, nicht aber deren Änderung
dienen sollen (vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 322 Rdn. 179; Tho-
mas/Putzo ZPO 22. Aufl. § 322 Rdn. 18; Musielak, ZPO 2. Aufl. § 313 Rdn. 13
m.N.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 59. Aufl. § 322 Rdn. 14; offen ge-
lassen von BGH, Urteil vom 13. Mai 1997 - VI ZR 181/96 - NJW 1997, 3447,
3448).
Jedenfalls ist für den Inhalt der Entscheidung und damit für die Reich-
weite ihrer materiellen Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO in erster Linie der
Wortlaut des Tenors maßgebend (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1985 - VI ZR
195/83 - NJW 1985, 2022). Der Tenor des Teilurteils ist hier indes eindeutig
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und vollständig, weil er den nicht zugesprochenen Teil der Klageforderung ins-
gesamt dem Schlußurteil vorbehält, so daß bereits fraglich ist, ob es überhaupt
einer Auslegung der Urteilsformel bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1982
- VI ZR 179/80 - NJW 1982, 2257 a. E.).
Entscheidet der Tenor nur über einen Teil des Anspruchs, so wird
grundsätzlich nur dieser rechtskräftig, mögen auch die Gründe ergeben, daß
noch weitere Entscheidungen gefällt werden sollten (vgl. Wieczorek ZPO
2. Aufl. § 322 Anm. E II b 8).
Die vorliegende Divergenz zwischen Urteilsformel und Entscheidungs-
gründen kann jedenfalls nicht im Wege der Auslegung dahin korrigiert werden,
daß die Entscheidung bereits eine Teilabweisung enthalte. Dies würde nämlich
voraussetzen, daß "aus den Entscheidungsgründen klar und unzweifelhaft zu
entnehmen wäre, der Richter habe die Absicht gehabt, den in Frage stehenden
Anspruch, soweit er ihn nicht zusprach, sofort abzuweisen" (RGZ 5, 389, 390,
Hervorhebung durch das RG; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. März 1985 aaO
a.E.).
Insbesondere mit Rücksicht darauf, daß hier nach dem Wortlaut der Ur-
teilsformel über den Unterhaltsanspruch - auch für die Zeit vor August 1998 -
gerade keine umfassende Sachentscheidung getroffen werden sollte, und daß
von einer Teilabweisung auch in den Entscheidungsgründen nicht die Rede ist,
läßt sich ein solcher Wille des Gerichts zumindest nicht eindeutig feststellen.
Denkbar ist nämlich auch, daß die Ausführungen zur Unbegründetheit eines
Teils der Klage lediglich der Darlegung dienen sollten, warum derzeit noch kein
höherer Betrag als 5.460 DM zugesprochen wurde, und daß das Gericht den
Rechtsstreit im übrigen - ob zu Recht oder nicht - entweder als noch nicht ent-
scheidungsreif ansah oder aber zumindest über den Teil der Klage, der über
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den zugesprochenen Betrag hinausgeht, trotz umfassender Entscheidungsreife
des den Zeitraum vor August 1998 betreffenden Teils erst später - insgesamt -
durch Schlußurteil entscheiden wollte.
3. Das angefochtene Urteil hat die Berufung der Klägerin mithin zu Un-
recht als unzulässig verworfen und kann daher keinen Bestand haben. Da das
Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu
Grund und Höhe des Unterhaltsanspruchs für die Zeit vor August 1998 getrof-
fen hat, ist die Sache zur Nachholung dieser Feststellungen zurückzuverwei-
sen.
Blumenröhr Hahne Sprick
Bundesrichterin Weber-Monecke ist im
Wagenitz
Urlaub und verhindert zu unterschreiben.
Blumenröhr