Urteil des BGH vom 13.03.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 91/13
Verkündet am:
13. März 2014
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GVG § 198 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 Nr. 1; BGB §§ 1684, 1686
a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist nicht jeder einzelne
Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten Rechts-
schutzbegehren.
b) Allein der Umstand, dass eine Kindschaftssache (Umgangsrechtsverfahren)
vorliegt, führt nicht "automatisch" dazu, dass die Entschädigungspauschale (§
198 Abs. 2 Satz 3 GVG) nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG zu erhöhen ist. Viel-
mehr ist es auch in diesem Fall erforderlich, dass die "Umstände des Einzel-
falls" den Pauschalsatz als unbillig erscheinen lassen.
BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 - OLG Braunschweig
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. März 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Reiter
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Braunschweig vom 8. Februar 2013 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Entschädigung für immaterielle
Nachteile wegen überlanger Dauer eines familiengerichtlichen Verfahrens zur
Regelung des Umgangs mit seinem am 29. November 1994 außerhalb einer
Ehe geborenen Sohn C. in Anspruch. Daneben begehrt er die Fest-
stellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer.
Das erstinstanzliche Verfahren vor dem Familiengericht dauerte nahezu
zwei Jahre und acht Monate, während das anschließende Beschwerdeverfah-
ren vor dem Oberlandesgericht nach acht Monaten beendet war.
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Bereits vor Einleitung des streitgegenständlichen Umgangsrechtsverfah-
rens herrschte zwischen den Kindeseltern ein jahrelanger, in mehreren Ge-
richtsverfahren ausgetragener Streit über die Besuchskontakte des Klägers zu
seinem Sohn.
Auf Anregung des Jugendamts entzog das Familiengericht dem Kläger
durch einstweilige Anordnung vom 14. September 2007 vorläufig das Um-
gangsrecht, da unbelastete Umgangskontakte auf Grund der ständigen Ausei-
nandersetzungen zwischen den Eltern nicht möglich waren, das Kind Verhal-
tensweisen mit Krankheitswert zeigte und sogar Suizidabsichten äußerte. Die
am 31. Oktober 2007 durchgeführte Anhörung der Kindeseltern und des Amts-
arztes führte dazu, dass der persönliche Umgang des Klägers mit seinem Sohn
"vorerst bis längstens 31. März 2008" ausgesetzt wurde, um die Begutachtung
des Kindes durch eine Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu ermögli-
chen. Der Kläger war mit dieser Verfahrensweise einverstanden. Der bereits am
23. Januar 2008 erstellte Klinikbericht wurde im Mai 2008 dem Familiengericht
zugeleitet. Dieses ordnete sodann am 17. Juli 2008 an, dass der Umgang im
Interesse des Kindeswohls weiter ausgesetzt werde und eine (abschließende)
gutachterliche Stellungnahme des Gesundheitsamts einzuholen sei. Nach Rich-
terwechsel fand am 29. Oktober 2008 ein weiterer Anhörungstermin statt, in
dem sich der als Sachverständiger befragte Amtsarzt im Interesse des Kindes-
wohls gegen Besuchskontakte des Klägers aussprach. Vor diesem Hintergrund
schlug das Familiengericht unter anderem vor, der Kläger solle künftige Besu-
che behutsam durch Briefkontakte vorbereiten. Darauf ging der Kläger jedoch
nicht ein. Mit Beschluss vom 28. November 2008 bestellte das Gericht eine be-
rufsmäßige Verfahrenspflegerin für das Kind. Diese erstellte in der Folgezeit
einen umfangreichen Bericht, den sie am 6. Februar 2009 zu den Akten reichte
und in dem sie zu dem Ergebnis kam, dass ein erzwungener Umgang eine Kin-
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deswohlgefährdung darstelle. Nachdem ein auf den 6. Mai 2009 bestimmter
Anhörungstermin auf Antrag des Klägers verlegt werden musste und er zudem
mit Schreiben vom 5. Mai 2009 mitgeteilt hatte, dass er einen Rechtsanwalt
eingeschaltet habe, verfügte die zuständige Richterin am 5. Juni 2009, ihr die
Akte nach vier Wochen wieder vorzulegen. Im Hinblick auf ein Schreiben des
Klägers vom 15. Juni 2009 notierte die Richterin am 22. Juni 2009 eine neue
Wiedervorlagefrist von vier Wochen ("Stellungnahme RA R. ?"). Mit Verfügung
vom 30. September 2009 setzte sie, nachdem bis dahin eine anwaltliche Stel-
lungnahme nicht eingegangen war, den Kläger hiervon in Kenntnis und be-
stimmte eine weitere Wiedervorlagefrist von zwei Wochen. Am 2. Dezember
2009 fand sodann ein "Abschlusstermin" statt. Wenige Tage zuvor hatte sich
der vom Kläger angekündigte Verfahrensbevollmächtigte erstmals gemeldet
und schriftlich mehrere Anträge zum Umgangsrecht gestellt. Außerdem machte
er einen Anspruch auf vierteljährliche Auskunftserteilung über die persönlichen
Verhältnisse des Kindes geltend. Am 3. Dezember 2009 hörte die Familienrich-
terin das Kind persönlich an und fertigte darüber ein ausführliches Protokoll. Mit
Beschluss vom 28. April 2010 entschied das Familiengericht in der Hauptsache,
dass der persönliche Umgang des Klägers mit seinem Sohn bis auf weiteres
ausgesetzt werde. Eine Entscheidung über den Auskunftsanspruch unterblieb
versehentlich und wurde mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 nachgeholt.
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2010 legte der Kläger Beschwerde gegen den
Beschluss vom 28. April 2010 ein und begründete diese unter dem 5. Juli 2010.
Nach Gewährung von Stellungnahmefristen für die übrigen Beteiligten hörte das
Oberlandesgericht am 17. November 2010 das Kind an und verhandelte am
23. November 2010 abschließend. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2010, der
an den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 27. Dezember 2010 zuge-
stellt wurde, wies das Oberlandesgericht die Beschwerde zurück. Anhörungsrü-
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ge und Gegenvorstellung des Klägers vom 10. Januar 2011 blieben erfolglos.
Sie wurden mit Beschluss vom 17. Februar 2011 zurückgewiesen. Die Verfas-
sungsbeschwerde des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der das Verfahren
beendende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember
2011 wurde ihm am 27. Dezember 2011 zugestellt.
Bereits zuvor hatte der Kläger mit Schriftsätzen vom 4. November 2010
und 13. Oktober 2011 Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) erhoben und die überlange Dauer des umgangsrecht-
lichen Verfahrens gerügt.
Die vorliegende Entschädigungsklage, die dem Beklagten am 25. Juni
2012 zugestellt wurde, hat der Kläger am 11. Mai 2012 beim Oberlandesgericht
eingereicht.
Er hat geltend gemacht, das erstinstanzliche Verfahren sei um etwa 25
Monate, das Auskunftsverfahren um neun Monate und das Beschwerdeverfah-
ren um vier Monate verzögert. Die durchschnittliche Dauer eines erstinstanzli-
chen Umgangsrechtsverfahrens betrage lediglich 6,8 Monate. Da sein Um-
gangsrecht durch die überlange Verfahrensdauer faktisch entwertet worden sei,
entspreche eine Entschädigung in Höhe von 13.4
00 € der Billigkeit (§ 198
Abs. 2 Satz 4 GVG).
Das Oberlandesgericht hat den Beklagten zur Zahlung einer Entschädi-
gung für immaterielle Nachteile von 1.500 € verurteilt. Im Übrigen hat es die
Klage abgewiesen.
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Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter, soweit zu seinem Nachteil ent-
schieden worden ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe gegen das beklagte Land gemäß § 198 Abs. 1, 2 GVG
ein Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Umgangs-
rechtsverfahrens in Höhe von 1.500 € zu. Die Entschädigungsregelung der
§§ 198 ff GVG sei nach Art 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei
überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren an-
wendbar, da das innerstaatliche Ausgangsverfahren erst mit Zustellung des
Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts am 27. Dezember 2011 beendet
worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Beschwerdeverfahren beim EGMR
bereits eingeleitet gewesen.
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Der für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer maß-
gebliche Zeitraum erstrecke sich von der Einleitung des Umgangsrechtsverfah-
rens am 14. September 2007 bis zur Zustellung des Beschlusses des Oberlan-
desgerichts vom 16. Dezember 2010.
Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei nach § 198
Abs. 1 Satz 2 GVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Die Annahme
fester Zeitgrenzen komme ebenso wenig in Betracht wie die Heranziehung der
durchschnittlichen Dauer von Verfahren einer bestimmten Art. Es sei dem Klä-
ger deshalb verwehrt, für die Berechnung seines Entschädigungsanspruchs
lediglich auf die Differenz zwischen der tatsächlichen und der statistischen Ver-
fahrensdauer bei Umgangssachen abzustellen.
Eine unangemessene Verfahrensdauer liege regelmäßig dann vor, wenn
sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung vorlägen. Im
Streitfall habe es sich um ein komplexes Verfahren gehandelt, bei dem das
Zeitmoment wegen der Gefahr der Entfremdung zwischen dem Kläger und sei-
nem Sohn wesentlich sei. Unter Berücksichtigung des Prozessverhaltens des
Klägers, der zahlreiche Stellungnahmen und Anfragen zu den Akten gereicht
habe, und des dem Gericht bei der Verfahrensgestaltung zukommendem Frei-
raums könne eine sachwidrige Verzögerung des Beschwerdeverfahrens nicht
festgestellt werden. Allein die Verfahrensführung durch das Amtsgericht habe
zu einer entschädigungspflichtigen Gesamtverzögerung des Verfahrens im Um-
fang von acht Monaten geführt, insbesondere durch die unzureichende Verfah-
rensförderung in Bezug auf den Bericht der Fachklinik für Kinder- und Jugend-
psychiatrie vom 23. Januar 2008, die verspätete Bestellung der Verfahrenspfle-
gerin und die zwischen den Verfügungen vom 22. Juni und 30. September 2009
liegende, sachlich nicht gerechtfertigte "Lücke".
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Die nach dem Pauschalsatz des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sich ergeben-
de Entschädigung von 800 € sei unbillig im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 4
GVG. Da Gegenstand des Ausgangsverfahrens eine Kindschaftssache sei und
das Familiengericht über den parallel geltend gemachten Auskunftsanspruch
zunächst nicht entschieden habe, sei eine moderate Erhöhung des Entschädi-
gungsbetrags auf 1.500 € geboten. Ein schwerwiegender Fall im Sinne von
§ 198 Abs. 4 Satz 3 GVG liege nicht vor. Die zusätzliche Feststellung der Un-
angemessenheit der Verfahrensdauer könne der Kläger deshalb nicht verlan-
gen.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
1.
Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff
GVG) findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 2 des
Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und straf-
rechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) auf den Streitfall Anwendung. Danach
gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. De-
zember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits abgeschlossen waren, wenn deren
Dauer zu einer nach Art. 35 Abs. 1 EMRK zulässigen Beschwerde vor dem
EGMR geführt hat (Senatsurteil vom 11. Juli 2013 - III ZR 361/12, NJW 2014,
218 Rn. 9, 15). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Das vom Kläger als unangemessen lang angesehene familiengerichtli-
che Verfahren wurde durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom
16. Dezember 2010 und 17. Februar 2011, mit denen die Beschwerde und die
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Anhörungsrüge des Klägers zurückgewiesen wurden, beendet. Damit war der
innerstaatliche Rechtsweg erschöpft (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Entgegen der Auf-
fassung des Oberlandesgerichts kommt es in diesem Zusammenhang auf die
Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezem-
ber 2011 nicht an. Wird die überlange Dauer eines zivilrechtlichen Verfahrens
geltend gemacht, stellt die Verfassungsbeschwerde keinen effektiven Rechts-
behelf im Sinne von Art. 13 EMRK dar. Ein Beschwerdeführer ist demnach nicht
verpflichtet, vor Anrufung des EGMR eine Verfassungsbeschwerde beim Bun-
desverfassungsgericht einzulegen (EGMR, NJW 2006, 2389 Rn. 105 ff und
NVwZ 2008, 289 Rn. 64 ff; Schäfer in Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 35
Rn. 34, 57; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 13 Rn. 38, Art. 35 Rn. 19). Da
der Kläger die Verfahrensdauer bereits mit Individualbeschwerde vom 4. No-
vember 2010 gerügt hatte, wurde die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1
EMRK gewahrt. Dem steht nicht entgegen, dass der innerstaatliche Rechtsweg
zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschöpft war (vgl. Schäfer aaO Art. 35 Rn. 3,
35, 52 ff). Die nach Fristablauf eingelegte (erneute) Beschwerde vom 13. Okto-
ber 2011 ist lediglich als jederzeit mögliche Ergänzung der bereits zulässig er-
hobenen Beschwerde anzusehen (vgl. Schäfer aaO Art. 35 Rn. 17). Dement-
sprechend wurde sie beim EGMR unter demselben Aktenzeichen geführt.
Durch die am 11. Mai 2012 eingereichte und am 25. Juni 2012 zugestell-
te Klageschrift wurde die Ausschlussfrist des Art. 23 Satz 6 ÜGRG eingehalten
(§ 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 167 ZPO).
2.
Die Rüge der Revision, das Oberlandesgericht hätte die nachgeholte
Entscheidung des Familiengerichts über den zunächst übersehenen Antrag auf
Auskunftserteilung gemäß § 1686 BGB als gesondert zu entschädigendes Ver-
fahren behandeln müssen, bleibt ohne Erfolg.
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§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG enthält eine Legaldefinition des Gerichtsverfah-
rens im Sinne der Entschädigungsregelung. Gerichtsverfahren ist nicht jeder
einzelne Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten
Rechtsschutzbegehren. Vielmehr geht das Gesetz von einem an der Hauptsa-
che orientierten Verfahrensbegriff aus (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013
- III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 20). Lediglich für den Bereich des be-
reits eröffneten Insolvenzverfahrens fingiert § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 3 GVG,
dass jeder Antrag auf Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren
gilt (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsver-
fahren, § 198 GVG Rn. 49). In zeitlicher Hinsicht ist der gesamte Zeitraum von
der Einleitung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung als ein Ver-
fahren zu behandeln (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 21).
Nach diesem Maßstab ist der Antrag auf Auskunftserteilung (§ 1686
BGB), den der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom
30. November 2009 kumulativ neben weiteren Anträgen in dem familiengericht-
lichen Umgangsrechtsverfahren gestellt hat (dazu Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl.,
§ 1686 Rn. 1), nicht als Einleitung eines getrennt zu betrachtenden Gerichtsver-
fahrens anzusehen. Vielmehr sollte darüber in dem bereits anhängigen Um-
gangsrechtsverfahren entschieden werden. Eine andere Beurteilung ergibt sich
auch nicht daraus, dass sich das Familiengericht erstmals in dem Beschluss
vom 8. Oktober 2010 sachlich mit dem Auskunftsantrag befasst hat. Denn zu
diesem Zeitpunkt war das Hauptsacheverfahren noch nicht beendet. Das Ober-
landesgericht hatte zwischenzeitlich die Akten zur Entscheidung über das Aus-
kunftsbegehren an das Familiengericht zurückgesandt. Das Umgangsrechtsver-
fahren wurde parallel in der zweiten Instanz fortgeführt und im Dezember 2010
durch Zurückweisung der Beschwerde des Klägers abgeschlossen.
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3.
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Oberlandesgericht über
die festgestellte Verzögerung von acht Monaten hinaus eine unangemessene
Dauer des Ausgangsverfahrens zu Recht verneint. Die diesbezügliche Verfah-
rensförderung durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens weist keine ent-
schädigungsrechtlich relevanten Lücken auf. Durch die zunächst unterbliebene
Entscheidung über den Auskunftsanspruch wurde die Gesamtverfahrensdauer
- wie unter 2. dargelegt - nicht verlängert.
a) Die Rüge, das Oberlandesgericht hätte bei der Beurteilung der Unan-
gemessenheit der Verfahrensdauer nicht auf die konkreten Fallumstände, son-
dern auf die durchschnittliche Dauer eines erstinstanzlichen Umgangsverfah-
rens, die bei 6,8 Monaten liege, abstellen müssen, greift nicht durch.
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unan-
gemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem ein-
deutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere
auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der
Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Um-
stände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind,
nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BT-
Drucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Ver-
fahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die
nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor al-
lem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen
Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unab-
hängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder-
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lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Se-
natsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28,
32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom
23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur
Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
bb) Eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhält-
nismäßig lange dauert, ist nicht möglich und würde im Bereich der ordentlichen
Gerichtsbarkeit bereits an der Vielgestaltigkeit der Verfahren und prozessualen
Situationen scheitern.
Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, dass sich die Angemessenheit
der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls richtet (§ 198 Abs. 1
Satz 2 GVG), wurde bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die
Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Ein nach Verfahrensarten
oder -gegenständen, nach Schwierigkeitsgraden oder in ähnlicher Weise
ausdifferenziertes System fester "Normwerte" scheidet deshalb aus (vgl.
Maidowski, JM 2014, 81, 82). Die Ausrichtung auf den Einzelfall ergibt sich ein-
deutig aus dem Wortlaut des Gesetzes, wird durch dessen Entstehungsge-
schichte bestätigt (dazu Steinbeiß-Winkelmann aaO Einführung Rn. 236 ff) und
entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Wil-
len des Gesetzgebers (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Feste Zeitvorgaben können
auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht ent-
nommen werden (siehe dazu die Übersicht bei Meyer-Ladewig aaO Art. 6
Rn. 199 ff, insbesondere Rn. 207 f). Das Bundesverfassungsgericht hat eben-
falls keine festen Zeitgrenzen aufgestellt und beurteilt die Frage, ab wann ein
Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, stets nach den besonderen Um-
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ständen des einzelnen Falls (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2811, 2812 und NJW
2013, 3630 Rn. 30, 32 mwN).
Der Verzicht auf allgemeingültige Zeitvorgaben schließt es auch regel-
mäßig aus, die Angemessenheit der Verfahrensdauer allein anhand statisti-
scher Durchschnittswerte zu ermitteln. Nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1
Satz 1 GVG kommt es auf die "angemessene" und nicht auf die "durchschnittli-
che" Verfahrensdauer an. Daneben ist zu bedenken, dass § 198 GVG nicht nur
einzelfallbezogene "Ausreißer" erfasst, sondern auch dann eingreift, wenn die
Verzögerung auf strukturellen Problemen (zum Beispiel unzureichende Perso-
nalausstattung der Justiz) beruht. Die Ermittlung aussagekräftiger Vergleichs-
werte, die keine solchen "Systemfehler" enthalten, stellt sich als schwierig dar,
zumal die Verschiedenartigkeit der einzelnen Verfahrensarten eine einheitliche
Betrachtung verbietet. Selbst brauchbare statistische Durchschnittswerte sind
nur bedingt taugliche Parameter und können ohne eine Einzelfallbetrachtung
nicht zur Grundlage einer Entschädigungsentscheidung gemacht werden. Des-
halb reicht es - entgegen der Revision - für die Berechnung eines Entschädi-
gungsanspruchs nicht aus, lediglich auf die Differenz zwischen der tatsächli-
chen und der statistischen Verfahrensdauer hinzuweisen (Senatsurteil vom
14. November 2013 aaO Rn. 26; Heine MDR 2013 1081, 1085; Schlick, Fest-
schrift für Klaus Tolksdorf, S. 549, 554; siehe auch BVerwG, NJW 2014, 96 Rn.
28 ff und BSG, NJW 2014, 248 Rn. 25 ff zu dem Sonderfall des Verfahrens der
Nichtzulassungsbeschwerde nach dem SGG: statistische Zahlen als "hilfreicher
Maßstab").
b) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1
Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1
Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der
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Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen
Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3
GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung
des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu
bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO
Rn. 28 ff; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 36 ff und vom 23. Januar 2014 aaO
Rn. 35 ff jeweils mwN).
Dies bedeutet, dass die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten
muss, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen
für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismä-
ßig darstellt (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 31; vom 5. De-
zember 2013 aaO Rn. 42 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 38; vgl. BVerfG,
NVwZ 2013, 789, 791 f; BVerwG aaO Rn. 39; siehe auch BFH, BeckRS 2013,
96642 Rn. 53; BSG aaO Rn. 26: "deutliche Überschreitung der äußersten
Grenze des Angemessenen").
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgebli-
cher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer
(vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Verzögerungen, die in einem Stadium des
Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, können
innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert werden (Senatsur-
teile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41
und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f).
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c) Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs-
und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komple-
xität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner ver-
fahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzu-
billigen (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember
2013 aaO Rn. 44 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39). Dementsprechend
wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungspro-
zess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft.
Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange
einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr ver-
ständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187,
286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar 2014
- III ZR 311/13, juris Rn. 30). Da der Rechtsuchende keinen Anspruch auf opti-
male Verfahrensförderung hat (BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010
- 1 BvR 404/10, juris Rn. 16), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des
Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrens-
leitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlän-
gerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (Senatsurteile vom 5. Dezember
2013 aaO Rn. 46 und vom 13. Februar 2014 aaO Rn. 30). Im Entschädigungs-
prozess dürfen diejenigen rechtlichen Überlegungen, die der erkennende Rich-
ter bei der Entscheidungsfindung im Ausgangsprozess angestellt hat, grund-
sätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden (Schlick aaO
S. 555). Stets muss jedoch in den Blick genommen werden, dass die Gerichte
sich mit zunehmender Verfahrensdauer nachhaltig um eine Beschleunigung
des Verfahrens zu bemühen haben (vgl. nur Senatsurteil vom 4. November
2010 aaO Rn. 11, 14; BVerfG, NJW 2013, 3630 Rn. 32, 37, 44).
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Erst wenn die Verfahrenslaufzeit, die durch die Verfahrensführung des
Gerichts bedingt ist, in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198
Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung des weiten richterlichen Gestal-
tungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemes-
sene Verfahrensdauer vor (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33;
vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 ff; vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 40 und
vom 13. Februar 2014 aaO Rn. 31; BVerwG aaO Rn. 42).
d) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze hält die Beurtei-
lung des Oberlandesgerichts, durch die Verfahrensführung des Familiengerichts
sei das erstinstanzliche Verfahren lediglich im Umfang von acht Monaten ohne
sachlichen Grund nicht gefördert worden, den Angriffen der Revision stand.
Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt
grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage entscheidet.
Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten
Rechtsbegriff der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat das Revisionsge-
richt den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner
Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze
oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung we-
sentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind
(vgl. nur Senatsurteile vom 4. November 2010 aaO Rn. 18; vom 14. November
2013 aaO Rn. 34 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 47).
Solche Rechtsfehler liegen nicht vor. Die vom Oberlandesgericht vorge-
nommene Gesamtabwägung anhand der nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG maß-
geblichen Kriterien belegt, dass alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände
berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind.
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aa) Ohne Rechtsfehler und von der Revision unbeanstandet ist das
Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass das Ausgangsverfahren vor allem
wegen des angespannten Verhältnisses der Eltern und der notwendigen Betei-
ligung weiterer Stellen (Jugendamt, Verfahrenspfleger, medizinischer Sachver-
ständiger) von einer "gewissen Komplexität" war (vgl. EGMR, FamRZ 2011,
1283 Rn. 47). Dies rechtfertigt die Annahme, dass von vornherein mit zeitauf-
wändigen zusätzlichen Verfahrensschritten und einer längeren Verfahrensdauer
zu rechnen war.
bb) Das Oberlandesgericht hat ferner zutreffend erkannt, dass die zeit-
nahe Entscheidung des Umgangsverfahrens für den Kläger von besonderer
persönlicher Bedeutung war.
In Verfahren, die das Verhältnis einer Person zu ihrem Kind betreffen,
obliegt den Gerichten eine besondere Förderungspflicht, weil die Gefahr be-
steht, dass allein der fortschreitende Zeitablauf zu einer faktischen Entschei-
dung der Sache führt. Verfahren, die das Sorge- oder Umgangsrecht betreffen,
sind deshalb besonders bedeutsam (vgl. EGMR, NJW 2006, 2241 Rn. 100;
FamRZ 2011, 1283 Rn. 45 und Urteil vom 10. Mai 2007, Beschwerde Nr.
76680/01, juris Rn. 93, 99, 104). Bei der Festlegung des konkreten Beschleuni-
gungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht das Alter des Kindes zu Recht in
seine Überlegungen einbezogen. Denn eine Verpflichtung zur "größtmöglichen
Beschleunigung" des Verfahrens besteht vor allem bei sehr kleinen Kindern
(vgl. EGMR, FamRZ 2011, 1283 Rn. 45). Kleinere Kinder empfinden, bezogen
auf objektive Zeitspannen, den Verlust einer Bezugsperson - anders als ältere
Kinder oder gar Erwachsene - schneller als endgültig (Ott aaO § 198 GVG
Rn. 111). In diesen Fällen ist die Gefahr der Entfremdung zwischen Eltern und
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Kind, die für das Verfahren Fakten schaffen kann, besonders groß, so dass ei-
ne besondere Sensibilität für die Verfahrensdauer erforderlich ist (vgl. BVerfG,
NJW 1997, 2811, 2812 und NJW 2001, 961, 962). Im vorliegenden Fall war das
Kind allerdings zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bereits knapp 13 Jahre
alt und lehnte - zermürbt durch die früheren gerichtlichen Auseinandersetzun-
gen um das Umgangsrecht des Klägers - weitere "erzwungene" Besuchskon-
takte ab. Den Vorschlag des Familiengerichts, etwaige künftige Besuchsrege-
lungen durch einen Briefkontakt vorzubereiten, hat der Kläger nicht aufgegrif-
fen. Bei dieser Sachlage durfte das Oberlandesgericht ohne Rechtsfehler davon
ausgehen, dass keine Situation vorlag, in der allein durch Zeitablauf die Sach-
entscheidung faktisch präjudiziert wurde. Im konkreten Fall erschien ein Zu-
warten mit dem Verfahrensabschluss schon deshalb sinnvoll, um gerade durch
Zeitablauf Klärungsprozesse sowohl bei dem älter werdenden Kind als auch
bei den Kindeseltern zu ermöglichen und auf diese Weise die innerfami-
liären "Selbstheilungskräfte" zu mobilisieren (vgl. Keidel/Engelhardt, FamFG,
18. Aufl., § 155 Rn. 5).
cc) Vergeblich wendet die Revision ein, das Oberlandesgericht habe die
zahlreichen und zum Teil umfangreichen schriftlichen Stellungnahmen und An-
fragen des Klägers sowie den Umstand, dass er von den ihm durch das Pro-
zessrecht eingeräumten Verfahrenshandlungen Gebrauch gemacht habe, bei
der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht berücksichtigen
dürfen, da das Vorgehen des Klägers weder sachwidrig noch missbräuchlich
gewesen sei.
Die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfah-
ren verhalten hat, ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursa-
chung wesentlich für die Beurteilung der Verfahrensdauer (BT-Drucks. 17/3802
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S. 18). Denn von ihm verursachte Verzögerungen können keine Unangemes-
senheit der Verfahrensdauer begründen (Ott aaO § 198 GVG Rn. 116). Dabei
kommt es auf eine "Prozessverschleppungsabsicht" oder eine sonstige Vor-
werfbarkeit des Verhaltens nicht an. Auch durch zulässiges Prozessverhalten
herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in den Verantwortungsbereich
des Betroffenen. Dies gilt beispielsweise für häufige umfangreiche Stellung-
nahmen und Anfragen, Fristverlängerungsanträge und Anträge auf Ruhenlas-
sen des Verfahrens (Ott aaO Rn. 117 f). In allen diesen Fällen wird die Zeit, die
für das Gericht zur ordnungsgemäßen Reaktion auf ein Prozessverhalten erfor-
derlich ist, nicht dem Staat zugerechnet (Senatsurteil vom 13. Februar 2014
aaO Rn. 42 mwN).
Das Oberlandesgericht durfte deshalb bei seiner Abwägungsentschei-
dung berücksichtigen, dass der Kläger insbesondere durch zahlreiche Stellung-
nahmen und Anfragen, einen Terminsaufhebungsantrag sowie die späte Bestel-
lung eines Verfahrensbevollmächtigten beträchtliche Verfahrensverzögerungen
verursacht hat, die nicht in den Verantwortungsbereich des Familiengerichts
fielen. Dazu zählt auch, dass er zu einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag
vom 29. Oktober 2008, der ihm begleitete Umgänge in Aussicht stellte, erst mit
Schreiben vom 25. November 2008 (ablehnend) Stellung nahm.
dd) Die Beurteilung der Verfahrensführung der Ausgangsgerichte durch
das Oberlandesgericht lässt einen Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen.
Das Entschädigungsgericht hat den zutreffenden Beurteilungsmaßstab
(nur Vertretbarkeitskontrolle) zugrunde gelegt. Es ist unter Abwägung mit den
weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG und unter Berücksich-
tigung des richterlichen Gestaltungsspielraums zu dem Ergebnis gelangt, dass
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sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verzögerungen im Umfang von acht Mo-
naten vorhanden sind. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Soweit die Revision darüber hinaus geltend macht, das Oberlandesge-
richt habe das Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen
(§ 50e FGG aF, § 155 FamFG) außer Acht gelassen und insbesondere überse-
hen, dass ein Erörterungstermin bereits binnen eines Monats nach Verfah-
renseinleitung hätte stattfinden müssen (§ 50e Abs. 2 FGG aF), geht die Rüge
ins Leere.
Wie bereits ausgeführt, hat das Oberlandesgericht das spezifische Vor-
rang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen zutreffend erkannt und
gewichtet. Mit den Einzelheiten der von der Revision angeführten gesetzlichen
Bestimmungen (§ 50e FGG aF, § 155 FamFG) musste es sich nicht näher aus-
einandersetzen. Nach Art. 111 Abs. 1 des FGG-Reformgesetzes vom 17. De-
zember 2008 (BGBl. I S. 2586) ist § 155 FamFG auf Verfahren, die - wie hier -
vor dem 1. September 2009 eingeleitet wurden, nicht anwendbar (Keidel/Engel-
hardt aaO Art. 111 FGG-RG Rn. 2). § 50e FGG aF wurde durch das Gesetz zur
Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindes-
wohls vom 4. Juli 2008 (BGBl. I S. 1188) eingeführt. Demgemäß konnte das
Gebot aus § 50e Abs. 2 FGG aF (Sollvorschrift), spätestens einen Monat nach
Beginn des Verfahrens einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchzufüh-
ren, im Streitfall noch keine Wirkung entfalten. Unabhängig davon hat das Fa-
miliengericht nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesge-
richts bereits am 31. Oktober 2007, also nur sechs Wochen nach Verfahrens-
beginn, einen Anhörungstermin durchgeführt. Nach allem ist eine (weitere)
sachwidrige Verfahrensverzögerung nicht ersichtlich.
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4.
Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand des Klägers, im vorliegenden Fall
sei eine deutliche Erhöhung des Regelsatzes (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) ge-
mäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG geboten, da die Dauer des Ausgangsverfahrens
sein Umgangsrecht faktisch entwertet habe und nach den vom EGMR entwi-
ckelten Grundsätzen (dazu EGMR, FamRZ 2012, 1123) eine Entschädigung
von 13.400 € gerechtfertigt sei.
§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sieht zur Bemessung der Höhe der Entschädi-
gung für immaterielle Nachteile einen Pauschalsatz in Höhe von 1.200 € für
jedes Jahr der Verzögerung vor. Ist dieser Betrag nach den Umständen des
Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag
festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Mit der Pauschalierung unter Verzicht
auf einen einzelfallbezogenen Nachweis sollen Streitigkeiten über die Höhe der
Entschädigung, die eine zusätzliche Belastung der Gerichte bedeuten würden,
vermieden werden. Zugleich ermöglicht dies eine zügige Erledigung der Ent-
schädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen (Senatsurteil vom 14. No-
vember 2013 aaO Rn. 46; vgl. auch BT-Drucks. 17/3802 S. 20). Die Entschädi-
gung wird dabei nur für den konkreten Verzögerungszeitraum geleistet, so dass
verzögerte Verfahrensabschnitte, die die Gesamtverfahrensdauer nicht verlän-
gert haben, außer Betracht bleiben müssen (Ott aaO § 198 GVG Rn. 225). In-
soweit hat das Oberlandesgericht, was den Kläger jedoch nicht beschwert, bei
der Bemessung des Entschädigungsbetrags die nachgeholte Entscheidung
über den Auskunftsantrag, die sich auf die Gesamtverfahrensdauer in keiner
Weise ausgewirkt hat, zu Unrecht zur Begründung einer Erhöhung des Pau-
schalsatzes herangezogen.
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Im Hinblick auf den eine Verfahrensvereinfachung anstrebenden Geset-
zeszweck ist der Tatrichter nur bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten,
von dem normierten Pauschalsatz aus Billigkeitserwägungen (§ 198 Abs. 2
Satz 4 GVG) abzuweichen. Dabei ist für eine Abweichung nach oben insbeson-
dere an solche Fälle zu denken, in denen die Verzögerung zur Fortdauer einer
Freiheitsentziehung oder zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsver-
letzung geführt hat (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 46 mwN).
Derartige Ausnahmefälle macht die Revision nicht geltend. Allein der Umstand,
dass eine Kindschaftssache (Umgangsrechtsverfahren) vorliegt, rechtfertigt
noch keine Erhöhung des Regelsatzes. Denn entscheidend ist, dass die "Um-
stände des Einzelfalls", das heißt die konkreten Auswirkungen der überlangen
Verfahrensdauer, die Pauschalhöhe als unbillig erscheinen lassen. Dafür ist im
Streitfall nichts ersichtlich, da das knapp 13-jährige Kind nach seinem klar ge-
äußerten Willen gerichtlich erzwungene Umgangskontakte von Anfang an abge-
lehnt hat und die einstweiligen Anordnungen des Familiengerichts, mit denen
der Umgang vorläufig ausgesetzt wurde, durch die in der Hauptsache ergange-
nen Entscheidungen bestätigt wurden. Eine faktische Entwertung des Um-
gangsrechts durch bloßen Zeitablauf hat gerade nicht stattgefunden.
Der Hinweis der Revision auf die in dem Urteil des EGMR vom 27. Okto-
ber 2011 (Beschwerde Nr. 8857/08, FamRZ 2012, 1123) zugesprochene Ent-
schädigung von 10.000 € ist verfehlt. Der Entscheidung lag ein Fall aus Tsche-
chien zugrunde lag, in dem die Mutter eines Kleinkindes über einen Zeitraum
von vier Jahren das Umgangsrecht verweigert hatte, ohne dass die nationalen
Behörden einschritten. Dadurch wurde eine de-facto-Situation geschaffen, die
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schließlich zu einem Verlust der emotionalen Bindung des Kindes zum Vater
führte. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.
Schlick
Herrmann
Wöstmann
Seiters
Reiter
Vorinstanz:
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 08.02.2013 - 4 SchH 1/12 -