Urteil des BGH vom 07.11.2003

BGH (rechtliches gehör, schuldner, faires verfahren, zpo, arbeitsvertrag, durchführung, versicherung, fotokopie, kopie, nachweis)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 277/03
vom
3. März 2005
in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Neškovi , Vill und Cierniak und die Richterin Lohmann
am 3. März 2005
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 7. Zivilkammer
des Landgerichts Augsburg vom 7. November 2003 wird auf Ko-
sten des Schuldners als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 5.000 € festgesetzt.
Der Antrag des Schuldners auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe
zur Durchführung der Rechtsbeschwerde gegen den vorbezeich-
neten Beschluß des Landgerichts Augsburg wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Über das Vermögen des Schuldners wurde am 18. Januar 2001 das
Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Im Schlußtermin hat die Gläubigerin
beantragt, dem Schuldner die von diesem erstrebte Restschuldbefreiung zu
versagen. Das Insolvenzgericht hat antragsgemäß entschieden und der hier-
gegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Schuldners nicht abgeholfen.
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gen gerichteten sofortigen Beschwerde des Schuldners nicht abgeholfen. Das
Landgericht hat das Rechtsmittel durch den angefochtenen Beschluß zurück-
gewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren
weiter.
II.
Die gemäß §§ 7 InsO, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO von Gesetzes wegen
statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdege-
richts ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer ein-
heitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-
chung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) liegt nicht vor. Zwar sind die Vorausset-
zungen dieses Zulassungsgrundes nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs auch dann erfüllt, wenn das Beschwerdegericht bei der Anwendung
oder Auslegung von Rechtsvorschriften gegen grundlegende, verfassungs-
rechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat, so daß die
angefochtene Entscheidung von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf
(BGHZ 154, 288, 296; BGH, Beschl. v. 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, WM 2004,
1407, 1408 f). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Land-
gericht aber weder das Recht des Schuldners auf rechtliches Gehör gemäß
Art. 103 Abs. 1 GG noch seinen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf ein faires Verfahren oder den all-
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gemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als
Willkürverbot verletzt.
a) Die Ausführungen des Landgerichts zu den Versagungsgründen ge-
mäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO sind nicht widersprüchlich. Es kam dem
Landgericht bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht darauf an, ob die E.
Ltd. in Wahrheit gar nicht existiert oder nur eine "Briefka-
stenfirma" ist, die im Vereinigten Königreich registriert ist.
b) Das Landgericht hat die von ihm als unstreitig bezeichnete Tatsache,
daß der Schuldner zunächst die auf Seite 5 der Gründe des angefochtenen
Beschlusses bezeichnete Einzelfirma betrieb, dem mit Schriftsatz der Gläubi-
gerin vom 30. April 2002 vorgelegten Schreiben vom 17. September 1999 an
die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München II und dem Schriftsatz der
Gläubigerin vom 30. September 2002 entnommen. Die Rechtsbeschwerde
zeigt hierzu weder vom Beschwerdegericht übergangenen Vortrag des Schuld-
ners noch einen Verfahrensfehler auf.
c) Das Landgericht hat nicht - schon gar nicht in willkürlicher Weise -
gegen die im Verfahren nach §§ 289, 290 InsO zu beachtenden Regeln über
die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verstoßen. Die Beschlußgründe
ergeben nicht, daß das Landgericht die Grundsätze, die der Senat (BGHZ 156,
139, 142 f, 146 f) aufgestellt hat, nicht beachtet hat. Es hat überdies keine Be-
weislastentscheidung getroffen, sondern sich die Überzeugung verschafft, daß
der Schuldner sich hinter der E. Ltd. "versteckt", um ein
lohnabhängiges Beschäftigungsverhältnis vorzuschieben und die wirklichen
Einkommensverhältnisse zu verschleiern.
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Im Rahmen der dieser Überzeugungsbildung zugrundeliegenden tatrich-
terlichen Würdigung hat es als ein Indiz unter mehreren den Umstand einbe-
zogen, daß der Schuldner lediglich eine unbeglaubigte Fotokopie der
Registrierung der E. Ltd. vorgelegt hat. Dies ist vor dem
Hintergrund der Umstände des hier gegebenen Einzelfalls nicht willkürlich. Da
das Landgericht vom Schuldner nicht den "Nachweis der Existenz der
E.
Ltd." - hierauf hat das Beschwerdegericht, wie ausgeführt, nicht
entscheidend abgestellt - verlangt hat, scheidet ein Verstoß gegen §§ 4 InsO,
139 ZPO aus. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Vorlage einer Fotokopie
zur Glaubhaftmachung geeignet sein kann; dies hat das Landgericht nicht in
Frage gestellt. Hierdurch hat das Beschwerdegericht ferner nicht gegen
Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen. Zwar kommt es im Ergebnis der Verhinderung
eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderun-
gen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger
Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauch-
te (BVerfGE 84, 188, 190; BVerfG NJW 2000, 275). Das Landgericht hat je-
doch keine Anforderungen an den Sachvortrag des Schuldners gestellt, son-
dern im Rahmen seiner tatrichterlichen Beweiswürdigung die Umstände des
Einzelfalls, zu denen die Vorlage einer unbeglaubigten Kopie gehört, gewür-
digt. Im übrigen konnte dem Schuldner schon aufgrund seiner Akteneinsicht am
17. Oktober 2002 bekannt sein, daß bereits das Landgericht München II im
Urteil vom 17. Januar 2001 in dem Rechtsstreit E. ./. T. (10 O
4262/00) im Zusammenhang mit der Parteifähigkeit und der Tätigkeit der E.
Ltd. die Frage eines Beweiswerts der unbeglaubigten Ko-
pie angesprochen hatte. Auf dieses Urteil ist der Schuldner jedenfalls im Erst-
beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2003 näher eingegangen.
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d) Es kann dahinstehen, ob das Amtsgericht den Anspruch des Schuld-
ners auf rechtliches Gehör verletzt hatte. Jedenfalls wirkte ein Verfahrensfehler
im Beschwerdeverfahren entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
nicht mehr fort. Der Schuldner hat mit seiner Beschwerdeschrift und erneut mit
Schriftsatz vom 2. Oktober 2003 ausführlich zu den von der Gläubigerin gel-
tend gemachten Versagungsgründen Stellung genommen, ohne daß aus dem
Vorbringen erkennbar ist, daß vor Erlaß der angefochtenen Entscheidung noch
weiterer Vortrag beabsichtigt gewesen war.
Das Landgericht hat auch nicht dadurch gegen den aus Art. 103 Abs. 1
GG folgenden Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör verstoßen, daß
es in der angefochtenen Entscheidung nicht näher auf die eidesstattliche Ver-
sicherung des G. S. vom 25. August 1999 und auf den vom Schuldner
vorgelegten Arbeitsvertrag mit der E. Ltd. eingegangen
ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die Gerichte das von ihnen ent-
gegengenommene Parteivorbringen auch im Rahmen ihrer Entscheidungsfin-
dung zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte
sind nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen
ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände
deutlich machen, daß das tatsächliche Vorbringen eines Beteiligten nicht zur
Kenntnis genommen worden oder doch jedenfalls nicht in die Entscheidung
eingeflossen ist (BVerfGE 65, 293, 295 f; 70, 288, 293). Wenn das Gericht auf
den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Fra-
ge, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungs-
gründen gar nicht eingeht, läßt dies zwar auf die Nichtberücksichtigung des
Vortrags schließen. Das gilt aber nicht, sofern der Vortrag nach dem Rechts-
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standpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert
war (BVerfGE 47, 182, 189; 86, 133, 146; BVerfG NJW 2000, 275, 276). So
liegt es hier:
Das Landgericht hat sich unter Würdigung verschiedener aussagekräfti-
ger Indizien die Überzeugung verschafft, daß der Schuldner sich hinter der E.
Ltd. "versteckt", um die tatsächlichen Verhältnisse zu
verschleiern. Unter diesen Umständen ist es unerheblich, daß der vom Schuld-
ner als Geschäftsführer bezeichnete G. S. seinen Vortrag in einer
eidesstattlichen Versicherung bestätigt hat und auch ein Arbeitsvertrag mit der
Limited existiert. Das Beschwerdegericht mußte daher dem Schuldner auch
nicht Gelegenheit geben, "die Vernehmung des Zeugen G. S. zum
Nachweis der Existenz der britischen Firma zu beantragen". Denn auf die Fra-
ge einer förmlichen Existenz der Limited hat das Landgericht nicht entschei-
dungstragend abgehoben.
2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage,
ob das Insolvenzgericht Zeugen zu vernehmen hat, wenn der Schuldner dem
Versagungsantrag des Gläubigers im Wege der Gegenglaubhaftmachung ent-
gegengetreten ist, stellt sich hier nicht. Die Rechtsbeschwerde bezieht sich
hierbei - soweit dies ihrer Darlegung (§ 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) entnommen wer-
den kann - auf Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 290 Rn. 13. Dort geht es
um die Frage, ob die Gegenglaubhaftmachung zur Unzulässigkeit des Versa-
gungsantrags führt. Hier jedoch hat das Insolvenzgericht den Vortrag der Gläu-
bigerin nicht nur als glaubhaft, sondern auch als erwiesen erachtet. Hierbei
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mußte es auf die Angaben des G. S. nicht eingehen. Mit dieser Wür-
digung wird keine rechtsgrundsätzliche Frage aufgeworfen.
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III.
Prozeßkostenhilfe zur Durchführung der Rechtsbeschwerde kann dem
Schuldner nicht bewilligt werden, weil die von ihm beabsichtigte Rechtsverfol-
gung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).
Fischer Neškovi Vill
Cierniak Lohmann