Urteil des BGH vom 02.05.2002

BGH (bundesverfassungsgericht, satzung, rente, berechnung, zusatzrente, stichtag, ergebnis, zukunft, anrechnung, rentner)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 201/02
Verkündet am:
15. September 2004
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und
die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung vom
15. September 2004
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. Mai 2002 wird auf
Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Zusatzrente mit
Wirkung ab 1. Januar 2001.
Er ist 1930 geboren und war wegen seiner Tätigkeit im öffentlichen
Dienst bei der beklagten Versorgungsanstalt versichert. Seit 27. März
1991 bezieht der Kläger eine monatliche Zusatzversorgungsrente von
der Beklagten. Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa ihrer
Satzung (im folgenden: VBLS) in der für die Berechnung der Rentenhöhe
des Klägers maßgebenden Fassung berücksichtigte die Beklagte für den
Faktor der gesamtversorgungsfähigen Zeit, von dem die Höhe ihrer Zu-
satzrente abhängt, außer den Umlagemonaten, in denen ein Arbeitgeber
des öffentlichen Dienstes mit Umlagezahlungen an die Beklagte für die
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Altersversorgung des bei ihm beschäftigten Klägers beigetragen hat,
darüber hinaus andere Zeiten, die (über die Umlagemonate hinaus) der
gesetzlichen Rente des Klägers zugrunde liegen, nur zur Hälfte (sog.
Halbanrechnungsgrundsatz). Dementsprechend hat die Beklagte von den
Monaten, die der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung zurück-
gelegt hat, zunächst die Monate abgezogen, in denen sein Arbeitgeber
Umlagen an die Beklagte gezahlt hat; aus der Hälfte der verbleibenden
Monate sowie den Umlagemonaten setzt sich danach die gesamtversor-
gungsfähige Zeit zusammen.
Andererseits war nach der seinerzeit geltenden Satzung bei der
Berechnung der Versorgungsrente grundsätzlich von der vollen Höhe der
an den Kläger gezahlten gesetzlichen Rente auszugehen; diese wurde
durch die von der Beklagten gewährte Zusatzversorgung lediglich inso-
weit aufgestockt, wie die gesetzliche Rente hinter der nach der Satzung
berechneten Gesamtversorgung zurückblieb (§ 40 Abs. 1 VBLS a.F.).
Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser vollen Berücksichtigung der
gesetzlichen Rente trotz einer nur hälftigen Anrechnung von Vordienst-
zeiten einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, der nur bis zum
Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden könne (VersR 2000, 835 =
NJW 2000, 3341).
Der Kläger hat daher beantragt festzustellen, daß die Beklagte
verpflichtet sei, ab 1. Januar 2001 eine Versorgungsrente für Versicher-
te auf der Grundlage einer gesamtversorgungsfähigen Zeit von 503 Mo-
naten zu gewähren, bis eine neue, die Regelung der Vordienstzeiten än-
dernde Satzung in Kraft trete.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der
Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Re-
vision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen
Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts gehören Berechtigte,
die - wie der Kläger - am 31. Dezember 2000 schon Renten von der Be-
klagten bezogen haben, nicht zu dem Personenkreis, für den das Bun-
desverfassungsgericht die streitige Regelung beanstandet hat. Selbst
wenn man aber annehme, daß auch für diese Gruppe von Rentenberech-
tigten die Halbanrechnung unzulässig und die Satzung insoweit unwirk-
sam sei, könne die Klage keinen Erfolg haben. Denn es stehe eine
Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner in Frage, die jedenfalls
hier nicht vom Gericht im W ege ergänzender Auslegung eines lückenhaft
gewordenen Vertrags geschlossen werden könne. Die Beklagte könne ihr
Grundleistungsangebot nicht selbst gestalten, sondern müsse ein von
den Sozialpartnern ausgehandeltes Ergebnis umsetzen, das notwendig
kompromißhafte Züge trage und deshalb einer Auslegung unter dem Ge-
sichtspunkt der Systemgerechtigkeit kaum zugänglich sei. Die vom Klä-
ger geforderte zusätzliche Leistung sei, wenn man ihre finanziellen Aus-
wirkungen auf die Beklagte abschätze, nicht etwa nur als Abrundung ih-
res Angebots zu werten, sondern erschüttere die Beklagten in ihrer wirt-
schaftlichen Substanz. Deshalb müsse als mögliche Neuregelung auch in
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Betracht gezogen werden, daß Vordienstzeiten bei der Berechnung der
von der Beklagten gezahlten Zusatzrente überhaupt nicht mehr berück-
sichtigt werden könnten.
Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Beru-
fungsgericht lag der Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung
der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vom 1. März 2002 vor, der
das bisherige Gesamtversorgungssystem der Beklagten durch ein an den
Grundsatz der Betriebstreue anknüpfendes Punktemodell ersetzt; Vor-
dienstzeiten werden - abgesehen vom Bestandsschutz - nicht mehr be-
rücksichtigt (vgl. Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Ar-
beiter des öffentlichen Dienstes, 37. Ergänzungslieferung August 2002
Teil C Anl. 5). Im Hinblick darauf hat das Berufungsgericht keinen Anlaß
gesehen, die Satzung etwa wegen Untätigkeit der Sozialpartner ergän-
zend auszulegen.
2. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen, wie der Senat be-
reits in seinem Urteil vom 26. November 2003 (IV ZR 186/02 - VersR
2004, 183) entschieden hat.
a) Am 19. September 2002 hat die Beklagte ihre Satzung mit Wir-
kung ab 1. Januar 2001 geändert. Nach der Übergangsregelung in § 75
Abs. 2 der Neufassung werden die nach bisherigem Satzungsrecht ge-
zahlten Versorgungsrenten grundsätzlich als Besitzstandsrenten weiter-
gezahlt und entsprechend § 39 der Neufassung jährlich um 1% vom Jahr
2002 an erhöht. Die vom Kläger geforderte volle Anrechnung der Vor-
dienstzeiten ist nach wie vor nicht vorgesehen.
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b) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom
22. März 2000, auf den sich der Kläger stützt, die Verfassungsbeschwer-
de einer 1921 geborenen Rentnerin, die seit Anfang 1983 Leistungen
von der Beklagten erhielt und im Ausgangsverfahren erfolglos deren Er-
höhung wegen Unwirksamkeit von Satzungsbestimmungen verlangt hat-
te, nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sich die Beschwerde-
führerin gegen die volle Berücksichtigung ihrer Sozialversicherungsrente
bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversorgung einerseits, aber die
nur halbe Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme ihrer Tätigkeit im
öffentlichen Dienst andererseits gewandt hatte, hat das Bundesverfas-
sungsgericht die Regelung in § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppel-
buchst. aa VBLS a.F. zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG beanstandet,
eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin aber "(noch)
nicht" festgestellt. Die Ungleichbehandlung sei zwar gravierend, halte
sich derzeit jedoch noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung.
Der Satzungsgeber sei wegen der hochkomplizierten Materie zu gewis-
sen Vereinfachungen gezwungen. Dabei dürfe er Ungleichbehandlungen
in Kauf nehmen, solange davon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von
Personen betroffen sei. Das treffe auf die Rentnergeneration der Be-
schwerdeführerin zu, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt.
Für die jüngeren Versichertengenerationen sei ein bruchloser Ver-
lauf der Erwerbsbiographie im öffentlichen Dienst angesichts stark ge-
stiegener Teilzeitarbeit und einer stärkeren Diskontinuität des Erwerbs-
lebens allerdings nicht mehr in hinreichender Weise typisch. Angesichts
dieser Entwicklung könne die Benachteiligung der Rentner durch volle
Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei nur
hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit im Rah-
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men der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht
länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Zu
diesem Zeitpunkt sei die Beklagte durch die Entscheidung BVerfGE 98,
365 = VersR 1999, 600 ohnehin zu einer grundlegenden Änderung ihrer
Satzung gezwungen.
c) Dieser Beschluß des Bundesverfassungsgerichts mag bei den
Rentenempfängern der Beklagten die Erwartung geweckt haben, ihnen
stehe vom Jahr 2001 an eine höhere Rente zu, wie sie sich bei voller Be-
rücksichtigung der Vordienstzeiten aus der früher geltenden Fassung der
VBLS ergeben würde. Der Kläger des vorliegenden Verfahrens gehört
jedoch nicht zu jenen jüngeren Versichertengenerationen, für die die an-
gegriffene Halbanrechnung nach Auffassung des Bundesverfassungsge-
richts nicht mehr hinnehmbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die
Halbanrechnung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken noch als zuläs-
sige Typisierung und Generalisierung im Rahmen einer komplizierten
Materie angesehen, weil ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiographie
im öffentlichen Dienst erst für die jüngeren Versichertengenerationen
nicht mehr hinreichend typisch sei. Bis zum Ablauf des Jahres 2000 kön-
ne die Halbanrechnung aber noch hingenommen werden. Mithin ist das
Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, daß alle Versicherten,
die vor Ablauf des Jahres 2000 Rentner bei der Beklagten geworden
sind, noch zu denjenigen Generationen zählen, für die ein bruchloser
Verlauf der (bei Rentenbeginn abgeschlossenen) Erwerbsbiographie als
typisch angesehen werden kann. Soweit die Versicherten im Revisions-
verfahren diese Annahme des Bundesverfassungsgerichts mittels stati-
stischen Materials und unter Berufung auf ein einzuholendes Sachver-
ständigengutachten in Zweifel gezogen haben, ist dies in bezug auf die
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rein wertende Abgrenzung der Versichertengenerationen durch das Bun-
desverfassungsgericht unerheblich. Der Kläger bezieht bereits seit
27. März 1991 eine Zusatzrente von der Beklagten. Für ihn und für die
Generation, der er angehört, ist die Halbanrechnung der Vordienstzeiten
also noch hinzunehmen.
Die Unterscheidung, die das Bundesverfassungsgericht zwischen
der Rentnergeneration der dortigen Beschwerdeführerin einerseits und
den jüngeren Versichertengenerationen andererseits trifft, verlöre ihren
Sinn, wenn auch Personen, die vor dem Stichtag schon Rentner bei der
Beklagten waren, nach dem Stichtag als Angehörige der jüngeren Versi-
chertengenerationen hätten gelten sollen. Daß auch die Beschwerdefüh-
rerin (und nicht nur die am Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
nicht beteiligten jüngeren Versichertengenerationen) vom Stichtag an ei-
nen Anspruch auf Änderung der sie benachteiligenden, gegen Art. 3
Abs. 1 GG verstoßenden Satzungsbestimmungen gehabt hätte, ist nicht
ersichtlich.
d) Der Senat folgt dem Bundesverfassungsgericht darin, daß die
Anwendung des § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS
a.F. bei der Berechnung der Vorsorgungsrente für solche Versicherte,
die - wie der Kläger - bis zum 31. Dezember 2000 versorgungsberechtigt
geworden sind, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Damit liegt auch
kein Verstoß gegen §§ 9 AGBG, 307 BGB vor. Dabei kann auf sich beru-
hen, ob den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur Ungleich-
behandlung der von der Halbanrechnung betroffenen Versichertengruppe
trotz der Kritik der Beklagten in jedem Punkt zu folgen ist (vgl. auch Heb-
ler, ZTR 2000, 337). Denn mit dem Bundesverfassungsgericht ist der
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Senat der Auffassung, daß - ist mit der Halbanrechnung eine Ungleich-
behandlung gegenüber denjenigen Versicherten verbunden, die ihr gan-
zes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben - sich die Un-
gleichbehandlung jedenfalls im Rahmen einer zulässigen Typisierung
und Generalisierung einer komplizierten, eine sehr große Gruppe von
Versicherten betreffenden Materie hielt. Diese Ungleichbehandlung hat
ein Versicherter, der bis zum Ablauf des Jahres 2000 Zusatzrentenemp-
fänger geworden ist, nicht zuletzt auch im Interesse der Erhaltung der fi-
nanziellen Leistungsfähigkeit des Versorgungsträgers hinzunehmen,
selbst wenn für die Zukunft eine andere, die Ungleichbehandlung für zu-
künftige Rentenempfänger vermeidende Regelung zu treffen ist.
e) Der Kläger wird auch gegenüber Versicherten, deren Rente sich
nach der ab 1. Januar 2001 geltenden Neufassung der VBLS richtet,
nicht in rechtlich erheblicher Weise benachteiligt. Nach unwidersproche-
nem Vortrag der Beklagten ist das Niveau der von ihr in Zukunft aufgrund
ihrer neuen Satzung zu leistenden Versorgungsrenten generell niedriger
als bisher; den Berechtigten wird daneben eine ergänzende Altersvor-
sorge angeboten, die aus eigenen Beiträgen aufgebaut werden muß.
Daß der Kläger trotz der dynamisierten Besitzstandsrente, die er nach
§ 75 Abs. 2 VBLS n.F. erhält, wirtschaftlich im Ergebnis schlechter stehe
als Berechtigte, deren Versorgungsrente nach neuem Satzungsrecht oh-
ne Rücksicht auf Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes
berechnet wird, ist von ihm weder dargetan noch ersichtlich. Der in der
Halbanrechnung von Vordienstzeiten vom Bundesverfassungsgericht ge-
sehene Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist für die Zukunft aus-
geräumt. Im Hinblick darauf stehen Rentenempfängern alten Rechts wie
etwa dem Kläger über die Wahrung ihres Besitzstandes hinaus auch
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nach dem 31. Dezember 2000 keine weitergehenden Ansprüche aus
Gründen der Gleichbehandlung zu.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Wendt Dr. Kessal-Wulf