Urteil des BGH vom 05.04.2000

BGH (1995, stpo, strafzumessung, strafe, freiheitsstrafe, vergewaltigung, aufgabe, zwang, beischlaf, verwendung)

5 StR 404/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 19. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2000
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 5. April 2000 nach § 349
Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in
Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von
13 Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den
Schuldspruch und die Einziehungsanordnung richtet. Jedoch kann der
Strafausspruch aus sachlichrechtlichen Gründen keinen Bestand haben.
I.
Der wegen vieler vorsätzlicher Körperverletzungen, vor langer Zeit
auch wegen Sexualdelikten bestrafte, bargeldlose Angeklagte bestellte sich
über eine Agentur telefonisch eine Prostituierte in seine Wohnung, um sich
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sexuelle Dienste „kostenlos, gegebenenfalls unter Anwendung von Gewalt,
gewähren zu lassen.“ Es erschien die Nebenklägerin, die zunächst eine
Entgeltzahlung in Höhe von 200,- DM im voraus verlangte. Durch erhebliche
Schläge, Bedrohung mit einem Teppichmesser und das Ausreißen von
Haarbüscheln erzwang der Angeklagte im Wechsel zweimal ungeschützten
Oralverkehr (fellatio), zweimal Beischlaf unter Verwendung eines Kondoms
und schließlich schmerzhaften Analverkehr, bei dem er der Nebenklägerin
ein Kissen in das Gesicht drückte. Zum Samenerguß kam es nicht.
Schließlich zwang der Angeklagte die Nebenklägerin zur Säuberung des
WC.
II.
Trotz des erheblichen Gewichtes der Tat und der Vorbelastung des
Angeklagten, sämtlich vom Landgericht ohne Rechtsfehler in die
Strafzumessung eingestellt, ist die verhängte Freiheitsstrafe von 13 Jahren
derart hoch, daß sie ihrer Aufgabe, gerechter Schuldausgleich zu sein
(BGHSt 34, 345, 349), nicht mehr entspricht.
III.
Für die neue Entscheidung über die Strafe bemerkt der Senat
folgendes:
1. Im Rahmen der nach § 46 Abs. 1 und 2 StGB gebotenen
umfassenden Gesamtwürdigung wird auch der Gesichtspunkt zu
berücksichtigen sein, daß die Nebenklägerin grundsätzlich zu sexuellen
Handlungen mit dem Angeklagten gegen Entgelt bereit war, wenngleich sich
dies – wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
hervorgehoben – nicht etwa auf alle erzwungenen Sexualpraktiken bezog.
Mag auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu diesem
Fragenkomplex – weil jeweils an andere tatrichterliche Formulierungen
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anknüpfend – uneinheitlich sein (einerseits BGH bei Dallinger MDR 1973,
555; BGH StV 1995, 635; 1996, 26; BGH, Beschluß vom 3. Januar 1995
– 4 StR 723/94 –; BGH, Beschluß vom 10. August 1995 – 4 StR 452/95 –;
andererseits BGH bei Dallinger MDR 1971, 895; BGH NStZ-RR 1998, 326;
BGH, Urteil vom 16. August 2000 – 2 StR 159/00 –), so bleibt doch folgendes
festzuhalten: Im kriminologischen Gesamtspektrum der – auch
qualifizierten – Vergewaltigungstaten besteht eine Polarität und ist
dementsprechend bei der Strafzumessung eine Differenzierung geboten
zwischen Taten gegen Frauen, die sich dem Täter zu – gegebenenfalls
entgeltlichen – sexuellen Handlungen anbieten, und Taten gegen Opfer, die
dem Täter keinerlei Anlaß zu der Annahme geben, sie wären zu sexuellem
Kontakt bereit.
2. Der neue Tatrichter sollte auch Erwägungen (wie etwa UA S. 20)
vermeiden, die die Besorgnis wecken könnten, er gehe etwa von einem
linearen Verhältnis zwischen Tatschwere und Tatschuld einerseits und der
innerhalb des gegebenen Strafrahmens festzusetzenden Strafe andererseits
aus (vgl. BGHSt 34, 355, 359 f. m.N.; BGH NStZ 1983, 217).
Harms Häger Tepperwien
Raum Brause