Urteil des BGH vom 26.02.2003

BGH (zpo, verhandlung, sache, aufhebung, reform, voraussetzung, entlastung, aufnahme, veröffentlichung, umfang)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 261/02
Verkündet am:
26. Februar 2003
Kirchgeßner,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin
am Bundesgerichtshof Dr. Deppert und die Richter am Bundesgerichtshof Dr.
Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Wolst und Dr. Frellesen
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2003
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 64
des Landgerichts Berlin vom 14. Juni 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin hat den Beklagten eine Wohnung vermietet. Mit der vorlie-
genden Klage verlangt sie von den Beklagten die Zustimmung zu einer Mieter-
höhung.
Das Amtsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die hierge-
gen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit der Maßga-
- 3 -
be zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Das Beru-
fungsurteil enthält keinen Tatbestand, sondern lediglich eine Bezugnahme auf
die tatsächlichen Feststellungen in dem amtsgerichtlichen Urteil gemäß "§ 540
Abs. 1 Nr. 1 ZPO" sowie einen ergänzenden Hinweis auf die Berechnung und
Erläuterung des in dem Mieterhöhungsverlangen berücksichtigten Kürzungsbe-
trages von 0,07 DM/m².
Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag
in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben, weil es keinen Tatbestand enthält
(§ 543 Abs. 2 ZPO a.F.).
Da die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht am 29. November
2001 geschlossen worden ist, waren für die Berufung entgegen der Auffassung
des Landgerichts die am 31. Dezember 2001 geltenden Vorschriften insgesamt
und nicht nur für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels anzuwenden
(§ 26 Nr. 5 EGZPO). Damit war ungeachtet der Tatsache, daß für das Revisi-
onsverfahren nach § 26 Nr. 7 EGZPO das neue Verfahrensrecht anwendbar ist,
auch für die Abfassung des Berufungsurteils noch das alte Recht maßgebend
(Senatsurteil vom 19. Februar 2003 - VIII ZR 205/02, zur Veröffentlichung vor-
gesehen; vgl. auch Meyer-Seitz in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002,
§ 540 Rdnr. 15, Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 540 Rdnr. 29 und Tho-
mas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., § 26 EGZPO Rdnr. 5), und damit § 543 ZPO a.F.
statt des vom Berufungsgericht herangezogenen § 540 ZPO. Nach § 543
- 4 -
Abs. 1 ZPO a.F. konnte zwar grundsätzlich von der Darstellung des Tatbestan-
des abgesehen werden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn gegen das Urteil die
Revision stattfindet (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F.). Da das Berufungsgericht
die Revision zugelassen hatte, bedurfte das Berufungsurteil eines Tatbestan-
des. Der Ausnahmetatbestand des § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. greift nicht
ein, weil sich die Bezugnahme in dem Berufungsurteil nicht auf den gesamten
Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils erstreckt, sondern auf die tatsächli-
chen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil beschränkt ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 543 ZPO a.F. ist
ein mit der Revision angreifbares Berufungsurteil grundsätzlich aufzuheben,
wenn es keinen Tatbestand enthält (BGH, Urteil vom 18. September 1986
- I ZR 179/84, NJW 1987, 1200 m.w.Nachw.). Allerdings kann von einer Aufhe-
bung und Zurückverweisung aus diesem Grunde abgesehen werden, wenn sich
die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deut-
lich aus den Urteilsgründen ergeben (BGH, Urteil vom 18. September 1986
aaO). Diese Voraussetzung ist jedoch nicht erfüllt. Hiervon abgesehen, enthält
das Berufungsurteil keine Angaben zu den Berufungsanträgen; eine Aufnahme
der Berufungsanträge in das Berufungsurteil ist aber sogar nach neuem Recht,
das eine weitgehende Entlastung der Berufungsgerichte bei der Urteilsabfas-
sung bezweckt (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 540 Rdnr. 1), nicht entbehrlich
(Meyer-Seitz, aaO § 540 Rdnr. 7; Musielak/Ball aaO § 540 Rdnr. 3).
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur er-
neuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen.
- 5 -
II.
In der neuen Berufungsverhandlung wird das Landgericht Gelegenheit
haben, sich - auch unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit einer Mieterhöhungsklage - mit
den Argumenten der Revisionsbegründung auseinanderzusetzen.
Dr. Deppert
Dr. Hübsch
Dr. Beyer
Dr. Wolst
Dr. Frellesen