Urteil des BGH vom 12.07.2006

Rohrleitungsprüfverfahren Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 33/05
vom
12. Juli 2006
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
betreffend die Patentanmeldung 102 02 432
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Rohrleitungsprüfverfahren
PatG § 100 Abs. 3 Nr. 6
Eine Lücke in der gedanklichen Herleitung der einzelnen Elemente der für die
Bejahung oder Verneinung der erfinderischen Tätigkeit gegebenen Begründung
rechtfertigt die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht.
BGH, Beschl. vom 12. Juli 2006 - X ZB 33/05 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Juli 2006 durch den Vor-
sitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin Mühlens und
die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Senats
(Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom
10. August 2005 wird auf Kosten der Anmelderin zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 25.000,-- €
festgesetzt.
Gründe:
I. Die
Rechtsbeschwerdeführerin
ist Inhaberin der am 22. Januar
2002 eingereichten deutschen Patentanmeldung 102 02 432. Die Prüfungsstelle
hat die Anmeldung zurückgewiesen, da ihr Gegenstand nicht auf erfinderischer
Tätigkeit beruhe.
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Im Beschwerdeverfahren hat die Anmelderin den Erteilungsantrag mit ei-
nem Haupt- und einem Hilfsantrag weiterverfolgt. Der nachgesuchte Patentan-
spruch 1 lautet nach dem Hauptantrag:
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"Verfahren zum Prüfen von Rohrleitungen, insbesondere zum De-
tektieren von Fehlern in Rohrleitungen mittels Ultraschall, wobei
während eines Laufs durch eine Rohrleitung Ultraschallsignale
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von Sensorelementen in eine Rohrwandung ausgesandt und an
verschiedenen Grenzflächen reflektierte Schallsignale zur Bestim-
mung von Fehlern der Rohrwandung ausgewertet werden,
, dass von mehreren, Teilbereiche eines
Messsensors bildenden Sensorelementen Schallsignale unter ei-
nem ersten Winkel von ungefähr 45° und unter einem zu diesem
an der Rohrwandungs-Normalen gespiegelten zweiten Winkel von
ungefähr minus 45° in die Rohrwandung eingestrahlt werden."
Im Hilfsantrag ist am Ende des Patentanspruchs 1 angefügt:
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"und dass zusätzlich Schallsignale senkrecht in die Rohrwandung
eingestrahlt werden."
Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen.
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Hiergegen richtet sich die - nicht zugelassene - Rechtsbeschwerde der
Anmelderin.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, da mit ihr geltend gemacht
wird, die Entscheidung des Bundespatentgerichts sei nicht mit Gründen verse-
hen (§ 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG). Sie ist jedoch unbegründet, da der geltend ge-
machte Beschwerdegrund nicht vorliegt.
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1.
Das Bundespatentgericht hat seine Entscheidung wie folgt be-
gründet: Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag umfasse
den Gegenstand des enger gefassten Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag. Da
dieser nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, sei auch jener nicht pa-
tentfähig. Aus der veröffentlichten WO-Anmeldung 96/00387 (D 1) sei ein Ver-
fahren zum Prüfen von Rohrleitungen bekannt, bei dem während eines Laufs
durch eine Rohrleitung Ultraschallsignale von Sensorelementen in eine Rohr-
wandung ausgesandt würden. An verschiedenen Grenzflächen reflektierte
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Schallsignale würden zur Bestimmung von Fehlern der Rohrwandung ausge-
wertet. Von Sensorelementen, die mehrere Teilbereiche eines Messsensors
bildeten, würden die Schallsignale unter mehreren Winkeln in die Rohrwandung
eingestrahlt. Durch Phasenansteuerung der Ultraschallstrahler könnten große
radiale Bereiche des Rohres vermessen werden. Aus der Veröffentlichung
"Schweißnahtprüfung mit Real-Time-Scanner-Prüfköpfen" von Erhard u.a. (D 7)
sei bekannt, dass es zum Detektieren von Fehlern mittels Ultraschall bei der
Untersuchung von Schweißnähten zweckmäßig sein könne, während des Laufs
Ultraschallsignale gezielt unter verschiedenen diskreten Winkeln, unter ande-
rem auch 45°, in die zu prüfenden Bauelemente einzustrahlen. Die naheliegen-
de Anwendung dieser bekannten Maßnahme auf das aus der D 1 bekannte
Verfahren führe unmittelbar zum Verfahren nach Hilfsantrag, wobei die Auswahl
der geeigneten diskreten Winkel im Belieben des Fachmanns stehe.
2.
Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, dass das Bundespatent-
gericht damit seiner Verpflichtung, seine Entscheidung mit Gründen zu verse-
hen, nicht genügt habe.
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a)
Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 100 Abs. 3 Nr. 6
PatG dient nicht der Richtigkeitskontrolle der Beschwerdeentscheidungen des
Bundespatentgerichts. Sie dient vielmehr ausschließlich der Sicherung der Ver-
pflichtung des Beschwerdegerichts, seine Entscheidung zu begründen. Für die
unterlegene Partei muss aus den schriftlichen Gründen der Entscheidung er-
kennbar sein, welche rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte nach dem
Willen des Bundespatentgerichts die getroffene Entscheidung tragen sollen. An
diesem Gesetzeszweck müssen sich die Anforderungen an die Auslegung des
Tatbestandsmerkmals "nicht mit Gründen versehen" ausrichten (Sen.Beschl. v.
30.3.2005 - X ZB 8/04, GRUR 2005, 572, 573 - Vertikallibelle).
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Daraus ergibt sich einerseits, dass die sachlich fehlerhafte, unvollständi-
ge oder unschlüssige Begründung die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht
rechtfertigt. Andererseits genügt es dem Begründungszwang noch nicht, dass
die Entscheidung formal überhaupt Gründe enthält. Eine Entscheidung ist "nicht
mit Gründen versehen", wenn aus ihr nicht zu erkennen ist, welche tatsächli-
chen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Ent-
scheidung maßgebend waren. Der fehlenden Begründung ist es dabei gleich-
zusetzen, wenn die vorhandenen Gründe ganz unverständlich und verworren
sind, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lassen, welche Überlegungen für
die Entscheidung maßgebend waren. Dem Erfordernis der Erkennbarkeit der
maßgeblichen Erwägungen ist auch dann nicht genügt, wenn die Gründe sach-
lich inhaltslos sind und sich auf leere Redensarten oder auf die Wiedergabe des
Gesetzestextes beschränken (BGHZ 39, 333, 337 - Warmpressen; Sen.Beschl.
v. 3.12.1991 - X ZB 5/91, GRUR 1992, 159, 160 - Crackkatalysator II;
Sen.Beschl. v. 11.6.2002 - X
ZB 27/01, GRUR 2002, 957, 958
- Zahnstruktur).
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b)
Danach genügt die angefochtene Entscheidung noch dem Be-
gründungszwang, weil sie erkennen lässt, aus welchen Erwägungen das Bun-
despatentgericht die erfindungsgemäße Lehre für nahegelegt (§ 4 PatG) erach-
tet hat.
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Nach dem Hilfsantrag der Anmelderin ist Patentanspruch 1 auf ein Ver-
fahren mit folgenden Merkmalen gerichtet:
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1. Verfahren zum Prüfen von Rohrleitungen.
2. Während eines Laufs durch eine Rohrleitung werden von
Sensorelementen Ultraschallsignale in eine Rohrwandung
ausgesandt.
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3. An verschiedenen Grenzflächen reflektierte Schallsignale
werden zur Bestimmung von Fehlern der Rohrwandung aus-
gewertet.
4. Die Schallsignale werden von mehreren Sensorelementen
ausgesandt, die Teilbereiche eines Messsensors bilden.
5. Es werden Schallsignale in die Rohrwandung eingestrahlt
5.1 unter einem ersten Winkel von ungefähr 45°,
5.2 unter einem zu dem ersten Winkel an der Rohrwan-
dungsnormalen gespiegelten zweiten Winkel von unge-
fähr -45° und
5.3 zusätzlich
senkrecht.
Ausführungen zum Sinngehalt des nachgesuchten Anspruchs enthält der
angefochtene Beschluss nicht. Ihm ist daher auch nichts dazu zu entnehmen,
welche technische Wirkung erfindungsgemäß mit den Merkmalen 5 bis 5.3 er-
zielt werden soll.
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Aus den Ausführungen des Bundespatentgerichts zur D 1 ergibt sich,
dass das Bundespatentgericht aus dieser Vorveröffentlichung ein Verfahren
zum Prüfen von Rohrleitungen mit den Merkmalen 1 bis 4 für bekannt erachtet,
bei dem ferner Schallsignale unter mehreren Winkeln in die Rohrwandung ein-
gestrahlt werden. Das Bundespatentgericht entnimmt ferner der D 7, dass es
bei der Untersuchung von Schweißnähten mittels Ultraschall zum Detektieren
von Fehlern zweckmäßig sein kann, während des Laufs Ultraschallsignale ge-
zielt unter verschiedenen diskreten Winkeln in die zu prüfenden Bauelemente
einzustrahlen, wobei u.a. ein Winkel von 45° dargestellt wird.
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Die Begründung des Bundespatentgerichts dafür, dass sich die Erfin-
dung für den Fachmann in naheliegender Weise aus diesem Stand der Technik
ergebe, lautet vollständig: "Die naheliegende Anwendung dieser (scil. aus der
D 7) bekannten Maßnahme auf das aus der D 1 bekannte Verfahren führt un-
mittelbar zum Verfahren gemäß Hilfsantrag, wobei die Auswahl der geeigneten
diskreten Winkel im Belieben des Fachmanns steht".
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Der Rechtsbeschwerde ist zuzugeben, dass sich das Bundespatentge-
richt damit nicht dazu verhält, inwiefern der Fachmann Veranlassung gehabt
haben soll, das aus der D 1 bekannte Verfahren so einzurichten, dass Schall-
signale unter einem ersten Winkel von ungefähr 45°, ferner unter einem zu die-
sem an der Rohrwandungsnormalen gespiegelten zweiten Winkel von ungefähr
-45° und schließlich senkrecht in die Rohrwandung eingestrahlt werden. Zwar
mag unter Umständen schon der Hinweis darauf, dass etwas im Belieben des
Fachmanns stehe, begründen, warum vom Fachmann eine bestimmte Auswahl
aus einer Mehrzahl von Möglichkeiten erwartet werden konnte. Das setzt indes-
sen voraus, dass die Austauschbarkeit der zur Verfügung stehenden Möglich-
keiten aufgezeigt wird oder nach den Umständen offensichtlich ist. Daran fehlt
es jedoch hier, da sich die Entscheidung des Bundespatentgerichts mit keinem
Wort zum Sinn und zur technischen Wirkung der von der Erfindung gelehrten
Wahl dreier bestimmter unterschiedlicher Einstrahlungswinkel verhält. Für die
zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit notwendige wertende Würdigung
der tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, etwas über die Voraussetzun-
gen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen (Sen.Urt. v.
7.3.2006 - X ZR 213/01 - Vorausbezahlte Telefongespräche, zur Veröffentli-
chung in BGHZ bestimmt), fehlt damit ein wesentliches Element.
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Aus diesem materiellen Mangel der Begründung folgt jedoch nicht, dass
die Entscheidung dem formellen Begründungszwang nicht genügt, den § 100
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Abs. 3 Nr. 6 PatG sichern soll. Denn die Entscheidung lässt erkennen, dass für
die Beurteilung des Bundespatentgerichts, die Erfindung habe sich für den
Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben, die
Annahme maßgeblich war, der Fachmann, dem das in der D 1 beschriebene
Verfahren bekannt gewesen sei, habe in Anwendung der in der D 7 beschrie-
benen Arbeitsweise die Einstrahlungswinkel beliebig und damit auch wie in der
Patentanmeldung angegeben wählen können. Diese Annahme stellt eine für
sich genommen vollständige und verständliche Begründung für das Naheliegen
dar. Dass sie ihrerseits nicht vollständig begründet worden ist, stellt nur eine
Lücke in der gedanklichen Herleitung der einzelnen Elemente der gegebenen
Begründung dar, die im Verfahren der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde
nicht mit Erfolg beanstandet werden kann.
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III.
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich
gehalten.
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Melullis
Scharen
Mühlens
Meier-Beck Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 10.08.2005 - 20 W(pat) 47/03 -