Urteil des BGH vom 24.07.2003

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 510/02
vom
24. Juli 2003
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Dr. Bergmann
am 24. Juli 2003
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 11. September 2002 wird
auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren be-
trägt 49.325,37 Euro.
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt unter anderem von dem beklagten Rechtsanwalt
(Beklagter zu 2) Schadensersatz, weil ein anderes Mitglied der Rechtsanwalts-
sozietät, der vormalige Beklagte zu 1), Pflichten aus einem Treuhandvertrag
verletzt habe. Das Landgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 2) abge-
wiesen. Das auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2002 ergangene
Urteil gelangte am 25. April 2002 in den Posteinlauf der Kanzlei der Prozeßbe-
vollmächtigten des Klägers; der sachbearbeitende Rechtsanwalt Dr. W.
nahm es aber erst am 29. April 2002 in Empfang. Die Berufung des Klägers
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gegen das Urteil ging rechtzeitig, die Berufungsbegründung nebst Wiederein-
setzungsantrag erst am 8. Juli 2002 beim Oberlandesgericht ein. Durch Be-
schluß vom 11. September 2002 wies das Berufungsgericht den Wiedereinset-
zungsantrag zurück und verwarf die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Be-
rufung als unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist von zwei Monaten nach
Urteilszustellung begründet worden sei.
Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Zurück-
weisung des Wiedereinsetzungsantrags und gegen die Verwerfung der Beru-
fung als unzulässig.
II.
Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4,
§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist jedoch unzulässig, weil die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und eine Entscheidung
des Rechtsbeschwerdegerichts auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2
ZPO).
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der
Rechtsanwalt grundsätzlich das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustel-
lung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die
Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, daß die Frist im Fristenkalender
notiert worden ist (BGH, Beschl. v. 9. Dezember 1976 - II ZB 10/76, VersR
1977, 424; v. 26. März 1996 - VI ZB 1, 2/96, NJW 1996, 1900, 1901; v.
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5. November 2002 - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435 f). Geschieht dies aus-
nahmsweise nicht, muß der Rechtsanwalt durch geeignete organisatorische
Vorkehrungen sicherstellen, daß die von ihm erteilte Anweisung zur Eintragung
der Frist im Fristenkalender auch zutreffend ausgeführt wird (vgl. BGH, Beschl.
v. 5. November 2002 aaO).
2. Im Streitfall war die Berufungsbegründungsfrist nach dem belegten
Vortrag des Klägers zunächst nach dem Eingangszeitpunkt der Sendung in der
Kanzlei berechnet und im Fristenbuch eingetragen worden. Die von Rechtsan-
walt Dr. W. "gleichzeitig" mit Abgabe des Empfangsbekenntnisses erteilte
Anordnung, die Fristberechnung auf das (spätere) Datum der Abgabe des
Empfangsbekenntnisses zu beziehen und die Eintragung im Fristenkalender zu
ändern, wurde nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Klägers indes nicht
richtig ausgeführt, weil die Büroleiterin H. unter dem 1. Juli 2002
(letzter Tag der Berufungsbegründungsfrist) irrtümlich die Vorfrist eingetragen
hat, was nach dem weiteren Vortrag des Klägers zur Folge hatte, daß die Akte
von Rechtsanwalt Dr. W. erst nach Fristablauf in Bearbeitung genommen
wurde. Ob der Prozeßbevollmächtigte des Klägers unter diesen besonderen
Umständen alles getan hat, um das für den Lauf der Rechtsmittelbegrün-
dungsfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel aus-
schließenden Weise zu ermitteln und festzuhalten (vgl. BGH, Beschl. v. 5. No-
vember 2002 aaO), ist eine Frage des Einzelfalls; weiterer grundsätzlicher
Ausführungen hierzu bedarf es nicht. Auch die Beantwortung der von der
Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Frage, unter
welchen Voraussetzungen eine Pflicht zur Gegenkontrolle (Nachberechnungs-
pflicht) besteht, wenn ein Rechtsanwalt erkennt, daß die im Fristenbuch ver-
merkte Frist nicht zutrifft, weil sie in Wirklichkeit später endet, ist typischerwei-
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se auf den Einzelfall bezogen und nicht geeignet, als Grundlage zu rechts-
grundsätzlichen Ausführungen zu dienen. Daß in den Fällen, in denen das
Empfangsbekenntnis zurückgegeben worden ist, bevor die Frist im Fristenka-
lender (zutreffend) notiert worden ist, den Rechtsanwalt erhöhte Sorgfalts-
pflichten treffen, ist bereits höchstrichterlich entschieden (vgl. BGH, Beschl. v.
26. März 1996 aaO; v. 5. November 2002 aaO).
Kreft
Fischer
Ganter
Kayser
Bergmann