Urteil des BGH vom 08.05.2003

BGH: dosierung, auskunft, unterlassen, verbraucherschutz, verschulden, unternehmen, vermögensschaden, verfügung, gefährdung, wissenschaft

1
2
3
Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 228/97
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 276 BGB, § 823 Abs 1 BGB
(Keine Haftung einer Schädlingsbekämpfungsfirma für
Maßnahmen des Bestellers zur Abwendung von
Gesundheitsgefährdungen der Mitarbeiter durch
Verwendung von Pyrethroiden)
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde
vom Gericht nicht mitgeteilt.]
Gründe
Die Beklagte ist ein auf Schädlingsbekämpfung spezialisiertes Unternehmen, das
für die Klägerin seit 1974 regelmäßig Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen in
deren Objekten durchführt. Zuletzt führte die Beklagte im Haus der Klägerin in ... ,
Bekämpfungsmaßnahmen gegen Kakerlakenbefall durch, und zwar in der Zeit vom
16.07.1994 bis 30.09.1994. Dabei verwendete die Beklagte, wie auch zuvor, im
Rahmen ihrer Sprühbehandlung die Produkte X, Y und Z der Herstellerfirma A.
GmbH & Co. KG. Diese Produkte enthalten als Bestandteil das Pyrethroid
Permethrin. An dem auf den 30.09.1994 folgenden Montag klagten Mitarbeiter der
Klägerin über gesundheitliche Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen,
insbesondere Übelkeit und Augenreizungen. Daraufhin reinigte die Klägerin die
Schränke und Fußböden der von den Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen
betroffenen Räumen und führte eine besondere Entlüftung durch. Als die
Beschwerden der Mitarbeiter anhielten, ließ sie die fraglichen Räumlichkeiten
räumen. Außerdem beauftragte die Klägerin auf Betreiben ihrer Betriebsärztin am
13.10.1994 das Institut B. mit der Erstellung eines Untersuchungsberichts. Dieses
erstellte den Untersuchungsbericht vom 31.01.1995 nebst Sanierungsvorschlägen
(Bl. 26 f. d.A.). Darauf fußend ließ die Klägerin die Räumlichkeiten reinigen. Die
diesbezüglichen Kosten verlangt sie von der Beklagten ersetzt. Nach teilweiser
Klagerücknahme in erster Instanz verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe
von 568.533,96 DM gemäß ihrer Kostenzusammenstellung Blatt 81 f. d.A. Die
Klägerin hat vorgetragen, die von der Beklagten verwendeten Substanzen hätten
nicht nur als Nervengifte insektizid gewirkt, sondern seien auch human- toxisch;
die gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihrer Mitarbeiter seien auf die von der
Beklagten durchgeführten Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen zurückzuführen.
Daher seien die von der Firma B. vorgeschlagenen Sanierungskosten im Interesse
des Mitarbeiterschutzes erforderlich gewesen. Die Beklagte wäre verpflichtet
gewesen, die Klägerin über die in Betracht kommende Gesundheitsgefährdung der
von ihr verwendeten Substanzen aufzuklären, auch wenn eine solche Gefährdung
nur von Teilen der toxikologischen Wissenschaft angenommen werde. Im Falle
einer derartigen Aufklärung hätte sie den vorliegenden Auftrag an die Beklagte
nicht erteilt.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 568.533,96 DM
nebst 8 % Zinsen, zumindest aber in Höhe von jeweils 5 % über dem Diskontsatz
der ...bank seit dem 19.12.1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Sie hat bestritten, dass es infolge der von ihr durchgeführten
Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der
klägerischen Mitarbeiter gekommen sei; derartige Beeinträchtigungen seien im
übrigen auch nicht hinreichend konkret dargelegt worden. Außerdem sei die von
ihr verwendete Dosierung so gering gewesen, dass jegliche
Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen gewesen sei.
Das Landgericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme durch Urteil vom 25.09.1997
abgewiesen; es hat ausgeführt, die Klage sie unschlüssig, da die Klägerin nicht
dargelegt habe, welche konkreten Mitarbeiter zu welchen konkreten Zeiten welche
konkreten Beschwerden erlitten hätten; die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
seien von der Klägerin nur ganz allgemein und damit unzureichend dargestellt
worden. Im übrigen wird auf den Inhalt des landgerichtlichen Urteils Bezug
genommen (Bl. 215 f. d.A.).
Gegen dieses ihr am 09.10.1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin fristgemäß
Berufung eingelegt und begründet. Die Klägerin trägt vor, das Landgericht habe
die Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt und sei auf den klägerischen Vortrag
nicht ausreichend eingegangen. Die Beklagte schulde Kostenersatz unabhängig
von der Frage, ob die von der Beklagten durchgeführten Maßnahmen bereits zu
konkreten Gesundheitsschäden der Mitarbeiter geführt hätten und unabhängig
davon, ob eine für den Menschen gesundheitsschädliche Wirkung der verwendeten
Pestizide wissenschaftlich nachweisbar sei. Die Klägerin habe im Interesse des
Mitarbeiterschutzes die Sanierung der Räume bereits deshalb veranlassen
müssen, da nach Feststellungen seriöser Teile der Wissenschaft
Gesundheitsgefahren für ihre Mitarbeiter nicht auszuschließen gewesen seien. Die
Beklagte hafte, weil sie über die potentiellen Gefahren der verwendeten Pestizide
nicht aufgeklärt habe; im Falle der Aufklärung hätte die Klägerin von den
streitgegenständlichen Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen Abstand genommen.
Außerdem habe die Beklagte nicht fachgerecht gearbeitet, weil die Maßnahmen zu
einer zu hohen toxikologischen Belastung geführt hätten.
Die Klägerin beantragt, 1. die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils zu verurteilen, an sie 568.522,96 DM nebst 8 % Zinsen, zumindest aber
Zinsen in Höhe von jeweils 5 % über dem Diskontsatz der ...bank seit 19.12.1994
zu zahlen, 2. die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 8 GKG nicht zu
erheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie verweist darauf, dass sie ca. 20 Jahre
beanstandungsfrei bei der Klägerin die gleichen Pestizide verwendet habe wie im
vorliegenden Fall. Die Beschwerden der Mitarbeiter seien rein subjektiv, ohne
objektiven Befund und ohne Bezug zu den Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen
der Beklagten. Das Gutachten des Instituts B. sei nicht seriös und wissenschaftlich
unhaltbar. Es gebe keine ernsthaften wissenschaftlichen Hinweise auf die
Humantoxizität von Pyrethroiden.
Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 03.12.1998 (Bl. 279 d.A.) eine
amtliche Auskunft des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz
und Veterinärmedizin eingeholt. Auf die Auskunft vom 21.01.1999 wird Bezug
genommen (Bl. 285 d.A.). Gemäß Beweisbeschluss vom 04.05.1999 (Bl. 290 d.A.)
hat der Senat die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
angeordnet.
Mit der Erstattung des Gutachtens ist zunächst Frau Dr. L. beauftragt worden.
Diese erstattete ein Gutachten nebst Ergänzungsgutachten (Bl. 321 f., 354 f. d.A.).
Anschließend ist die Sachverständige Frau Dr. L. von der Klägerin wegen des
Verdachts der Befangenheit abgelehnt worden. Durch Beschluss des Senats vom
14.12.2000 (Bl. 399 d.A.) ist die Ablehnung der Sachverständigen Dr. L. durch die
Klägerin für begründet erklärt worden. Anschließend hat der Senat Herrn Prof. Dr.
A. zum neuen Gutachter bestimmt. Auf dessen Gutachten vom 08.07.2002 wird
Bezug genommen (Bl. 426 f. d.A.).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das Berufungsverfahren ist ohne die Gewährung von Schriftsatznachlass für die
Klägerin entscheidungsreif. In der vorliegenden Entscheidung werden die in den
Schriftsätzen der Beklagten vom 11.03.2003 und 18.03.2003 genannten
14
15
16
17
Schriftsätzen der Beklagten vom 11.03.2003 und 18.03.2003 genannten
Unterlagen nicht verwertet; und soweit der Senat im Termin vom 20.03.2003 seine
vorläufige Rechtsansicht kundgetan hat, sind in diesem Zusammenhang keine
neuen, bisher noch nicht erörterten Gesichtspunkte genannt worden.
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Beklagte nicht
verpflichtet ist, der Klägerin die streitgegenständlichen Sanierungskosten ganz
oder teilweise zu ersetzen.
Als Anspruchsgrundlage für den vorliegend geltend gemachten
Vermögensschaden kommen eine schuldhafte Verletzung des Werkvertrages der
Parteien oder Verschulden bei Vertragsschluss in Betracht; hingegen greift das
Produkthaftungsgesetz nicht ein, da die Beklagte nicht Herstellerin, sondern nur
Verwenderin der streitgegenständlichen Schädlingsbekämpfungsmittel war. Auch
ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB scheidet aus, da vorliegend ein
Vermögensschaden der Klägerin geltend gemacht wird.
Bei dem Anspruch der Klägerin geht es entgegen der landgerichtlichen Auffassung
nicht darum, ob die Beklagte durch schuldhaftes Verhalten eine
Gesundheitsverletzung der klägerischen Mitarbeiter verursacht hat; vielmehr ist
vorliegend allein zu prüfen, ob die geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin
ganz oder teilweise durch ein schuldhaftes Verhalten oder Unterlassen der
Beklagten verursacht worden sind. Letzteres ist nach Auffassung des Senats
aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu verneinen. Danach kann der
Beklagten nicht im Sinne von § 276 BGB vorgeworfen werden, die
streitgegenständlichen Schädlingsbekämpfungsmittel überhaupt verwendet zu
haben, bei der Verwendung unsachgemäß vorgegangen zu sein oder die Klägerin
unzureichend aufgeklärt zu haben.
Gegen ein der Beklagten anzulastendes Verschulden spricht zunächst einmal die
Tatsache, dass die Beklagte für die Klägerin seit 1974 regelmäßig
Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen mit den gleichen oder vergleichbaren
Produkten durchgeführt hat, ohne dass es zu Beanstandungen wegen
gesundheitlicher Beeinträchtigungen von Mitarbeitern gekommen ist. Gegen ein
schuldhaftes Verhalten der Beklagten spricht weiterhin, dass die verwendeten
Produkte, wie die Beklagte unbestritten vorgetragen hat, mit einer Aufschrift
versehen waren, wonach diese vom Bundesgesundheitsamt geprüft und
genehmigt seien. Gleichwohl durfte die Beklagte - insoweit ist der Klägerin
zuzustimmen - diesen Hinweisen sowie der frühere beanstandungsfreien Praxis
nicht sozusagen "blind" vertrauen. Bei der Beklagten handelt es sich um ein
Fachunternehmen für Schädlingsbekämpfung, das in einem äußerst sensiblen
Bereich tätig ist. Die Beklagte als privatwirtschaftliches Unternehmen unterliegt
zwar nicht den gleichen Anforderungen wie eine staatliche Genehmigungsbehörde,
was schon daraus folgt, dass ihr nicht vergleichbare Sach- und Personalmittel zur
Produktprüfung zur Verfügung stehen; trotzdem war die Beklagte verpflichtet, sich
regelmäßig aus ihr zugänglichen Quellen dahingehend zu informieren, ob es
ernsthafte und seriöse Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Verwendung des
Pyrethroids Permethrin zur Schädlingsbekämpfung in von Menschen zu
Arbeitszwecken benutzten Räumen gesundheitsgefährlich sein könnte. Im Fall der
Bejahung derartiger Anhaltspunkte hatte sie die Verwendung dieser Substanzen
zu unterlassen bzw. die Klägerin entsprechend aufzuklären. Der Klägerin ist
nämlich jedenfalls insoweit zu folgen, als die Beklagte mit der Aussonderung von
Substanzen aus ihrer Produktpalette bzw. der Aufklärung nicht solange zuwarten
durfte, bis eine Gesundheitsgefährdung beim Menschen nachgewiesen war.
Andernfalls wäre ein wirksamer Verbraucherschutz nicht gewährleistet.
Andererseits durfte die Beklagte aber berechtigterweise bloße
populärwissenschaftliche oder nur von wissenschaftlich nicht relevanten
Randgruppen geäußerte Bedenken außer Acht lassen. Orientiert man sich an
diesen Maßstäben, so kann der Beklagten ein schuldhaftes Verhalten oder
Unterlassen nach Auffassung des Senats nicht vorgeworfen werden. Aus der vom
Senat eingeholten Auskunft des Bundesinstituts für gesundheitlichen
Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vom 21.01.1999 (Bl. 285 d.A.) ergibt
sich, dass vom ehemaligen Bundesgesundheitsamt 1992 für die
Schädlingsbekämpfung im Wohnbereich ein "Orientierungswert" von 1mg
Pyrethroid pro kg Sedimentationsstaub genannt worden sei. Aus der Auskunft folgt
auch, dass im Jahre 1999 bei Meßergebnissen unterhalb des Orientierungswerts
eine Gesundheitsgefährdung nicht angenommen wurde. Abschließend heißt es in
der Auskunft: "Bei Überschreitung des genannten Orientierungswertes auf
gesundheitliche Schädigungen zu schließen, wäre fachlich nicht gerechtfertigt und
18
19
gesundheitliche Schädigungen zu schließen, wäre fachlich nicht gerechtfertigt und
würde den Intentionen des oben genannten Wertes widersprechen." Folglich war
nach Auffassung einer zentralen für den gesundheitlichen Verbraucherschutz in
der Bundesrepublik Deutschland zuständigen Behörde für den Zeitraum 1994 der
Einsatz von Pyrethroiden zur Schädlingsbekämpfung in von Menschen genutzten
Räumen grundsätzlich unbedenklich, wenn eine bestimmte Dosierung nicht
überschritten wurde; dabei gab es für die Dosierung keine verbindlichen
Richtwerte, sondern nur einen sogenannten "Orientierungswert", dessen
Überschreitung in einem gewissen, nicht näher spezifizierten Rahmen immer noch
für unbedenklich gehalten wurde. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das
Bundesgesundheitsamt den Verwendern von Pyrethroiden für den vorliegend
relevanten Zeitraum um 1994 einen relativ großen, nur vage umschriebenen
Spielraum gelassen hat; dies mag man bedauern, der Beklagten anlasten kann
man diesen Umstand jedoch nicht.
Auch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. führen nicht zu einer
Verantwortlichkeit der Beklagten. Er hat in seinem Gutachten vom 08.07.2002
folgende Feststellungen getroffen:
Pyrethroide können unter bestimmten Expositions - und Dosisbedingungen zu
akuten Vergiftungserscheinungen im menschlichen Nervensystem führen. Dies
hat Missempfindungen im Gesichts- und im Hals- Nasen- und Ohrenbereich zur
Folge. Es handelt sich dabei um nur kurzfristige, harmlose Nebenwirkungen.
Bleibende gesundheitliche Schäden sind wissenschaftlich nicht dokumentiert. Bei
hohen Dosen sind akute Intoxikationen möglich; nach einer Behandlung gibt es
auch in schweren Fällen nach einem Jahr keine Residuen mehr; es sind keine
irreversiblen Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem nachgewiesen.
In der wissenschaftlichen Literatur der letzten beiden Jahrzehnte gibt es keine
Hinweise auf irreversible Langzeitwirkungen im peripheren oder zentralen
Nervensystem durch Pyrethroide. In Deutschland bestand 1994 im Gegensatz zu
allen anderen Ländern eine spezifische Situation dergestalt, dass es eine Fülle von
Laien-Publikationen und Mediendarstellungen über Pyrethroide gab, jedoch keine
aktuellen, wissenschaftlich begründeten Publikationen. 1993/94 existierte ein
Forschungsauftrag des Bundesgesundheitsministeriums an das Institut des
Sachverständigen zur Untersuchung von 64 Fällen von Pyrethroid-Intoxikationen.
Im Rahmen dieses Forschungsauftrages sind 23 Personen stationär untersucht
worden. Davon hatten 9 Personen eine völlig andere Diagnose, ohne jeden
Zusammenhang mit einer Pyrethroid-Expostition; weitere 8 Personen hatten ein
MCS-Syndrom (Multiple Chemical Sensitivity Syndrom), und bei 6 Personen konnte
ein Zusammenhang der Beschwerden mit einer Pyrethroid-Exposition als
wahrscheinlich angenommen oder aber nicht ausgeschlossen werden.
Gesamtergebnis dieses Forschungsvorhabens war, dass keinerlei Hinweise auf
irreversible Gesundheitsschäden durch Pyrethroide bestehen. Diese Ergebnisse
sind 1996 in einer wichtigen Fachzeitschrift veröffentlicht worden. 1994 gab es
keine weiteren aktuellen wissenschaftlichen Publikationen zur Pyrethroid-
Problematik. 1995 erfolgte eine Veröffentlichung des Physiologen C., die jedoch in
keiner Weise wissenschaftlichen Kriterien und Standards genügt hat. Es handelte
sich dabei in Wirklichkeit nur um eine Telefon- und Fragebogenaktion ohne jeden
wissenschaftlichen Wert. Nach 1994 gab das Bundesgesundheitsministerium zwei
weitere Forschungsvorhaben betreffend Pyrethroide in Auftrag; in keiner der
beiden Studien fanden sich Hinweise auf chronische Gesundheitsstörungen durch
Pyrethroide. Das gleiche Ergebnis zeitigte eine weitere Untersuchung im Institut
des Sachverständigen im Jahre 2000. Bei nachfolgenden Untersuchungen im
Auftrag des Bundesgesundheitsamtes wurde im Jahre 2000 festgestellt, dass in
den meisten deutschen Haushalten erhebliche Mengen von Pyrethroiden bereits
im normalen Hausstaub enthalten sind. Außerdem ergaben Felduntersuchungen
Belastungsquellen für Pyrethroide aus der allgemeinen Nahrungsaufnahme.
Wissenschaftlich diskutiert wurden Vermutungen über Langzeitschäden von
Pyrethroiden ausschließlich in Deutschland. - Bezüglich des sogenannten MCS-
Syndrom hat der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt, es handele
sich dabei um vielfältige Symptome in den verschiedensten menschlichen
Organsystemen, die bei der Allgemeinbevölkerung keine Reaktionen hervorriefen
und bei denen sämtliche somatische Untersuchungsbefunde normal seien; es
gebe aber einen Kreis von hochempfindlichen Menschen, bei denen bereits kleine
Konzentrationen von chemischen Substanzen psychische Stressreaktionen
hervorrufen könnten; zum Teil liege in diesen Fällen aber auch nur eine
Fehldiagnose vor oder MCS stelle ein "Glaubenssystem" bestimmter Kreise dar.
Der Sachverständige fasst sein Gutachten wie folgt zusammen: 1994 gab es keine
seriöse wissenschaftliche Literatur, die bezüglich der Wirkung von Pyrethroiden
20
21
seriöse wissenschaftliche Literatur, die bezüglich der Wirkung von Pyrethroiden
mehr als relativ harmlose Nebenwirkungen beschrieben hat. Hingegen existierten
1994 in Deutschland zahlreiche Laienpublikationen und Medienberichte, die eine
große Zahl angeblicher chronischer Pyrethroid-Vergiftungen in Deutschland
beschrieben haben, was aber wissenschaftlich in keiner Weise bestätigt wurde. Der
Untersuchungsberichts des Instituts Fs. vom 31.01.1995 leidet nach den
Feststellungen des Sachverständigen darunter, dass Einzelheiten über die
Methodik fehlen und die detaillierten Messprotokolle nicht vorliegen. Dies betreffe
im einzelnen auch die Methodologie der Gewinnung der Hausstaubproben.
Wischproben seien grundsätzlich nicht quantitativ auswertbar, da
Standardisierungsangaben fehlten, wie, was und wie viel gewischt wurde.
Raumluftuntersuchungen ergäben keine weiterführenden Aspekte. Für die
Materialproben gelte die gleiche Methodenkritik. Aufgrund dieser Messergebnisse
könne die Gefahr von einer Gesundheitsbeeinträchtigung nicht angenommen
werden, zumal weniger gefährliche Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen im Jahre
1994 nicht zur Verfügung gestanden hätten. Diese Feststellungen des
Sachverständigen, die mit der amtlichen Auskunft vom 21.01.1999 in vollem
Umfang übereinstimmen, sind nachvollziehbar und überzeugend.
Der Vorwurf der Klägerin, der Sachverständige habe sich nicht bzw. nicht
ausreichend mit den pyrethroid-kritischen Publikationen befasst, trifft nicht zu, wie
sich aus Ziffer 3 des Gutachtens im einzelnen ergibt. Dort hat der
Sachverständige ausführlich zu der Problematik von "Laien-Publikationen" Stellung
genommen und ist dabei u.a. konkret auch auf die nach seiner Darstellung
seriösen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügende Methodik des
Physiologen C. eingegangen, auf den sich die Klägerin insbesondere bezieht. Die
Klägerin verkennt, dass der Sachverständige nicht gehalten war, sich mit
sämtlichen von der Klägerin genannten Publikationen im einzelnen zu befassen;
der Sachverständige hatte die Aufgabe, das aus seiner Sicht relevante seriöse
wissenschaftliche Spektrum für den Zeitraum 1994 zu sichten und darzustellen -
und dies hat der Sachverständige umfassend getan. Anhaltspunkte dafür, dass
der Sachverständige dabei einseitig vorgegangen oder in irgendeiner Weise dem
"Lager" der Interessenvertreter der chemischen Industrie zuzuordnen ist, sind
nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht substantiiert dargelegt worden.
Nach alldem sind weitere Beweiserhebungen nicht erforderlich. Dies gilt auch für
den Hinweis des Sachverständigen, zur Frage einer etwaigen zu hohen Dosierung
im vorliegenden Fall müsse gegebenenfalls ein Pestizid-Experte eingeschaltet
werden. Dem könnte nur nachgegangen werden, wenn gesicherte Erkenntnisse
über die von der Beklagten vorgenommene Dosierung vorlägen. Daran fehlt es
aber. Die Klägerin stützt sich diesbezüglich auf die Messergebnisse im Gutachten
des Instituts B. vom 31.01.1995. Diese leiden jedoch, wie oben dargelegt, an
gravierenden methodischen Fehlern und stellen daher keine ausreichende
Grundlage für eine Gutachtenerstattung dar. Mithin fehlen verlässliche Daten über
die von der Beklagten verwendete Dosierung, so dass die Beauftragung eines
Pestizid-Experten zur Bewertung der vorliegend vorgenommenen Dosierung
Ausforschung zum Gegenstand hätte. Auch der Einwand, aus den
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Mitarbeiter müsse gefolgert werden,
dass die vorliegende Dosierung zu hoch gewesen sei, greift nicht. Dies ergibt sich
schon daraus, dass die Klägerin konkretes medizinisches Datenmaterial
hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihrer Mitarbeiter nicht
vorgelegt hat. Es ist daher beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass diese dem
Personenkreis zuzuordnen sind, den der Sachverständige Prof. Dr. A. dem
sogenannten "MCS-Syndrom" zugerechnet hat. Die Beklagte muss aber im
Rahmen von § 276 BGB nur die mögliche gesundheitliche Gefährdung für die
Durchschnittsbevölkerung berücksichtigen, nicht aber für den hochsensiblen
Personenkreis, den der Sachverständige dem MCS-Syndrom zugeordnet hat. Auf
die Frage, welche Verpflichtungen die Klägerin in arbeitsrechtlicher Hinsicht im
Verhältnis zu ihren Mitarbeitern hat, kommt es vorliegend nicht an. Die
eingeklagten Aufwendungen zum tatsächlichen oder vermeintlichen Schutz ihrer
Mitarbeiter könnte die Klägerin nur dann an die Beklagte weitergeben, wenn sie
durch ein schuldhaftes Verhalten oder Unterlassen der Beklagten - bezogen auf
den Werkvertrag der Parteien - veranlasst worden wären; dies aber ist nicht
bewiesen, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; eine unrichtige
Sachbehandlung im Sinne von § 8 GKG durch die erste Instanz liegt nicht vor. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543
Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.