Urteil des BGH vom 18.12.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 198/11
Verkündet am:
18. Dezember 2012
Stoll
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
WpÜG §§ 39a, 39c
Ein Übernahmerecht nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG - und damit ein Andienungs-
recht nach § 39c WpÜG - besteht nur dann, wenn dem Bieter bei Ablauf der (weite-
ren) Annahmefrist nach § 16 WpÜG Aktien der Zielgesellschaft in Höhe von mindes-
tens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören oder die Voraussetzungen
des § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG erfüllt sind.
BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - II ZR 198/11 - KG
LG Berlin
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann,
den Richter Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart sowie den
Richter Sunder
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammerge-
richts vom 11. August 2011 wird auf Kosten des Klägers zurück-
gewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Aktionär der Landesbank B. H. AG (im Folgen-
den: LBBH). Er macht gegen die Beklagte ein Recht zur Annahme eines Über-
nahmeangebots nach § 39c WpÜG (im Folgenden: Andienungsrecht) geltend.
Das Land B. forderte im Januar 2007 öffentlich zur Abgabe einer Inte-
ressenbekundung am Kauf des vom Land gehaltenen 80,95 %-Aktienanteils an
der LBBH auf. Im Vorgriff darauf war am 21. Dezember 2006 die beklagte
Kommanditgesellschaft gegründet worden, um an diesem Verfahren als Bieterin
teilnehmen zu können. Die Beklagte wurde am 27. Februar 2007 in das Han-
delsregister eingetragen. Ihre persönlich haftende Gesellschafterin ist die R.
mbH, die am Kapital nicht beteiligt, aber allein stimm-
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berechtigt ist. Einziger Kommanditist ist der D. S. G.
- Körperschaft des öffentlichen Rechts (im Folgenden: DSGV). Der
DSGV hält zugleich 4 % der Anteile an der R. mbH.
Die übrigen Anteile werden von regionalen Sparkassen- und Giroverbänden
und der H. Sparkasse Beteiligungsgesellschaft mbH ge-
halten. Mitglieder des DSGV sind sämtliche regionalen Sparkassen- und Giro-
verbände.
Am 31. Mai 2007 erwarb der DSGV von der D. Giro-
zentrale - Anstalt des öffentlichen Rechts (im Folgenden: D. ) einen 10 %igen
Anteil an der LBBH, den die D. seit dem 15. Oktober 2006 treuhänderisch für
den DSGV gehalten hatte.
Am 1. Juni 2007 legte die Beklagte ein verbindliches Angebot zum Er-
werb des Anteils des Landes B. an der LBBH vor.
Am 14. Juni 2007 erwarb die D. Bank weitere 0,63 % der Anteile an
der LBBH treuhänderisch für den DSGV.
Das Land B. verkaufte seinen Aktienanteil an der LBBH am 15. Juni
2007 an die Beklagte. Die Aktien wurden mit dinglicher Wirkung zum 8. August
2007 auf die Beklagte übertragen.
Diese hatte zuvor - am 1. August 2007 - ein (freiwilliges) Übernahmean-
gebot nach § 29 Abs. 1, § 35 Abs. 3 WpÜG zum Erwerb der restlichen LBBH-
Anteile für 6,81
€ je Aktie veröffentlicht. Die Annahmefrist lief bis zum
10. Oktober 2007 und verlängerte sich gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 WpÜG bis
zum 1. November 2007 (weitere Annahmefrist). Bei Ablauf der Annahmefrist
hielt die Beklagte 87,2 % der LBBH-Aktien, nach Ablauf der weiteren Annahme-
frist 88,01 %.
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Mit Wirkung zum 1. Januar 2008 übertrug der DSGV seinen 10,63 %igen
Anteil an der LBBH auf die "Beteiligungsgesellschaft der S-. mbH
& Co. KG", eine Tochtergesellschaft der Beklagten, so dass diese (unmittelbar
oder mittelbar) insgesamt 98,64 % der Anteile hielt.
Mit Schreiben vom 2. Januar 2008 diente der Kläger der Beklagten die
von ihm gehaltenen 643.318 Stückaktien der LBBH für 6,81
€ pro Aktie an. In
Bezug auf 7.343 Aktien macht er das Andienungsrecht mit seiner im Urkunds-
verfahren erhobenen Klage geltend. Er hat demgemäß beantragt, die Beklagte
zur Zahlung von 50.005,83
€ nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung von
7.343 Stückaktien der LBBH zu zahlen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Berlin, ZIP 2010, 884),
das Kammergericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel wei-
ter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist zu Recht abgewiesen wor-
den.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Zu dem für das Andienungsrecht aus §§ 39c, 39a WpÜG maßgebenden
Zeitpunkt hätten der Beklagten nur 88,01 % der LBBH-Aktien gehört. Damit sei
die gesetzliche Schwelle von 95 % nicht erreicht.
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Die vom DSGV gehaltenen 10 % der Aktien seien der Beklagten nicht
zurechenbar. Der DSGV sei kein von der Beklagten abhängiges Unternehmen
im Sinne des § 16 Abs. 2 und 4 AktG. Ein Acting in concert im Sinne des § 30
Abs. 2 WpÜG sei im Rahmen der §§ 39c, 39a WpÜG bedeutungslos. Auch ha-
be der DSGV die Aktien nicht treuhänderisch für die Beklagte gehalten. Bei
dem Erwerb der Aktien des 10 %-Anteils durch die D. sei die Beklagte noch
nicht gegründet gewesen, und für eine spätere Treuhandabrede sei nichts er-
sichtlich.
Der Erwerb des 10,63 %igen Aktienpakets zum 1. Januar 2008, aufgrund
dessen der Beklagten mehr als 95 % der LBBH-Aktien gehörten, sei ebenfalls
bedeutungslos. Denn ein Aktienerwerb nach Ablauf der Annahmefrist und ge-
gebenenfalls der weiteren Annahmefrist könne nur dann einen übernahme-
rechtlichen Squeeze out nach § 39a WpÜG und damit ein Andienungsrecht
nach § 39c WpÜG begründen, wenn er in einem engen zeitlichen Zusammen-
hang mit dem Übernahme- oder Pflichtangebot erfolge. Das sei bei dem hier
verstrichenen Zeitraum von gut 11 Wochen nach dem Ende der ursprünglichen
Annahmefrist bzw. gut 8 Wochen nach dem Ablauf der weiteren Annahmefrist
nicht der Fall.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung im
Ergebnis stand. Der Kläger hatte jedenfalls nach Ablauf der erweiterten An-
nahmefrist am 1. November 2007 kein Andienungsrecht mehr.
1. Nach § 39c Satz 1 WpÜG können Aktionäre einer Zielgesellschaft, die
ein Übernahme- oder Pflichtangebot nicht angenommen haben, das Angebot
noch innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist annehmen, so-
fern dem Bieter Aktien in Höhe von mindestens 95 % des stimmberechtigten
Grundkapitals der Zielgesellschaft gehören und er deshalb berechtigt ist, einen
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Antrag auf Übernahme der übrigen stimmberechtigten Aktien der Zielgesell-
schaft nach § 39a WpÜG zu stellen. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift be-
steht darin, dem Aktionär ein Ausscheiden aus der Gesellschaft - bei angemes-
sener Entschädigung - zu ermöglichen, wenn der Bieter eine Stimmrechts-
mehrheit von mindestens 95 % erreicht hat, aber von seinem daraus folgenden
Übernahmerecht nach § 39a WpÜG keinen Gebrauch macht (Hasselbach in
Kölner KommWpÜG, 2. Aufl., § 39c Rn. 4 ff.). Das Andienungsrecht richtet sich
mithin nach dem Übernahmerecht aus § 39a WpÜG. Nur wenn der Bieter
(noch) ein Übernahmerecht hat, kann auch der einzelne Aktionär ein Andie-
nungsrecht haben. Im vorliegenden Fall war die Beklagte auch nach Ablauf der
gemäß § 16 Abs. 2 WpÜG verlängerten Annahmefrist nicht berechtigt, nach
§ 39a WpÜG die Übernahme der verbliebenen LBBH-Aktien zu verlangen.
Denn ihr standen zu diesem Zeitpunkt lediglich 88,01 % der Aktien zu.
1. Die zu einem Übernahmerecht nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG füh-
rende mindestens 95 %ige Beteiligung - oder die Voraussetzungen des § 39a
Abs. 4 Satz 2 WpÜG, nach dem unter bestimmten Voraussetzungen auch der
Abschluss lediglich eines Verpflichtungsgeschäfts genügt - muss allerdings
nicht durch Erwerbe aufgrund des Übernahme- oder Pflichtangebots erreicht
werden. Es kommen etwa auch Paketerwerbe oder andersartige Zukäufe in
Betracht. Diese Erwerbe müssen aber jedenfalls noch innerhalb der weiteren
Annahmefrist stattfinden. Ob sie darüber hinaus sogar innerhalb der (ursprüng-
lichen) Annahmefrist erfolgen müssen, kann im vorliegenden Fall offen bleiben,
da schon die weitere Annahmefrist nicht gewahrt ist.
a) Im Schrifttum ist umstritten, ob die erforderliche Mindestzahl von 95 %
der Anteile nur durch Erwerbe während der (weiteren) Annahmefrist erreicht
werden kann (so Süßmann in Geibel/Süßmann, Wertpapiererwerbs- und
-übernahmegesetz, 2. Aufl., § 39a Rn. 2, 8; Stöwe, Der übernahmerechtliche
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Squeeze-out, 2007, S. 106; s. auch Meyer, WM 2006, 1135, 1142; Seibt/Heiser,
AG 2006, 301, 318). Die Gegenmeinung lässt auch Erwerbe im engen zeitli-
chen Zusammenhang mit dem Ablauf der Frist genügen, wobei teilweise vier
Wochen (so Deilmann, NZG 2007, 721, 722), teilweise sechs Wochen (so
Kießling, Der übernahmerechtliche Squeeze-out gemäß §§ 39a, 39b WpÜG,
2008, S. 52) als unschädlich angesehen werden (ohne feste Grenze
Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2159; Santelmann in Steinmeyer/Häger,
WpÜG, 2. Aufl., § 39a Rn. 15; Heidel/Lochner in Heidel, Aktiengesetz und Kapi-
talmarktrecht, 3. Aufl., 2011, WpÜG § 39a Rn. 19). Schließlich wird angenom-
men, das Übernahmerecht bestehe auch dann, wenn die 95 %-Schwelle inner-
halb der dreimonatigen Antragsfrist nach Ablauf der Annahmefrist (§ 39a Abs. 4
Satz 1 WpÜG) erreicht sei (OLG Frankfurt am Main, ZIP 2012, 1602, 1605,
Rechtsbeschwerde anhängig unter II ZB 14/12; Paefgen, WM 2007, 765, 766;
Ott, WM 2008, 384, 387; Nagel, AG 2009, 395 ff.; Müller, EWiR 2009, 523, 524;
Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl.,
WpÜG § 39a Rn. 9; Hasselbach in Kölner KommWpÜG, 2. Aufl., § 39a Rn. 45;
Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Kommentar zum WpÜG,
3. Aufl., § 39a Rn. 17; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, WpÜG, Stand
10/10, § 39a Rn. 18, Holzborn/Müller in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., Anh.
§ 327a/§§ 39a-39c WpÜG Rn. 7; für Erwerbe bis zur gerichtlichen Entschei-
dung wohl MünchKommAktG/Grunewald, 3. Aufl., WpÜG § 39a Rn. 20, 22).
b) Zutreffend ist die Ansicht, nach der Erwerbe allenfalls bis zum Ablauf
der erweiterten Annahmefrist zu berücksichtigen sind.
aa) Der Wortlaut des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG ist für die Streitfrage
unergiebig. Danach sind dem Bieter, dem mindestens 95 % der stimmberech-
tigten Aktien der Zielgesellschaft gehören, "nach einem Übernahme- oder
Pflichtangebot" die übrigen stimmberechtigten Aktien zu übertragen. Das lässt
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offen, ob nur Erwerbsvorgänge innerhalb der durch das Übernahme- oder
Pflichtangebot ausgelösten (weiteren) Annahmefrist oder auch solche zu einem
- sogar beliebigen - späteren Zeitpunkt berücksichtigt werden müssen.
bb) Unter systematischen Gesichtspunkten erscheint es zumindest nahe-
liegend, Erwerbsvorgänge nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist nicht zu
berücksichtigen. Denn das stände im Widerspruch zum Andienungsrecht nach
§ 39c WpÜG.
Die Frist für die Ausübung des Andienungsrechts läuft vom Ende der An-
nahmefrist an und nicht - wie es bei anderer Auslegung nahe gelegen hätte -
von dem Erreichen der für das Übernahmeverlangen erforderlichen Beteili-
gungshöhe. Die Fristverlängerung in § 39c Satz 2 WpÜG betrifft nur den Fall,
dass der Bieter seine Pflicht nicht erfüllt, gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz
2 WpÜG das Erreichen der 95 %igen Beteiligungshöhe unverzüglich zu veröf-
fentlichen und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu
melden. Den Minderheitsaktionären wird im Wertpapiererwerbs- und Übernah-
megesetz durchweg die Möglichkeit eingeräumt, von ihren Rechten nach sorg-
fältiger Überlegung Gebrauch zu machen. Das wäre nicht gewährleistet, wenn
ein Aktienerwerb nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist das Andienungsrecht
begründen könnte. Denn dann hätte der Aktionär keine Überlegungsfrist von
drei Monaten, wie sie ihm durch § 39c WpÜG an sich eingeräumt wird. Die
Überlegungsfrist würde sogar ganz entfallen, wenn der Bieter die für das Über-
nahmeverlangen erforderliche Beteiligungshöhe erst am Ende der Antragsfrist
des § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG erreicht.
cc) Auch der Sinn und Zweck des § 39a WpÜG spricht gegen die Einbe-
ziehung von Erwerben innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der (weiteren)
Annahmefrist. Mit § 39a WpÜG soll dem Bieter eine einfache Möglichkeit gege-
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ben werden, nach einem insoweit erfolgreichen Übernahme- oder Pflichtange-
bot die verbliebenen Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft ausschließen
zu lassen und dabei in den Genuss der Angemessenheitsvermutung des § 39a
Abs. 3 Satz 3 WpÜG für die Entschädigung der Aktionäre zu kommen
(Hasselbach in Kölner KommWpÜG, 2. Aufl., § 39a Rn. 8). Danach ist die im
Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots gewährte Gegenleistung als
angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter aufgrund des Angebots
Aktien in Höhe von mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapi-
tals erworben hat.
Hat der Bieter bei Ablauf der Fristen des § 16 WpÜG die erforderliche
Mehrheit von 95 % der Aktien nicht erlangt, war das Übernahme- oder Pflicht-
angebot in Bezug auf die Möglichkeit, Minderheitsaktionäre in dem vereinfach-
ten Verfahren des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes ausschließen
zu lassen, nicht erfolgreich. Es besteht deshalb kein Anlass, dem Bieter nun
noch die Möglichkeit zu geben, das Übernahmerecht zu verlängern, indem er
Aktien nachkauft. Mit zunehmendem Zeitablauf verliert zudem die Angemes-
senheitsvermutung an Überzeugungskraft. Will der Bieter nach einem verspäte-
ten Erwerb von Aktien die Minderheitsaktionäre ausschließen, bleibt ihm die
Möglichkeit, das nach §§ 327a ff. AktG zu tun.
dd) Aus dem Sinn und Zweck des Andienungsrechts nach § 39c WpÜG
ergibt sich nichts gegen diese Auslegung. Durch die Bezugnahme auf § 39a
WpÜG ist das Andienungsrecht an das Übernahmerecht gekoppelt. Es geht
also nicht weiter als das Übernahmerecht. Dass Aktionäre danach gegen einen
nachträglichen Aufbau einer 95 %igen Mehrheit nicht mehr den Schutz des
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes genießen, ist hinzunehmen. Auch
außerhalb von öffentlichen Angeboten kommt es vor, dass sich Aktionäre einer
im Laufe der Zeit entstandenen 95 %igen Mehrheitsbeteiligung gegenüber se-
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hen, ohne dass sie deshalb ein Andienungsrecht hätten. Ihre Interessen werden
durch die konzernrechtlichen Regeln der §§ 291 ff., 311 ff., 319 ff. AktG hinrei-
chend geschützt.
ee) Dieser Auslegung stehen auch die Gesetzesmaterialien nicht entge-
gen. In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates
vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-
Umsetzungsgesetz) vom 17. März 2006 (BT-Drucks. 16/1003, S. 21) heißt es:
Unerheblich ist, auf welche Weise der Bieter die erforderlichen
Mehrheiten erreicht. Sie müssen nicht auf der Annahme des An-
gebots beruhen. So kann der Bieter die für den Ausschluss erfor-
derlichen Schwellenwerte auch durch Transaktionen mit einzelnen
Aktionären, z.B. durch Paketerwerbe, außerhalb des formellen
Angebotsverfahrens erreicht haben, sofern die Transaktionen in
engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen.
Hätte der Gesetzgeber mit dem engen zeitlichen Zusammenhang die
Drei-Monats-Frist des § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG gemeint, hätte es nahe gele-
gen, das auch so auszudrücken und nicht einen unbestimmten Begriff zu ge-
brauchen. Dieser Begriff deutet eher darauf hin, dass nur ein kürzerer als der
Drei-Monats-Zeitraum gemeint ist. Dann aber spricht nichts gegen ein Abstellen
allein auf die (weitere) Annahmefrist. Denn dadurch wird die Rechtsunsicherheit
vermieden, die entstehen würde, wenn der "enge zeitliche Zusammenhang"
auch dann noch angenommen würde, wenn die (weitere) Annahmefrist schon
abgelaufen ist.
ee) Auch die Übernahmerichtlinie, deren Umsetzung §§ 39a, 39c WpÜG
dienen, spricht nicht gegen die Annahme, für das Übernahmerecht aus § 39a
WpÜG komme es nur auf Erwerbsvorgänge innerhalb der (weiteren) Annahme-
frist an. In Erwägungsgrund 24 der Richtlinie heißt es:
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Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Vorkehrungen treffen,
um einem Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen
bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Ge-
sellschaft erworben hat, die Möglichkeit zu geben, die Inhaber der
übrigen Wertpapiere zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflich-
ten. … Diese Ausschluss- … verfahren sollten nur unter bestimm-
ten Bedingungen im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten
gelten. …
In Art. 15 der Übernahmerichtlinie heißt es:
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Bieter von allen
verbleibenden Wertpapierinhabern verlangen kann, dass sie
ihm ihre Wertpapiere zu einem angemessenen Preis verkau-
fen. …
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Vorschriften in Kraft
sind, nach denen sich berechnen lässt, wann der Schwellen-
wert erreicht ist.
Daraus lässt sich lediglich entnehmen, dass ein zeitlicher Zusammen-
hang mit dem Übernahmeangebot bestehen muss und aus den Vorschriften
möglichst klar hervorgehen muss, wann die Voraussetzungen für eine Über-
nahme der restlichen Aktien erfüllt sind. Im Übrigen kann dieser Zeitpunkt nach
nationalem Recht ohne Vorgabe durch die Richtlinie bestimmt werden. Eine
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV ist
somit nicht geboten.
2. Die Beklagte hielt bei Ablauf der weiteren Annahmefrist lediglich
88,01 % der LBBH-Aktien und damit weniger als die für ein Übernahmerecht
nach § 39a WpÜG erforderlichen 95 %. Das Berufungsgericht hat ohne Rechts-
fehler angenommen, dass jedenfalls der 10 %ige Aktienanteil, der dem DSGV
bzw. der für ihn als Treuhänderin tätigen D. zustand und der erst mit Wir-
kung zum 1. Januar 2008 auf eine Tochtergesellschaft der Beklagten übertra-
gen wurde, der Beklagten vor dieser Übertragung nicht zugerechnet werden
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konnte. Ob der weitere Aktienanteil in Höhe von 0,63 % zugerechnet werden
konnte, spielt für die Entscheidung keine Rolle und kann daher offenbleiben.
Nach § 39a Abs. 2 WpÜG gilt für die Feststellung der nach Abs. 1 erfor-
derlichen Beteiligungshöhe § 16 Abs. 2 und 4 AktG entsprechend. Danach gel-
ten als Anteile des Unternehmens auch diejenigen Anteile, die einem von ihm
abhängigen Unternehmen gehören oder die ein Unternehmen für Rechnung
des betreffenden oder des von diesem abhängigen Unternehmens hält. Diese
Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bezüg-
lich des DSGV nicht erfüllt.
Abhängig von der Beklagten wäre der DSGV nach der Legaldefinition
des § 17 Abs. 1 AktG nur, wenn die Beklagte insoweit einen beherrschenden
Einfluss ausüben könnte. Dafür ist nichts ersichtlich. Die Beklagte ist an dem
DSGV nicht beteiligt. Auch die Revision zieht das nicht in Zweifel.
Sie meint aber, aus den Gesamtumständen des Falles lasse sich nur der
Schluss ziehen, dass der DSGV den 10 %igen Aktienanteil treuhänderisch oder
im Wege eines sog. Durchstellgeschäfts (vgl. dazu MünchKommAktG/Bayer,
3. Aufl., § 16 Rn. 47) für die Beklagte gehalten habe; dafür sprächen die Mittei-
lung des DSGV in der Börsenzeitung vom 19. Oktober 2007, dass die Sparkas-
sen-Finanzgruppe bei der Übernahme der LBBH die Squeeze out-Schwelle von
95 % überschritten habe und nun 97,82 % der LBBH-Aktien besitze, die
- spätere - Übertragung auf die Tochtergesellschaft der Beklagten, der Um-
stand, dass der DSGV dabei das günstige Übernahmeangebot der Beklagten
zu 6,81 € pro Aktie nicht genutzt und stattdessen die Aktien für nur 5,34 € pro
Stück veräußert habe, und schließlich die eigene Hervorhebung eines abge-
stimmten Verhaltens durch die Beklagte.
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Die Würdigung, ob aus diesen Umständen auf eine Treuhandabrede
oder ein Durchstellgeschäft geschlossen werden kann, obliegt dem Tatrichter.
Revisionsrechtlich ist seine Würdigung lediglich darauf zu überprüfen, ob er alle
Umstände vollständig berücksichtigt und nicht gegen Auslegungsregeln, Denk-
gesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Derartige Rechtsfehler sind nicht
ersichtlich.
Dass der Erwerb der LBBH-Anteile in der Sparkassen-Finanzgruppe
langfristig geplant und die Beklagte in Verfolgung dieses Plans als Erwerbsve-
hikel gegründet worden ist, lässt noch nicht den Schluss zu, dass sie auch von
Anfang an die Kosten und das wirtschaftliche Risiko aller diesbezüglichen
Transaktionen tragen sollte, wie es für eine Treuhandabrede - auch in der Form
eines Durchstellgeschäfts - typisch ist. Wirtschaftlich hatte die Finanzgruppe
durch die Erwerbsvorgänge ihr vorrangiges Ziel erreicht, eine Übernahme der
LBBH-Anteile durch andere Bewerber zu verhindern. Der DSGV und die Be-
klagte hatten dazu ihr Verhalten abgestimmt (Acting in concert). Damit waren
sie gemeinsam handelnde Personen im Sinne der Legaldefinition des § 2
Abs. 5 WpÜG. Eine Treuhandabrede war dafür nicht erforderlich.
Anders als bei der Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 2
WpÜG im Rahmen der Feststellung, ob ein Bieter die Kontrolle über das Zielun-
ternehmen im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG erlangt hat, reicht ein abgestimm-
tes Verhalten im Sinne des § 2 Abs. 5 WpÜG nicht aus, um im Rahmen des
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§ 39a WpÜG Anteile zurechnen zu können. Das ergibt sich schon aus dem
Wortlaut des § 39a Abs. 2 WpÜG und wird von der Revision nicht in Frage ge-
stellt.
Bergmann Strohn Caliebe
Reichart Sunder
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 11.12.2008 - 93 O 22/08 -
KG, Entscheidung vom 11.08.2011 - 2 U 3/09 -