Urteil des BGH vom 11.06.2013

BGH: restriktive auslegung, wohnung, alarm, brandstiftung, überprüfung, könig, steigerung, ausdehnung, anschluss, erheblichkeit

5 StR 124/13
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Ju-
ni 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Kiel vom 1. November 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hier-
durch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staats-
kasse.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung (Tat 1)
und schwerer Brandstiftung (Tat 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und elf Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, zu Un-
gunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf die Tat 2 beschränkte,
vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zielt
auf einen Schuldspruch auch wegen eines versuchten Tötungsdelikts ab,
bleibt jedoch erfolglos.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte
seit März 2011 etwa ein halbes Jahr bei einem Bekannten namens
T. in dessen Wohnung im dritten Obergeschoss eines Mehrfamilien-
hauses gewohnt. Danach hatte sich ihr Verhältnis verschlechtert, weil der
Angeklagte den ihm zur Verfügung gestellten Wohnungsschlüssel nicht zu-
rückgegeben hatte. Ferner hatte es ihm nach der Trennung von seiner
Freundin missfallen, dass T. dieser bei Behördengängen und Woh-
nungsrenovierung behilflich gewesen war. Das Verhältnis hatte sich weiter
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abgekühlt, nachdem der Angeklagte am 4. Februar 2012 T. noch-
mals in dessen Wohnung aufgesucht, ihm einen Faustschlag ins Gesicht
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der eine „Kopfnuss“ versetzt und hierdurch starkes Nasenbluten verursacht
hatte (Tat 1).
Am 11. März 2012 stellte der Angeklagte zwischen 23.00 und
23.45 Uhr zwei türlose, etwa 80 bis 90 cm hohe und mit Regalbrettern verse-
hene Holzschränke vor die Eingangstür zu T. s Wohnung, in der zu
dieser Zeit auch ein gemeinsamer Bekannter namens L. wohnte. Zwi-
schen die Schränke und die Tür legte er Zeitungen, Werbeprospekte sowie
eine mit Papiertüchern gefüllte Kunststofftragetasche und entzündete diese
Gegenstände (Tat 2). Dadurch wurden Verkohlungen an der Türschwelle und
im unteren Teil des Türblattes verursacht. Der Angeklagte hatte dies für mög-
lich gehalten und gebilligt, hingegen nicht, dass Menschen verletzt werden
oder gar zu Tode kommen könnten. Tatsächlich führte der Brand weder bei
T. noch bei L. zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Beide
hatten zwar bereits geschlafen, waren aber durch den Alarm des
– wie der
Angeklagte wusste
– im Wohnungsflur an der Decke installierten Rauchmel-
ders geweckt worden und hatten mit Hilfe eines hinzu geeilten Nachbarn das
Feuer schnell löschen können. Vor dem Brandlegen hatte der Angeklagte
von einem weiteren, im Hausflur montierten Rauchmelder Batterie und
Alarmmechanismus entfernt, um noch unentdeckt den Tatort verlassen zu
können.
2. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Landgericht einen beding-
ten Brandstiftungsvorsatz des Angeklagten, der zu den gegen ihn erhobenen
Vorwürfen geschwiegen hat, angenommen und ihn daher der schweren
Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB) schuldig gesprochen.
Hingegen hat es sich nicht davon überzeugen können, dass der An-
geklagte zudem mit auch nur bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Für
die diesbezügliche Bewertung hat das Landgericht insbesondere herangezo-
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gen, dass kein Brandbeschleuniger festgestellt werden konnte, die Woh-
nungseingangstür nach innen zu öffnen und deren „Blockade“ durch die we-
niger als einen Meter hohen Schränke ohne große Schwierigkeiten zu besei-
tigen war (UA S. 19) und
der Angeklagte keinen „nachvollziehbaren Anlass
für die Tötung eines anderen oder gar mehrerer“ hatte (UA S. 20). Vor allem
ist es „zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen …, dass diesem
aufgrund seines mehrmonatigen Aufent
haltes in der Wohnung“ T. s
„bewusst war, dass sich unmittelbar hinter der Eingangstür … ein weiterer
Rauchmelder befand, von dem zu erwarten war, dass dieser nach der Aus-
breitung des Feuers zügig einen Alarm auslösen würde“ (UA S. 19 f.). Im
Übrigen hat das Landgericht angenommen, der Angeklagte habe den im
Hausflur montierten Rauchmelder außer Funktion gesetzt, um sich „rechtzei-
tig unentdeckt vom Tatort … entfernen“ zu können (UA S. 21).
Angesichts dessen hat das Landgericht darüber hinaus in Betracht
kommende Brandstiftungsdelikte (§ 306a Abs. 2, § 306b Abs. 1 und 2 Nr. 1,
§ 306c, § 22 StGB), insbesondere den Tatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 3
StGB verneint, da das dort vorgesehene Erschweren des Löschens des
Brandes den erforderlichen Erheblichkeitsgrad nicht erreicht habe (UA
S. 22).
3. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs bezüglich der
Tat 2 sowie der Gesamtstrafe hat Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil
(§ 301 StPO) des Angeklagten nicht ergeben. Insbesondere halten die land-
gerichtliche Beweis- sowie die rechtliche Würdigung revisionsrechtlicher
Nachprüfung stand.
a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihre
revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht
ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht na-
mentlich der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2013
– 3 StR 37/13)
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oder zugunsten des Angeklagten eine Konstellation unterstellt wird, für die es
keinen realen Anknüpfungspunkt gibt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009
– 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630 mwN). Ein derartiger Mangel ist dem ange-
griffenen Urteil nicht zu entnehmen.
aa) Das Landgericht hat in die gebotene Gesamtwürdigung alle für die
Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, we-
sentlichen Gesichtspunkte einbezogen. Dabei hat es sich auch mit den Um-
ständen befasst, die von der Revision als nicht oder nicht hinreichend be-
rücksichtigt bezeichnet werden. Es hat mit Blick auf die Gefährlichkeit der Tat
insbesondere erörtert, inwieweit die Flucht aus der Wohnung durch die vor
die Eingangstür geschobenen Schränke erschwert worden ist (UA S. 19). Es
hat weiter geprüft, ob sich aus der Vorgeschichte der Tat ein Tötungsmotiv
ergeben haben könnte (UA S. 20), und nicht aus den Augen verloren, dass
der Angeklagte einen im Hausflur befindlichen Rauchmelder unbrauchbar
gemacht hat (UA S. 20 f.).
Es begründet keinen Rechtsfehler, dass das Landgericht sich auf die-
ser Grundlage im Ergebnis nicht von einem auch nur bedingten Tötungsvor-
satz des Angeklagten hat überzeugen können. Denn es ist Sache des Tatge-
richts (§ 261 StPO), die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und
entlastenden Indizien zu bewerten. Kann es auf der Grundlage einer Ge-
samtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht
überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen,
auch wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar
näher liegend gewesen wäre. Dabei brauchen die tatgerichtlichen Schluss-
folgerungen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie
– wie vorliegend –
möglich sind.
bb) Auch ohne dass sich der schweigende Angeklagte hierauf berufen
hat, durfte das Landgericht bei seiner Wertung in Anwendung des Zweifels-
satzes davon ausgehen, dass dem Angeklagten bei der Tat „bewusst war,
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dass sich unmittelbar hinter der Eingangstür … ein weiterer Rauchmelder
befand, von dem zu erwarten war, dass dieser … zügig einen Alarm auslö-
sen würde“ (UA S. 19 f.). Denn entgegen der Ansicht der Revision erweist
sich das vom Landgericht angenommene Vorstellungsbild des Angeklagten
als hinreichend tatsachenfundiert. Dem Angeklagten war die Existenz des
Rauchmelders infolge seines mehrmonatigen Aufenthalts in der Wohnung
T. s, die er zumindest noch etwa fünf Wochen zuvor betreten hatte,
bekannt. Im Gegenteil sprach nichts dafür, dass er in Betracht gezogen ha-
ben könnte, der Rauchmelder sei funktionsunfähig oder in der Zwischenzeit
demontiert worden.
b) Die rechtliche Würdigung des Landgerichts ist ebenfalls nicht zu
beanstanden.
aa) Ein vollendetes Inbrandsetzen hat es zutreffend bejaht (vgl. BGH,
Urteil vom 13. Juli 1954
– 1 StR 174/54, NJW 1954, 1335).
bb) Die Voraussetzungen des § 306b Abs. 2 Nr. 3 StGB hat das
Landgericht rechtsfehlerfrei bestimmt und verneint. Es hat erkannt, dass der
Tatbestand zwar auch erfüllt werden kann, indem ein Täter einen Rauchmel-
der unbrauchbar macht oder abschaltet (vgl. Wolff in LK, 12. Aufl., § 306b
Rn. 27). Unter Hinweis auf den im Gesetz allein vorgesehenen Strafrahmen,
der eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren androht und damit demjenigen
des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) entspricht, hat es aber eine restriktive
Auslegung des Tatbestandes für erforderlich gehalten. Im Anschluss an
Stimmen in der Literatur (vgl. Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl.,
§ 306b Rn. 18; Wolters in SK-StGB, 7. Aufl., § 306b Rn. 17) hat das Landge-
richt es deshalb zutreffend als notwendig erachtet, dass „die Erschwernis
den Grad ein
er gewissen Erheblichkeit erreicht“.
Dem stimmt der Senat zu. Voraussetzung ist deshalb, dass die ande-
renfalls bestehenden Chancen auf ein erfolgreiches Löschen des Brandes
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nicht unerheblich verschlechtert worden sein müssen, insbesondere das Lö-
schen zeitlich relevant verzögert worden ist. Es würde demgemäß etwa nicht
genügen, wenn ein Täter eine von zwei Feuerwehrzufahrten zum Tatobjekt
sperrt, die erforderlich gewordene Benutzung der verbliebenen Zufahrt je-
doch keine Ausdehnung des Feuers bewirkt (vgl. Radtke, Die Dogmatik der
Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 357) oder es wie im vorliegenden Fall
„schnell“ gelingt, „mit Hilfe … herbeigeschafften Wassers … den Brand zu
löschen“ (UA S. 8). Denn bei einer derartigen Sachlage fehlt es an einer
Schuld und Unrecht erhöhenden Steigerung der bereits durch das Grundde-
likt erfassten Gefährlichkeit (vgl. Radtke in MüKo, StGB, 1. Aufl., § 306b
Rn. 26 a.E.) sowie darüber hinaus an einem den übrigen Qualifikationen
(§ 306b Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB) vergleichbaren Unwertgehalt der Tat.
Diese Grenze hat das Landgericht angesichts der konkreten Tatum-
stände zu Recht als nicht überschritten eingestuft (UA S. 22). Der Angeklagte
hat diesen Qualifikationstatbestand somit weder vollendet noch versucht
(§ 12 Abs. 1, § 23 Abs. 1 StGB); einen entsprechenden Tatentschluss hat
das Landgericht nicht festgestellt.
Basdorf Sander Dölp
König Bellay
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