Urteil des BGH vom 09.07.2013

BGH: integration, erneuerbare energien, genehmigung, betreiber, beschränkung, investition, ermessen, zahl, überprüfung, streichung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 23/12
Verkündet am:
9. Juli 2013
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
E.ON Netz GmbH
ARegV § 23 Abs. 6 Satz 1
Die Genehmigung eines Investitionsbudgets für Maßnahmen in einem Vertei-
lernetz, die durch die Integration von Anlagen nach dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz oder dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz notwendig wer-
den, setzt nicht voraus, dass eine solche Anlage in das von der Investition
betroffene Netz integriert wird. Es genügt, wenn die Investition aufgrund von
konkreten Maßnahmen in einem vor- oder nachgelagerten Netz erforderlich
wird, die ihrerseits durch die Integration von EEG- und KWKG-Anlagen not-
wendig geworden sind.
BGH, Beschluss vom 9. Juli 2013 - EnVR 23/12 - OLG Düsseldorf
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 9. Juli 2013 durch die Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm
und Dr. Raum sowie die Richter Dr. Strohn, Dr. Grüneberg und Dr. Bacher
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 28. März 2012 verkündeten
Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf
wird zurückgewiesen.
Die Bundesnetzagentur hat die Kosten des Rechtsbeschwerde-
verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffe-
nen zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf eine Million Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Betroffene begehrt die Genehmigung eines Investitionsbudgets
gemäß § 23 Abs. 6 ARegV für Maßnahmen in dem von ihr betriebenen Hoch-
spannungs-Verteilernetz für Elektrizität.
Am 30. Juni 2009 beantragte die Betroffene die Genehmigung eines In-
vestitionsbudgets für die Neubeseilung eines bestehenden und die Einrichtung
eines zusätzlichen Stromkreises für eine 110-kV-Leitung zwischen Redwitz und
Kulmbach sowie die Ertüchtigung einer 110-kV-Schaltanlage im Umspannwerk
Redwitz. Anlass für diese Maßnahmen sind Änderungen im vorgelagerten
Höchstspannungs-Übertragungsnetz, in deren Rahmen ein vorhandener Ein-
speisepunkt in Würgau entfällt und ein Einspeisepunkt in Redwitz um einen zu-
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sätzlichen Transformator erweitert wird. Dies führt zu einer stärkeren Belastung
der 110-kV-Leitung zwischen den Umspannwerken Redwitz und Kulmbach.
Die Bundesnetzagentur hat den Antrag abgelehnt. Sie hat offengelassen,
ob die Investitionsmaßnahme beim Erweiterungsfaktor gemäß § 10 ARegV Be-
rücksichtigung findet, und die Auffassung vertreten, die beantragte Genehmi-
gung könne schon deshalb nicht erteilt werden, weil die Maßnahmen nicht der
Integration von Anlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) oder
dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG) dienten. Eine unmittelbare In-
tegration solcher Anlagen erfolge nur im vorgelagerten Netz. Kosten für die mit-
telbare Integration seien von § 23 Abs. 6 ARegV nicht erfasst.
Das Beschwerdegericht hat auf die Beschwerde der Betroffenen die Ent-
scheidung der Bundesnetzagentur aufgehoben und diese verpflichtet, den Ge-
nehmigungsantrag neu zu bescheiden (OLG Düsseldorf, RdE 2012, 255). Da-
gegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der vom Beschwerdegericht zu-
gelassenen Rechtsbeschwerde, der die Betroffene entgegentritt.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur hänge die Genehmi-
gungsfähigkeit der Investitionsmaßnahmen nicht davon ab, dass eine EEG-
Anlage unmittelbar in das Netz der Betroffenen integriert werde. Nach dem
Wortlaut des § 23 Abs. 6 ARegV sei insoweit allein maßgeblich, ob die Maß-
nahmen durch die Integration von EEG-Anlagen notwendig würden. Diese Re-
gelung sei netzebenenneutral formuliert und enthalte gerade keine Einschrän-
kung auf Investitionen, die durch den Anschluss einer solchen Anlage an das
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jeweilige Verteilernetz erforderlich würden. Aus dem Sinn und Zweck der Vor-
schrift ergebe sich nichts anderes. Der Verordnungsgeber habe mit § 23 Abs. 6
ARegV dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass mit der Integration von
Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oder in Kraft-
Wärme-Kopplung auch auf die Betreiber von Verteilernetzen zusätzliche Aufga-
ben zukämen. Schließlich spreche auch die am 10. Februar 2012 vom Bundes-
rat beschlossene Änderung der Vorschrift für dieses Verständnis. Der Verord-
nungsgeber habe die Streichung der Wörter "Im Einzelfall" auf die Erwägung
gestützt, ein Großteil der zukünftigen Investitionen werde voraussichtlich nicht
allein auf der Höchstspannungsebene erfolgen, sondern Investitionen auf der
Hochspannungsebene nach sich ziehen.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
a) Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 6 Satz 1 ARegV - der insoweit
durch die am 22. März 2012 in Kraft getretene Änderung der Vorschrift unver-
ändert geblieben ist - können Investitionsbudgets (nach neuem Recht: Investiti-
onsmaßnahmen) für die Betreiber von Verteilernetzen genehmigt werden, wenn
sie durch die Integration von EEG- oder KWKG-Anlagen notwendig werden.
Daraus ergibt sich, wie auch die Rechtsbeschwerde einräumt, nicht aus-
drücklich, dass die Integration einer solchen Anlage in dasjenige Netz erfolgen
muss, das Gegenstand der Investitionsmaßnahme ist. Der Wortlaut der Vor-
schrift erfasst vielmehr auch Fallgestaltungen, in denen die Integration in ein
bestimmtes Netz Folgeinvestitionen in einem anderen Netz notwendig macht.
b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass
eine Beschränkung auf "unmittelbare" Integrationsmaßnahmen, also auf Maß-
nahmen, die der Integration einer EEG- oder KWKG-Anlage in das von der In-
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vestition betroffene Netz dienen, auch nicht aus dem Sinn und Zweck von § 23
Abs. 6 Satz 1 ARegV abgeleitet werden kann.
Die Vorschrift trägt schon in ihrer ursprünglichen Fassung dem Umstand
Rechnung, dass Betreiber von Verteilernetzen bei der Integration von EEG-
oder KWKG-Anlagen in einer vergleichbaren Rolle sind wie Betreiber von Über-
tragungsnetzen (BR-Drucks. 417/07, S. 68). Daraus ist abzuleiten, dass die für
Verteilernetze vorgesehenen Genehmigungstatbestände, soweit sie sich mit
denjenigen für Übertragungsnetze decken, grundsätzlich nicht enger ausgelegt
werden dürfen als diese. Unterschiede zwischen den beiden Netzarten ergeben
sich lediglich daraus, dass in § 23 Abs. 6 ARegV nicht alle der für Übertra-
gungsnetze geltenden Tatbestände aufgeführt sind, dass eine Genehmigung
nur in Betracht kommt, wenn die Maßnahmen nicht durch den Erweiterungsfak-
tor nach § 10 ARegV berücksichtigt werden, und dass die Erteilung der Ge-
nehmigung im Ermessen der Regulierungsbehörde steht.
Ginge es um ein Übertragungsnetz, wäre eine Beschränkung auf die "un-
mittelbare" Integration von EEG- oder KWKG-Anlagen mit dem Sinn und Zweck
von § 23 ARegV nicht vereinbar. Für Betreiber solcher Netze ist die Genehmi-
gung von Investitionsbudgets bzw. Investitionsmaßnahmen in § 23 Abs. 1
ARegV vorgesehen, weil auf sie durch gesetzliche Anforderungen in erhebli-
chem Umfang zusätzliche Aufgaben zukommen, die erhöhte Kosten verursa-
chen (BR-Drucks. 417/07, S. 66). Zu den für solche Netze genehmigungsfähi-
gen Investitionen gehört nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ARegV auch die Integra-
tion von EEG- und KWKG-Anlagen. Solche Anlagen werden überwiegend nicht
an Übertragungsnetze angeschlossen, sondern an nachgelagerte Netze (Holz-
nagel/Schütz/Müller-Kirchenbauer/Paust/Weyer, ARegV, § 23 Rn. 84). Gleich-
wohl kann ihre Integration auch in Übertragungsnetzen erhebliche Investitions-
maßnahmen notwendig machen, insbesondere wenn eine Vielzahl von Anlagen
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in großer räumlicher Entfernung von denjenigen Regionen errichtet wird, in de-
nen die darin erzeugte Energie hauptsächlich abgenommen wird. Auch solche
Investitionen sind eine Folge der gesetzlichen Verpflichtung zur Integration von
EEG- und KWKG-Anlagen. Deshalb entspricht es dem Sinn und Zweck von
§ 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ARegV, sie als genehmigungsfähig anzusehen.
Für die Betreiber von Verteilernetzen kann vor diesem Hintergrund nichts
anderes gelten. Diese sollen nach der Intention des Verordnungsgebers hin-
sichtlich der in § 23 Abs. 6 ARegV vorgesehenen Tatbestände mit Betreibern
von Übertragungsnetzen im Wesentlichen gleichgestellt werden, weil sie inso-
weit in einer vergleichbaren Rolle sind. Angesichts dessen ist eine Maßnahme
auch für solche Netze schon dann als genehmigungsfähig anzusehen, wenn sie
durch die Integration von EEG- oder KWKG-Anlagen in einem anderen Netz
notwendig wird.
c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat sich das Be-
schwerdegericht mit dieser Auslegung nicht in Widerspruch zu seiner eigenen
Rechtsprechung gesetzt, wonach eine erweiternde Auslegung von § 23 Abs. 6
ARegV grundsätzlich ausgeschlossen ist.
In der von der Rechtsbeschwerde hierzu angeführten Entscheidung hat
das Beschwerdegericht einen Genehmigungsantrag als unbegründet angese-
hen, weil der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV, auf den § 23
Abs. 6 Satz 1 ARegV Bezug nimmt, im dort zu beurteilenden Fall nicht erfüllt
war (OLG Düsseldorf, RdE 2012, 28, 30 f.). Damit hat es zutreffend dem Um-
stand Rechnung getragen, dass Genehmigungstatbestände, die nach § 23
Abs. 1 und 6 ARegV sowohl für Übertragungs- als auch für Verteilernetze vor-
gesehen sind, grundsätzlich nach denselben Kriterien auszulegen sind.
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Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Umstand, dass nicht alle
der in § 23 Abs. 1 ARegV für Übertragungsnetze vorgesehenen Tatbestände
gemäß Absatz 6 auch für Verteilernetze vorgesehen sind, einer erweiternden
Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 6 grundsätzlich ent-
gegensteht. Diese Frage - die das Beschwerdegericht in der zitierten Entschei-
dung mit beachtlichen Gründen bejaht hat (OLG Düsseldorf, RdE 2012, 28,
31) - ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Die Genehmigungsfähigkeit
des hier zu beurteilenden Budgets ergibt sich bereits daraus, dass es unter ei-
nen der Tatbestände fällt, die in § 23 Abs. 1 und 6 gleichermaßen aufgeführt
sind. Die Frage einer "erweiternden" Auslegung von § 23 Abs. 6 ARegV stellt
sich damit nicht.
d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine engere
Auslegung von § 23 Abs. 6 ARegV auch nicht deshalb geboten, weil ansonsten
eine Vielzahl von Maßnahmen des bedarfsgerechten Netzausbaus im Sinne
von § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG erfasst würde, für die eine Genehmigung von In-
vestitionsbudgets oder Investitionsmaßnahmen nur nach § 23 Abs. 1 Satz 1
ARegV für Übertragungsnetze, nicht aber nach § 23 Abs. 6 ARegV für Vertei-
lernetze vorgesehen ist.
Die Einbeziehung von Maßnahmen, die durch die Integration von EEG-
oder KWKG-Anlagen in ein anderes Netz notwendig werden, führt nicht dazu,
dass eine Maßnahme des bedarfsgerechten Netzausbaus schon dann geneh-
migungsfähig ist, wenn sich ein Bedarf für den Netzausbau unter anderem auch
aus dem Umstand ergibt, dass die Zahl von EEG- und KWKG-Anlagen generell
gestiegen ist. Im Sinne von § 23 Abs. 6 ARegV wird eine Maßnahme vielmehr
nur dann durch die Integration einer solchen Anlage notwendig, wenn sie auf-
grund einer anderen (konkreten) Maßnahme erforderlich wird, die zu diesem
Zweck durchgeführt worden ist.
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Im Streitfall könnte die Genehmigungsfähigkeit mithin nicht schon dann
bejaht werden, wenn die Betroffene die in Rede stehenden Maßnahmen im
Hinblick auf bereits erfolgte oder noch zu erwartende Inbetriebnahmen von
EEG- oder KWKG-Anlagen für geboten ansähe. Nach den nicht angegriffenen
tatsächlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind die Maßnahmen je-
doch notwendige Folge von konkreten Maßnahmen im vorgelagerten Übertra-
gungsnetz, die ihrerseits durch die Integration von EEG- und KWKG-Anlagen
erforderlich geworden sind. Damit handelt es sich auch im Netz der Betroffenen
nicht nur um allgemeine Maßnahmen für einen bedarfsgerechten Netzausbau,
sondern um notwendige Maßnahmen zur Integration von EEG- und KWKG-
Anlagen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 und 2 EnWG, die
Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG.
Bornkamm
Raum
Strohn
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.03.2012 - VI-3 Kart 7/11 (V) -
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