Urteil des BGH vom 15.04.2008

BGH (verteidigung, menge, staatsanwaltschaft, hauptverhandlung, aussicht, antrag, gespräch, strafe, wegfall, beihilfe)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 104/08
vom
15. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. April 2008 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Augsburg vom 24. September 2007 wird
a) das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, soweit
der Angeklagte im Fall C II. der Urteilsgründe wegen Beihilfe
zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge verurteilt worden ist; im Umfang der
Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die not-
wendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur
Last;
b) der Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte
des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge in sechs Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
1. Das Verfahren ist einzustellen und der Schuldspruch entsprechend zu
berichtigen, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zum uner-
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laubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt
hat, weil diese Tat nicht von der Anklage umfasst war und auch eine Nach-
tragsanklage nicht erhoben wurde. Der daraus folgende Wegfall der Einzelstra-
fe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten führt indessen - wie der Gene-
ralbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - nicht zur
Aufhebung der Gesamtstrafe. Der Senat kann, zumal im Hinblick auf den sehr
straffen Zusammenzug der für die sechs täterschaftlich begangenen Fälle des
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ver-
hängten Einzelstrafen, deren Addition sich auch nach Wegfall der eingestellten
Beihilfetat noch immer auf 25 Jahre und sechs Monate beläuft, ausschließen,
dass eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt worden wäre.
2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisions-
rechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
(§ 349 Abs. 2 StPO).
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3. Der Senat sieht Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:
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Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht erstreckte sich in dieser ver-
hältnismäßig einfach gelagerten Sache über 24 Verhandlungstage und hatte
eine Gesamtdauer von über einem Jahr. Begreifbar wird dies erst, wenn man
das Verhalten der Verteidigung und insbesondere den Inhalt einiger der von ihr
gestellten zahlreichen Anträge ins Auge fasst. Beispielsweise beantragte sie
einen bereits dreimal vernommenen Zeugen nochmals zu vernehmen, weil sie
eine seiner Bekundungen anders verstanden habe als die Staatsanwaltschaft.
Das Landgericht wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass auf eine
Wiederholung einer bereits erfolgten Beweiserhebung kein Anspruch bestünde;
das ist zutreffend, weil das, was zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden
ist, der unmittelbaren Würdigung des Gerichts unterliegt und nicht seinerseits in
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derselben Hauptverhandlung zum Beweisgegenstand werden kann. Die Vertei-
digung wiederholte diesen Antrag in unterschiedlichen Varianten noch viermal,
auch noch nach den Schlussvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidi-
gung, und lehnte das Gericht in Reaktion auf einen der sachgerechten Zurück-
weisungsbeschlüsse wegen Befangenheit ab. Das Landgericht hat die - im Üb-
rigen offensichtlich unbegründete - Ablehnung zu Recht als verspätet und we-
gen offensichtlicher Verschleppungsabsicht verworfen. Die Nutzung der durch
die Strafprozessordnung gewährleisteten Verfahrensrechte in einer solchen
Weise ist mit der Wahrnehmung der Aufgabe der Verteidigung, den Angeklag-
ten vor einem materiellen Fehlurteil oder (auch nur) einem prozessordnungs-
widrigen Verfahren zu schützen, nicht mehr zu erklären.
Rechtsanwalt L. aus M. , der den Angeklagten bereits
vor dem Landgericht verteidigt hatte, beanstandet die Verfahrensweise des
Landgerichts mit der Revision und macht zudem einen Verstoß gegen den
Grundsatz des fairen Verfahrens geltend, weil ihm der Vorsitzende der Straf-
kammer und der Berichterstatter zu Beginn der Hauptverhandlung für den Fall
eines Geständnisses im Sinne der Anklage mit den dort angeklagten 26 Taten
eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten in Aussicht ge-
stellt hätten, wohingegen er ohne Geständnis für die nachgewiesenen sieben
Taten bei Freispruch in 19 Fällen tatsächlich zu acht Jahren und sechs Mona-
ten verurteilt worden sei. Der Vorsitzende und der Berichterstatter haben hierzu
folgende dienstliche Stellungnahme abgegeben:
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"Dem Angeklagten wurde seitens VRiLG H. und auch seitens
RiLG B. zu keiner Zeit ein bestimmtes Strafmaß oder eine Strafober-
grenze in Aussicht gestellt. Auch nicht gegenüber Rechtsanwalt L. .
Und auch nicht geknüpft an irgendwelche Bedingungen wie ein 'umfas-
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sendes Geständnis'. Entgegenstehendes Revisionsvorbringen entspricht
nicht der Wahrheit.
Richtig ist, dass es ein auf Wunsch und Initiative von Rechtsanwalt
L. stattgefundenes Gespräch zwischen ihm und RiLG B. im
Dienstzimmer des Richters gegeben hat. Zu diesem Gespräch kam
- kurz nach Beginn - VRiLG H. auf ausdrücklichen und vor Ge-
sprächsbeginn von RiLG B. geäußerten Wunsch dazu.
Während dieses Gesprächs wurde seitens der anwesenden Richter
überhaupt keine Strafe/Strafobergrenze in Aussicht gestellt. Vielmehr
empfanden es beide anwesenden Berufsrichter als nicht angenehm,
dass Rechtsanwalt L. fortwährend pauschal wissen wollte, welches
Strafmaß sich die Kammer denn so vorstelle. Eine Antwort, geschweige
denn eine 'Zusage' hat er auf sein wiederholtes Fragen nicht bekommen.
Daraufhin hat er 'Hypothesen' dergestalt aufgestellt, wie aus seiner Sicht
die Vollstreckung für seinen Mandanten ablaufen könnte, würde Herr
K. zu einer Strafe mit 'einer 4 vor dem Komma' verurteilt werden.
Kommentiert haben beide Richter diese von Rechtsanwalt L. ausge-
führten Rechenbeispiele einzig damit, dass Rechtsanwalt L. erklärt
wurde, dass die Kammer die Möglichkeit einer Verständigung nicht von
vornherein ausschließen will, sich jedoch konkret erst hierzu äußern will,
wenn Verteidigung und Staatsanwaltschaft Konsens in ihren Vorstellun-
gen erzielt hätten.
VRiLG H. und RiLG B. ist nichts darüber bekannt, ob es zwi-
schen Verteidigung und Staatsanwaltschaft Gespräche über die Möglich-
keit einer Verständigung gegeben hat. Herangetreten wurde an die
Kammer insoweit jedenfalls nicht."
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Aufgrund dieser von der Revision nicht widersprochenen Erklärung muss
der Senat nun auch noch mit Befremden zur Kenntnis nehmen, dass er mit un-
wahrem Vorbringen konfrontiert wurde.
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Nack Kolz Hebenstreit
Elf Sander