Urteil des BGH vom 09.10.2008

BGH (gemeinde, unrichtige auskunft, falsche auskunft, verkäuferin, firma, betrag, notar, bebauungsplan, stand, zahlung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 37/08
Verkündet
am:
9. Oktober 2008
K i e f e r
Justizangestellter
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Dr. Herrmann, Wöstmann und Hucke
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger zu 1 und 2 gegen das Urteil des 4. Zivil-
senats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 23. Januar
2008 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Aufgrund eines notariellen Kaufvertrages vom 3. Februar 1993 erwarben
die Kläger von der Firma Wohnungs- und Gewerbebau S. GmbH (im Fol-
genden: Firma S. ) ein in der damals selbständigen Gemeinde A. , deren
Rechtsnachfolgerin die nunmehr beklagte Stadt E. ist, belegenes Grund-
stück in der Größe von 1.080 m² zum Kaufpreis von 115 DM/m². In dem Kauf-
vertrag war unter anderem bestimmt:
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"Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch und Lasten
nach dem Kommunalabgabengesetz trägt der Verkäufer, der die
äußere und innere Erschließung entsprechend dem bestehenden
Bebauungsplan gewährleistet …
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Der Notar wird angewiesen, einen Teil des Kaufpreises in Höhe
von DM 70,00/qm … der hier verkauften Fläche erst auszuzahlen,
wenn ihm die Gemeinde A. schriftlich bestätigt hat, dass die
äußere und innere Erschließung entsprechend dem bestehenden
Bebauungsplan fertig gestellt, abgenommen, abgerechnet und be-
zahlt ist oder die Zahlung sichergestellt ist und feststeht, dass der
Käufer nicht mehr für Erschließungskosten für die Erschließung
entsprechend dem Bebauungsplan nach BauGB oder Kommunal-
abgabengesetz herangezogen wird.
Für den Fall, dass die Erschließungskosten durch die Gemeinde
beim Käufer angefordert werden, kann insoweit der für die Er-
schließung zurückbehaltene Betrag an den Käufer ausgezahlt
werden …"
Mit Schreiben vom 3. Juni 1993 bestätigte der Bürgermeister der Ge-
meinde A. dem Urkundsnotar, dass (1) die Zahlung der Erschließungskos-
ten für die äußere und innere Erschließung entsprechend dem bestehenden
Bebauungsplan für das gesamte Baugebiet, einschließlich des Grundstücks der
Kläger, sichergestellt sei und (2) feststehe, dass die Grundstückseigentümer
der vorbezeichneten Grundstücke oder Teilflächen dieser Grundstücke nicht
mehr für diese Erschließungskosten nach BauGB oder Kommunalabgabenge-
setz herangezogen würden.
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Aufgrund dieser Erklärung zahlte der Notar am 6. August 1993 den für
die Erschließung zurückbehaltenen Teilbetrag des Kaufpreises von 75.600 DM
(= 70 DM/m²) an die Verkäuferin aus.
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Die Erklärung des Bürgermeisters war unrichtig gewesen, da die Er-
schließungsanlagen tatsächlich durch die Verkäuferin, Firma S. , nicht fertig
gestellt worden waren. Die Firma S. wurde insolvent. Deshalb übernahm
die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde A. die Erschließung und
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setzte hierfür mit Bescheid vom 17. Juni 1998 gegen die Kläger einen Beitrag in
Höhe von 26.807,53 DM fest.
In einem Vorprozess gleichen Rubrums erwirkten die Kläger die rechts-
kräftige Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihnen den Schaden zu
ersetzen, der ihnen aus der falschen Auskunft des Bürgermeisters der Gemein-
de A. in dem Schreiben vom 3. Juni 1993 an den Urkundsnotar, betreffend
die Erschließung des Baugebiets, entstanden ist und noch entstehen wird.
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Mit ihrem Amtshaftungsanspruch haben die Kläger gegen den festge-
setzten Erschließungskostenbeitrag der Beklagten aufgerechnet. Die Beklagte
nimmt dies hin.
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Die Kläger sind darüber hinaus der Auffassung, bei pflichtgemäßem
Handeln des Bürgermeisters der Gemeinde A. , d.h. wenn dieser die unrich-
tige Auskunft nicht erteilt hätte, hätte ihnen der auf dem Notarkonto hinterlegte
Differenzbetrag von (75.600 DM abzüglich der festgesetzten Erschließungsbei-
träge von 26.807,53 DM =) 48.792,47 DM [24.947,19 €] zugestanden. Diesen
Betrag verlangen sie mit der vorliegenden Amtshaftungsklage von der Beklag-
ten.
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Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Forderung
gegen die Beklagte weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
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Zwar haben die Kläger aufgrund der unstreitig amtspflichtwidrigen
Falschauskunft des Bürgermeisters der Gemeinde A. einen Schaden erlit-
ten. Dieser beschränkt sich jedoch auf die Belastung mit den von der Beklagten
festgesetzten Erschließungsbeiträgen, die durch die von den Klägern erklärte
Aufrechnung abgegolten und nicht mehr streitgegenständlich sind. Der allein
noch im Streit befindliche weitergehende Anspruch steht den Klägern nicht zu,
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1.
Entgegen der Betrachtungsweise der Kläger hatten sie gegen ihre Ver-
tragspartnerin, die Firma S. , nicht etwa einen - isolierten - Anspruch auf
Herstellung der Erschließungsanlagen zum Preise von 70 DM/m². Ihnen stand
vielmehr lediglich ein kaufrechtlicher Anspruch auf Übereignung und Besitz-
übertragung des erschlossenen Grundstücks zum Kaufpreis von pauschal
115 DM/m² zu. Der auf die Erschließungskosten entfallende Betrag von
70 DM/m² war lediglich ein rechtlich unselbständiges Kalkulationselement in-
nerhalb dieses Gesamtpreises.
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2.
Dementsprechend haben die Kläger selbst zutreffend darauf hingewie-
sen, dass hinter der Kalkulation von 70 DM/m² zum einen die Chance der Ver-
käuferin, Firma S. , stand, tatsächlich billiger erschließen zu können und den
Restbetrag behalten zu dürfen, zum anderen aber auch das Risiko der Verkäu-
ferin, dass die Erschließung mehr kosten werde. Im ersteren Fall hätten die
Kläger als Käufer den übrig gebliebenen Betrag nicht zurückverlangen können,
im letzteren Fall hätten die Kläger aber dafür auch keine Nachzahlungen leisten
müssen.
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3.
Bei amtspflichtgemäßem Handeln des Bürgermeisters der Gemeinde
A. wäre der einbehaltene Betrag von 75.600 DM nicht an die Firma S.
ausgekehrt worden, sondern bei dem Notar verblieben. Andererseits hätte sich
dann die in dem Vertrag selbst bereits geregelte Möglichkeit verwirklicht, dass
die Kläger unmittelbar von der Beklagten zur Zahlung der Erschließungsbeiträ-
ge herangezogen worden wären. In diesem Falle hätten sie die dafür erforderli-
chen Geldmittel aus dem beim Notar liegenden einbehaltenen Betrag entneh-
men können.
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4.
Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Falle der nicht verbrauchte Diffe-
renzbetrag den Klägern - und nicht etwa der Verkäuferin oder deren Insolvenz-
verwalter - hätte zustehen sollen, sind dem Vertrag dagegen nicht zu entneh-
men. Nach der eingangs beschriebenen, von den Klägern selbst aufgezeigten
Risikoverteilung hätte sich insoweit vielmehr eine Gewinnchance der Verkäufe-
rin verwirklicht und hätte der Mehrbetrag als Teil des einheitlichen Kaufpreises
für das voll erschlossene Grundstück der Verkäuferin zugestanden.
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5.
Im Ergebnis ist dieser Zustand auch eingetreten, indem die Kläger im
Wege des von der Beklagten zu leistenden Schadensersatzes von der Belas-
tung mit diesen Mehrkosten verschont geblieben sind. Zu Recht hat das Beru-
fungsgericht daher darauf hingewiesen, dass eine darüber hinausgehende
Rückzahlung der hinterlegten Erschließungskosten an die Kläger vertraglich
nicht vorgesehen gewesen sei und die Kläger als Gegenleistung das erhalten
haben, was ihnen auch ohne die falsche Auskunft zugeflossen wäre: Ein er-
schlossenes Baugrundstück zum vereinbarten Kaufpreis, insbesondere zu den
ursprünglich vereinbarten Erschließungskosten. Die diesbezügliche Vertrags-
auslegung des Berufungsgerichts hält somit der revisionsgerichtlichen Nachprü-
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fung in vollem Umfang stand und weist insbesondere - entgegen der Darstel-
lung der Revisionsbegründung - weder Widersprüchlichkeiten noch sonstige
Inkonsequenzen auf. Erst recht kann nicht die Rede davon sein, dass die Be-
klagte hier einseitig zu Lasten der Kläger bevorzugt worden ist.
Schlick
Wurm
Herrmann
Wöstmann Hucke
Vorinstanzen:
LG Erfurt, Entscheidung vom 19.12.2005 - 8 O 2769/04 -
OLG Jena, Entscheidung vom 23.01.2008 - 4 U 83/06 -