Urteil des BGH vom 27.05.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZR 231/08
vom
27. Mai 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 652; VVG § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b
Der Versicherungsmakler, der sich einem privat krankenversicherten Kunden
gegenüber verpflichtet hatte, die Zweckmäßigkeit seines Versicherungsschut-
zes und die Prämiengestaltung zu überprüfen, war im Jahr 2002 noch nicht
gehalten, bei seiner Prüfung eine etwaige künftige Rechtsänderung zu berück-
sichtigen, durch die Alterungsrückstellungen beim Wechsel des Krankenversi-
cherungsunternehmens übertragbar wurden.
BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - III ZR 231/08 - OLG Karlsruhe in Freiburg
LG Freiburg
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Mai 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Herrmann, Wöstmann, Hucke
und Seiters
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion in dem Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 21. August 2008 - 19 U 111/07 - wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Streitwert: 20.639,01 €.
Gründe:
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzli-
che Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zum Zweck
der Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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Die Beschwerde wirft die von ihr als rechtsgrundsätzlich angesehene
Frage auf, ob auch nach dem Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungs-
gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378) daran festzuhalten ist, dass der
Verlust der Alterungsrückstellungen bei einem Wechsel des privaten Kranken-
versicherers (vgl. § 178 f VVG in der Fassung des Art. 43 des vorgenannten
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Gesetzes) für sich allein kein zu ersetzender Schaden ist, der Versicherungs-
nehmer vielmehr nur eine etwaige Prämiendifferenz als Schaden geltend ma-
chen kann (Senatsurteil vom 11. Mai 2006 - III ZR 228/05 - VersR 2006,
1072 f). § 178 f in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes ist
zwar nicht in Kraft getreten (siehe Art. 10 des Gesetzes zur Reform des Versi-
cherungsvertragsgesetzes vom 23. November 2007, BGBl. I S. 2631). Jedoch
ist an seine Stelle § 204 VVG in der Fassung des Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes
zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes getreten, so dass sich die
Rechtsfrage weiterhin stellt. Sie ist allerdings für den Streitfall nicht entschei-
dungserheblich.
Ein möglicher in dem Verlust der bei der S. Krankenversi-
cherung a.G. (SDK) erworbenen Alterungsrückstellung liegender Schaden kann
jedenfalls den hier den Beklagten vorzuwerfenden Pflichtverletzungen nicht zu-
gerechnet werden.
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Das Landgericht hat - mit der Berufung nicht angegriffen - eine Pflichtver-
letzung der Beklagten bei der Durchführung des Versicherungswechsels von
der SDK zu der H. Krankenversicherung a.G. in der falschen Beant-
wortung der Gesundheitsfragen bei Antragstellung gesehen. Dieser Fehler ist
jedoch für den Verlust der bei der SDK angesparten Alterungsrückstellung nicht
kausal. Diese ging für den Kläger vielmehr bereits mit der Kündigung des Ver-
trags mit der SDK verloren.
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Die weiter vom Kläger geltend gemachte Pflichtverletzung der Beklagten,
bereits der Rat zur Kündigung des Versicherungsvertrags mit der SDK und zum
Wechsel zur H. Krankenversicherung a.G. sei wirtschaftlich nachteilig
und damit falsch gewesen, haben die Vorinstanzen offen gelassen. Diese Bera-
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tungspflichtverletzung ist deshalb im dritten Rechtszug zugunsten des Klägers
zu unterstellen. Sie ist auch äquivalent kausal für den Verlust der Alterungs-
rückstellung. Hätte der Kläger den Versicherungsvertrag mit der SDK im Jahr
2002 nicht gekündigt, hätte er jetzt im ersten Halbjahr 2009 in den Basistarif
eines anderen Versicherungsunternehmens wechseln und dabei nach § 204
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) VVG n.F. den entsprechenden Teil der Alterungs-
rückstellung mitnehmen können. Dieser Verlust mag überdies noch adäquat
kausal sein. Er ist jedoch jedenfalls nicht mehr vom Schutzbereich der verletz-
ten Vertragspflicht umfasst.
Eine Schadensersatzpflicht besteht nur hinsichtlich solcher Nachteile, zu
deren Abwendung die verletzte vertragliche Pflicht übernommen worden ist
(BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - X ZR 163/02 - NJW 2005, 1420, 1421 f;
Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 62; Lange in Schiemann/
Lange, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 104; jeweils m.w.N.). Der Umfang des
Schutzzwecks ist durch Auslegung des Vertrags zu ermitteln (Lange aaO). Im
vorliegenden Fall bestand jedenfalls zwischen dem Kläger und den Beklagten
zu 1, 3 und 4 ein Versicherungsmaklervertrag. Nach der vorgelegten Vertrags-
urkunde waren die Beklagten insbesondere beauftragt, "die Richtigkeit und
Zweckmäßigkeit der Vertragsgestaltung und der Prämienansätze" der Versiche-
rungen des Klägers zu überprüfen. Sie waren damit zu einer umfassenden
Betreuung aller Versicherungsinteressen des Klägers und zu einer entspre-
chenden Beratung in Bezug auf den von ihnen vermittelten Versicherungsver-
trag verpflichtet (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2005 - III ZR 309/04 - NJW-RR
2005, 1425, 1426; ferner auch Kollhosser in Prölss/Martin, Versicherungsver-
tragsgesetz, 27. Aufl., nach § 48 Rn. 5).
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Im Rahmen dieser Betreuungs- und Beratungspflicht mussten die Be-
klagten jedoch nur diejenigen Gesichtspunkte in die Abwägung einbeziehen, die
zum damaligen Zeitpunkt bekannt waren oder mit denen zumindest gerechnet
werden konnte. Auf nicht vorhersehbare Änderungen der Rechtslage konnte
eine Beratung schon rein faktisch keine Rücksicht nehmen. Vor allem aber ist
aus objektiver Sicht nicht anzunehmen, dass ein Berater die Haftung für einen
Risikobereich übernehmen will, dessen Größenordnung nicht abzusehen ist.
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Nach diesen Grundsätzen mussten die Beklagten unter Bewertung aller
seinerzeit bekannten Gesichtspunkte die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit eines
Versicherungswechsels überprüfen. Dabei mussten sie neben dem Leistungs-
umfang insbesondere die Prämienhöhe berücksichtigen und damit auch beach-
ten, dass die erworbene Alterungsrückstellung nicht zur H. Kranken-
versicherung a.G. mitgenommen werden konnte, was höhere Prämienzahlun-
gen bedingen konnte. Sie mussten jedoch in ihre Überprüfung der Zweckmä-
ßigkeit eines Versicherungswechsels nicht die Möglichkeit mit einbeziehen,
dass zu einem nicht näher bestimmbaren späteren Zeitpunkt unter Umständen
die Übertragbarkeit der Alterungsrückstellung eingeführt werden könnte. Diese
Änderung der Rechtslage war zum damaligen Zeitpunkt (2002) nicht absehbar.
Gutachten von Expertenkommissionen, die seit 1994 unter anderem vom Bun-
desministerium der Finanzen zur Untersuchung der Problematik steigender Bei-
träge der privat Krankenversicherten im Alter eingesetzt worden waren, hatten
aufgrund erheblicher ungelöster Probleme weder die Mitgabe der kalkulierten
noch die einer individuellen Alterungsrückstellung empfehlen können (BT-
Drucks. 13/4945, S. 47; Zieschang VW 2001, 1044, 1045; Präve VW 2002,
1934, 1938). Dass die Übertragbarkeit der Alterungsrückstellung sowohl recht-
lich als auch praktisch ausgeschlossen sei, entsprach im Jahr 2002 ganz über-
wiegender Auffassung (vgl. Boetius VersR 2001, 661, 677; Kalis VersR 2001,
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11, 14 ff; Zieschang aaO S. 1047 ["schlechterdings ein Ding der Unmöglich-
keit"]; Präve aaO S. 1937 f). Erst im Frühjahr 2004 wurden durch eine Studie
des Ifo-Institutes, das die Mitgabe einer bestimmten individuell kalkulierten Alte-
rungsrückstellung für denkbar erachtete, neue Möglichkeiten aufgezeigt (Sch-
neider VW 2004, 1163 ff; Görsdorf-Kegel VW 2004, 1844; vgl. zum Gesamt-
komplex weiter die Nachweise in dem Senatsurteil vom 11. Mai 2006, aaO
S. 1173, Rn. 10).
Die übrigen von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Zu-
lassungsgründe hat der Senat geprüft und, insbesondere auch die gerügten
Verletzungen des Grundrechts auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG), für nicht durchgreifend erachtet. Insoweit wird von einer Begrün-
dung gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbs. ZPO abgesehen.
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Schlick Herrmann
Wöstmann
Hucke
Seiters
Vorinstanzen:
LG Freiburg, Entscheidung vom 14.09.2007 - 14 O 66/06 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 21.08.2008 - 19 U 111/07 -