Urteil des BGH vom 19.12.2000

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 146/99
Verkündet am:
19. Dezember 2000
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGB § 529 Abs. 2
a) Für die Berechtigung der Einrede nach § 529 Abs. 2 BGB ist es grundsätz-
lich unerheblich, wann und wodurch die eigene Bedürftigkeit des Be-
schenkten bzw. seines Erben entstanden ist.
b) Die Berufung auf die eigene Bedürftigkeit stellt allerdings eine unzulässige
Rechtsausübung dar, wenn der Beschenkte bzw. sein Erbe Kenntnis von
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dem Notbedarf des Schenkers gehabt und gleichwohl die eigene Bedürftig-
keit mutwillig herbeigeführt hat.
BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000 - X ZR 146/99 - OLG Köln
LG Aachen
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 19. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die
Richter Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter
Dr. Meier-Beck
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 14. Juli 1999 verkündete Urteil des
13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln wird auf Kosten des
Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist die Erbin ihres Ehemanns, des am 14. März 1993 ver-
storbenen L. M.. Dessen Mutter M. M. ist seit dem 10. März 1994 pflegebedürf-
tig und in einem Pflegeheim untergebracht. Da ihre Renteneinkünfte zur Be-
streitung der Heimkosten nicht ausreichen, übernahm der Kläger die Kosten-
trägerschaft hinsichtlich der nicht gedeckten Heimkosten aus Mitteln der
Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz.
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Nachdem die Beklagte und L. M. geheiratet hatten, übertrug Frau M. M.
ihrem Sohn 1990 ein damals ihr gehörendes Hausgrundstück in E.. Zwischen
den Parteien ist streitig, ob L. M. von seiner Mutter damals auch einen Geldbe-
trag als Schenkung erhalten hat. 1991 veräußerte L. M. das Hausgrundstück
zu einem Kaufpreis von ca. 348.000,-- DM; für ca. 265.000,-- DM erwarb er für
sich und die Beklagte zu je hälftigem Miteigentumsanteil ein Hausgrundstück in
W.. Nachdem die Eheleute die Absicht gefaßt hatten, sich zu trennen, kaufte
die Beklagte im Januar 1993 für sich eine Eigentumswohnung. Das Haus-
grundstück in W. veräußerte sie im März 1993 nach dem Tode des Ehemanns.
Mit Bescheid vom 2. August 1994 leitete der Kläger den sich seiner Mei-
nung nach aus § 528 Abs. 1 BGB ergebenden Rückforderungsanspruch der
Frau M. M. gegen die Beklagte auf sich über. Da die Beklagte Zahlungen nicht
leistete, hat er mittels Klage, die der Beklagten am 24. August 1995 zugestellt
worden ist, Wertersatz für die Geschenke verlangt. Am 21. Mai 1996 veräu-
ßerte die Beklagte die Anfang 1993 erworbene Eigentumswohnung zu einem
Kaufpreis von 90.000,-- DM und zog in eine Mietwohnung.
Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberlan-
desgericht erhielt die Beklagte eine Witwenrente in Höhe von 890,53 DM mo-
natlich. Durch eine Aushilfstätigkeit in einer Gaststätte verdiente sie monatlich
240,-- DM netto hinzu. Außerdem erhielt sie einen monatlichen Mietkostenzu-
schuß in Höhe von 100,-- DM. Für ihre Wohnung zahlte sie monatlich
500,-- DM Miete. Hinzu kamen Aufwendungen in Höhe von etwa 80,-- DM mo-
natlich für Heizkosten. Für eine Lebensversicherung wendete die Beklagte mo-
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natlich 17,33 DM auf. Abgesehen von einem Guthaben in Höhe von ca.
400,-- DM auf ihrem Girokonto verfügte sie über kein Vermögen.
Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte
verurteilt, an den Kläger 54.977,36 DM nebst Zinsen zu zahlen. Außerdem hat
es die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, dem Kläger seit dem
1. September 1995 alle Aufwendungen bis zur Höhe eines Betrages von
66.000,-- DM zu ersetzen, die diesem aus der Heimunterbringung von Frau M.
M. künftig entstehen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesge-
richt das Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit
seiner Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungs- und Feststellungsbegehren
weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
Das zulässige Rechtsmittel des Klägers hat im Ergebnis keinen Erfolg.
I. Bezugnehmend auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts
ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß Frau M. M. ihrem Sohn das
Hausgrundstück in E. mit einem Wert von 86.000,-- DM geschenkt hat; ledig-
lich hinsichtlich der weiteren Feststellung des Landgerichts, L. M. habe von
seiner Mutter ferner 35.000,-- DM schenkweise erhalten, hat das Berufungsge-
richt Bedenken gehabt. Da es zu der behaupteten schenkweisen Hingabe des
Geldbetrages eigene abschließende Feststellungen nicht getroffen hat, ist
deshalb jedoch für die revisionsrechtliche Überprüfung des angefochtenen Ur-
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teils davon auszugehen, daß Frau M. M. ihrem Sohn, den die Beklagte beerbt
hat, 1990 Gegenstände im Gesamtwert von 121.000,-- DM geschenkt hat.
II. Das Berufungsgericht hat ferner unter Bezugnahme auf die landge-
richtliche Entscheidung angenommen, daß der für den der Klage zugrundelie-
genden Rückforderungsanspruch nach § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB außerdem
noch notwendige Notbedarf der Schenkerin ebenfalls gegeben ist. Auch das ist
der revisionsrechtlichen Überprüfung zugrunde zu legen; die Revision hat die
ihr günstige Feststellung nicht angegriffen; Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.
III. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil dem geltend
gemachten Anspruch die Einrede des § 529 Abs. 2 BGB entgegenstehe. Nach
den Unterhaltsrichtsätzen der Düsseldorfer Tabelle Stand 1. Juli 1998 und
auch Stand 1. Juli 1999 betrage der angemessene Eigenbedarf in der Regel
mindestens monatlich 1.800,-- DM bei einer darin enthaltenen Warmmiete von
800,-- DM. Der Beklagten verblieben indessen nach Abzug der realen Miet-,
Neben- und Heizkosten sowie des Beitrages für die Lebensversicherung mo-
natlich lediglich 633,20 DM, tatsächlich also ohnehin schon weniger, als sie für
ihren angemessenen Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle für sich bean-
spruchen dürfe. Demgegenüber sei ohne Belang, daß die Beklagte nach der
Klagezustellung den beim Verkauf der Eigentumswohnung erlangten Erlös von
90.000,-- DM verbraucht habe. Nach Wortlaut und Schutzzweck des § 529
Abs. 2 BGB sei es unerheblich, wann und wodurch - ob verschuldet oder un-
verschuldet - der "Notbedarf" entstanden sei. Die Vorschrift des § 529 Abs. 2
BGB beruhe von ihrer Entstehung her auf der Erwägung des Gesetzgebers,
daß die Rechtsordnung kein Interesse daran haben könne, den einen in die
Notlage zu stürzen, nur um den anderen der Notlage zu entreißen. Nur der Be-
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schenkte habe nach § 529 Abs. 1 BGB das Privileg, gegenüber dem Heraus-
gabeanspruch nach § 528 BGB einzuwenden, der andere habe seine Bedürf-
tigkeit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt.
Diese Ausführungen tragen der gesetzlichen Regelung nicht hinreichend
Rechnung.
1. Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, daß § 819 Abs. 1
BGB hier dazu führen müsse, daß sich die Beklagte gegenüber dem Anspruch
nach § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht auf § 529 Abs. 2 BGB berufen könne.
Die Revision verkennt den rechtssystematischen Zusammenhang zwi-
schen § 529 Abs. 2 BGB und den §§ 812 ff. BGB, auf die § 528 Abs. 1 Satz 1
BGB verweist. Bei dieser Verweisung handelt es sich um eine Rechtsfolgen-
verweisung (allgemeine Meinung, vgl. etwa MünchKomm./Kollhosser, BGB,
3. Aufl., § 528 Rdn. 5; Staudinger/Cremer, BGB, 13. Bearb., 1995, § 528
Rdn. 6; Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 528 Rdn. 4); die bereiche-
rungsrechtlichen Voraussetzungen bestimmen Art und Umfang des schen-
kungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs. § 529 Abs. 2 BGB gibt hingegen
nach allgemeiner Meinung (vgl. z.B. Staudinger/Cremer, aaO, § 529 Rdn. 2;
Soergel/Mühl/Teichmann, aaO, § 529 Rdn. 5; MünchKomm./Kollhosser, aaO,
§ 529 Rdn. 6), eine Einrede, die dem Beschenkten und nach dessen Tod sei-
nem Erben zusteht, wenn dann in seiner Person die gesetzlichen Vorausset-
zungen bestehen. Zu diesen Voraussetzungen gehört, daß überhaupt ein An-
spruch auf Herausgabe des Geschenks nach § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB in Ver-
bindung mit den §§ 812 ff. BGB besteht. Die Anwendung der §§ 818 Abs. 4,
819 Abs. 1 BGB mag deshalb zwar dazu führen, daß der nach Kenntnis der
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Beklagten von der Überleitungsanzeige und nach Klageerhebung vorgenom-
mene Verbrauch des Erlöses aus dem Verkauf der Eigentumswohnung dem
Kläger nicht als Entreicherungseinwand gemäß § 818 Abs. 3 BGB entgegen-
gehalten werden kann. Der Tatbestand des § 529 Abs. 2 BGB bleibt davon je-
doch unberührt, weil er erst eingreift, wenn unter Heranziehung der §§ 812 ff.
BGB vom Bestehen eines Rückforderungsanspruchs nach § 528 Abs. 1 Satz 1
BGB auszugehen ist.
2. Rechtlichen Bedenken begegnet es aber, daß das Berufungsgericht
gemeint hat, für die Anwendung des § 529 Abs. 2 BGB könne es schlechthin
keine Rolle spielen, ob es selbst verschuldet sei, daß das Geschenk oder sein
Wert ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts nicht heraus-
gegeben werden könne.
a) Dem Berufungsgericht kann allerdings darin gefolgt werden, daß es
wie bei der Notbedarfseinrede des § 519 Abs. 1 BGB auch bei § 529 Abs. 2
BGB nach Wortlaut und Schutzzweck grundsätzlich unerheblich ist, wann und
wodurch der Notbedarf entstanden ist (zu § 519 BGB: vgl.
MünchKomm./Kollhosser, aaO, § 519 Rdn. 3; Staudinger/Cremer, aaO, § 519
Rdn. 3). Wie die Regelung des § 529 Abs. 1 BGB zeigt, hat der Gesetzgeber
den Fall, daß nach vollzogener Schenkung die eigene Bedürftigkeit selbst her-
beigeführt wird, durchaus bedacht, jedoch für den Anwendungsbereich des
§ 529 Abs. 2 BGB darauf verzichtet, eine entsprechende Regelung zu treffen.
Dies steht im Einklang damit, daß Übermaß und Verschwendung - obwohl ein
solches Verhalten in früheren deutschen Rechtsordnungen sanktioniert werden
konnte - nach dem BGB einen eigenen Grund für den Widerruf der Schenkung
nicht bilden (vgl. Motive II, S. 305). Für die grundsätzliche Geltung des § 529
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Abs. 2 BGB auch in Fällen selbstverschuldeter Bedürftigkeit spricht ferner, daß
für die erst durch die Reichstagskommission eingefügte Norm maßgebend die
Erwägung gewesen ist, daß die Rechtsordnung kein Interesse daran haben
könne, den einen in die Notlage zu stürzen, nur um den anderen ihr zu entrei-
ßen (so Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, 5. Aufl., Anm. 2 zu § 529
BGB).
Der Grundsatz, daß die eigene Bedürftigkeit auch dann zur Einrede
nach § 529 Abs. 2 BGB berechtigen kann, wenn sie selbst - auch schuldhaft -
herbeigeführt ist, wird entgegen der Auffassung der Revision auch nicht durch
das seit Einführung des BGB geschaffene Sozialstaatssystem in Frage gestellt.
Die von Teilen des Schrifttums vertretene Ansicht, daß das Interesse der All-
gemeinheit im Zweifel für eine anspruchsgünstige Auslegung der §§ 528 f.
BGB spreche (vgl. nur MünchKomm./Kollhosser, aaO, § 528 Rdn. 3 m.w.N.),
verkennt, daß es in Fällen wie den vorliegenden auch zu Lasten der Allge-
meinheit geht, wenn die Anwendung des § 529 Abs. 2 BGB ausgeschlossen
wird; dann nämlich hat der verarmte Beschenkte bzw. sein verarmter Erbe statt
des verarmten Schenkers dem Grunde nach einen Anspruch auf Sozialhilfelei-
stungen.
b) Das Berufungsgericht hat aber zu Unrecht nicht in Betracht gezogen,
daß gerade die Geltendmachung einer Einrede eine unzulässige Rechtsaus-
übung darstellen kann (vgl. BGHZ 121, 179) und daß die insoweit zu berück-
sichtigenden Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gebieten, bei
besonderen, schwerwiegenden Gründen dem Beschenkten bzw. seinem Erben
im Einzelfall die Berufung auf seine eigene Bedürftigkeit zu verwehren.
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Unter Hinweis auf die Voraussetzungen, unter denen ein Unterhaltsbe-
rechtigter nach § 1579 Nr. 3 BGB oder § 1611 Abs. 1 BGB bei selbstverschul-
deter Herbeiführung seiner Bedürftigkeit seinen Unterhaltsanspruch verliert,
hat die höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Unterhalts-
rechts dem Verpflichteten die Berufung auf seine Leistungsunfähigkeit versagt,
wenn ihm ein verantwortungsloses Verhalten vorzuwerfen ist (BGH, Urt. v.
12.05.1993 - XII ZR 24/92, NJW 1993, 1974, 1975). Dem Unterhaltsschuldner
ist die Berufung auf die eigene Leistungsunfähigkeit dann verwehrt, wenn er
diese durch unterhaltsbezogene Mutwilligkeit herbeigeführt hat, die nicht nur
vorsätzliches oder absichtliches, sondern auch leichtfertiges Handeln umfaßt
(BGH, Urt. v. 12.04.2000 - XII ZR 79/98, FamRZ 2000, 815, 817). Die Interes-
senlage, der diese Rechtsprechung gerecht werden will, ist derjenigen ver-
gleichbar, die bei Verarmung von Schenker und Beschenktem bzw. seinem
Erben besteht. Die zum Unterhaltsrecht entwickelten Grundsätze sind deshalb
unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Schenkungsrechts auch bei
der Einrede des § 529 Abs. 2 BGB anzuwenden. Dem Beschenkten bzw. sei-
nem Erben ist danach die Berufung auf seine eigene Bedürftigkeit zu versagen,
wenn er diese, nachdem er Kenntnis davon hat, daß der Schenker bedürftig ist
und deshalb ein Rückforderungsanspruch gemäß § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB
gegen ihn geltend gemacht wird, durch Mutwilligkeit herbeigeführt hat.
Da der Beschenkte bzw. sein Erbe die das Geschenk betreffende
Rechtsposition aus einer verbindlichen vertraglichen Zusage des Schenkers
herleitet, wird im Rahmen des § 529 Abs. 2 BGB die danach erforderliche hin-
reichende Kenntnis von der Bedürftigkeit des Schenkers regelmäßig erst ab
dem Zeitpunkt angenommen werden können, zu dem der Beschenkte bzw. sein
Erbe von Umständen erfahren hat, aus denen er die Bedürftigkeit des Schen-
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kers erkennen kann, und er durch eindeutige Leistungsaufforderung auf die
ihm deshalb drohende Inanspruchnahme auf Rückgabe des Geschenks oder
Wertersatz hingewiesen bzw. ihm eine entsprechende Klage zugestellt ist. Die
ferner erforderliche Mutwilligkeit hingegen ist gegeben, wenn der Beschenkte
bzw. sein Erbe die Möglichkeit des Eintritts seiner Bedürftigkeit als Folge des
eigenen Verhaltens erkennt, im Bewußtsein dieser Möglichkeit, wenn auch im
Vertrauen auf den Nichteintritt jener Folge gleichwohl handelt und sich dabei
unter grober Mißachtung dessen, was jedem einleuchten muß, oder in Verant-
wortungs- und Rücksichtslosigkeit gegen den Schenker über die erkannte
Möglichkeit nachteiliger Folgen für seine Fähigkeit, seinen eigenen Lebensun-
terhalt zu bestreiten, hinwegsetzt (vgl. BGH, Urt. v. 12.04.2000, aaO).
Die Feststellung dieser Voraussetzungen erfordert vom Tatrichter eine
genaue Bewertung und Abwägung aller maßgeblichen Umstände des Einzel-
falls. Nicht jede Verwertung des Vermögens im Rahmen der Lebensführung,
die nach dem Zeitpunkt geschieht, zu dem der Beschenkte bzw. sein Erbe von
seiner drohenden Inanspruchnahme hinreichende Kenntnis hat, rechtfertigt es
unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, diesem die Berufung auf die
eigene Bedürftigkeit zu verwehren. Von grober Mißachtung dessen, was jedem
einleuchtet, oder von Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit kann erst dann
gesprochen werden, wenn wesentlich mehr ausgegeben wird, als die im Ein-
zelfall vorliegenden Verhältnisse unter Beachtung auch eines alters- oder
krankheitsbedingten Mehrbedarfs angemessen erscheinen lassen (vgl. BGH,
Urt. v. 14.12.1983 - IVb ZR 38/82, FamRZ 1984, 364, 368 zu § 1579 Abs. 1
Nr. 3 a.F.). Wer sein Vermögen verbraucht, weil er über kein ausreichendes
Einkommen verfügt und deshalb auch aus der Vermögenssubstanz seinen Le-
bensunterhalt bestreiten muß, handelt nicht mutwillig. Darüber hinaus wird es
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aber auch zu billigen sein, wenn aus dem Vermögen Ausgaben bestritten wer-
den, die unterhaltsrechtlich als Sonderbedarf (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) anzu-
sehen sind und die nicht aus den laufenden Einkünften beglichen werden kön-
nen. Dagegen wird ein mutwilliges Herbeiführen der eigenen Bedürftigkeit na-
heliegen, wenn das Vermögen zur Bestreitung von Luxusausgaben, z.B. für
teuere Hobbies, Reisen, Kleidung usw. (vgl. dazu Wendl/Gerhardt, Das Unter-
haltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 4 Rdn. 686), verbraucht
wird. Das gleiche gilt, wenn das Vermögen angegriffen wird, obwohl der Le-
bensunterhalt einschließlich eines etwaigen Mehr- oder Sonderbedarfs ohne
weiteres aus den laufenden Einkünften hätte bestritten werden können und die
Bedürftigkeit des Beschenkten eintritt, weil gleichwohl das ursprünglich vor-
handene Vermögen verbraucht wird und deshalb Einkünfte aus dem Vermögen
ausbleiben. Insoweit wird der Tatrichter in solchen Fällen regelmäßig im ein-
zelnen bewerten müssen, ob es sich um eine anerkennenswerte Verwertung
des Vermögens handelt oder nicht.
Im zu entscheidenden Fall hat es das Berufungsgericht zu Unrecht un-
terlassen, das Verhalten der Beklagten (Verkauf der Eigentumswohnung nach
Klageerhebung und anschließender Verbrauch des erlösten Geldes) unter Her-
anziehung dieser Maßstäbe zu würdigen. Insbesondere hätte das Berufungs-
gericht die in der von der Beklagten vorgelegten Aufstellung im Schriftsatz vom
30. Oktober 1997 enthaltenen Ausgaben unter Beachtung dieser Grundsätze
im Hinblick auf ihre Berücksichtigungswürdigkeit einer eingehenden Prüfung
unterziehen müssen. Bei den dort angeführten Beträgen von 3.000,-- DM für
"Lotto, Glücksspiele", 5.000,-- DM für "Urlaub (Taschengeld)" oder 5.000,-- DM
für "Freizeit", aber auch bei anderen Positionen, kommt in Betracht, daß es
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sich um unter den ansonsten gegebenen Umständen nicht zu billigende Lu-
xusausgaben handelte.
IV. Gleichwohl stellt sich die angefochtene Entscheidung als richtig dar.
Sie wird getragen von den hilfsweisen Erwägungen des Berufungsgerichts, daß
die Beklagte auch dann, wenn man ihr - in Anbetracht der vorstehend erörter-
ten, sich möglicherweise aus § 242 BGB ergebenden Einrede - als noch vor-
handenen Vermögenswert den Erlös von 90.000,-- DM zurechnete, zu Recht
die Einrede nach § 529 Abs. 2 BGB geltend gemacht habe.
Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt: Die tatbestandlichen Vor-
aussetzungen des § 529 Abs. 2 BGB entsprächen völlig denjenigen des § 519
Abs. 1 BGB. Danach gelte auch hier, daß die bloße Gefährdung des eigenen
angemessenen Unterhalts ausreiche; eine Beeinträchtigung müsse nicht be-
reits eingetreten sein. Es reiche die begründete Besorgnis, daß die Mittel des
Beschenkten künftig nicht ausreichen werden. Diese Besorgnis sei hier gege-
ben angesichts eines bereits bestehenden Fehlbetrages von monatlich
366,80 DM. Selbst wenn die Beklagte bis zur Vollendung ihres
60. Lebensjahres noch monatlich 240,-- DM zu ihrer Witwenrente werde hinzu-
verdienen können, errechne sich bis zu diesem Zeitpunkt bei zugrunde geleg-
ten 36 Monaten ein Gesamtfehlbetrag von 13.204,80 DM. Bei Wegfall des zu-
sätzlichen Einkommens aus der Aushilfstätigkeit erhöhe sich der Fehlbetrag
zum angemessenen Eigenbedarf auf 606,80 DM. Ausgehend von einer durch-
schnittlichen Lebenserwartung der Beklagten von dann noch ca. 20 Jahren er-
rechne sich ein Mindestfehlbetrag von 145.632,-- DM. Das zeige, daß der Be-
klagten zur Sicherung ihres angemessenen Unterhalts für die zu erwartende
Dauer ihres restlichen Lebens ein Mindestbetrag von insgesamt rund
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159.000,-- DM zusätzlich zu ihrem laufenden Einkommen in ihrem Vermögen
verbleiben müßte. Ein Ausgleich der streitgegenständlichen Klageforderung
würde somit selbst unter der Prämisse eines bei der Beklagten noch vorhande-
nen Vermögenswertes von 90.000,-- DM eine aktuelle Gefährdung ihres zu-
künftigen angemessenen Lebensunterhalts herbeiführen.
Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Ein-
rede des § 529 Abs. 2 BGB nicht zur Voraussetzung hat, daß der Berechtigte
bei ihrer Geltendmachung schon außerstande ist, seinen angemessenen Un-
terhalt zu bestreiten oder ihm obliegende Unterhaltspflichten zu erfüllen. Das
Gesetz stellt auf eine Gefährdung ab. Die Einrede besteht deshalb bereits
dann, wenn zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsa-
cheninstanz ernstlich damit zu rechnen ist, daß der Beschenkte bei Erfüllung
des Rückforderungsanspruchs in Zukunft nicht mehr genügend Mittel für sei-
nen angemessenen Unterhalt und die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhalts-
pflichten hat (MünchKomm./Kollhosser, aaO, § 529 Rdn. 4, § 519 Rdn. 2).
2. Das Berufungsgericht hat bei der Bestimmung des danach maßgebli-
chen zukünftigen Unterhaltsbedarfs sich auch zu Recht an den Unterhaltsricht-
sätzen der Düsseldorfer Tabelle orientiert. Denn das Gesetz knüpft mit der in
§ 529 Abs. 2 BGB enthaltenen Bezugnahme auf den Unterhalt des Beschenk-
ten bzw. die ihm obliegenden Unterhaltspflichten an die Begrifflichkeiten des
Unterhaltsrechts an, weshalb die jeweils einschlägigen familienrechtlichen Be-
stimmungen und die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe
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auch im Rahmen des § 529 Abs. 2 BGB heranzuziehen sind (Sen.Urt. v.
11.07.2000 - X ZR 126/98, NJW 2000, 3488 ff.).
Bei der Anwendung der Unterhaltsrichtsätze der Düsseldorfer Tabelle
hat das Berufungsgericht den Selbstbehalt, den es mit mindestens 1.800,-- DM
angenommen hat, auch keinesfalls zu hoch angesetzt. Da die Beklagte sich
wegen ihrer Bedürftigkeit auf § 529 Abs. 2 BGB beruft und zwischen ihr und
Frau M. M. mangels Abstammung in gerader Linie keine Unterhaltsverpflich-
tung besteht, ist ihr jedenfalls so viel zu belassen, wie sie auch gegenüber ih-
ren eigenen Eltern beanspruchen könnte (vgl. Sen.Urt. v. 11.07.2000, aaO).
Das sind einschließlich 800,-- DM Warmmiete monatlich 2.250,-- DM. Unter
Zugrundelegung der sonstigen Berechnung des Berufungsgerichts, nach wel-
cher der Beklagten zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts Nettoeinkünfte in
Höhe von 633,20 DM monatlich verbleiben, bestand daher zum Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz sogar ein Fehlbetrag
in Höhe von monatlich 816,80 DM. Angesichts dieser Höhe ist es unschädlich,
daß das Berufungsgericht es unterlassen hat, in seine Berechnung des Be-
darfs der Beklagten einzubeziehen, daß die Beklagte aus den erlösten
90.000,-- DM bzw. - bei Verbrauch von Teilbeträgen - aus dem noch unver-
brauchten Rest Zinserträge hätte erzielen können.
3. Die aus dem zutreffenden Ausgangspunkt und dem mithin gegebenen
Unterhaltsbedarf der Beklagten abgeleitete Folgerung des Berufungsgerichts,
auch bei Annahme der Existenz eines Vermögenswertes von 90.000,-- DM sei-
en die Voraussetzungen des § 529 Abs. 2 BGB gegeben, begegnet schließlich
ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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Vermögen dient, zusammen mit Einkünften, der lebenslangen Unter-
haltssicherung. Muß der Unterhalt ganz oder - wie hier angesichts des bereits
bestehenden monatlichen Fehlbetrages - teilweise aus dem Vermögen bestrit-
ten werden, muß auf dieses zurückgegriffen werden. Die Verwertung hat so zu
erfolgen, daß bei Berücksichtigung der überschaubaren wirtschaftlichen Ent-
wicklung der Unterhaltsbedarf während der voraussichtlichen Lebensdauer
gedeckt werden kann (Wendl/Haußleiter, Das Unterhaltsrecht in der familien-
richterlichen Praxis, 5. Aufl., § 1 Rdn. 322; vgl. auch BGH, Urt. v. 27.06.1984
- IVb ZR 20/83, FamRZ 1985, 354, 356). Bei der Bestimmung des Vermögens,
das zur Sicherung des eigenen Unterhaltsbedarfs zu schonen ist, ist deshalb
die voraussichtliche Lebensdauer des Verpflichteten zu berücksichtigen (BGH,
Urt. v. 02.11.1988 - IVb ZR 7/88, NJW 1989, 524, 525). Da sie im vorhinein
nicht festgestellt werden kann, bietet die durchschnittliche Lebenserwartung
des sich auf § 529 Abs. 2 BGB Berufenden eine verläßliche Entscheidungs-
grundlage. Die durchschnittliche Lebenserwartung wiederum kann unter Her-
anziehung gebräuchlicher Sterbetafeln ermittelt werden.
All diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht Rechnung getragen.
Auch die Revision zeigt nicht auf, daß sie verkannt oder bei ihrer Anwendung
entscheidungserhebliche Rechtsfehler gemacht worden seien. Die Feststellung
des Berufungsgerichts, daß die Beklagte einen 90.000,-- DM übersteigenden
Betrag benötigt, um nach der bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung in der Tatsacheninstanz bestehenden Einkommenslage ihren
künftigen Lebensunterhalt bestreiten zu können, rechtfertigt nach allem die
Klageabweisung. Anders als in Fällen, in denen Vermögenswerte allein für die
künftige Altersversorgung dienen sollen (vgl. hierzu OLG Düsseldorf FamRZ
1984, 887, 888), bestand hier bereits eine aktuelle wirtschaftliche Notlage der
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Beklagten. Nur bei einem Rückgriff auf den Verkaufserlös hätte die Beklagte
sicherstellen können, daß ihr ausreichende Geldmittel zur Bestreitung ihres
Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.
4. An diesem Ergebnis würde sich auch dann nichts ändern, wenn man
zusätzlich das vom Kläger behauptete Geldgeschenk berücksichtigen wollte.
Nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsurteils
könnte es sich dabei höchstens um einen Betrag von 35.000,-- DM handeln.
Zusammen mit dem bereits erörterten Betrag würde sich dann eine Summe von
125.000,-- DM ergeben, die immer noch unter dem liegt, was zur Sicherung
des Unterhaltsbedarfs der Beklagten erforderlich ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Rogge
Jestaedt
Scharen
Mühlens
Meier-Beck