Urteil des BGH vom 20.05.2008

BGH (schaden, eintritt des schadens, mitverschulden, verhandlung, eintragung, anmeldung, daten, erfindung, feststellungsklage, veröffentlichung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 6/06 Verkündet
am:
20. Mai 2008
Wermes
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 20. Mai 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck
und Gröning
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das am 13. Dezember 2005
verkündete Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düs-
seldorf aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückver-
wiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin beauftragte die Beklagte am 5. März 2001 mit der Entwick-
lung einer Tankverschlussmechanik für die Baureihe … (alle Modelle der
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… ) der … AG. Die Parteien hatten zuvor eine "Geheimhal-
tungsvereinbarung" geschlossen, in der es unter anderem heißt:
"I. Mit dem Geheimnisträger soll ein Federrückschlag-Ventil
(nachfolgend Geheimhaltungsgegenstand genannt) für den
K. der … AG entwickelt werden.
II. Für diese Situation verpflichtet sich der Geheimnisträger über
alle Einzelheiten des Geheimhaltungsgegenstandes sowie ü-
ber alle weiteren T. - bzw. … -bezogenen
Informationen und Daten Stillschweigen zu bewahren. … Dies
gilt auch für alle Zweigniederlassungen oder andere Bereiche
der T. GmbH.
Die Rechte an sämtlichen Ergebnissen der Entwicklungsar-
beit, insbesondere Erfindungen und Know-how, die der Ge-
heimnisträger im Rahmen des Entwicklungsauftrages erzielt,
stehen ausschließlich dem Auftraggeber zu und sind nur mit
dessen Zustimmung an Dritte weiterzugeben.
III. Bei Verletzung dieser Geheimhaltungsvereinbarung durch den
Geheimhaltungsträger oder sein Personal übernimmt der Ge-
heimnisträger gegenüber T. die Haftung für den der T.
entstandenen Schaden, ohne die Möglichkeit, gemäß
§ 831 BGB den Entlastungsbeweis anzutreten.
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…"
Am 29. Juni 2001 meldete die Beklagte einen Einfüllstutzen für einen
Treibstofftank mit auf die Bleifreikappe aufgeschweißter Feder als Gebrauchs-
muster an. Die Eintragung erfolgte am 20. September 2001; sie wurde am
25. Oktober 2001 bekannt gemacht.
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Die Klägerin macht geltend, die Gebrauchsmusteranmeldung verstoße
gegen die Geheimhaltungsvereinbarung. Mit ihrer Klage hat sie die Übertra-
gung des Gebrauchsmusters sowie die Feststellung verlangt, dass die Beklagte
ihr allen Schaden zu ersetzen habe, der ihr aus der Offenbarung der Informati-
onen und Daten bezüglich der Entwicklung der Verschlussmechanik für den
K.
der
AG
durch
die
Anmeldung
des
Gebrauchsmusters entstanden ist und noch entstehen wird.
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Das Landgericht hat dieser Klage in vollem Umfang stattgegeben. Gegen
dieses Urteil hat die Beklagte, nur soweit ihre Schadensersatzpflicht festgestellt
worden ist, Berufung eingelegt, die ohne Erfolg geblieben ist. Mit ihrer Revision,
die der Senat zugelassen hat, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsan-
trag weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision.
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1. Das Berufungsgericht hat, dem Landgericht folgend, den Feststel-
lungsantrag für zulässig gehalten. Im gewerblichen Rechtsschutz bestehe ein
Feststellungsinteresse auch dann, wenn der Kläger den ersatzfähigen Schaden
bereits bei Klageerhebung hätte abschließend beziffern können. Dies gelte
auch für den im gewerblichen Rechtsschutz atypischen Fall, in dem die Frage
des Umfangs der Verletzung von Schutzrechten durch den Verletzer keine Rol-
le spiele, sondern die Schadenshöhe allein mit Tatsachen aus der Sphäre des
Verletzten begründet werden solle. Auch dann reiche es vielfach aus, wenn das
Gericht die Verpflichtung des Verletzers dem Grunde nach ausspreche. Es be-
stehe auch ein Interesse der Klägerin an einer alsbaldigen Feststellung im Hin-
blick auf die kurze Verjährungsfrist des § 195 BGB.
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Dies hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Allerdings fehlt nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Feststellungsinteresse
grundsätzlich dann, wenn ein Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung
erreichen kann (BGH, Urt. v. 17.05.2001 - I ZR 189/99, GRUR 2001, 1177 f.
- Feststellungsinteresse II; Urt. v. 15.05.2003 - I ZR 277/00, GRUR 2003, 900,
901 - Feststellungsinteresse III; Urt. v. 04.06.1996 - VI ZR 123/95, NJW 1996,
2725, 2726). Ebenso ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch
anerkannt, dass keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegen-
über der Leistungsklage besteht, eine Feststellungsklage vielmehr trotz der
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Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig ist, wenn die Durchführung
des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaft-
lichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen
Streitpunkte führt (BGH, Urt. v. 17.05.2001, aaO; Urt. v. 04.06.1996, aaO, je-
weils m.w.N. und die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Musie-
lak/Förster, ZPO, 6 Aufl., § 256 Rdn. 18 ff.). Insbesondere ist die Erhebung ei-
ner Feststellungsklage zulässig, wenn die Schadensentwicklung im Zeitpunkt
der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen ist, was hier jedenfalls für den
geltend gemachten im Ausland eingetretenen Schaden zu bejahen ist. Selbst
wenn in einem solchen Fall in der Berufungsinstanz eine Bezifferung möglich
wird, braucht der Kläger nicht auf eine Leistungsklage
überzugehen, die Feststellungsklage bleibt vielmehr zulässig (BGH, Urt. v.
28.09.2005, IV ZR 82/04 - NJW 2006, 439, 440 mit Hinw. auf die st. Rspr.).
2. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin sei mit einer die
Feststellung einer Schadensersatzpflicht rechtfertigenden hinreichenden Wahr-
scheinlichkeit ein Schaden entstanden. Es genüge, dass nach der Lebenserfah-
rung der Eintritt des Schadens mit einiger Sicherheit zu erwarten sei. Es könne
offenbleiben, ob der Klägerin im Ausland hinreichend wahrscheinlich ein ersatz-
fähiger Schaden entstanden sei und ob insoweit die Klägerin ein Mitverschulden
treffe. Ein ersatzfähiger Schaden sei der Klägerin jedenfalls hinreichend wahr-
scheinlich im Inland entstanden. Die Klägerin habe nämlich die Erfindung infol-
ge der Eintragung und Veröffentlichung des Gebrauchsmusters im Inland nicht
ungestört nutzen können. Insoweit treffe die Klägerin auch kein Mitverschulden
an der Entstehung des Schadens; ob hinsichtlich einzelner Schadenspositionen
ein Mitverschulden in Betracht komme, sei nicht zu prüfen, weil das Feststel-
lungsurteil insoweit keine Aussage treffe.
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Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Das Berufungsgericht hat den Schaden, für den die Beklagte einzu-
stehen habe, darin gesehen, dass die Klägerin die Erfindung infolge der Eintra-
gung und Veröffentlichung des Gebrauchsmusters im Inland nicht ungestört
habe nutzen können. Dies ist aber nicht der Schaden, der nach dem dem Wort-
laut des Klageantrags entsprechenden Tenor des vom Berufungsgericht bestä-
tigten landgerichtlichen Urteils zugesprochen worden ist. Festgestellt ist eine
Ersatzpflicht der Beklagten für die der Klägerin aus der Offenbarung der Infor-
mationen und Daten bezüglich der Entwicklung der Verschlussmechanik für den
K.
der
AG
durch
die
Anmeldung
des
Gebrauchsmusters entstandenen Nachteile. Die Rechtsnachteile, die darin be-
stehen, dass die Klägerin die Erfindung infolge der Eintragung und Veröffentli-
chung des Gebrauchsmusters im Inland nicht ungestört nutzen konnte, resultie-
ren daraus, dass die Beklagte sich nach dem Klägervortrag durch die Anmel-
dung und Eintragung des Gebrauchsmusters eine diese Nutzung ausschließen-
de Rechtposition verschafft hat, nicht jedoch aus der Veröffentlichung der der
Gebrauchsmusteranmeldung zugrunde liegenden Lehre. Diese Nachteile sind
daher nicht identisch mit dem im Urteilstenor bezeichneten Schaden, der aus
der Offenbarung von Informationen und Daten durch die Anmeldung des
Gebrauchsmusters entstanden ist.
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Für eine Auslegung des Klageantrags im Sinne der vom Berufungsge-
richt gegebenen Begründung fehlt es an einer tragfähigen Grundlage. Der Kla-
geantrag kann jedenfalls soweit es um den im Ausland entstandenen Schaden
geht, auch bei einem seinem Wortlaut entsprechenden Verständnis durchaus
sinnvoll sein, weil infolge der Offenbarung von Informationen eine Anmeldung
von Schutzrechten nicht mehr möglich ist. Außerdem hat das Landgericht in
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seinem Urteil darauf abgestellt, dass der Eintritt eines Schadens durch die Of-
fenbarung von Informationen entstanden sei. Wäre es der Klägerin nicht um
diesen Schaden gegangen, hätte daher für sie Veranlassung bestanden, den
Antrag entsprechend zu ändern, was jedoch nicht geschehen ist. Unter diesen
Umständen war es insbesondere für den Gegner, der sich gegen den Klagean-
trag verteidigen können muss, nicht ersichtlich, dass der Klageantrag im Sinne
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung zu verstehen war.
b) Das Berufungsgericht hat außerdem nicht geklärt, ob die von der Be-
klagten bewirkte Gebrauchsmusteranmeldung ursächlich dafür war, dass die
Klägerin neue Entwicklungsarbeiten leisten musste. Das Berufungsgericht hat
es für hinreichend wahrscheinlich gehalten, dass die Klägerin mit Aufwand eine
Ersatzlösung habe suchen müssen. Dies genügt nicht für die Begründung der
Kausalität zwischen der vom Berufungsgericht angenommenen Pflichtverlet-
zung der Beklagten und dem Schaden, denn die Beklagte hat vorgetragen, die
den Gegenstand des Gebrauchsmusters bildende Erfindung sei für die …
AG wertlos gewesen, sie habe diese Lösung nicht akzeptiert, son-
dern auf Entwicklung einer anderen Lösung bestanden. Dieses Vorbringen durf-
te das Berufungsgericht nicht unberücksichtigt lassen und es gleichwohl für hin-
reichend wahrscheinlich halten, dass die weiteren Entwicklungsarbeiten durch
die Pflichtverletzung der Beklagten herbeigeführt worden seien. Es hätte viel-
mehr Feststellungen zur Kausalität zwischen der angenommenen Pflichtverlet-
zung der Beklagten und dem im Tenor bezeichneten Schaden der Klägerin tref-
fen müssen.
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Aus diesen Gründen ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache
zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu-
verweisen.
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3. Das Berufungsgericht wird in diesem Zusammenhang auch über das
Mitverschulden der Klägerin neu zu entscheiden haben. Der Urteilstenor um-
fasst ohne Einschränkung allen Schaden, den die Klägerin erlitten hat. Das Be-
rufungsgericht hat sich jedoch, soweit es um den Auslandsschaden geht, der
durch diesen Tenor umfasst wird, nicht mit der Frage des Mitverschuldens aus-
einandergesetzt, sondern diese Frage ausdrücklich offengelassen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Rechtskraft
eines Feststellungsurteils, in dem die Schadensersatzpflicht des in Anspruch
genommenen Schädigers zum Ersatz allen durch das schädigende Ereignis
verursachten Schadens festgestellt worden ist, dazu, dass Einwendungen, die
das Bestehen des festgestellten Anspruchs betreffen und sich auf Tatsachen
stützen, die schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgele-
gen haben, nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Das schließt insbesondere
die Geltendmachung eines Mitverschuldens des Klägers im späteren Verfahren
über die Höhe des Schadens aus. Anders als beim Erlass eines Grundurteils
müssen solche Einwendungen, die den Grund des Schadensersatzanspruchs
betreffen, beim Erlass des Feststellungsurteils beschieden werden (BGH, Urt. v.
10.07.2003 - IX ZR 5/00, NJW 2003, 2986; Urt. v. 13.05.1997 - VI ZR 145/96,
NJW 1997, 3176; Urt. v. 14.06.1988 - VI ZR 279/87, NJW 1989, 105). Gegens-
tand der Feststellung ist die Verpflichtung zum Ersatz aller entstandenen Schä-
den, mithin auch solcher, hinsichtlich derer ein Mitverschulden in Betracht
kommt. Soweit die Verletzung der Schadensminderungspflicht dem Schadens-
ersatzanspruch insgesamt oder zum Teil entgegenstehen könnte, muss des-
halb die beklagte Partei dies gegenüber dem Feststellungsbegehren des Klä-
gers geltend machen, weil dadurch der Grund der Forderung in Frage gestellt
wird. Diesen Gesichtspunkt wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen
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haben, soweit Mitverschulden hinsichtlich einzelner Schadenspositionen des
Inlandsschadens geltend gemacht wird (BGH, Urt. v. 28.06.2005 - VI ZR
108/04, VersR 2005, 1159, 1160).
Melullis Scharen Mühlens
Meier-Beck Gröning
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.07.2004 - 4a O 271/03 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.12.2005 - I-20 U 155/04 -