Urteil des BGH vom 07.02.2013

Nachträglicher Leitsatz

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 486/12
vom
7. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen die Weisungen der Führungsaufsicht
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung am 7. Februar
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 29. März 2012 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, während der Füh-
rungsaufsicht gegen Weisungen verstoßen zu haben, aus Rechtsgründen frei-
gesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der
Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung.
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte mehrfach
vorbestraft, unter anderem wegen Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern.
Zuletzt wurde er wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerem sexuel-
len Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer
Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag
zugrunde, dass der Angeklagte gegen den Widerstand eines zwölf Jahre alten
Jungen an dessen Penis manipuliert und diesen in den Mund genommen hatte.
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Nachdem die Strafvollstreckung am 1. August 2008 erledigt war, stand der An-
geklagte bis zum 31. Juli 2012 unter Führungsaufsicht. Der Beschluss über die
Ausgestaltung der Führungsaufsicht enthielt u.a. die Weisungen, "keinerlei
Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen" und "sich
nicht an Orten, wo sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren
befinden - Kinderspielplätze, Kindergärten, Schulen u.a. - aufzuhalten". Im
Sommer 2009 lernte der Angeklagte eine Frau mit einem damals fünfjährigen
Sohn kennen, zu der er eine freundschaftliche Verbindung aufbaute. Inzwi-
schen ist er mit ihr verlobt. Im Zeitraum von September 2009 bis zum 21. Juni
2010 kam es in mindestens 19 Fällen zu Kontakten zwischen dem Angeklagten
und dem Sohn seiner Freundin, den er teilweise allein beaufsichtigte und mit
dem er auch Spielplätze aufsuchte. Von der Aufnahme der Beziehung zu die-
ser Frau berichtete er nach "einiger Zeit" der Bewährungshelferin als Mitarbeite-
rin der Führungsaufsichtsstelle, die die Vollstreckungsleiterin unterrichtete.
Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht wurden daraufhin nicht ergrif-
fen.
Die Strafkammer ist der Auffassung, eine Bestrafung des Angeklagten
nach § 145a StGB komme nicht in Betracht, da die genannten Weisungen nicht
hinreichend bestimmt seien und ihre Einhaltung dem Angeklagten nicht habe
zugemutet werden können. Dies hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht
stand.
1. Ein in § 145a Satz 1 StGB mit Strafe bedrohter Verstoß gegen eine
Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht liegt vor, wenn der Betroffene das
ihm auferlegte Verhalten nicht oder nicht vollständig erfüllt und dadurch der
Zweck der Maßregel gefährdet wird. Ein solcher Verstoß unterfällt aber nur
dann dem objektiven Tatbestand, wenn die fragliche Weisung hinreichend be-
stimmt ist; denn im Rahmen des § 145a Satz 1 StGB wird das strafbare Verhal-
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ten wesentlich durch den Inhalt der Weisung festgelegt. Dem Bestimmtheitsge-
bot des Art. 103 Abs. 2 GG ist deshalb nur dann Genüge getan, wenn die be-
treffende Weisung eindeutig und so fest umrissen ist, wie dies von dem Tatbe-
stand einer Strafnorm zu verlangen ist. Dem Betroffenen muss mit der Weisung
unmittelbar verdeutlicht werden, welches Tun oder Unterlassen von ihm erwar-
tet wird, so dass er sein Verhalten danach ausrichten kann (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 24. September 2011 - 2 BvR 1165/11, StV 2012, 481 zu Weisun-
gen nach § 56c StGB; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12,
NJW 2013, 710 f.; LK/Roggenbuck, StGB, 12. Aufl., § 145a Rn. 8; aus der
obergerichtlichen Rechtsprechung vgl. etwa OLG München, Beschluss vom
26. März 2009 - 5 St RR 52/09, NStZ 2010, 218 f.; OLG Oldenburg, Beschluss
vom 5. Januar 2009 - 1 Ws 758/08, StV 2009, 542; OLG Hamm, Beschluss
vom 28. September 2010 - III 3 Ws 393/10, NStZ-RR 2011, 141; OLG Dresden,
Beschlüsse vom 12. März 2008 - 2 Ws 125/08, NStZ-RR 2008, 326 f.; vom
27. Oktober 2009 - 2 Ws 509/09, StV 2010, 642 f.). Diesen Anforderungen an
ihre Bestimmtheit werden die genannten Weisungen gerecht.
a) Die Weisung, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter
16 Jahren aufzunehmen, hat ihre gesetzliche Grundlage in § 68b Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 StGB. Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass die verurteilte Person ange-
wiesen werden kann, zu Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Anreiz zu
weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen. Dies ist dahin
zu verstehen, dass es dem Verurteilten untersagt ist, aus eigenem Antrieb und
aktiv einen unmittelbaren Kontakt zu einem Mitglied der Personengruppe her-
zustellen (vgl. BR-Drucks. 256/06 S. 33 f.). Nichts anderes gilt für das Ver-
ständnis der hier vorliegenden, die Terminologie des Gesetzestextes insoweit
wortgleich übernehmenden Weisung. Damit ist dieser das vom Angeklagten
erwartete Verhalten ausreichend deutlich zu entnehmen (vgl. BGH, Beschluss
vom 28. Mai 2008 - 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277). Die ebenfalls in § 68b
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Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB vorgesehene Weisung, mit bestimmten Personen
nicht zu verkehren, d.h. mit ihnen in Fortsetzung der Kontaktaufnahme umzu-
gehen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. November 2007 - 1 Ws 716/07,
juris Rn. 15), ist in dem Beschluss über die Ausgestaltung der Führungsaufsicht
nicht enthalten. Nach alldem folgt aus der hier erteilten Weisung ein Verbot des
Umgangs mit Erwachsenen, die Kinder haben, oder des über diese vermittelten
Verkehrs mit ihren Kindern entgegen der Auffassung der Strafkammer nicht.
b) Auch das auf § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB gestützte Verbot, sich
an Orten, an denen sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren
befinden - Kinderspielplätze, Kindergärten, Schulen u.a. -, aufzuhalten, genügt
den Bestimmtheitsanforderungen. Da eine enumerative Aufzählung aller denk-
baren Orte, die der verurteilten Person Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren
Straftaten bieten können, regelmäßig nicht möglich oder tunlich ist, muss es
grundsätzlich ausreichen, solche Örtlichkeiten, deren Aufsuchen dem Ange-
klagten untersagt werden soll, ihrer Art nach zu bezeichnen (vgl. Fischer, StGB,
60. Aufl., § 68b Rn. 4); denn andernfalls würde § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB
weitgehend leerlaufen. Im vorliegenden Fall sind die betreffenden Orte durch
die beispielhafte Aufzählung bestimmter Plätze zusätzlich eingegrenzt. Hier-
durch wird ausreichend klar, dass lediglich solche Orte gemeint sind, an denen
sich nach ihrer Zweckbestimmung Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren
typischerweise aufhalten. Der Angeklagte kann als Adressat der Weisung die-
ser deshalb mit genügender Sicherheit entnehmen, welche Örtlichkeiten er zu
meiden hat (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 2008 - 2 BvR
160/08, NJW 2008, 2493; BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 - 1 StR 243/08,
NStZ-RR 2008, 277 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. November 2007
- 1 Ws 716/07).
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2. Entgegen der Meinung des Landgerichts waren die erteilten Weisun-
gen auch nicht gemäß § 68b Abs. 3 StGB deshalb unzulässig, weil ihre Einhal-
tung dem Angeklagten nicht zumutbar war. Dies ist etwa der Fall bei Weisun-
gen, die gegen uneinschränkbare Grundrechte verstoßen oder sonst einen un-
zumutbaren Eingriff in die Lebensführung des Verurteilten enthalten (vgl.
Fischer aaO § 56c Rn. 2a f.; LK/Roggenbuck aaO § 145a Rn. 10). Bei den hier
in Rede stehenden Beschränkungen für den Angeklagten, wie sie sich bei dem
aufgezeigten, zutreffendem Verständnis des Inhalts der Weisungen ergeben,
kommt dies ersichtlich nicht in Betracht (vgl. BVerfG aaO). Die dem entgegen
stehenden Bedenken des Landgerichts, dem Angeklagten sei es bei Einhaltung
der Weisungen nicht möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen, beru-
hen offensichtlich wesentlich auf der rechtsfehlerhaften Bestimmung des sach-
lichen Gehalts der Weisungen durch die Strafkammer, die diesen zu weitrei-
chende Verbote entnommen hat.
3. Auf der rechtsfehlerhaften Bewertung der Weisungen durch die Straf-
kammer beruht das Urteil auch. Zwar legen die Feststellungen es nahe, dass
der Angeklagte mit dem Sohn seiner Freundin nur mittelbar über sie in Kontakt
gekommen ist und er mit diesem im Weiteren verkehrt hat. Allein dieses Ver-
halten war ihm durch die betreffenden Weisungen nicht untersagt. Auch dass
er das Kind in Absprache mit der Mutter allein beaufsichtigt hat, stellt in diesem
Zusammenhang nur einen von den Weisungen nicht untersagten Umgang mit
dem Kind dar. Es ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass die Strafkammer
bei rechtsfehlerfreiem Verständnis der Weisung weitere Feststellungen hätte
treffen können, die den Tatbestand des § 145a Satz 1 StGB erfüllen. So sind
insbesondere die näheren Umstände der Spielplatzbesuche nicht dargetan. Der
Senat kann somit auch nicht prüfen, ob die in diesem Zusammenhang unter
Umständen gegebenen Weisungsverstöße geeignet waren, den Zweck der
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Maßregel zu gefährden. Die Sache bedarf deshalb insgesamt erneuter tatge-
richtlicher Prüfung und Entscheidung.
Schäfer
Pfister
Hubert
Mayer
Spaniol