Urteil des BGH vom 28.05.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 126/07 Verkündet
am:
28. Mai 2008
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 577, 577a
Die für die Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnräumen gel-
tenden Bestimmungen der §§ 577, 577a BGB (Vorkaufsrecht des Mieters, Kündi-
gungsbeschränkungen zu Lasten des Erwerbers) finden auf die Realteilung eines mit
zu Wohnzwecken vermieteten Einfamilienhäusern bebauten Grundstücks entspre-
chende Anwendung.
BGH, Urteil vom 28. Mai 2008 - VIII ZR 126/07 - LG Berlin
AG
Berlin-Schöneberg
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Wolst,
die Richterinnen Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der Zivilkam-
mer 63 des Landgerichts Berlin vom 23. Februar 2007 aufgehoben
und das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 30. Mai 2006
abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Klägerin für den Fall des erstmaligen
Verkaufs des Reihenhauses Z. Straße in B. vor-
kaufsberechtigt ist und dass die Klägerin für den Fall des Verkaufs
des Reihenhauses Z. Straße in B. Kündigungs-
schutz nach Maßgabe des § 577a BGB genießt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
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Die Klägerin ist Wohnraummieterin des Reihenhauses Z.
Straße in B. . Eigentümer der dortigen Reihenhaussiedlung ("L.
Siedlung") war bei Abschluss des Mietvertrages das Land B. , später die
G. -Bau AG, die kurzzeitig die Aufteilung der Siedlung in Wohnungseigen-
tum beabsichtigte. Seit 4. März 2005 ist die Beklagte Eigentümerin der ungeteil-
ten Grundstücke der "L. Siedlung". Im Verlaufe des Jahres 2005 zeigte die
Klägerin Interesse am Kauf des von ihr bewohnten Reihenhauses. Entspre-
chende Gespräche wurden nicht fortgesetzt, da die Beklagte Kontakt mit einem
Kapitalanleger aufgenommen hatte. Die Beklagte möchte die "L. Siedlung"
in Einzelgrundstücke real aufteilen. Im Hinblick darauf hat die Klägerin Klage
auf Feststellung erhoben, dass ihr an dem von ihr bewohnten Reihenhaus ein
Vorkaufsrecht nach § 577 BGB zustehe und dass sie im Falle eines Verkaufs
Kündigungsschutz nach § 577a BGB genieße.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Be-
rufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revisi-
on verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts
Bezug genommen. Danach ist das Klagebegehren zulässig, aber unbegründet.
Der Klägerin stehe auch nach Aufteilung in Realeigentum und Veräußerung des
Grundstücks weder ein Vorkaufsrecht noch ein besonderer Kündigungsschutz
zu. Die Vorschriften der §§ 577, 577a BGB seien nicht unmittelbar anwendbar,
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weil nach der Überlassung (Vermietung) des Reihenhauses weder Wohnungs-
eigentum begründet worden noch dies beabsichtigt sei. Auch eine entspre-
chende Anwendung der Vorschriften komme nicht in Betracht. Eine ausfül-
lungsbedürftige Gesetzeslücke, die Voraussetzung für eine analoge Anwen-
dung der Vorschriften wäre, liege nicht vor; auch sei bei Reform des früheren
§ 570b BGB eine Korrektur durch den Gesetzgeber in diesem Punkt nicht vor-
genommen worden.
II.
Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings von der Zulässigkeit der
Feststellungsanträge ausgegangen. Angesichts der beabsichtigten Realteilung
der "L. Siedlung" und der von der Beklagten aufgenommenen Verkaufsge-
spräche mit einem Investor hat die Klägerin ein rechtliches Interesse (§ 256
ZPO) an der Feststellung des von ihr behaupteten Vorkaufsrechts und beson-
deren Kündigungsschutzes.
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2. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass eine direkte
Anwendung der §§ 577, 577a BGB ausscheidet, weil die genannten Vorschrif-
ten die Begründung von Wohnungseigentum voraussetzen, die von der Beklag-
ten nicht beabsichtigt ist. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber eine ent-
sprechende Anwendung der Vorschriften verneint.
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a) Voraussetzung einer entsprechenden Anwendung einer Vorschrift ist
eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Geset-
zes. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, die im Wege der Analogie ausge-
füllt werden kann, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde lie-
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genden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an
seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein (vgl. insgesamt BGHZ
149, 165, 174 m.w.N.). Das ist hier der Fall.
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Durch §§ 570b, 564b BGB aF sind das bereits im Bereich des sozialen
Wohnungsbaus bestehende Vorkaufsrecht und der besondere Kündigungs-
schutz des Mieters einer in Wohneigentum umgewandelten Wohnung auf den
nicht geförderten oder bindungsfrei gewordenen Bestand ausgedehnt worden.
Der Gesetzgeber hat dies damit begründet, dass der Schutz des Mieters vor
einer Verdrängung im Zusammenhang mit einer Umwandlung bei frei finanzier-
tem Wohnungsbau nicht weniger dringlich ist als bei Sozialwohnungen (BT-Drs.
12/3254, S. 40). Mit den §§ 577, 577a BGB ist im Zuge der Mietrechtsreform im
Jahre 2001 die bis dahin geltende Regelung - unter Erweiterung des Kreises
der begünstigten Personen - im Wesentlichen übernommen worden. Aus den
Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber
dabei bedacht hat, dass vermietete Reihenhäuser eines Gesamtgrundstücks
nicht nur in Eigentumswohnungen umgewandelt, sondern auch durch Realtei-
lung des Gesamtgrundstücks in einzelne selbständige Grundstücke aufgeteilt
werden können. Es kann daher nicht angenommen werden, der Gesetzgeber
habe den Mieter zwar bei Umwandlung in Wohnungseigentum schützen wollen,
bewusst aber nicht bei realer Teilung eines Gesamtgrundstücks.
b) Die Interessenlage ist in beiden Fällen der Rechtsänderung (Umwand-
lung in Wohnungseigentum einerseits, Realteilung eines Grundstücks anderer-
seits) im Wesentlichen gleich. Aus der Sicht des Mieters macht es keinen Un-
terschied, ob das von ihm gemietete Reihenhaus in Wohnungseigentum umge-
wandelt oder durch reale Teilung Bestandteil eines selbständigen Grundstücks
wird. In beiden Fällen steht dem Mieter nach einem Verkauf ein neuer Vermie-
ter gegenüber, der sich - soweit die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind -
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auf Eigenbedarf berufen könnte. Auch das Interesse des Mieters, durch Aus-
übung eines Vorkaufsrechts selbst Eigentümer zu werden, ist im Falle einer
Realteilung nicht geringer als im Falle einer Umwandlung in Wohnungseigen-
tum. Interessen des Eigentümers eines Gesamtgrundstücks rechtfertigen kein
anderes Ergebnis. Zwar sind Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszule-
gen; auch wird durch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der
§§ 577, 577a BGB das Eigentumsrecht des Vermieters berührt. Der Gesetzge-
ber hat indessen für den Fall der Umwandlung vermieteten Wohnraums in
Wohnungseigentum mit der Schaffung der Schutzbestimmungen der §§ 577,
577a BGB den Interessen des Mieters Vorrang eingeräumt. Sachliche Gründe,
die dafür sprechen könnten, dass Mieter diesen Schutz nicht genießen sollten,
sofern nicht eine Umwandlung in Wohnungseigentum erfolgt, sondern durch
Teilung selbstständige Grundstücke gebildet werden, sind nicht zu erkennen.
III.
Nach den vorstehenden Ausführungen kann das Berufungsurteil keinen
Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist zur Endentscheidung
reif, da es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf (§ 563 Abs. 3
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ZPO). Die von der Klägerin begehrten Feststellungen sind in Abänderung des
amtsgerichtlichen Urteils zu treffen.
Ball
Dr. Wolst
Hermanns
Dr. Milger
Dr. Hessel
Vorinstanzen:
AG Berlin-Schöneberg, Entscheidung vom 30.05.2006 - 4 C 5/06 -
LG Berlin, Entscheidung vom 23.02.2007 - 63 S 287/06 -