Urteil des BGH vom 09.02.2006

BGH (bundesrepublik deutschland, innere sicherheit, stpo, untersuchungshaft, deutschland, geheimdienst, druckerei, fortdauer, sicherheit, interesse)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AK 1/06
vom
9. Februar 2006
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers am 9. Februar
2006 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-
richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesge-
richt München übertragen.
Gründe:
Der Angeschuldigte befindet sich aufgrund Haftbefehls des Ermittlungs-
richters des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2005 seit dem 7. Juli 2005 wegen
des dringenden Verdachts der Beihilfe zum Mord an dem kroatischen Exilpoliti-
ker D. in Untersuchungshaft.
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1. Nach den Ermittlungen wurde D. , der zu den führenden Köp-
fen der kroatischen Emigration gehörte und von Deutschland aus gegen die
jugoslawische Regierung opponierte, am 28. Juli 1983 im Auftrag des jugosla-
wischen Geheimdienstes SDB, für den der Angeschuldigte als Informant tätig
war, getötet.
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Die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs nach
§ 169 StPO ist gegeben, da die Voraussetzungen für die Übernahme der Ver-
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folgung des Falles durch den Generalbundesanwalt nach § 120 Abs. 2 Nr. 3 a
GVG vorliegen. Mit diesem Mordanschlag, an dem sich der Angeschuldigte be-
teiligt hat, hat der Geheimdienst eines ausländischen Staates auf dem Boden
der Bundesrepublik Deutschland einen Menschen, der hier Zuflucht gesucht
hatte, verfolgt und getötet. Damit wurde die Souveränität des deutschen Staa-
tes verletzt. Diese Tat, die Teil einer entsprechenden Serie von Mordanschlä-
gen war, hat zugleich die innere Sicherheit der Bundesrepublik beeinträchtigt.
Aus diesen Umständen ergibt sich auch die besondere Bedeutung des Falles,
die die Übernahme durch den Generalbundesanwalt geboten hat. Diese beson-
dere Bedeutung ist heute noch gegeben, obgleich der jugoslawische Staat und
sein Geheimdienst nicht mehr existieren. Denn es liegt im generellen Interesse
der Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat gegenüber auswärtigen Re-
gierungen und deren Diensten deutlich zu machen, dass solchen schwerwie-
genden Souveränitätsverletzungen und Gefährdungen der inneren Sicherheit
mit Nachdruck entgegen getreten wird. Es kommt hinzu, dass der Balkankonflikt
noch nicht völlig geklärt ist und neben anderen Staaten auch die Bundesrepu-
blik Deutschland eine verantwortliche Rolle zur Befriedung der Region und zur
Lösung der dortigen politischen Schwierigkeiten übernommen hat. Daher liegt
es auch im besonderen außenpolitischen Interesse, bei der Aufarbeitung von
Unrechtstaten der früheren jugoslawischen Regierung effektiv mitzuwirken.
2. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über
sechs Monate hinaus liegen vor.
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Der Angeschuldigte ist dringend verdächtig, vor der Mordtat seinem ge-
heimdienstlichen Führungsoffizier P. in Brüssel oder Luxemburg
einen auf dessen Veranlassung angefertigten Nachschlüssel zu dem Eingangs-
tor der Druckerei in W. , dem späteren Tatort, übergeben zu ha-
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ben. Dabei hat er gewusst, dass der SDB D. aus politischen Gründen
zeitnah töten lassen wird und er durch die Übergabe des Schlüssels den Tätern
den ungehinderten und unbemerkten Zugang zu der Druckerei ermöglichte.
Zudem hat er den SDB darüber informiert, dass das Opfer am Vormittag des
Tattages in der Druckerei anwesend sein wird.
Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Einlassungen des Ange-
schuldigten sowie den Angaben der Zeugen V. und Da. , die
durch den Bericht des Untersuchungsrates des kroatischen Parlaments vom
September 1999 zur Ermordung zahlreicher kroatischer Emigranten - u. a. auch
des D. - durch den jugoslawischen Geheimdienst bestätigt wer-
den. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift des Generalbundes-
anwalts vom 30. November 2005 Bezug genommen.
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3. Aus den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters vom 6. Juli 2005 ge-
nannten Gründen, auf die insofern Bezug genommen wird, besteht der Haft-
grund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Haftgrund der
Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).
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4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über
sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwie-
rigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben das Urteil noch nicht
zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Haft. Die Vernehmung von Aus-
landszeugen sowie die Übersetzung vieler fremdsprachiger Schriftstücke waren
außergewöhnlich zeitaufwändig. Hinzu kam die Auswertung zahlreicher weiterer
Unterlagen, wie etwa mehrerer Stehordner mit Wortprotokollen und umfangrei-
cher Akten aus anderen Verfahren. Nach Durchführung der notwendigen Ermitt-
lungshandlungen hat das Bayerische Landeskriminalamt deren Ergebnisse am
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20. Oktober 2005 vorgelegt. Unter dem 30. November 2005 hat der General-
bundesanwalt Anklage zum Oberlandesgericht München erhoben. Daraus er-
gibt sich, dass das Ermittlungsverfahren mit der in Haftsachen gebotenen Be-
schleunigung betrieben wurde. Gleiches gilt für das Zwischenverfahren: Das
Oberlandesgericht hat bereits mit Verfügung vom 7. Dezember 2005 - unter
Fristsetzung gemäß § 201 Abs. 1 StPO bis zum 16. Januar 2006 - die Zustel-
lung der Anklageschrift an den Verteidiger und deren Mitteilung an den Ange-
schuldigten verfügt.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung
der Sache und der im Falle einer Verurteilung für den Angeschuldigten zu er-
wartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
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Tolksdorf Winkler Hubert