Urteil des BGH vom 14.12.2005

BGH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, zpo, ablauf der frist, stand, wiedereinsetzung, verschulden, partei, begründung, frist, sache)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 138/05
vom
14. Dezember 2005
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Kayser, Vill und Dr. Detlev Fischer
am 14. Dezember 2005
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand nach Versäumung der Fristen für die Einlegung und die Be-
gründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember 2004 wird
auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3.386,68 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Das Urteil des Amtsgerichts ist dem Kläger am 27. Juli 2004 zugestellt
worden. Hiergegen hat der Kläger am 13. September 2004 Berufung eingelegt
und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Einlegungs-
frist beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht mit dem angefochtenen Be-
schluss zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Be-
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schluss ist dem Kläger am 30. Dezember 2004 zugestellt worden. Daraufhin hat
der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 13. Januar 2005 beim Landgericht
eine Gehörsrüge gemäß § 321a ZPO angebracht. Der Hinweis des Landge-
richts auf das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde vom 4. Februar 2005 ist dem
Kläger am 2. März 2005 zugestellt worden. Am 15. März 2005 hat der Kläger
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Fristen für die
Einlegung und die Begründung der Rechtsbeschwerde beantragt und die Einle-
gung dieses Rechtsmittels nachgeholt; am 4. April 2005 hat er die Rechtsbe-
schwerde begründet.
II.
Dem Kläger kann die von ihm begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand nicht gewährt werden. Er hat nicht ohne Verschulden die Fristen für die
Einlegung und die Begründung der Rechtsbeschwerde versäumt (§ 233 ZPO).
Vielmehr muss er sich das Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozessbe-
vollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
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1. Dessen Verschulden liegt darin, innerhalb der Rechtsbeschwerdeein-
legungs- und -begründungsfrist lediglich eine - gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 ZPO unzulässige (BT-Drucks. 15/3706 S. 15; Treber NJW 2005, 97, 99;
so schon BGH, Urt. v. 5. November 2003 - VIII ZR 10/03, NJW 2004, 1598 f; v.
13. Dezember 2004 - II ZR 249/03, WM 2005, 343, 344 zu § 321a Abs. 1 Nr. 1
ZPO a.F.) - Gehörsrüge erhoben zu haben; die Fristen des § 575 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Satz 1 ZPO ließ er ungenutzt verstreichen.
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2. Zwar schließt nur ein für die Versäumung der Frist ursächliches Ver-
schulden die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Zöller/Greger, ZPO
25. Aufl. § 233 Rn. 22). Entgegen der Auffassung des Klägers entfällt hier die
Ursächlichkeit aber nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts.
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a) Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf die Rechtsprechung in Fällen, in
denen die Rechtsmittelschrift an das vorbefasste, unzuständige Gericht adres-
siert war. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren ist, wenn zwischen dem Eingang beim unzuständigen Ge-
richt und dem Fristablauf eine Zeitspanne liegt, während der das Gericht den
Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang unter Fristwahrung an das zuständi-
ge Gericht hätte weiterleiten können (BVerfGE 93, 99, 112 ff; BVerfG NJW
2005, 2137, 2138; BGHZ 151, 42, 44; BGH, Urt. v. 1. Dezember 1997 - II ZR
85/97, NJW 1998, 908 f). So liegt der Fall hier indes nicht. Der zweitinstanzliche
Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nicht eine Rechtsbeschwerde gegen
den angefochtenen Beschluss beim Landgericht eingelegt (und begründet). Die
von ihm erhobene Gehörsrüge war vielmehr an den judex a quo zu richten
(§ 321a Abs. 2 Satz 4 ZPO). Dieser Rechtsbehelf war nur wegen der in § 321a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO angeordneten Subsidiarität unzulässig. Seine Weiter-
leitung an den Bundesgerichtshof stand daher nicht in Frage. Dem und einer
Umdeutung in eine Rechtsbeschwerde stand zudem die fehlende Postulations-
fähigkeit des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers entgegen
(§ 78 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
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b) Lediglich hilfsweise beruft der Kläger sich darauf, das Landgericht hät-
te den ihm später erteilten Hinweis noch vor dem 31. Januar 2005 - dem Tag
des Ablaufs der Rechtsmitteleinlegungs- und -begründungsfrist (Montag) - per
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Telefax erteilen müssen, auch dies jedoch zu Unrecht. Nach der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts besteht für ein im vorausgegangenen
Rechtszug mit der Sache befasst gewesenes Gericht keine Verpflichtung, die
Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Einlegungsfrist durch
Telefonat oder Telefax von der Einreichung einer Berufung beim unzuständigen
Gericht zu unterrichten (BVerfG NJW 2001, 1343; Zöller/Greger, aaO § 233
Rn. 22b). Ein Tätigwerden des Gerichts kann stets nur im Zuge des ordentli-
chen Geschäftsgangs erwartet werden (BVerfGE 93, 99, 115).
Das Berufungsgericht war daher - entgegen der Auffassung der Rechts-
beschwerde – auch nicht verpflichtet, vor Ablauf der Monatsfrist zu prüfen, ob
der Prozessbevollmächtigte des Klägers unabhängig von der von ihm eingeleg-
ten Gehörsrüge rechtzeitig für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde beim
Bundesgerichtshof durch einen bei diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt
Sorge getragen hat. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz sind der ge-
richtlichen Fürsorgepflicht Grenzen gesetzt (BGH, Beschl. v. 15. Juni 2004
- VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364). Nur unter besonderen Umständen kann ein
Gericht gehalten sein, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei ent-
gegenzuwirken. So darf es nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei
Rechtsnachteile erleidet. Der Kläger hat jedoch schon nicht dargelegt, dass das
Berufungsgericht das dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des
Klägers unterlaufene Versehen vor Ablauf der Frist bemerkt hat; ausweislich
der Akten war das nicht der Fall. Dies in der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO darzu-
legen ist jedoch Sache der Partei (vgl. Zöller/Greger, aaO). Der Kläger könnte
sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass eine dahin ge-
hende Prüfung zeitnah mit dem Eingang der Gehörsrüge zu erfolgen gehabt
hätte. Im Hinblick auf den übrigen Geschäftsanfall ist es nicht zu beanstanden,
wenn der Richter erst bei der Bearbeitung des Falles und damit nach Ablauf der
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Fristen die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs, hier der Gehörsrüge gemäß § 321a
ZPO, überprüft (BGH, Beschl. v. 15. Juni 2004, aaO).
III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2
Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde war gemäß § 577 Abs. 1 Satz 2 ZPO
als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat die Fristen zu ihrer Einlegung
(§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und Begründung (§ 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO) ver-
säumt.
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Dr.
Gero
Fischer
Dr.
Ganter
Kayser
Vill
Dr.
Detlev
Fischer
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 15.07.2004 - 29 C 438/02-81 -
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 21.12.2004 - 2/1 S 172/04 -