Urteil des BGH vom 07.02.2006

BGH (kaufpreis, höhe, vorbehalt, stand der technik, klage auf zahlung, treu und glauben, betrag, stadt, vereinbarung, wert)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
KZR 24/04 Verkündet
am:
7.
Februar
2006
Walz
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 133 B, 154, 157 D, Ge, 433
Rückforderungsvorbehalt
a) Wird bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Kaufvertrages keine
Einigung über die Höhe des Kaufpreises erzielt, so kommt - vorbehaltlich
eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts - ein Kaufvertrag wegen die-
ses Einigungsmangels nicht wirksam zustande. Für eine Bestimmung des
Kaufpreises durch ergänzende Vertragsauslegung ist dann kein Raum.
b) Beugt sich der Käufer, obwohl er den geforderten Kaufpreis für überhöht hält,
den Preisvorstellungen des Verkäufers, um das Zustandekommen des Kaufs
nicht zu gefährden, und behält er sich vertraglich vor, die Angemessenheit
des Kaufpreises gerichtlich überprüfen zu lassen und das zuviel Gezahlte zu-
rückzufordern, so kommt der Kauf - wenn auch unter Vorbehalt - zu dem vom
Verkäufer geforderten Kaufpreis zustande.
BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - KZR 24/04 - OLG Düsseldorf
LG Dortmund
- 2 -
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 7. Februar 2006 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch und die Richter Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum und
Dr. Strohn
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil
des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Juni
2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Beru-
fungsgericht der Klage stattgegeben und als es die Klage in Höhe
eines Betrages von mehr als 15.341.028,62 € (30.004.444 DM)
nebst den hierauf entfallenden Zinsen abgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die klagende Stadtwerke GmbH fordert von der Beklagten, einem regio-
nalen Stromversorgungsunternehmen, Rückzahlung des größten Teils des Ent-
gelts, das sie aufgrund einer Vereinbarung vom 28. Dezember 1994 für die
1
- 3 -
Übertragung der in der Gemeinde L. bestehenden Stromversorgungsan-
lagen unter dem Vorbehalt der Rückforderung an die Beklagte gezahlt hat.
2
Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerinnen (fortan zumeist nur: Beklag-
te) führten seit dem Jahr 1913 die Stromversorgung in der Stadt L.
durch. Grundlage der Versorgung war zuletzt ein im Jahr 1973 geschlossener
Konzessionsvertrag mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2008. Dieser Ver-
trag sah für eine Übernahme des Versorgungsnetzes durch die Gemeinde fol-
gende Regelung vor:
§ 12
Endschaftsbestimmungen
1. Kündigt die Gemeinde, so ist sie auf Verlangen der V. [Rechtsvorgängerin der
Beklagten] verpflichtet, mit Ablauf des Vertrages das innerhalb des Konzessionsge-
bietes dann vorhandene Niederspannungsnetz der V. mit allen Hausanschlüssen,
Zählern und Zubehöranlagen sowie alle diejenigen Ortsnetzstationen, welche aus-
schließlich der Versorgung des Konzessionsgebietes dienen, käuflich zu erwerben.
Als Kaufpreis gilt der für den Tag der Übernahme zu ermittelnde Wiederbeschaf-
fungswert unter Berücksichtigung des Alters und des Zustandes der Anlagen.
2. …
Ähnlich gefasste Verträge bestanden zwischen der Beklagten und einer
Reihe früher selbständiger Gemeinden, die im Jahr 1975 im Zuge einer Verwal-
tungsreform in die Stadt L. eingegliedert wurden.
3
Hinsichtlich der Straßenbeleuchtung unterhielt die Beklagte mit der Stadt
L. sowie mit den früher selbständigen Gemeinden Sonderverträge, wel-
che auf die Stromkonzessionsverträge Bezug nahmen.
4
Der Konzessionsvertrag aus dem Jahr 1973 endete vorzeitig zum
1. Januar 1995, da im Zuge der Vierten Kartellrechtsnovelle durch § 103 a
5
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Abs. 4 GWB (a.F.) die kartellrechtliche Freistellung von Versorgungsverträgen
nach § 103 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB (a.F.) aufgehoben und die Geltungsdauer
von Verträgen über die Versorgung mit Elektrizität oder Gas auf zwanzig Jahre
begrenzt worden war. Die Klägerin, die sich im vollständigen Anteilsbesitz der
Stadt L. befindet, entschloss sich daraufhin, das Stromversorgungsnetz
nebst den Straßenbeleuchtungsanlagen, den sogenannten 110-kV-Stationen
und den zugehörigen Grundstücken sowie Rechten an Grundstücken in der
Stadt L. von der Beklagten käuflich zu erwerben, um das Stromnetz und
diese Anlagen künftig selbst zu betreiben.
In einer zu diesem Zweck getroffenen und am 28. Dezember 1994 nota-
riell beurkundeten "Abwicklungsvereinbarung" erklärten die Parteien:
6
Die Abwicklungsvereinbarung ist der Kaufvertrag für die Übertragung der Mobilien und
Immobilien für die Stromversorgung in L..
Die Mittel- und die Niederspannungsanlagen werden gemäß den Endschaftsbestim-
mungen der Konzessionsverträge verkauft und übertragen.
Unter anderem wurde ferner vereinbart:
1 Übertragung der Mittel- und Niederspannungsanlagen
Die Mittel- und Niederspannungsanlagen werden gemäß den Endschaftbestimmun-
gen der zwischen der Stadt L. und V. für die städtischen Gebietsteile be-
stehenden Strom-Konzessionsverträge von V. auf die Stadtwerke übertragen. …
2 Verkauf von Anlagen der 110-kV-Stationen
Im Rahmen des Wechsels der Versorgungszuständigkeit werden Anlagen der
110-kV-Stationen L. und W. von V. an die Stadtwerke verkauft. Das
technische Mengengerüst der zu übertragenden Anlagen, … der Kaufpreis und die
näheren Einzelheiten der Übertragung, worüber sich die Vertragsparteien einig sind,
ergeben sich aus Anlage 2 (110-kV-Kaufvertrag). …
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4 Kaufpreis
Die V. haben zur Feststellung ihrer Kaufpreisforderung die B.
mit der Ermittlung des Sachzeitwer-
tes der Mittel- und Niederspannungsanlagen im V.-Versorgungsgebiet der Stadt
L. gemäß den Endschaftsbestimmungen der Strom-Konzessionsverträge mit
der Stadt L. beauftragt.
B. erstattete ein den Stadtwerken vorliegendes Gutachten vom 10.5.94 mit einem
Sachzeitwert (31.12.1992) von 81,131 Mio. DM. V. fordert diesen Betrag als
Kaufpreis für diese Anlagen. Die endgültige Höhe des Kaufpreises für die Mittel- und
Niederspannungsanlagen ist noch durch Fortschreibung des o.a. Gutachtens auf
den 31.12.1994 zu ermitteln.
Hinzu kommt die Umsatzsteuer bzw. die Grunderwerbssteuer.
Nach Auffassung der Stadtwerke, die sich auf das Gutachten Dr. R. vom
15.2.1994 stützen, ist der Kaufpreis wesentlich niedriger anzusetzen.
Die nicht aufgelösten Anschlusskostenbeiträge von 6,189
Mio.
DM (Stand
31.12.1993, Wertstand 31.12.1994) - sie sind zu gegebener Zeit noch um den nicht
aufgelösten Anteil der Anschlusskostenbeiträge des Jahres 1994 zu ergänzen -
werden im Rahmen des Verkaufs der Versorgungsanlagen von V. auf die Stadt-
werke übertragen und mit dem vorgenannten Kaufpreis verrechnet.
5 Vorbehalt zur Zahlung des Kaufpreises
Den Kaufpreis für die Mittel- und Niederspannungsanlagen gemäß Ziffer 4 zahlen
die Stadtwerke am 2.1.1995 und den sich durch Fortschreibung des Gutachtens auf
den 31.12.1994 ergebenden Mehrbetrag unverzüglich nach Rechnungslegung an
V.. Gleichzeitig werden die nicht aufgelösten Anschlusskostenbeiträge gemäß Zif-
fer 4 von V. auf die Stadtwerke übertragen.
Die Stadtwerke sind der Auffassung, dass die Vereinbarung in § 12 Ziffer 1 der
Strom-Konzessionsverträge über die Zahlung des Sachzeitwertes rechtsunwirksam
ist, dass Hausanschlüsse bei der Ermittlung des Sachzeitwertes nicht zu berücksich-
tigen sind und dass der von der B. ermittelte Sachzeit-
wert zu hoch ist. Die Stadtwerke zahlen daher den von V. geforderten Kaufpreis
unter dem Vorbehalt, dass ihnen nachträglich die Möglichkeit verbleibt, einen gege-
benenfalls zuviel gezahlten Betrag im Wege der Bereicherungsklage bis spätestens
31.12.1996 von V. zurückzufordern. Mit diesem Vorbehalt soll der Eintritt der
Rechtsfolge des § 814 BGB verhindert werden.
6 Übertragung der Mittel- und Niederspannungsanlagen und der Anlagen der
110-kV-Stationen
V. werden unter den Voraussetzungen der Ziffern 3 bis 5 die in Anlage 1a enthal-
tenen Mittel- und Niederspannungsanlagen und die in Anlage 2 enthaltenen Anlagen
der 110-kV-Stationen zum 1.1.1995 an die Stadtwerke übereignen und übergeben.
- 6 -
Die Übereignung und Übergabe der Anlagen der 110-kV-Stationen setzt des weite-
ren die Bezahlung des hierfür vereinbarten Kaufpreises voraus.
Im Vorfeld der Abwicklungsvereinbarung vom 28. Dezember 1994 sowie
danach ließen die Parteien die Anlagen des Stromversorgungsnetzes, die Stra-
ßenbeleuchtungsanlagen und Grundstücke zum Zwecke einer Kaufpreisbe-
stimmung durch privat beauftragte Sachverständige bewerten, die aufgrund
unterschiedlicher Bewertungsansätze und -methoden zu stark abweichenden
Ergebnissen kamen. Die von der Beklagten beauftragte B.
(B.) legte der Bewertung, wie von der Beklagten
gefordert, den Sachzeitwert der Versorgungsanlagen zugrunde, während der
von der Klägerin beauftragte Wirtschaftsprüfer Dr. R. von dem sehr viel
geringeren Anschaffungskostenrestwert ausging, den die Klägerin für maßgeb-
lich hält. Die Klägerin wendet sich ferner dagegen, dass bei der Bewertung
durch die B. Hausanschlussbeiträge und Baukostenzuschüsse unberücksich-
tigt geblieben und dass für bereits abgeschriebene Anlagen so genannte Anhal-
tewerte angesetzt worden seien. Sie beanstandet außerdem die für Tiefbau-
arbeiten angesetzten Preise und Gemeinkosten und verlangt Wertabschläge
dafür, dass die übernommenen Anlagen teilweise nicht den bei der Übergabe
geltenden technischen Normen und Sicherheitsbestimmungen genügt hätten.
Schließlich vertritt sie die Auffassung, eine Kaufpreisermittlung nach Sachzeit-
werten sei kartellrechtswidrig, weil sie geeignet sei, den Wettbewerb um Ver-
sorgungsgebiete zu verhindern, und halte darüber hinaus auch einer Inhalts-
kontrolle nach § 9 AGBG (jetzt § 307 BGB) nicht stand.
7
Die Klägerin hat, ausgehend von der Bewertung der Versorgungsanla-
gen durch den Wirtschaftsprüfer Dr. R. mit 17.667.000 DM und einem von
ihr gezahlten Kaufpreis von 74.943.000 DM, unter Einbeziehung weiterer, zwi-
schenzeitlich erledigter Beträge eine Überzahlung in Höhe von 55.076.000 DM
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- 7 -
errechnet und Klage auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen erhoben. Die
Beklagte hat der Klägerin am 10. Juli 1996 unter Fortschreibung des Wertgut-
achtens der B. auf den 31.
Dezember 1994 einen Teilbetrag von
1.271.909 DM erstattet; insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit überein-
stimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Das Landgericht hat die auf
Zahlung des danach verbleibenden Betrages gerichtete Klage abgewiesen. Das
Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 19.403.015 DM (9.920.604 €) stattgege-
ben; die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen (OLG
Düsseldorf ZNER 2004, 291). Mit der vom Senat zugelassenen Revision ver-
folgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin hat nur in
Höhe eines Teilbetrages von 7.130.294 DM (3.645.661,40 €) - der Summe der
Hausanschlussbeiträge und Baukostenzuschüsse, um die der Übernahmepreis
nach Ansicht der Klägerin hätte gekürzt werden müssen - Beschwerde gegen
die Nichtzulassung der Revision erhoben und diese in zweiter Linie damit be-
gründet, das Berufungsgericht habe bei der Berechnung des überzahlten Be-
trages den von ihr für die Übertragung der 110-kV-Stationen zusätzlich gezahl-
ten Kaufpreis von 4.396.632 DM (2.247.962,25 €) zu Unrecht nicht berücksich-
tigt. Der Senat hat der Beschwerde nur in dem zuletzt genannten Umfang statt-
gegeben; insoweit verfolgt die Klägerin das Klagebegehren mit der Revision
weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revisionen beider Parteien haben Erfolg.
9
- 8 -
I.
10
Das Berufungsgericht hat, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse,
zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Beklagte schulde der Klägerin aus ungerechtfertigter Bereicherung
Rückerstattung eines Teils des für die Übertragung der Stromversorgungs- und
Straßenbeleuchtungsanlagen sowie der 110-kV-Stationen gezahlten Kaufprei-
ses. Da die Parteien sich weder über den von der Klägerin unter Vorbehalt ge-
zahlten Kaufpreis noch über die zur Kaufpreisfindung anzuwendende Bewer-
tungsmethode geeinigt hätten, ohne dass die Wirksamkeit des Vertrages hieran
scheitere, sei der Kaufpreis im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu
ermitteln. Diese führe zu dem Ergebnis, dass die Klägerin der Beklagten den
Betrag als Kaufpreis schulde, der dem "objektiven Wert" der übertragenen An-
lagen am 31. Dezember 1994 entspreche.
Nach dem Sachzeitwert könne der Kaufpreis nicht ermittelt werden, weil
es dazu einer Einigung auf diese Bewertungsmethode bedürfte, die nicht zu-
stande gekommen sei. § 12 des Konzessionsvertrages aus dem Jahre 1973
regele nur den Fall, dass die Gemeinde aus freien Stücken kündige und die
Beklagte ihr daraufhin den käuflichen Erwerb des Stromnetzes andiene; auf den
hier gegebenen Fall der Beendigung des Konzessionsvertrages kraft Gesetzes
sei die Regelung nicht anwendbar.
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Die Klägerin habe dem Ansatz von Sachzeitwerten stets widersprochen
und dies auch mit dem Vorbehalt in Ziffer 5 der Abwicklungsvereinbarung zum
Ausdruck gebracht. Nach dem Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten
Beweisaufnahme seien die Parteien sich darüber einig gewesen, die Sachzeit-
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wertklausel des § 12 Ziffer 1 der Konzessionsverträge aus dem Jahre 1973
entweder nicht anzuwenden oder sie jedenfalls unter den einseitigen Vorbehalt
der Klägerin fallen zu lassen.
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Da der Beklagten nach dem Willen der Parteien auch kein einseitiges
Preisbestimmungsrecht nach § 316 BGB zustehen solle, sei die Vertragslücke
nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Hier-
zu sei zu ermitteln, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Inter-
essen nach den Geboten von Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hät-
ten, wenn sie die Vertragslücke durch eine ihrem hypothetischen Vertragswillen
entsprechende Abrede geschlossen hätten. Zur Kaufpreisermittlung könne
hierbei weder auf die zu einer bloßen Kostenerstattung führende Anschaffungs-
kostenrestwertmethode noch auf die nur kraft Vereinbarung anwendbare Sach-
zeitwertmethode zurückgegriffen werden. Auch der Ertragswert der übernom-
menen Stromversorgungsanlagen scheide als Preisbemessungsgrundlage aus,
weil die Parteien eine Bestimmung des Kaufpreises nach dem Ertragswert bei
ihren Verhandlungen nie angesprochen hätten, vielmehr im Sinne einer still-
schweigenden Willensübereinstimmung davon ausgegangen seien, dass eine
Substanzwertbestimmung erfolgen solle.
Als angemessener Kaufpreis sei daher jener Betrag anzunehmen, der
dem "objektiven Wert" der übernommenen Anlagen am Bewertungsstichtag
entspreche. Bei der dazu anzustellenden Substanzwertermittlung seien neben
Alter und Erhaltungszustand der Anlagen auch etwaige Nachteile zu berück-
sichtigen, die sich daraus ergeben könnten, dass seit ihrer Errichtung der Stand
der Technik fortgeschritten sei und dass nach jeweiligem Bedarf erweiterte und
ergänzte Versorgungsanlagen von geringerem Wert seien als ein technisch
modernes, in einem Zuge neu errichtetes und am Bewertungsstichtag in Betrieb
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- 10 -
genommenes Versorgungsnetz. Der so ermittelte "objektive Wert" der von der
Klägerin übernommenen Stromversorgungsanlagen (Mittel- und Niederspan-
nung) einschließlich der Straßenbeleuchtungsanlagen und der 110-kV-Statio-
nen belaufe sich nach dem in zweiter Instanz eingeholten und mehrfach er-
gänzten Gutachten des Sachverständigen Dr. S. auf 54.268.076 DM. Er
liege damit unter dem mit etwa 60.376.000 DM zu veranschlagenden Ertrags-
wert.
Der von der Klägerin zuviel gezahlte Betrag belaufe sich auf
20.674.924 DM, die Differenz zwischen dem von der Klägerin gezahlten Kauf-
preis von 74.943.000 DM und dem "objektiven Wert" von 54.268.076 DM. Dass
die Klägerin mehr als diesen von ihr selbst stets behaupteten Betrag gezahlt
habe, könne nicht festgestellt werden. Zwar habe die Kaufpreisforderung der
Beklagten sich auf insgesamt 83.341.453 DM, nämlich 74.993.908 DM für die
Stromversorgungsanlagen (Mittel- und Niederspannung), 3.950.913 DM für die
Straßenbeleuchtungsanlagen und 4.396.632 DM für die 110-kV-Stationen, be-
laufen. Diese Summe habe die Klägerin jedoch entgegen ihrer Behauptung in
einem nach Schluss der Berufungsverhandlung eingereichten, nicht nachgelas-
senen Schriftsatz nicht an die Beklagte gezahlt. Dies folge schon aus der un-
streitigen Tatsache, dass die Beklagte die noch nicht aufgelösten Rückstellun-
gen aus Hausanschlussbeiträgen und Baukostenzuschüssen im Gesamtwert
von 7.130.294 DM durch Verrechnung mit dem Kaufpreis auf die Klägerin über-
tragen habe, so dass deren Zahlung an die Beklagte sich auf nicht mehr als
76.211.159 DM belaufen haben könne. Die Klägerin habe aber auch nicht be-
hauptet, diesen Betrag als Kaufpreis an die Beklagte entrichtet zu haben; sie
habe vielmehr in der Klageschrift ebenso wie in der Berufungsbegründung den
gezahlten Betrag mit 74.943.000 DM angegeben. Dieser Betrag sei daher der
Abrechnung zugrunde zu legen, so dass die Klägerin unter Berücksichtigung
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- 11 -
des von der Beklagten bereits erstatteten Teilbetrages von 1.271.909 DM noch
19.403.015 DM beanspruchen könne.
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Auch dem Ansinnen der Beklagten, den für die Übertragung der 110-kV-
Stationen gezahlten Kaufpreis aus der Berechnung des Bereicherungsan-
spruchs der Klägerin herauszunehmen, sei nicht zu folgen. Auch wenn die ur-
sprüngliche Klageforderung hierauf zunächst nicht gestützt worden sei, habe es
der Klägerin freigestanden, ihren Erstattungsanspruch für den - hier eingetrete-
nen - Fall, dass sie mit der ursprünglichen Klageforderung nicht in voller Höhe
obsiegen sollte, mit anderen Forderungen aufzufüllen.
II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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A. Revision der Beklagten
19
Wie die Revision der Beklagten zu Recht rügt, kann dem Berufungsge-
richt bereits in seinem Ausgangspunkt nicht gefolgt werden, die "Abwicklungs-
vereinbarung" der Parteien weise hinsichtlich des Kaufpreises und der zur
Kaufpreisfindung anzuwendenden Bewertungsmethode eine Regelungslücke
auf, die im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei.
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1. Rechtsfehlerhaft ist die Ansicht des Berufungsgerichts, der Vertrag sei
trotz der fehlenden Einigung der Parteien über den Kaufpreis oder doch wenig-
stens über die Bewertungsmethode, nach der der Kaufpreis sich errechne, nicht
wegen eines offenen Einigungsmangels nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirk-
sam, weil die Klägerin sich "zum Zweck einer Durchführung der Abwicklungs-
21
- 12 -
vereinbarung" den Preisvorstellungen der Beklagten gebeugt und den geforder-
ten Kaufpreis akzeptiert habe. Diese Beurteilung verstößt gegen die Denkge-
setze. Die vertragliche Einigung kann nicht im Sinne des § 154 BGB vollständig
sein, wenn sie, wie das Berufungsgericht annimmt, in Bezug auf den Kaufpreis
eine Lücke aufweist. Ist ein Einigungsmangel nicht gegeben, weil die Klägerin
sich den Preisvorstellungen der Beklagten gebeugt, den geforderten Kaufpreis
akzeptiert und sich auf den in Ziffer 5 der Vereinbarung ausgesprochenen Vor-
behalt beschränkt hat, so kann umgekehrt nicht gleichwohl hinsichtlich des
Kaufpreises eine Einigungslücke bestehen. Wäre dagegen der Vorbehalt so zu
deuten, wie das Berufungsgericht es für richtig hält, so hätte dies entgegen sei-
ner Ansicht gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB zwingend die Nichtigkeit des Ver-
trages wegen eines offenen Einigungsmangels zur Folge. Denn wenn die Par-
teien sich weder auf den Kaufpreis noch auf eine Methode zu seiner Berech-
nung geeinigt haben, so besteht nicht nur eine Vertragslücke, die durch ergän-
zende Vertragsauslegung geschlossen werden könnte, sondern es fehlt an
einer Einigung über einen wesentlichen Vertragsbestandteil, ohne den ein Kauf-
vertrag - vorbehaltlich eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts nach
§§ 315 ff. BGB, das hier auch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht in
Betracht kommt - gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht wirksam zustande
kommen kann.
2. Die Auslegung des Berufungsgerichts widerspricht ferner, was unbe-
schränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung unterliegt, anerkannten Ausle-
gungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB), weil sie weder mit dem Wortlaut des
Vertrages in Einklang zu bringen ist noch die auslegungsrelevanten Umstände
vollständig und hinreichend berücksichtigt.
22
- 13 -
Nach dem Wortlaut der Vereinbarung, von dem jede Auslegung auszu-
gehen hat und den auch das Berufungsgericht seiner Auslegung im Ansatz zu-
grunde legt, haben die Parteien in Ziffer 4 Abs. 2 den von der B. im Auftrag
der Beklagten für den Stichtag 31. Dezember 1992 ermittelten und auf den
31. Dezember 1994 fortzuschreibenden Sachzeitwert von 81,131 Mio. DM
- wenn auch unter dem in Ziffer 5 Abs. 2 erklärten Vorbehalt der Klägerin - als
Kaufpreis festgelegt. Darüber hinaus enthält die Vereinbarung in Ziffer 1 die
Erklärung, dass die Mittel- und Niederspannungsanlagen gemäß den End-
schaftsbestimmungen der zwischen der Stadt L. und der V., der
Rechtsvorgängerin der Beklagten, bestehenden Konzessionsverträge auf die
Klägerin übertragen werden. Nach Abs. 1 Satz 2 des hierdurch in Bezug ge-
nommenen § 12 des Konzessionsvertrages aus dem Jahre 1973 gilt als Kauf-
preis für das Niederspannungsnetz der für den Tag der Übernahme zu ermit-
telnde Wiederbeschaffungswert unter Berücksichtigung des Alters und des Zu-
standes der Anlagen, das heißt der Sachzeitwert.
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Nach der Auslegung des Berufungsgerichts soll diesen Erklärungen im
Ergebnis deswegen keinerlei Bedeutung zukommen, weil die in zweiter Instanz
durchgeführte Beweisaufnahme ergeben habe, dass die Klägerin unter keinen
Umständen dazu bereit gewesen sei, einen nach dem Sachzeitwert bestimmten
Kaufpreis zu akzeptieren, dies bei den Vertragsverhandlungen mit der Beklag-
ten auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe und der in Ziffer 5
des Vertrages aufgenommene Vorbehalt der Klägerin aus diesem Grunde dahin
zu deuten sei, dass weder über den im Vertrag genannten Kaufpreis noch über
die Methode seiner Berechnung eine Einigung zustande gekommen sei. Bei
dieser Sichtweise bleibt indessen, wie die Revision der Beklagten mit Recht
beanstandet, unberücksichtigt, dass es der Beklagten trotz der unüberbrückbar
gegensätzlichen Auffassungen zur Preisgestaltung gelungen ist, sowohl die von
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- 14 -
ihr für richtig gehaltene Bewertungsmethode als auch den nach dieser Bewer-
tungsmethode ermittelten Kaufpreis - wenn auch unter dem in Ziffer 5 aufge-
nommenen Vorbehalt - zum Vertragsinhalt zu machen, und dass die Klägerin,
wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang feststellt, sich den Preis-
vorstellungen der Beklagten vorläufig gebeugt, den geforderten Kaufpreis ak-
zeptiert und sich wegen der Berechnung und der Höhe des gezahlten Kaufprei-
ses lediglich eine gerichtliche Überprüfung und Rückforderung vorbehalten hat,
um den Eintritt des von ihr angestrebten Erfolgs der Übertragung der Stromver-
sorgungsanlagen sicherzustellen. Diese Umstände stehen dem vom Beru-
fungsgericht gewonnenen Auslegungsergebnis entgegen, das den Vertragsin-
halt so interpretiert, als hätten die Parteien im Vertrag lediglich ihre divergieren-
den Auffassungen zur richtigen Bewertungsmethode zum Ausdruck gebracht
und wegen dieses unüberbrückbaren Gegensatzes Höhe und Berechnungsme-
thode des Kaufpreises ungeregelt gelassen.
3. Da die Auslegung des Berufungsgerichts wegen der aufgezeigten
Rechtsfehler für das Revisionsgericht nicht bindend ist (vgl. BGHZ 124, 39, 45
m.w.Nachw.; st.Rspr.) und weitere tatsächliche Feststellungen hierzu nicht in
Betracht kommen, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen (BGHZ
aaO). Sie führt aus den unter 2. dargelegten Gründen zu dem Ergebnis, dass
der Kaufpreis für die übertragenen Mittel- und Niederspannungsanlagen auf der
Grundlage des Sachzeitwerts dieser Anlagen zu errechnen ist. Daran vermag
der in Ziffer 5 der "Abwicklungsvereinbarung" der Parteien aufgenommene Vor-
behalt der Klägerin nichts zu ändern. Der Senat hat bereits entschieden, dass
Vertragsbestimmungen, die für die Übertragung eines örtlichen Stromversor-
gungsnetzes auf die Gemeinde ein Entgelt in Höhe des Sachzeitwerts der An-
lagen vorsehen, nicht generell unwirksam sind (BGHZ 143, 128, 142 ff.
- Endschaftsbestimmung). Dasselbe gilt für den weiteren Einwand der Klägerin,
25
- 15 -
Hausanschlüsse seien bei der Ermittlung des Sachzeitwertes nicht zu berück-
sichtigen (BGHZ 143, 128, 162 ff. - Endschaftsbestimmung). Soweit die Kläge-
rin sich in Ziffer 5 des Vertrages ferner Einwendungen gegen die Höhe des von
der B. ermittelten Sachzeitwertes vorbehalten hat, geht es nicht um Maßgeb-
lichkeit des Sachzeitwerts als Preisbemessungsgrundlage.
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B. Revision der Klägerin
Die Revision der Klägerin rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei
der Berechnung des von der Beklagten zurückzuzahlenden Betrages den Kauf-
preis für die 110-kV-Stationen in Höhe von 4.396.632 DM allein bei dem von
der Klägerin geschuldeten, nicht dagegen auch bei dem von ihr gezahlten
Gesamtkaufpreis berücksichtigt hat. Das Berufungsgericht ermittelt den von
der Klägerin überzahlten Betrag, indem es dem nach seiner Auffassung für
die Bestimmung des Kaufpreises maßgeblichen "objektiven Wert" von
54.268.076 DM, den der Sachverständige Dr. S. für die Stromversorgungs-
anlagen unter Einbeziehung der 110-kV-Stationen errechnet hat, einen von der
Klägerin gezahlten Betrag von 74.943.000 DM gegenüber stellt. Den Betrag von
74.943.000 DM hat die Klägerin nach ihrer Darstellung aber allein für die Über-
tragung des Mittel- und Niederspannungsnetzes sowie der Straßenbeleuch-
tungsanlagen gezahlt. Für die 110-kV-Stationen, für deren Übertragung die Par-
teien in Ziffer 2 der Abwicklungsvereinbarung eine gesonderte Regelung getrof-
fen und in der Anlage 2 zu dieser Vereinbarung einen gesonderten "110-kV-
Kaufvertrag" mit einem gesondert ausgewiesenen Kaufpreis geschlossen ha-
ben, hat die Klägerin nach ihrer Behauptung einen zusätzlichen Kaufpreis von
4.396.632 DM gezahlt. Eindeutiger Sachvortrag der Klägerin hierzu findet sich
allerdings erst in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, der nach Schluss der
mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz zu den Akten gelangt ist. Die Be-
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klagte hat indessen in ihrer Erwiderung auf diesen Schriftsatz die Darstellung
der Klägerin insofern bestätigt, als auch nach ihrem Vortrag die 110-kV-
Stationen und der für diese entrichtete Kaufpreis nicht Gegenstand des Rück-
zahlungsbegehrens der Klägerin waren. In Anbetracht dessen hätte das Beru-
fungsgericht die mündliche Verhandlung wiedereröffnen und dem verspäteten
Vorbringen der Klägerin nachgehen müssen, um zu vermeiden, dass seine Ent-
scheidung, wie geschehen, auf einer Tatsachengrundlage beruht, die so von
keiner der Parteien vorgetragen worden ist.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil, soweit es mit der Revision an-
gegriffen worden ist, keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechts-
streit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es hierzu weiterer tatrichterlicher
Feststellungen zur Höhe des von der Klägerin insgesamt gezahlten Kaufprei-
ses, zur Höhe des Sachzeitwerts der übertragenen Anlagen sowie zur genauen
Höhe ihres vom Berufungsgericht nur annäherungsweise festgestellten Er-
tragswerts bedarf, dem nach der Rechtsprechung des Senats für die kartell-
rechtlich relevante Grenze der Preisgestaltung bei der Übertragung von Strom-
versorgungsnetzen entscheidende Bedeutung zukommt (BGHZ 143, 128,
145 ff. - Endschaftsbestimmung). Dabei wird die Klägerin auch Gelegenheit ha-
ben, auf ihren in der Revisionsinstanz erhobenen Einwand zurückzukommen,
der vom Berufungsgericht auf der Grundlage des in zweiter Instanz eingeholten
Sachverständigengutachtens festgestellte "objektive Wert" der übertragenen
Anlagen unterscheide sich vom Sachzeitwert allein dadurch, dass fiktive Wie-
derherstellungskosten für Straßenoberflächen, die von der Klägerin auf eigene
Kosten hergestellt worden seien, der Billigkeit entsprechend unberücksichtigt
28
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geblieben seien. Die Sache ist daher unter Aufhebung des Berufungsurteils an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Hirsch Ball
Bornkamm
Raum
Strohn
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 26.09.1996 - 8 O 187/95 (Kart) -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.06.2004 - U (Kart) 36/96 -