Urteil des BGH vom 04.02.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 57/09
vom
4. Februar 2010
in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel I-VO Art. 38 ff; AVAG § 6 Abs. 1
Im Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels kommt eine Erle-
digung der Hauptsache allenfalls in Betracht, wenn sich das erledigende Ereignis erst
im Beschwerderechtszug verwirklicht.
EuVTVO Art. 27; Brüssel I-VO Art. 38 ff
Eine Vollstreckbarerklärung auf der Grundlage der EuGVVO scheidet aus, wenn eine
Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel vorliegt.
BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - IX ZB 57/09 - OLG Dresden
LG
Zwickau
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Prof. Dr. Kayser,
Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Dr. Pape und Grupp
am 4. Februar 2010
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 20. Januar 2009 wird auf
Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 61.074,98 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller hat die Erteilung der Vollstreckungsklausel für eine in
Spanien gegen die Antragsgegnerin erwirkte gerichtliche Entscheidung begehrt,
die einen Kostenfestsetzungsbeschluss zum Gegenstand hat. Diesen Antrag
hat der Antragsteller für erledigt erklärt, weil ihm zwischenzeitlich in Spanien
bestätigt worden sei, dass es sich bei der Entscheidung um einen europäischen
Vollstreckungstitel handele.
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Das Landgericht hat dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufer-
legt. Mit seiner dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde hat er beantragt,
die Erledigung der Hauptsache festzustellen, und den Hilfsantrag gestellt, die
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spanische Entscheidung für vollstreckbar zu erklären. Das Oberlandesgericht
hat die sofortige Beschwerde unter gleichzeitiger Ablehnung des Hilfsantrages
zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Be-
gehren weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 15 Abs. 1 AVAG statthafte
Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO), bleibt in der Sache aber
ohne Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, weder das AVAG noch die
EuGVVO sähen die Möglichkeit einer Erledigungserklärung vor. Die insoweit im
deutschen Zivilprozessrecht entwickelten Grundsätze seien auf das Antragsver-
fahren nach Art. 38 EuGVVO nicht übertragbar. Vielmehr könne der Antragstel-
ler lediglich seinen Antrag zurücknehmen und die damit verbundenen Kosten im
Vollstreckungsverfahren nach § 788 ZPO geltend machen. Der Hilfsantrag sei
unzulässig, weil der Antragsteller zwischenzeitlich über einen Titel verfüge, aus
dem er in Deutschland vollstrecken könne. Mithin scheide eine Vollstreckbarer-
klärung nach EuGVVO und AVAG aus.
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2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.
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a) Eine Feststellung der Erledigung scheidet aus, weil sich das aus Sicht
des Antragstellers erledigende Ereignis bereits in dem nicht kontradiktorischen
Verfahren vor dem Landgericht verwirklicht hat.
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aa) Die Vorschriften der §§ 91 ff ZPO sind in allen kontradiktorischen
Verfahren anwendbar, in denen eine Kostengrundentscheidung zu ergehen hat
(BGHZ 170, 378, 381 Rn. 7). Das Antragsverfahren vor dem Landgericht ist
mangels einer Beteiligung des Antraggegners (§ 6 Abs. 1 AVAG) einseitig.
Folglich kommt im erstinstanzlichen Verfahren eine einseitige Erledigungserklä-
rung durch den Antragsteller nicht in Betracht (Hau IPRax 1998, 255, 256).
Kontradiktorischen Charakter erlangt das Verfahren erst mit der Beschwerde
eines Beteiligten (§ 11 Abs. 4 AVAG). Bei dieser Sachlage kann der Antragstel-
ler das Verfahren allenfalls mit Rücksicht auf während des Beschwerderechts-
zugs vorgefallene Umstände für erledigt erklären (Hau, aaO; Rauscher/
Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 40 Brüssel I-VO Rn. 5;
Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 38 EuGVVO Rn. 15; MünchKomm-
ZPO/Lindacher, 3. Aufl. § 91a Rn. 136; vgl. auch OLG Düsseldorf IPRax 1998,
279, 280; OLG Zweibrücken OLG-Report 1998, 414; OLG Jena IPRspr. 1998,
391 f; OLG Hamburg NJW 1987, 2165 f; RIW 1989, 568; Zöller/Vollkommer,
ZPO 28. Aufl. § 91a Rn. 7, 58 "Ausländisches Urteil").
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bb) Es kann dahinstehen, ob hier eine Erledigung oder eine Verfahrens-
überholung eingetreten ist. Jedenfalls ist im Streitfall die vermeintliche Erledi-
gung infolge der Bestätigung der Entscheidung als europäischer Vollstre-
ckungstitel bereits im Verfahren vor dem Landgericht eingetreten. Da die An-
tragsgegnerin in diesem Verfahrensabschnitt noch nicht zu beteiligen war (§ 6
Abs. 1 AVAG), konnte das Landgericht in dem einseitigen Verfahren eine Fest-
stellung der Erledigung nicht aussprechen. Folglich war der Antrag mit der Kos-
tenfolge des § 8 Abs. 2 AVAG abzulehnen.
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b) Auch der Hilfsantrag ist unbegründet. Die Vollstreckbarkeit nach dem
EuVTVO steht einem Antrag im Rahmen der EuGVVO entgegen.
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Ist - wie im Streitfall - eine Entscheidung als europäischer Vollstre-
ckungstitel bestätigt worden, scheidet eine Vollstreckbarerklärung nach Maßga-
be der EuGVVO aus. Art. 27 EuVTVO lässt dem Gläubiger grundsätzlich die
Möglichkeit, anstelle einer Bestätigung die Anerkennung und Vollstreckung ei-
ner Entscheidung nach der EuGVVO zu betreiben. Diese Regelung geht auf
Nr. 20 der Erwägungsgründe (abgedruckt bei Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO
2009 Anhang nach § 1086) zurück, wonach es dem Gläubiger freisteht, eine
Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel zu beantragen oder sich für
das Anerkennungsverfahren nach der EuGVVO zu entscheiden. Insoweit kann
dahin stehen, ob der Gläubiger berechtigt ist, gleichzeitig beide Verfahren ein-
zuleiten (in diesem Sinne Wagner IPrax 2005, 189, 190; Prütting/Gehrlein/
Halfmeier, aaO Art. 27 EuVTVO Rn. 1) oder - was nach dem Inhalt des Erwä-
gungsgrundes näher liegt - erst nach erfolgloser Durchführung des einen auf
das andere Verfahren überwechseln kann. Falls jedoch die Vollstreckbarkeit
entweder auf der Grundlage der EuVTVO oder der EuGVVO erwirkt wurde, ist
es dem Antragsteller grundsätzlich mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses
versagt, zusätzlich in dem anderen Verfahren einen Vollstreckungstitel zu er-
langen (Wagner, aaO, Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl.
Art. 27 EuVTVO Rn. 1; Musielak/Lackmann, ZPO 7. Aufl. Art. 27 EuVTVO
Rn. 1; aA Rauscher/Pabst, aaO Art. 27 EuVTVO Rn. 10). Auf diese Weise ist
der - auch von der Gegenauffassung erkannten (Rauscher/Papst, aaO) - Ge-
fahr vorzubeugen, dass gegen den Antragsgegner wegen eines identischen
Anspruchs aus mehreren Titeln vollstreckt wird. Ob in Ausnahmefällen eine an-
dere Bewertung durchgreift, kann dahin stehen. Denn der Antragsteller hat
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ein anerkennenswertes Interesse, das Verfahren der EuGVVO durchzuführen,
nicht dargelegt.
Kayser Gehrlein Fischer
Pape Grupp
Vorinstanzen:
LG Zwickau, Entscheidung vom 03.11.2008 - 2 O 839/08 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 20.01.2009 - 3 W 1182/08 -