Urteil des BGH vom 20.09.2012

BGH: organisation, irak, königreich tonga, verbreitung, rechtfertigung, film, internet, leiche, islam, strafbarkeit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 314/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am
20. September 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlan-
desgerichts Koblenz vom 22. März 2012 mit den jeweils zuge-
hörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte in den Fällen A. V. 2, 4, 10 bis 12, 29
und 46 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Soweit der Angeklagte im Falle A. V. 46 der Urteilsgründe ver-
urteilt worden ist, wird er freigesprochen; insoweit hat die
Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklag-
ten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen;
Im Umfang der Aufhebung im Übrigen wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden
Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Strafsenat des
Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Unterstützung einer
ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen (Fälle A. V. 2 und 4
der Urteilsgründe) und wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer
ausländischen terroristischen Vereinigung in 44 Fällen (Fälle A. V. 1, 3 und 5
bis 46 der Urteilsgründe) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt
sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten
rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfah-
ren. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel er-
sichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Verurteilung des Angeklagten in den Fällen A. V. 2 und 4 der Urteils-
gründe
1. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen A. V. 2 und 4 der Ur-
teilsgründe jeweils wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen
Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) hat kei-
nen Bestand. Bereits dies führt zur Aufhebung des Urteils auch im Ausspruch
über die Gesamtstrafe.
a) Das Oberlandesgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen
getroffen:
aa) Die Zeugen P. und T. waren die Administratoren von Internet-
Foren der deutschen Sektion der "Global Islamic Media Front" (GIMF), einer
Organisation von Betreibern islamistischer Internetseiten, die es sich zur Auf-
gabe gemacht hat, verfügbares jihadistisches Propagandamaterial aufzuberei-
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ten, in westliche Sprachen zu übersetzen und über das Internet weiterzuver-
breiten. Am 24. September 2007 eröffneten sie unter der Adresse
g. ein solches Forum bei einem ungarischen Server-Betreiber (so-
genanntes zweites GIMF-Forum), das dieser allerdings bereits am 22. Novem-
ber 2007 wieder vom Netz nehmen ließ. Hierauf eröffneten sie am 24. Novem-
ber 2007 unter der Adresse g. ein weiteres Forum bei einem
Server-Betreiber im Königreich Tonga (sogenanntes drittes GIMF-Forum), das
mit einer kurzen Unterbrechung bis zur Schließung am 21. Juli 2008 zugänglich
war. Beiträge in die Foren einstellen oder dort eingestellte Beiträge einsehen
konnten jeweils nur registrierte, von P. und T. zugelassene und freige-
schaltete Nutzer. Von neuen, ihnen nicht schon aus zuvor betriebenen Foren
entsprechend bekannten Nutzungswilligen verlangten sie vor der Freischaltung
die Kundgabe von Äußerungen, welche sie als "Jihad-Interessierte" auswiesen.
Die Zahl der so zugelassenen Mitglieder belief sich, soweit ermittelbar, im zwei-
ten GIMF-Forum auf 175 und im dritten GIMF-Forum auf 117 Personen.
Der Angeklagte war Mitglied beider Foren. Am 9. Oktober 2007 stellte er
im zweiten GIMF-Forum unter der Überschrift "Abu Musab Sarkawi schlachtet
Nick Berg (Deutsch)" einen Link bereit, der es anderen Nutzern ermöglichte, die
vollständige, mit deutschen Untertiteln versehene Version eines Videofilms der
"Al Qaida im Zweistromland" mit dem Titel "Emir Musab Al-Zarqawi, der
Schlächter, terrorisiert die Kreuzfahrer und schlachtet ihren Kafir B. " herun-
terzuladen (Fall 2). Einen entsprechenden Link fügte er nach Schließung dieses
Forums am 26. November 2007 dem Eintrag "Abu Musab - B. " im drit-
ten GIMF-Forum bei (Fall 4).
Der Film zeigt die Enthauptung des von der "Al Qaida im Zweistromland"
im Irak als Geisel genommenen US-Staatsbürgers B. durch den (2006
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getöteten) Anführer dieser Gruppierung, Abu Musab Al Zarkawi, am 11. Mai
2004. Hinter dem auf dem Boden knienden und an Händen und Füßen gefes-
selten Opfer verliest Al Zarkawi zunächst in einer Gruppe bewaffneter und ver-
mummter Personen stehend eine Botschaft, in der er unter anderem ausführt:
"Gegrüßt sei der Prophet Muhammad, durch dessen Schwert der Islam in der
Welt stark wurde. … Nachdem bekannt wurde, wie man in dem Gefängnis von
Abu Ghuraib mit muslimischen Männern und Frauen umgegangen ist, gibt es
keine Entschuldigung mehr für Leute, die nichts gegen die Kreuzzügler unter-
nehmen wollen. Die Würde des Islam und der Muslime ist in diesem Gefängnis
'geschächtet'
worden. … Die muslimischen Geistlichen sollen das Vertrauen an
Allah von der kämpfenden Jugend lernen, welche die stärkste Macht der Welt
in die Knie gezwungen hat. Die Geistlichen sollen aufhören, nur zu reden, sie
sollen zum Kampf aufrufen. Der Prophet Muhammad - obwohl er der Prophet
der Barmherzigkeit war - hat in der Schlacht von Badr die Enthauptung einiger
Kriegsgefangener befohlen. Er ist das beste Vorbild, an das wir uns zu halten
pflegen. … An die Mütter und Ehefrauen der US-Truppen: Wir haben der US-
Regierung vorgeschlagen, diesen Gefangenen mit einigen Gefangenen in dem
Gefängnis von Abu Ghuraib auszutauschen. Sie hat es aber abgelehnt. Ihr
werdet von uns nichts anderes bekommen als 'Leiche nach Leiche' und 'Sarg
nach Sarg', welche alle nach dieser Art 'geschächtet' sind." Abschließend rezi-
tiert er Sure 9 Vers 5 des Korans, in den Untertiteln übersetzt wie folgt: "Tötet
die Polytheisten, wo immer ihr sie findet! Greift sie, belagert sie und lauert
ihnen auf jedem Weg auf!" Danach fixieren die Begleiter Al Zarkawis B. an
Kopf und Körper; Al Zarkawi setzt ein langes Messer an dessen Nacken an.
Während ein Teil der Begleiter den Kopf B. s hin und her zerrt, durchtrennt Al
Zarkawi unter Todesschreien seines Opfers mit mehreren Schnitten dessen
Hals. B. verstirbt mit einem Röcheln, eine Blutlache ergießt sich auf den Bo-
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den. Den abgetrennten Kopf des Ermordeten hebt Al Zarkawi triumphierend in
die Höhe und legt ihn schließlich der Leiche in die gefesselten Arme.
bb) Das Oberlandesgericht sieht die Verbreitung dieser Videoaufzeich-
nung als Teil der psychologischen Kriegsführung der "Al Qaida im Zweistrom-
land". Sie diene, was auch der Angeklagte erkannt habe, dazu, in der Bevölke-
rung der Staaten, die sich aus der Sicht dieser Gruppierung am "Krieg gegen
den Islam" beteiligen, Angst und Schrecken zu verbreiten, und diese Staaten
so zum Rückzug ihrer Truppen aus den islamischen Ländern, insbesondere
aus dem Irak, zu bewegen. Andersdenkenden und Nichtmuslimen solle deutlich
vor Augen geführt werden, dass "Al Qaida im Zweistromland" willens und in der
Lage sei, ihre Ziele mit größtmöglicher Grausamkeit durchzusetzen, dass die
Gruppierung mit allen im "Jihad" gemachten "Gefangenen" in gleicher Weise
verfahren werde und dass sich ihr Kampf nicht nur gegen reguläre Truppen,
sondern gegen alle "Ungläubigen" richte, die ihr in die Hände fielen. Durch die
Präsentation des Videos auf den deutschsprachigen Internetforen der "Globa-
len Islamischen Medienfront" habe der Angeklagte die "Al Qaida im Zweistrom-
land" im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB unterstützt, denn die Verbrei-
tung eines solchen auf die Gegner abschreckend und demoralisierend wirken-
den Propagandamittels führe zu einer "nicht unbeträchtlichen Erweiterung der
Aktionsmöglichkeiten der Organisation" und erhöhe so deren Gefährdungspo-
tential.
b) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist unter einem Unter-
stützen im Sinne von § 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB grund-
sätzlich jedes Tätigwerden zu verstehen, durch das ein Nichtmitglied der Verei-
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nigung deren innere Organisation und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert,
die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenn auch nicht unbedingt
maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und
Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene
Gefährlichkeit festigt (s. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08,
BGHSt 54, 69, 117). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Au-
ßenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der Ver-
einigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine
zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur Mitgliedschaft (vgl. etwa BGH, Ur-
teile vom 30. Oktober 1964 - 3 StR 45/64, BGHSt 20, 89; vom 3. Oktober 1979
- 3 StR 264/79, BGHSt 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des Unter-
stützens einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB
auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Ver-
ständnis hinaus; denn er bezieht sich auch und - wie schon der Wortlaut des
Gesetzes zeigt - sogar in erster Linie auf die Vereinigung als solche, ohne dass
im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitglieds zu einer einzelnen organisati-
onsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss
(vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 350 f.; Ur-
teil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117 f.). Auch muss das
Wirken des Nichtmitgliedes nicht zu einem von diesem erstrebten Erfolg führen,
es genügt, wenn sein Tun für die Organisation objektiv nützlich ist, ohne dass
ein messbarer Nutzen für diese eintritt (BGH, Urteile vom 14. August 2009
- 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 116; vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, BGHSt
33, 16, 17; vom 25. Januar 1984 - 3 StR 526/83, BGHSt 32, 243, 244).
Diese im Ausgangspunkt weite Begriffsbestimmung des Unterstützens
darf indes nicht dahin missverstanden werden, dass jedes Handeln eines
Nichtmitgliedes im Sinne der Vereinigung als tatbestandsmäßig einzustufen
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wäre, ohne dass es auf die konkreten Wirkungen seines Tuns ankäme. Die
vorausgesetzte Nützlichkeit für die Vereinigung muss anhand belegter Fakten
nachgewiesen sein und darf sich nicht nur auf vermeintliche Erfahrungswerte
oder allgemeine Vermutungen stützen. Außerdem darf nicht aus dem Blick ver-
loren werden, dass der Gesetzgeber mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz
(vom 22. August 2002, BGBI. I S. 3390) und dem Gesetz zur Umsetzung des
Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung
und zur Änderung anderer Gesetze (vom 22. Dezember 2003, BGBI. I S. 2836)
die Strafbarkeit des propagandistischen Wirkens eines Nichtmitglieds im Sinne
der Vereinigung auf die Fälle des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für
die Organisation beschränkt und das lediglich befürwortende Eintreten für eine
terroristische Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus
begangenen Straftaten straffrei gestellt hat. Diese gesetzgeberische Grundent-
scheidung ist zu beachten. Es ist nicht zulässig, sie dadurch zu umgehen, dass
propagandistisches Handeln eines Nichtmitgliedes, das sich nicht als Werben
um Mitglieder oder Unterstützer für die Vereinigung darstellt, allein wegen der
psychologischen Folgen die es - insbesondere etwa im Falle der Rechtfertigung
oder Verherrlichung von Gewalttaten der Organisation - auf die angesproche-
nen Adressatenkreise haben kann, als Unterstützen der Vereinigung einzustu-
fen (BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2012 - 3 StR 218/12, juris Rn. 5; vom
16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 349 f.). Anderes kommt nur dann in
Betracht, wenn im konkreten Einzelfall festgestellt werden kann, dass das Han-
deln des Nichtmitgliedes über die propagandistische Wirkung hinaus einen ob-
jektiv nützlichen Effekt für die mitgliedschaftliche Betätigung eines Angehörigen
der Organisation bewirkt oder sonst für diese förderlich ist.
bb) Nach diesen Maßstäben ist hier nicht belegt, dass der Angeklagte
durch die festgestellten Tathandlungen die "Al Qaida im Zweistromland" tatbe-
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standlich unterstützt hätte. Insoweit bestehen bereits Zweifel, ob die Begrün-
dung des Oberlandesgerichts, die Verbreitung des Films habe zu einer Erweite-
rung der Aktionsmöglichkeiten der Organisation geführt und so deren Gefähr-
dungspotential erhöht, ausreicht, um ein tatbestandsmäßiges Unterstützen der
Vereinigung bejahen zu können. Derart vage umschriebene Folgen sind grund-
sätzlich auch bei Handlungen mit rein werbendem Charakter denkbar. Die
diesbezügliche Erwägung des Oberlandesgerichts beruht jedenfalls nicht auf
einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage; denn den Feststellungen ist schon
nicht zu entnehmen, dass sich die Tathandlungen des Angeklagten auf die
Verbreitung des Films in einer Weise richteten, die geeignet war, in Teilen der
Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten und dadurch auf diejenigen,
die sich gegen "Al Qaida im Zweistromland" wenden, demoralisierend zu wir-
ken. Zugang zu den vom Angeklagten bereitgestellten Links hatte jeweils nur
eine geschlossene Benutzergruppe, deren Mitglieder besonderer Zulassung
bedurften und die sich hierzu als "Jihad-Interessierte" auszuweisen hatten.
Dass der Film unter diesen konkreten Umständen in nennenswertem Umfang
an "Andersdenkende und Nichtmuslime", mithin Personen außerhalb des radi-
kalislamischen Spektrums gelangen konnte, war von vornherein nicht zu erwar-
ten. Soweit der Generalbundesanwalt - in anderem Zusammenhang - davon
ausgeht, dass die den Film abrufenden Nutzer als "Multiplikatoren" nach außen
wirken sollten, findet dies in den Feststellungen keine Stütze.
2. Ohne Rechtsfehler hat das Oberlandesgericht im Übrigen angenom-
men, dass die beschriebenen Veröffentlichungen eine Verurteilung des Ange-
klagten wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen
terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2
StGB) nicht tragen.
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a) Die Auslegung von schriftlichen und mündlichen Äußerungen auf ih-
ren tatsächlichen Gehalt ist Sache des Tatrichters (BGH, Urteil vom 15. März
1994 - 1 StR 179/93, BGHSt 40, 97, 101; Beschluss vom 16. Mai 2012 - 3 StR
33/12, NStZ 2012, 564). Kriterien für die Auslegung sind der Wortlaut, der
sprachliche Kontext der Äußerung sowie die für die Zuhörer erkennbaren Be-
gleitumstände, unter denen die Äußerung fällt (BGH, Beschluss vom 7. Februar
2002 - 3 StR 446/01, NStZ 2002, 592). Maßgeblich ist das Verständnis des
Durchschnittsadressaten (BGH, Urteil vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, BGHSt
33, 16, 19). Lässt eine Sinngebung Verstöße gegen Denk- oder Sprachgesetze
oder gegen das Gebot umfassender Berücksichtigung aller maßgeblichen Um-
stände nicht erkennen, so muss sie vom Revisionsgericht als rechtsfehlerfrei
hingenommen werden (vgl. BGH, aaO, 19).
Ein Werben im Sinne von § 129a Abs. 5 Satz 2 StGB erfordert einen
sich dem Adressaten - wenn auch nur aus den Gesamtumständen - erschlie-
ßenden eigenen Inhalt der Erklärung dahin, sie diene gezielt der Gewinnung
von Mitgliedern oder Unterstützern zu Gunsten einer konkreten Organisation.
Nicht ausreichend ist - wie bereits ausgeführt - das befürwortende Eintreten für
eine terroristische Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr
heraus begangenen Straftaten sowie die Verherrlichung der Ideologie, aus der
verschiedene derartige Vereinigungen ihre Tätigkeit legitimieren und die gege-
benenfalls auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straf-
taten dient, mag dies auch von der stillschweigenden Erwartung getragen sein,
beim Adressaten Überlegungen hin zu einem Anschluss auch an eine bestimm-
te Vereinigung oder zu deren Unterstützung auszulösen (BGH, Beschlüsse vom
16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 353; vom 19. Juli 2012 - 3 StR
218/12).
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b) Nach diesen Maßstäben ist es aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu
beanstanden, dass das Oberlandesgericht dem Film nach näherer Prüfung kei-
ne genügenden Aussagen hat entnehmen können, aus denen sich auf einen
um mitgliedschaftliche Beteiligung an der "Al Qaida im Zweistromland" oder
einen um die Förderung ihrer Tätigkeit oder ihrer Bestrebungen werbenden
Charakter schließen ließe. Die Erklärung, es sei unentschuldbar, nichts gegen
die "Kreuzzügler" zu unternehmen, drängt dies ebenso wenig auf wie der Appell
an die "Geistlichen", zum "Kampf" aufzurufen. Dasselbe gilt für das eher die Tat
rechtfertigende Koranzitat.
3. Im Übrigen kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des
Oberlandesgerichts über eine Strafbarkeit des Angeklagten in den Fällen A. V.
2 und 4 der Urteilsgründe nicht abschließend befinden.
a) Mit der Bereitstellung der Videofilme zum Abruf im Internet hat der
Angeklagte jedenfalls eine Schrift im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB zugänglich
gemacht, die grausame Gewalttätigkeiten gegen einen Menschen in einer Art
schildert, die eine Verherrlichung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt und die
das Grausame des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise
darstellt (Gewaltdarstellung; § 131 Abs. 1 Nr. 2 StGB; vgl. hierzu BGH, Urteil
vom 27. Juni 2001 - 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55). Tateinheitlich hierzu (vgl. Fi-
scher, StGB, 59. Aufl., § 131 Rn. 26; § 140 Rn. 12) kommt eine Strafbarkeit des
Angeklagten wegen Billigung einer Straftat nach § 140 Nr. 2 StGB in Betracht.
Im Unterschied zu § 131 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt allein ein Zugänglichmachen
diesen Tatbestand allerdings nicht; das insoweit erforderliche Verbreiten einer
Schrift (vgl. BGH, aaO) hat das Oberlandesgericht bisher nicht festgestellt. Der
Senat schließt indes nicht aus, dass - was auch zu § 131 Abs. 1 StGB führen
würde - in einer neuen Hauptverhandlung jeweils noch Feststellungen zum Zu-
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griff von Nutzern auf den zum Abruf bereitgestellten Videofilm getroffen werden
können.
b) Das neue Tatgericht wird insbesondere auch zu prüfen haben, ob hin-
sichtlich des rechtlichen Gesichtspunkts der Gewaltdarstellung Strafverfol-
gungsverjährung eingetreten ist (§ 131 Abs. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB), denn
das Zugänglichmachen der genannten Dokumente im zweiten GIMF-Forum am
9. Oktober 2007 und im dritten GIMF-Forum am 26. November 2007 war noch
nicht Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichts-
hofs vom 5. Juli 2010, sondern erst der am 25. Juli 2011 erhobenen Anklage
(§ 78c Abs. 1 Nr. 5 und 6 StGB).
4. Der Senat verweist die Sache auch insoweit zu neuer Verhandlung
und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück, denn dessen Zuständig-
keit ist ungeachtet des Umstands begründet, dass es sich weder bei der Ge-
waltdarstellung (§ 131 StGB) noch bei der Billigung einer Straftat (§ 140 StGB)
um ein Staatsschutzdelikt im Sinne von § 120 Abs. 1 oder Abs. 2 GVG handelt.
Eine derartige Erstreckung der Zuständigkeit hat grundsätzlich zur Vorausset-
zung, dass nach der objektiven Rechtslage (BGH, Beschluss vom 8. November
2011 - 3 StR 244/11, NStZ-RR 2012, 76, 77 mwN) die betreffende Straftat mit
zumindest einem die Bundeszuständigkeit begründenden Staatsschutzdelikt
materiell- oder verfahrensrechtlich eine Tat bildet (BGH, Beschlüsse vom
18. Juli 2006 - StB 14/06, NStZ-RR 2006, 303, 304; vom 13. Januar 2009 - AK
20/08, BGHSt 53, 128, 144). In enger Ausnahme hiervon ist eine Zuständigkeit
der Gerichtsbarkeit des Bundes allerdings auch dann anzuerkennen, wenn eine
verfahrensrechtlich selbständige Tat mit einem die Bundeszuständigkeit be-
gründenden Staatsschutzdelikt in einem derart engen persönlichen und delikts-
spezifisch-sachlichen Zusammenhang steht, dass eine getrennte Verfolgung
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und Aburteilung auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als in hohem Maße
sachwidrig erschiene (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2009 - AK 20/08,
BGHSt 53, 128, 144).
Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Die in Frage stehenden Ta-
ten sind Teile einer anhaltenden Abfolge von Veröffentlichungen islamistischen
Propagandamaterials mit terroristischem Hintergrund. Die vom Angeklagten
eingeschlagene Vorgehensweise ist in allen Fällen vergleichbar. Auch hinsicht-
lich der zu erhebenden Beweise bestehen in weitem Umfang Überschneidun-
gen. Bei allen anderen der vielzähligen dem Angeklagten zur Last gelegten
Veröffentlichungen steht die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 120
Abs. 1 Nr. 6 GVG außer Zweifel.
II. Verurteilung des Angeklagten in den Fällen A. V. 10 bis 12, 29 der Ur-
teilsgründe
Die Schuldsprüche wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer ei-
ner ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b
Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) in den Fällen A. V. 10 bis 12 und 29 der Urteilsgrün-
de begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Sämtliche dieser Fälle betreffen eine Rede des (2010 getöteten) An-
führers des aus der "Al Qaida im Zweistromland" hervorgegangenen "Islami-
schen Staates im Irak", Abu Umar Al Baghdadi Al Quraishi, mit dem Titel "Die
Religion ist ein Ratschlag". Den Text dieser Rede nebst deutscher Übersetzung
stellte der Angeklagte am 24. Februar 2008 in das dritte GIMF-Forum (Fall 10)
und
am
23.
August
2008
in
seinen
eigenen
Weblog
"d.
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24
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" ein (Fall 29). Eine Videofassung, in der eine Tonauf-
nahme der Rede mit deutschen Untertiteln versehen und mit Filmsequenzen
über die Anschläge vom 11. September 2001 sowie über Kampfhandlungen
der "Mujahidin" unterlegt ist, stellte er am 3. März 2008 ebenfalls in das dritte
GIMF-Forum (Fall 11) und am 4. März 2008 - zusammen mit der erwähnten
Textfassung - in seinen Weblog "a. " ein (Fall 12).
Nach den Feststellungen befasst sich Al Baghdadi in dieser Rede mit
dem Palästina-Problem. Palästina könne nur durch den "Jihad" befreit werden,
der sich gleichermaßen gegen "die ungläubigen Kreuzzügler, die pseudo-
islamischen Politiker sowie die Schiiten" richten müsse und zudem an mehre-
ren "neu zu eröffnenden Schlachtfeldern" zu führen sei. Jeder Muslim sei ver-
pflichtet, hierzu einen Beitrag zu leisten. "Die Weisen und Erfahrenen unter den
Söhnen der Salaf-
Methodologie sollen versuchen, … eine Gruppe nach der
Salaf-Methodologie zu gründen", die "den Weg anführen" werde, um "den
Jihad-Aufstand in den Jugendlichen der Al-
Aqsa blühen zu lassen. … Sie soll-
ten so viel an Waffen und Mannstärke auftreiben
, wie es geht. … Die Aufgabe
der Nation um Al-Aqsa zu befreien ist vielfältig: Neue Schlachtfelder zu öffnen,
um dadurch den Druck der Juden und Amerikaner auf unsere Leute in Palästi-
na zu verkleinern, und dabei die existierenden Schlachtfelder unterstützen und
stärken, besonders diejenigen, die eine direkte Schlacht gegen die Amerikaner
durchführen, wie im Irak und Afghanistan … es wird mit der Hilfe Allahs der
Zünder für den Jihad in den Mittelmeerländern sein. … Wir bitten ihn, Erhaben
ist er, dass der islamische Staat im Irak der Eckstein zur Befreiung Jerusalems
wird."
2. Das Oberlandesgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, Al Baghdadi ha-
be damit - was auch dem Angeklagten bewusst gewesen sei - "unverhohlen"
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das Ziel verfolgt, insbesondere junge Muslime "zur Teilnahme am Jihad unter
dem Banner des IStI" ("Islamischer Staat im Irak") zu mobilisieren. Die dem zu
Grunde liegenden Erwägungen des Oberlandesgerichts sind indes nicht frei
von Rechtsfehlern.
a) Zwar ist das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass
schon nach einfach-rechtlichen, im Hinblick auf die wertsetzende Bedeutung
des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) insbesondere aber auch
nach verfassungsrechtlichen Anforderungen einer Aussage keine Bedeutung
beigelegt werden darf, die sie objektiv nicht hat, und dass im Falle der Mehr-
deutigkeit einer Aussage nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung
ausgegangen werden darf, ohne dass andere Deutungsmöglichkeiten mit trag-
fähigen Gründen ausgeschlossen worden sind (BVerfG, Beschlüsse vom
19. April 1990 - 1 BvR 40/86 u.a., BVerfGE 82, 43; vom 10. Oktober 1995
- 1 BvR 1476/91 u.a., BVerfGE 93, 266, 295 f.; vom 29. Juli 1998 - 1 BvR
287/93, NJW 1999, 204, 205; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2002 - 3 StR
446/01, NStZ 2002, 592). Daran anknüpfend hat das Oberlandesgericht aber
lediglich pauschal bezogen auf die insgesamt abgeurteilten Fälle ausgeführt,
die Beiträge des Angeklagten könnten nach den Gesamtumständen aus objek-
tiver Sicht nicht in einem Sinne ausgelegt werden, der sie dem Straftatbestand
des § 129a Abs. 5 Satz 2 StGB entzöge. Dazu sei ihr werbender Charakter "zu
offenkundig", und zwar in den jeweiligen Botschaften und Dateien selbst als
auch in der Form, in der der Angeklagte sie sich zu Eigen gemacht habe.
b) Gegen solche allgemein gehaltenen Erwägungen sind durchgreifende
Bedenken dann nicht zu erheben, wenn eine entsprechende Bedeutung der
mitgeteilten Erklärung in ihrem Gesamtzusammenhang tatsächlich ohne Weite-
res zu Tage tritt. Davon kann vorliegend indes nicht die Rede sein:
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Im Vordergrund der Rede steht vielmehr die Aufforderung, "neue
Schlachtfelder" zu eröffnen und hierzu neue Gruppen zu bilden, die den "Jihad"
der "Jugendlichen" der "Al-Aqsa" vorantragen. Im Folgenden gibt der Redner
dann zwar einerseits der Hoffnung Ausdruck, dass gerade der "Islamischer
Staat im Irak" zum "Eckstein" der Befreiung Palästinas wird; auch bezeichnet er
es als Pflicht der Gemeinschaft der Gläubigen, diejenigen zu unterstützen, die
u.a. im Irak eine "direkte Schlacht gegen die Amerikaner" durchführen. Ande-
rerseits jedoch bezeichnet er eine Unterstützung dieser Kämpfer nur als eine
von vielfältigen Aufgaben, die militärische Kräfte binden und so die Front in Pa-
lästina entlasten können. Mit diesen Gegensätzlichkeiten hätte sich das Ober-
landesgericht auseinandersetzen und darlegen müssen, weshalb eine Ausle-
gung dahin ausscheidet, der Redner habe eine Unterstützung des "Islamischen
Staats im Irak" lediglich als eine unter vielen Möglichkeiten der Gläubigen auf-
gezeigt, zur Befreiung Palästinas beizutragen, ihnen im Übrigen aber die Wahl
unter diesen Möglichkeiten freigestellt. Begleitende Kommentare des Angeklag-
ten, die über die Solidarisierung mit Al Baghdadi und den von ihm vertretenen
Ansichten hinausgehen und eigenständigen werbenden Charakter haben könn-
ten, sind bei keiner der in Frage stehenden Taten festgestellt.
3. Die genannten Fälle bedürfen deshalb neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, soweit das neue Tatgericht nicht von der Möglichkeit des § 154 Abs.
2 StPO Gebrauch machen wird.
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III. Verurteilung des Angeklagten im Falle A. V. 46 der Urteilsgründe
Schließlich hat auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Werbens
um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung
im Falle A. V. 46 der Urteilsgründe keinen Bestand.
In dem vom Angeklagten am 5. Dezember 2009 unter der Überschrift
"Shaikh Abu Musab: Über die Mudschahidin", jedoch ohne weiteren eigenen
Kommentar in das von ihm betriebene Internet-Forum "de. " einge-
stellten Textdokument verherrlicht der (2006 getötete) Anführer der "Al Qaida
im Zweistromland", Abu Musab Al Zarkawi, die "Mujahidin". Diese führten den
"Jihad", weil sie wüssten, dass dies ihre Pflicht sei, opferten sich aus Liebe für
Allah und bevorzugten das Jenseits. Ihr Vorbild sei der Prophet, der sich ge-
wünscht habe, gleich mehrmals für die Sache Allahs kämpfen und sterben zu
können.
Auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter eröffneten Bewertungs-
spielraums (oben I. 2. a)) ist der so festgestellten Erklärung indes an keiner
Stelle ein sich dem Adressaten hinreichend deutlich erschließender Inhalt dahin
zu entnehmen, der die "Al Qaida im Zweistromland" repräsentierende Al
Zarkawi werbe gezielt auch darum, sich dem "Jihad" an der Seite gerade dieser
Organisation anzuschließen oder gerade deren Tätigkeit zu unterstützen (vgl.
BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345). Nach dem
Wortlaut enthält die Rede lediglich eine allgemein gehaltene Lobpreisung aller
"Mujahidin", die sich in Befolgung ihrer religiösen Pflicht entschlossen haben,
dem bewaffneten "Jihad" zu folgen. Sie wirbt damit zwar um Sympathie für den
bewaffneten "Jihad", enthält sich aber einer Aufforderung an die Adressaten,
sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dass derartige Äußerungen eines
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(führenden) Mitglieds einer terroristischen Organisation regelmäßig mit der still-
schweigenden Erwartung einhergehen werden, beim Adressaten auch Überle-
gungen hin zu einem Anschluss auch an die eigene Vereinigung oder zu deren
Unterstützung auszulösen und dieser so neuen Zulauf zu verschaffen, ändert
an diesem Ergebnis nichts (BGH, Beschluss vom 19. Juli 2012 - 3 StR 218/12).
In der zu beurteilenden Rede selbst findet dies nicht den für ein Werben nach
§ 129a Abs. 5 Satz 2 StGB erforderlichen Niederschlag.
Das Oberlandesgericht misst der mitgeteilten Erklärung damit eine Be-
deutung zu, die sie objektiv nicht hat (vgl. oben II. 2. a)). Angesichts der insge-
samt sehr ausführlichen Darlegungen des Oberlandesgerichts zum Inhalt der
vom Angeklagten zum Abruf bereitgestellten Publikationen schließt der Senat
aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch weitere Textstellen festge-
stellt werden können, die den Schluss zulassen, Al Zarkawi habe gezielt um
Mitglieder oder Unterstützer für "Al Qaida im Zweistromland" geworben. Er
spricht den Angeklagten deshalb insoweit frei.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol
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