Urteil des BGH vom 21.04.2009

BGH (beachtliche gründe, annahme, strafkammer, stpo, unterlassen, schuldspruch, misshandlung, unterlassungsdelikt, höhe, stgb)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 73/09
vom
21. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hechingen vom 4. Dezember 2008
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des
versuchten Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung
Schutzbefohlener und tateinheitlich begangener gefährlicher
Körperverletzung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf-
gehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes (durch
Unterlassen) in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher
Körperverletzung zu einer Jugendstrafe in Höhe von fünf Jahren und sechs
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Monaten verurteilt. Den zunächst verwirklichten versuchten Totschlag (durch
aktives Tun) hat die Strafkammer dem Schuldspruch nicht zu Grunde gelegt,
weil sie bei Annahme von natürlicher Handlungseinheit dem Unterlassungsde-
likt das größere Gewicht beigemessen hat. Die gegen dieses Urteil gerichtete
Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuld-
spruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmit-
tel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Ausführungen des Landgerichts halten teilweise revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe
sich wegen eines versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen strafbar
gemacht, trifft nicht zu. Nach der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bun-
desgerichtshofs fehlt es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht
erforderlichen „anderen“ Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit
(bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur
Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden
Opfers einzuleiten, selbst wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil
eine zeitliche Zäsur liegt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15; BGH
StraFo 2007, 123, 124). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtspre-
chung des 4. Strafsenats abzuweichen, auch wenn beachtliche Gründe dage-
gen sprechen (vgl. hierzu Freund in NStZ 2004, 123, 124). Eine Verurteilung
des Angeklagten wegen eines versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlas-
sen kam deshalb im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
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Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen
ist der Angeklagte jedoch neben den tateinheitlich verwirklichten Delikten der
Misshandlung Schutzbefohlener und der gefährlichen Körperverletzung eines
versuchten Totschlags schuldig. Insbesondere die Annahme des Landgerichts,
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der Angeklagte habe bereits bei Ausführung des Faustschlags auf den Hinter-
kopf seines zwei Monate alten Sohnes mit bedingtem Tötungsvorsatz gehan-
delt, begegnet angesichts der ausführlichen Beweiswürdigung zu der Gefähr-
lichkeit der Gewalthandlung, den erheblichen Verletzungsfolgen und der Per-
sönlichkeit des Angeklagten keinen rechtlichen Bedenken. Die Annahme eines
strafbefreienden Rücktritts ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Nach den
Feststellungen der Kammer rechnete der Angeklagte nach dem Faustschlag
„mit dem Schlimmsten“; er wollte weder sehen noch wissen, was er seinem
Sohn angetan hatte. Es lag damit ein beendeter Versuch vor (vgl. BGHSt 40,
304, 306), so dass der Angeklagte erfolgreiche Bemühungen zur Verhinderung
des drohenden Erfolgseintritts hätte entfalten müssen, um strafbefreiend zu-
rücktreten zu können (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. StGB). Dies hat er aber nicht
getan. Da in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende als die aus dem
Urteil ersichtlichen Feststellungen nicht zu erwarten sind, war der Schuldspruch
entsprechend zu ändern (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Eines Hinweises nach
§ 265 StPO bedurfte es hierzu nicht.
Der Strafausspruch kann im Hinblick auf die Änderung des Schuld-
spruchs keinen Bestand haben. Die vom Landgericht verhängte Jugendstrafe
und deren Höhe erscheinen zwar angesichts der Persönlichkeitsdefizite des
Angeklagten, des von erheblicher Rohheit und Brutalität geprägten Tatbildes
(wuchtiger Faustschlag auf den Hinterkopf eines Säuglings) und der schweren
Folgen für das Opfer auch unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens
durchaus angemessen. Jedoch kann der Senat nicht ausschließen, dass das
Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine andere Jugendstrafe
verhängt hätte. Da es bei der Bemessung der Jugendstrafe wiederholt auf das
Unterlassungsdelikt abgestellt hat, war der Strafausspruch mit den dazu gehö-
renden Feststellungen aufzuheben und an eine andere Strafkammer des Land-
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gerichts zurückzuverweisen. Der Senat weist daraufhin, dass bei der erneuten
Strafzumessung insbesondere das Nachtatverhalten des Angeklagten (UA S. 9)
strafschärfend berücksichtigt werden darf.
Nack Elf Graf
Jäger Sander