Urteil des BGH vom 11.01.1999

BGH (antragsteller, antrag, braunschweig, bank, notar, beschwerde, verhalten, annahme, wahl, entziehen)

Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
____________________
BNotO: § 50 Abs. 1 Nr. 8
Ist die Abtragung einer längerfristig angewachsenen erheblichen Schuldenlast
nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erwarten, so rechtfertigt
dies in der Regel den Schluß, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Notars
die Interessen der Rechtsuchenden gefährden.
BGH, Beschl. vom 20. März 2000 - NotZ 19/99 - OLG Celle
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 19/99
vom
20. März 2000
in dem Verfahren
- 2 -
Antragsteller und
Beschwerdeführer
gegen
Antragsgegner und
Beschwerdegegner
wegen Feststellung der Voraussetzungen für die Amtsenthebung
- 3 -
Der Bundesgerichtshofs, Senat für Notarsachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Rinne, die Richter Tropf und Dr. Wahl sowie die Notare Dr. Lintz
und Dr. Doyé am 20. März 2000 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
des Senats für Notarsachen bei dem Oberlandesgericht Celle
vom 13. September 1999 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfah-
rens zu tragen und die dem Antragsgegner im Beschwerdeverfah-
ren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird für beide Rechtszüge auf 100.000,- DM
festgesetzt.
Gründe:
I.
Der 1945 geborene Antragsteller ist seit 1975 Rechtsanwalt und seit
1985 Notar in Braunschweig.
Die Anwaltszulassung wurde am 17. September 1998 widerrufen, der
hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde vom Anwalts-
gerichtshof bei dem Oberlandesgericht Celle zurückgewiesen. Das Verfahren
ist auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegenwärtig beim Anwalts-
senat des Bundesgerichtshofs anhängig.
- 4 -
Am 26. November 1998 hat der Antragsgegner den Antragsteller vorläu-
fig seines Amtes als Notar enthoben. Den hiergegen gerichteten Antrag auf
gerichtliche Entscheidung hat der Notarsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch Beschluß vom 11. Januar 1999 zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Verfügung vom 9. April
1999 eröffnet, daß er beabsichtige, ihn gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO des
Amtes zu entheben. In dem auf Antrag des Notars eingeleiteten Verfahren ge-
mäß § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO hat das Oberlandesgerichts festgestellt, daß die
Voraussetzungen einer Amtsenthebung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO vorlie-
gen.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
Zu Recht stellt das Oberlandesgericht fest, daß die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse des Antragstellers die Interessen der Rechtsuchenden gefährden
(§ 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO). Ob auch die Art seiner Wirtschaftsführung eine sol-
che Annahme rechtfertigt, kann dahinstehen.
1. Wie auch der Antragsteller nicht bestreitet, hat er Schulden von gut
600.000,- DM, die er praktisch nicht abtragen kann.
Die Witwe seines früheren Sozius, Frau S. , hat gegen ihn
aus einem gerichtlichen Vergleich einen Anspruch von rund 50.000,- DM. Wäh-
rend die Forderung zunächst bis Ende 1996 gestundet war, kam es ab 1997 zu
massiven Vollstreckungsversuchen. In deren Verlauf wurde aufgedeckt, daß
- 5 -
der Antragsteller sein Geschäftskonto nicht auf seinen Namen, sondern auf
den seiner Lebensgefährtin hatte laufen lassen. Ein Konkursantrag der Gläubi-
gerin (27 N 99/97 AG Braunschweig) wurde erst nach Abschluß eines erneuten
Vergleichs zurückgenommen, durch den sich der Antragsteller zu monatlichen
Raten von 1.000,- DM verpflichtete. Auch diesen Verpflichtungen ist er nicht
nachgekommen. Er hat sich Vollstreckungsbemühungen der Gläubigerin da-
durch zu entziehen versucht, daß er ihrem sie vertretenden Sohn, Rechtsan-
walt S. , seine neue Privatanschrift hat vorenthalten lassen.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner die Akten
des auf Antrag von Frau S. eingeleiteten Insolvenzverfahrens 273 IK
75/99 des AG Braunschweig vorgelegt. Nach Rücknahme des Antrags wurde
ein bereits ergangener Beschluß vom 2. Dezember 1999 aufgehoben, worin
der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt worden war, weil
zwar ein Eröffnungsgrund vorliege, aber keine Masse, die die Massekosten
decken würde, und weil der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens vermö-
genslos sei. Im Rahmen des Verfahrens vor dem Amtsgericht Braunschweig
hatte der Antragsteller einen Fragebogen ausgefüllt, in dem er seine Verbind-
lichkeiten mit "ca. 650.000,- DM" angegeben und sich als überschuldet be-
zeichnet hatte.
Die übrigen Schulden bestehen insbesondere bei Banken, z.B. rund
52.000,- DM bei der NordLB, rund 50.000,- DM bei der Deutschen Bank und
rund 380.000,- DM bei der All-Bank. Wie der Notar in der mündlichen Ver-
handlung vor dem Oberlandesgericht eingeräumt hat, bezahlt er die geringfü-
gigen Raten, zu denen er sich gegenüber den Gläubigern bereiterklärt hat
(100,- DM monatlich sowie zwei jährliche Sonderzahlungen von jeweils
- 6 -
2.000,- DM an die NordLB; 255,- DM pro Quartal an die Deutsche Bank;
200,-DM monatlich an die All-Bank), nicht mehr.
2. Auf der Grundlage dieser vom Antragsteller nicht bestrittenen Fest-
stellungen bejaht der Senat ebenso wie das Oberlandesgericht die Vorausset-
zungen von § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO.
a) Der Vermögensverfall ist offensichtlich. Schon weil es in diesem Zu-
sammenhang auf ein Verschulden des Notars nicht ankommt (Vetter in
Schippel BNotO 7. Aufl. § 50 Rdn. 30), kann auch sein Vorbringen zu den
Gründen, die zu dem Anspruch von Frau S. geführt haben, auf sich beru-
hen. Ebensowenig kommt es auf das Vorbringen des Antragstellers an, wonach
der Antragsgegner schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt die Vermö-
genssituation des Antragstellers hätte erkennen können.
b) Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers gefährden die
Interessen der Rechtsuchenden.
Die hohe Verschuldung eines Notars gefährdet seine Integrität und stellt
seine Unabhängigkeit in Frage. Es besteht dann die Gefahr, daß er fremde
Vermögensinteressen nicht mit der gebotenen Sorgfalt wahrnimmt und Versu-
chen Dritter, seine Amtsführung sachwidrig zu beeinflussen, nicht mit dem er-
forderlichen Nachdruck entgegentreten will oder kann. Für die Anwendung des
§ 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO folgt daraus: Ist die Abtragung einer längerfristig an-
gewachsenen erheblichen Schuldenlast nicht innerhalb eines überschaubaren
Zeitraums zu erwarten, so rechtfertigt dies in der Regel den Schluß, daß die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Notars die Interessen der Rechtsuchenden
gefährden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. März 1977 - NotZ 15/76 - DNotZ
- 7 -
1977, 567, 568; vom 22. Oktober 1979 - NotZ 6/79 - DNotZ 1980, 424, 425 f.;
vom 12. Oktober 1990 - NotZ 21/89 - DNotZ 1991, 94, 96).
Im vorliegenden Fall ist diese Annahme nicht nur unwiderlegt, sie wird
vielmehr durch besondere Umstände, die sich aus dem Verhalten des Antrag-
stellers ergeben, bestätigt. So hat er seinerzeit sein Geschäftskonto nicht auf
seinen eigenen Namen, sondern auf denjenigen seiner Lebensgefährtin laufen
lassen. Auch hat er versucht, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu entgehen,
indem er dem Anwalt seiner Gläubigerin Frau S. seine Privatanschrift hat
vorenthalten lassen. Damit hat er seine Bereitschaft zu erkennen gegeben,
sich seinen Verpflichtungen durch manipulatives Verhalten zu entziehen und
die Schädigung Dritter in Kauf zu nehmen. Daß es ihm letztlich gelungen ist,
Rückzahlungsvereinbarungen (die er dann freilich nicht eingehalten hat) mit
seinen Gläubigern zu treffen, ist demgegenüber ohne Bedeutung.
Rinne Tropf Wahl
Lintz Doyé