Urteil des BGH vom 17.07.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 80/07
vom
17. Juli 2008
in der Zwangsvollstreckungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ
: nein
BGHR
:
ja
ZPO § 899 Abs. 1, § 901
a) Wird der Auftrag zur Pfändung zusammen mit einem Antrag zur Bestim-
mung eines Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung für den
Fall gestellt, dass die Pfändung nicht zu einer vollständigen Befriedigung
des Gläubigers führt, ist der Zeitpunkt des Pfändungsversuchs für die Be-
stimmung der Zuständigkeit zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung
nach § 899 Abs. 1 ZPO maßgeblich.
b) Zur Begründung eines Aufenthaltsorts i.S. des § 899 Abs. 1 ZPO reicht eine
kurzfristige Anwesenheit des Schuldners aus.
c) Eine Ausdehnung des Verfahrens zur Abgabe der eidesstattlichen Versiche-
rung auf weitere titulierte Forderungen ist nach dem Offenbarungstermin
nicht mehr zulässig.
BGH, Beschl. v. 17. Juli 2008 - I ZB 80/07 - LG Hamburg
AG
Hamburg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners und die Anschlussrechts-
beschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss des Landge-
richts Hamburg, Zivilkammer 32, vom 25. Juli 2007 werden zu-
rückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden gegenein-
ander aufgehoben.
Gegenstandswert: 1.500 €.
Gründe:
I. Der Schuldner wurde vom Oberlandesgericht München zur Zahlung
von 1.999.800 US-Dollar an den Gläubiger verurteilt. Die Verfahrenskosten
setzte das Landgericht München I mit Kostenfestsetzungsbeschluss in Höhe
von 79.200 € gegen den Schuldner fest.
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Der Schuldner, der seinen Wohnsitz in Großbritannien hat, war für den
15. Dezember 2006 als Zeuge in das Ziviljustizgebäude in Hamburg geladen.
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Der Gläubiger, der in der Schweiz wohnt, beauftragte den Gerichtsvoll-
zieher am 8. Dezember 2006, wegen eines Teilbetrags von 50.000 € aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss eine Sachpfändung durchzuführen. Für den Fall
der Erfolglosigkeit der Pfändung beantragte der Gläubiger, Termin zur Abgabe
der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners zu bestimmen und Haftbefehl
zu erlassen, falls der Schuldner zum Termin nicht erscheinen oder die Abgabe
der eidesstattlichen Versicherung verweigern sollte.
Nachdem ein Pfändungsversuch am 15. Dezember 2006 im Ziviljustizge-
bäude in Hamburg erfolglos verlaufen war, lud der Gerichtsvollzieher den
Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf den 15. Januar
2007. Am 20. Dezember 2006 erteilte der Gläubiger einen Vollstreckungsauf-
trag zur Pfändung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts München und bean-
tragte, in dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am
15. Januar 2007 erneut eine Pfändung beim Schuldner vorzunehmen und ge-
gebenenfalls einen weiteren Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versiche-
rung zu bestimmen sowie bei einer Weigerung des Schuldners oder im Falle
seines Nichterscheinens im Termin Haftbefehl zu erlassen.
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Unter Berufung auf seinen Wohnsitz und Aufenthalt im Ausland machte
der Schuldner geltend, der Gerichtsvollzieher sei unzuständig. Zum Termin zur
Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 15. Januar 2007 erschien der
Schuldner nicht. Im Hinblick auf den Haftbefehlsantrag legte der Gerichtsvoll-
zieher die Zwangsvollstreckungsakte dem Amtsgericht Hamburg vor.
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Das Amtsgericht hat sich für örtlich unzuständig erklärt. Die hiergegen
gerichtete Erinnerung des Gläubigers hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Auf
die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Landgericht den Beschluss
des Amtsgerichts aufgehoben und es angewiesen, gegen den Schuldner Haft-
befehl zu erlassen; die weitergehende sofortige Beschwerde hat das Landge-
richt zurückgewiesen.
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Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Schuld-
ners. Der Gläubiger beantragt, die Rechtsbeschwerde des Schuldners zurück-
zuweisen. Er beantragt weiterhin im Wege der Anschlussrechtsbeschwerde, die
Zwangsvollstreckung entsprechend seinem Antrag vom 20. Dezember 2006
auszudehnen. Der Schuldner beantragt, die Anschlussrechtsbeschwerde zu-
rückzuweisen.
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II. Die Rechtsbeschwerde des Schuldners und die Anschlussrechtsbe-
schwerde des Gläubigers sind zulässig (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 4,
§ 575 ZPO). In der Sache haben sie keinen Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung aus-
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Das Amtsgericht Hamburg sei nach § 899 Abs. 1, § 802 ZPO örtlich zu-
ständig. Maßgeblich sei für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der
Aufenthaltsort des Schuldners, weil dieser keinen Wohnsitz im Bundesgebiet
habe. Der Schuldner habe sich zum Zeitpunkt des Pfändungsversuchs am
15. Dezember 2006 im Bezirk des Amtsgerichts Hamburg aufgehalten. Davon
sei auch auszugehen, wenn für einen Aufenthaltsort i.S. des § 899 Abs. 1 ZPO
erforderlich sei, dass der Schuldner sich in der maßgebenden Zeit dort über-
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wiegend aufzuhalten pflege und dass dort seine Interessen zusammenliefen,
deretwegen er sich im Bundesgebiet aufhalte.
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Der Antrag des Gläubigers auf Ausdehnung der Zwangsvollstreckung
habe dagegen keinen Erfolg. Das Schreiben des Gläubigers vom 20. Dezember
2006 habe keine Ausdehnung der bereits laufenden Zwangsvollstreckung, son-
dern einen davon unabhängigen weiteren Zwangsvollstreckungsauftrag zum
Gegenstand gehabt. Die unter dem 24. Januar 2007 nachgesuchte Ausdeh-
nung der Zwangsvollstreckung sei unzulässig. Sie sei erst nach dem Termin zur
Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 15. Januar 2007 beantragt wor-
den.
2. Die Rechtsbeschwerde des Schuldners ist nicht begründet, weil das
Beschwerdegericht das Amtsgericht zu Recht angewiesen hat, einen Haftbefehl
gegen den Schuldner zu erlassen (§§ 899, 900, 901 ZPO). Das Amtsgericht
Hamburg ist für den Erlass des Haftbefehls zuständig.
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a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung folgt diese
Zuständigkeit jedoch nicht aus Art. 39 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001
des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Voll-
streckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember
2000 (ABl. EG 2001, Nr. L 12, S. 1 - im Folgenden: Brüssel-I-VO). Die Vor-
schrift betrifft die örtliche Zuständigkeit für einen Antrag auf Vollstreckbarerklä-
rung der in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung (vgl. Art. 38
Abs. 1, Art. 39 Abs. 1 Brüssel-I-VO). Sie berührt nicht die internationale und die
örtliche Zuständigkeit für Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund einer von einem
deutschen Gericht erlassenen vollstreckbaren Entscheidung im Inland (vgl.
Musielak/Voit, ZPO, 6. Aufl., § 899 Rdn. 4).
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b) Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg für den Erlass des Haft-
befehls nach § 901 ZPO folgt vielmehr mittelbar aus § 899 Abs. 1 ZPO. Nach
dieser Vorschrift ist für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach
§ 807 ZPO der Gerichtsvollzieher bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen
Bezirk der Schuldner im Zeitpunkt der Auftragserteilung seinen Wohnsitz oder
in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes seinen Aufenthaltsort hat. Da
der Schuldner in Deutschland keinen Wohnsitz hat, richtet sich die Zuständig-
keit grundsätzlich nach dem Aufenthaltsort des Schuldners bei der Auftragser-
teilung nach § 900 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vorliegend: 8. Dezember 2006). Wird
der Auftrag zur Pfändung zusammen mit einem Antrag zur Bestimmung eines
Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung für den Fall gestellt,
dass die Pfändung nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers
führt, ist der Zeitpunkt des Pfändungsversuchs maßgeblich (vgl. Zöller/Stöber,
ZPO, 26. Aufl., § 899 Rdn. 2), weil erst zu diesem Zeitpunkt über die Verpflich-
tung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu entscheiden ist und eine
dann begründete Zuständigkeit ausreicht. Zu diesem Zeitpunkt (vorliegend:
15. Dezember 2006) hatte der Schuldner seinen Aufenthaltsort i.S. des § 899
Abs. 1 ZPO im Bezirk des Amtsgerichts Hamburg.
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Zur Begründung eines Aufenthaltsorts reicht eine nur vorübergehende
kurzfristige Anwesenheit des Schuldners aus; eine Durchreise kann genügen
(vgl. zu § 16 ZPO: Musielak/Heinrich aaO § 16 Rdn. 3; Wieczorek/Schütze/
Hausmann, ZPO, 3. Aufl., § 16 Rdn. 6; zu § 73 Abs. 1 FGG: KG OLGZ 1973,
149, 150; BayObLG NJW 2003, 596). Dagegen ist zur Begründung eines Auf-
enthaltsorts nicht erforderlich, dass der Schuldner sich in der fraglichen Zeit an
dem in Rede stehenden Ort überwiegend aufzuhalten pflegt und seine Interes-
sen in der Hauptsache dort zusammenlaufen (a.A. OLG Frankfurt am Main
JurBüro 1978, 131; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 899 Rdn. 5
Fn. 22). Die Bestimmung des § 899 Abs. 1 ZPO setzt für die Begründung der
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Zuständigkeit keinen längeren oder gewöhnlichen Aufenthalt voraus (zu diesen
Erfordernissen: § 20 ZPO und § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Nach diesen Maßstä-
ben genügte die Anwesenheit des Schuldners im Ziviljustizgebäude in Ham-
burg, um dort einen Aufenthaltsort i.S. des § 899 Abs. 1 ZPO anzunehmen.
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Anders als die Rechtsbeschwerde meint, kommt es auch nicht darauf an,
ob der Schuldner sich an dem fraglichen Ort freiwillig aufhält (vgl. BGH MDR
1987, 829; BayObLG VersR 1985, 742; MünchKomm.ZPO/Patzina, 3. Aufl.,
§ 16 Rdn. 6; Wieczorek/Schütze/Hausmann aaO § 16 Rdn. 6; Zöller/Voll-
kommer aaO § 16 Rdn. 7).
c) Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass auch die weiteren Vor-
aussetzungen für den Erlass des Haftbefehls vorliegen. Dagegen wendet sich
die Rechtsbeschwerde nicht. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
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3. Die Anschlussrechtsbeschwerde ist ebenfalls unbegründet.
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a) Entgegen der Ansicht der Anschlussrechtsbeschwerde ist eine Aus-
dehnung der Zwangsvollstreckung vor dem Termin zur Abgabe der eidesstattli-
chen Versicherung am 15. Januar 2007 durch den Gläubiger nicht erfolgt. Sein
Schreiben vom 20. Dezember 2006 enthält keine Ausdehnung der laufenden
Vollstreckungsmaßnahme, sondern einen weiteren Auftrag zur Vollstreckung
aus dem Urteil des Oberlandesgerichts München.
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Ohne Erfolg macht die Anschlussrechtsbeschwerde weiterhin geltend,
dem Gerichtsvollzieher sei in zahlreichen Telefonaten der Hintergrund des An-
trags vom 20. Dezember 2006 erläutert und eine Ausdehnung der Zwangsvoll-
streckung beantragt worden. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des Voll-
streckungsauftrags vom 20. Dezember 2006 und des nur vage gehaltenen Vor-
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trags des Gläubigers konnte das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgehen,
dass eine Ausdehnung der laufenden Zwangsvollstreckung um die Hauptforde-
rung sowie um Zinsen und weitere Kosten bis zum Termin zur Abgabe der ei-
desstattlichen Versicherung nicht erfolgt war. Danach kommt es auch nicht dar-
auf an, unter welchen Voraussetzungen eine Ausdehnung der Zwangsvollstre-
ckung zwischen Anberaumung des Termins zur Abgabe der Offenbarungsver-
sicherung und dem Termin selbst zulässig ist (vgl. hierzu LG Bonn JurBüro
1998, 102; Musielak/Voit aaO § 900 Rdn. 4).
b) Eine Ausdehnung des Verfahrens zur Abgabe der eidesstattlichen
Versicherung auf weitere titulierte Forderungen nach dem Offenbarungstermin
war nicht mehr zulässig (Stein/Jonas/Münzberg aaO § 900 Rdn. 22). Der Ver-
pflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und der Terminsbe-
stimmung liegt eine bestimmte zu vollstreckende Forderung zugrunde (vgl.
§ 900 Abs. 3 ZPO). Der Erlass des Haftbefehls setzt voraus, dass der Schuld-
ner dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unentschuldigt
fern bleibt oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung grundlos verwei-
gert. Die Verpflichtung des Schuldners zur Abgabe der eidesstattlichen Versi-
cherung muss danach im Termin bestanden haben (Schuschke in: Schuschke/
Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 901 ZPO
Rdn. 5; Zöller/Stöber aaO § 901 Rdn. 3; Wieczorek/Schütze/Storz aaO § 901
Rdn. 10). Denn der Haftbefehl dient der Erzwingung nur einer zulässigerweise
abverlangten eidesstattlichen Versicherung. Damit nicht zu vereinbaren ist eine
Auswechslung der titulierten Forderung oder eine Ausdehnung auf andere voll-
streckbare Forderungen nach dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Ver-
sicherung.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann
Kirchhoff
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 28.02.2007 - 29d M 5042/07 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 25.07.2007 - 332 T 34/07 -