Urteil des BGH vom 15.02.2006

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZB 57/04
vom
15. Februar 2006
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 15. Februar 2006
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Hansea-
tischen Oberlandesgerichts Hamburg, 2. Zivilsenat, vom
31. August 2004 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.
Streitwert: 2.556 € (Feststellungsantrag der unselbststän-
digen Anschlussberufung)
Gründe:
I. Die Klägerin hat als alleinige gesetzliche Erbin ihres Vaters den
Beklagten, dessen Bruder, u.a. auf Zahlung von 50.000 DM in Anspruch
genommen, weil er einen Blankoscheck des Erblassers in dessen Woh-
nung unberechtigt an sich genommen, eigenmächtig ausgefüllt und ein-
gelöst habe. Widerklagend hat der Beklagte die Erstattung von Beerdi-
gungskosten in Höhe von 6.704,20 DM verlangt. Das Landgericht hat
den Beklagten am 21. Juni 2000 zur Zahlung von 50.000 DM verurteilt
und die Widerklage abgewiesen. Hinsichtlich der Klageforderung hat das
Landgericht offen gelassen, ob sie nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit
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§§ 246, 263, 267 StGB begründet sei; jedenfalls ergebe sich aus dem
Vorbringen des Beklagten zu einer angeblichen Schenkung des Erblas-
sers, dass er den geforderten Betrag nach § 812 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt.
BGB wegen Nichteintritts des mit der Schenkung bezweckten Erfolgs zu-
rückzahlen müsse.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil
des Landgerichts aufzuheben, soweit er zur Zahlung von 50.000 DM ver-
urteilt worden war, und die Klage auch insoweit abzuweisen. Nach Ablauf
der Berufungsfrist hat die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuwei-
sen und darüber hinaus im Hinblick auf die sich aus § 850f Abs. 2 ZPO
ergebenden, erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten festzustellen, dass
der Beklagte auch aufgrund unerlaubter Handlung hafte (vgl. BGHZ 152,
166 ff.). Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 20. No-
vember 2003 nicht vertreten war, hat das Berufungsgericht ein Versäum-
nisurteil nach den Anträgen der Klägerin erlassen. Dagegen ist rechtzei-
tig Einspruch eingelegt worden. Mit einem weiteren Schriftsatz vom
9. Februar 2004 hat der Beklagtenvertreter beantragt, unter Abänderung
des Versäumnisurteils das Urteil des Landgerichts teilweise dahin zu än-
dern, dass der Beklagte nur 43.295,80 DM nebst Zinsen zu zahlen habe.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Beklagte rechne gegenüber dem
Anspruch auf 50.000 DM mit den von ihm ursprünglich widerklagend ver-
langten Beerdigungskosten in Höhe von 6.704,20 DM auf. Die Feststel-
lung einer Haftung des Beklagten auch aus unerlaubter Handlung sei
nicht gerechtfertigt. Nach verschiedenen Hinweisen des Gerichts hat der
Beklagte schließlich seine Berufung ohne Einwilligung der Klägerin zu-
rückgenommen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten in dem ange-
fochtenen Beschluss vom 31. August 2004 des Rechtsmittels der Beru-
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fung für verlustig erklärt und ihm die Kosten des Berufungsverfahrens
auferlegt. Weiter hat es das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
20. November 2003 ergangene Versäumnisurteil für wirkungslos und das
Urteil des Landgerichts vom 21. Juni 2000 für rechtskräftig erklärt. Die
Rechtsbeschwerde werde nicht zugelassen. Gegen diesen Beschluss hat
sich die Klägerin mit einer Gegenvorstellung gewandt, der das Beru-
fungsgericht nicht abgeholfen hat.
Die Klägerin hat gegen den Beschluss des Berufungsgerichts vom
31. August 2004 Rechtsbeschwerde eingelegt mit dem Antrag, diesen
Beschluss aufzuheben, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden
ist, und die Wirkungen des Versäumnisurteils wiederherzustellen. Sie
hält eine Rechtsbeschwerde im vorliegenden Fall aufgrund des Plenar-
beschlusses des Bundesverfassungsgerichts NJW 2003, 1924, 1926 f.
für statthaft. Das Rechtsmittel sei auch begründet, weil das Berufungsge-
richt Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe. Das Berufungsgericht setze sich
nicht mit dem Einwand der Klägerin auseinander, dass der Beklagte nur
teilweise Einspruch eingelegt habe; deshalb sei das Versäumnisurteil,
soweit es eine Haftung des Beklagten auch aus unerlaubter Handlung
feststelle, rechtskräftig geworden. Im Übrigen sei die Auffassung des Be-
rufungsgerichts, durch den Einspruch sei der Rechtsstreit in die Lage vor
Antragstellung der Klägerin im Termin vom 20. November 2003 zurück-
versetzt worden, so dass der Beklagte die Berufung ohne Einwilligung
der Klägerin habe zurücknehmen können (§ 515 Abs. 1 ZPO a.F.), offen-
sichtlich unrichtig, weil der Rechtsstreit gemäß § 342 ZPO in die Lage
vor Eintritt der Versäumnis zurückversetzt werde, die nach § 220 Abs. 2
ZPO aber erst am Schluss der Verhandlung, also nach den Anträgen der
Klägerin, eingetreten sei.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft und war daher zu ver-
werfen.
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1. Der angegriffene Beschluss ist nach dem 31. Dezember 2001
erlassen worden. Deshalb findet für das vorliegende Verfahren gemäß
§ 26 Nr. 10 EGZPO neues Zivilprozessrecht Anwendung. Das Beru-
fungsgericht hat die Rechtsbeschwerde im Hinblick auf § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 ZPO nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbe-
schwerde ist gegenüber Beschlüssen nicht eröffnet. Danach wäre der
Beschluss nur mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar, wenn dies im Ge-
setz bestimmt wäre (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das ist nicht der
Fall: Eine Anfechtung des Beschlusses, der als Folge wirksamer Beru-
fungsrücknahme den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Ver-
pflichtung ausspricht, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten
zu tragen, ist nicht vorgesehen (§ 516 Abs. 3 ZPO). Gegenüber der Er-
klärung der Wirkungslosigkeit eines bereits ergangenen, noch nicht
rechtskräftigen Urteils eröffnet das Gesetz jedenfalls nicht die Rechtsbe-
schwerde (vgl. §§ 269 Abs. 5, 567 ZPO n.F.). Das sieht auch die Be-
schwerde nicht anders.
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2. Der Ansicht der Klägerin, trotz fehlender Statthaftigkeit der
Rechtsbeschwerde müsse das Rechtsmittel dennoch als zulässig ange-
sehen werden, wenn nur so Rechtsschutz gegen Verletzungen des
Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährleistet werden könne, folgt
der Senat nicht.
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a) Wie das Bundesverfassungsgericht in der von der Klägerin an-
geführten Plenarentscheidung NJW 2003, 1924, 1927 feststellt, ist der
Gesetzgeber nicht gehalten, die Anrufung einer weiteren Instanz vorzu-
sehen; vielmehr genügt die Möglichkeit einer einmaligen gerichtlichen
Selbstkontrolle durch das Ausgangsgericht (iudex a quo). Diesen Anfor-
derungen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem § 321a ZPO
mit Wirkung ab 1. Januar 2005 durch das Anhörungsrügengesetz vom
9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) ergänzt worden ist, das § 574 ZPO
aber unverändert gelassen hat. Die Neuregelung ist zwar auch auf Ent-
scheidungen vor ihrem Inkrafttreten anzuwenden, soweit die nach § 321a
Abs. 2 ZPO einzuhaltenden Fristen noch nicht abgelaufen sind (BVerfG
NJW 2005, 3059). Das gilt im vorliegenden Fall aber nicht, weil die Klä-
gerin den angegriffenen Beschluss des Berufungsgerichts bereits am
13. September 2004 erhalten hat und daraus die von ihr geltend ge-
machten Grundrechtsverstöße erkennen konnte. Für die Übergangszeit
bis zum Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes hat es mit den in der
Rechtsprechung zugelassenen außerordentlichen Rechtsbehelfen sein
Bewenden (BVerfG NJW 2003, 1924, 1929; 3687, 3688).
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b) Ein außerordentliches Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof ist
seit der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessre-
formgesetz auch dann nicht statthaft, wenn die angegriffene Entschei-
dung ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt oder aus
sonstigen Gründen "greifbar gesetzwidrig" ist; in einem solchen Fall ist
vielmehr die angefochtene Entscheidung durch das Gericht, das sie er-
lassen hat, auf (fristgebundene) Gegenvorstellung zu korrigieren (BGHZ
150, 133 ff.; 159, 14, 18 f.; BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2003 - XII ZB
91/03 - NJW 2003, 3137 unter II; vom 19. Mai 2004 - IXa ZB 182/03 -
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NJW 2004, 2529 unter III 3 a). Hier hat die Klägerin am 8. Oktober 2004
Gegenvorstellungen erhoben, denen das Berufungsgericht mit Beschluss
vom 14. Oktober 2004 nicht abgeholfen hat, ohne dies näher zu begrün-
den. Weiteren Rechtsschutz aufgrund ihrer am 12. Oktober 2004 einge-
gangenen Rechtsbeschwerde steht der Klägerin auch nach der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu.
c) Im Übrigen ist die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs
durch das Berufungsgericht nicht nachvollziehbar. Der zunächst unein-
geschränkt eingelegte Einspruch des Beklagten richtete sich nach des-
sen Schriftsatz vom 9. Februar 2004 jedenfalls auch gegen die im Ver-
säumnisurteil titulierte Feststellung einer unerlaubten Handlung. Das ist
sowohl vom Berufungsgericht als auch von der Klägerin nicht anders
verstanden worden, wie deren Schriftsatz vom 17. Februar 2004 (S. 2 f.)
zeigt. Damit ist der Rechtsstreit hier durch den Einspruch auch bezüglich
des - auf der unselbstständigen Anschlussberufung der Klägerin beru-
henden - Teils des Versäumnisurteils in die Lage vor Antragstellung im
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Termin vom 20. November 2003 zurückversetzt worden. Dieser Auffas-
sung steht § 220 Abs. 2 ZPO nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom
15. Dezember 1992 - VI ZR 85/92 - NJW 1993, 861 unter II 3).
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 21.06.2000 - 319 O 38/96 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 31.08.2004 - 2 U 16/00 -