Urteil des BGH vom 30.07.2002

Leitsatzentscheidung

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StVG § 21 Abs. 1 Satz 1, FeV § 28 Abs. 4 Nr. 3
Der Inhaber einer in einem EU- oder EWR-Staat erworbenen
Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland, dem die deutsche
Fahrerlaubnis von einem Gericht rechtskräftig entzogen wor-
den war und der nach dem 31. Dezember 1998 im Inland ein
Kraftfahrzeug führt, macht sich nach § 21 Abs. 1 Satz 1
StVG i.V.m. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV strafbar, und zwar auch
dann, wenn er aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis vor
dem 1. Januar 1999 im Inland (wieder) Kraftfahrzeuge führen
durfte.
BGH, Beschluß vom 20. Juni 2002 - 4 StR 371/01 - Oberlan-
desgericht
Karlsruhe
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 371/01
vom
20. Juni 2002
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in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin
am Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz und Dr. Kuckein, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanoviæ
und den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann am 20. Juni 2002 be-
schlossen:
Der Inhaber einer in einem EU- oder EWR-Staat erworbenen
Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland, dem die deutsche Fahr-
erlaubnis von einem Gericht rechtskräftig entzogen worden war
und der nach dem 31. Dezember 1998 im Inland ein Kraftfahr-
zeug führt, macht sich nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m.
§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV strafbar, und zwar auch dann, wenn er
aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis vor dem 1. Januar
1999 im Inland (wieder) Kraftfahrzeuge führen durfte.
Gründe:
I.
1. Das Amtsgericht Heidelberg hat den Angeklagten wegen fahrlässiger
Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu
einer Geldstrafe verurteilt und eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrer-
laubnis angeordnet. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht
Heidelberg den Schuldspruch dahin abgeändert, daß er nur der fahrlässigen
Körperverletzung schuldig sei, und auf eine geringere Geldstrafe erkannt.
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Nach den Feststellungen des Berufungsurteils führte der Angeklagte,
der zur Tatzeit seinen Wohnsitz im Inland hatte, am 28. Juni 1999 im öffentli-
chen Straßenverkehr einen Personenkraftwagen und fuhr infolge von Unacht-
samkeit auf ein verkehrsbedingt haltendes Kraftfahrzeug auf, dessen Fahrerin
durch den Aufprall verletzt wurde. Am Tattag war der Angeklagte nicht im Be-
sitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Diese war ihm seit 1987 mehrfach, zuletzt
am 21. Oktober 1992 durch das Amtsgericht Schwetzingen unter Anordnung
einer Sperrfrist für die Neuerteilung bis zum 27. November 1993, entzogen
worden. Seinen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hatte er im Jahre
1994 zurückgenommen, nachdem das eingeholte medizinisch-psychologische
Gutachten negativ ausgefallen war. Der Angeklagte besaß aber eine spanische
Fahrerlaubnis, die er während eines von 1995 bis Ende 1996 dauernden Spa-
nienaufenthalts erworben hatte. Eine isolierte Sperrfrist, die das Amtsgericht
Heidelberg mit Strafbefehl vom 9. Oktober 1997 wegen vorsätzlicher Trunken-
heit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis verhängt hatte,
war im Oktober 1998 abgelaufen.
Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe nach Ablauf der
Sperrfrist am Tattage aufgrund seiner spanischen Fahrerlaubnis berechtigt am
öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen.
Gegen das Berufungsurteil hat die Staatsanwaltschaft Revision einge-
legt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine tateinheitliche
Verurteilung des Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erstrebt.
2. Das mit der Revision befaßte Oberlandesgericht Karlsruhe beabsich-
tigt, das Rechtsmittel zu verwerfen. Zur Begründung führt es aus: Gemäß § 28
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Abs. 1 Satz 1 der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Verordnung über die
Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung,
FeV) vom 18. August 1998 (BGBl I 2214) sei der Angeklagte aufgrund seiner
spanischen Fahrerlaubnis berechtigt gewesen, im Inland ein Kraftfahrzeug zu
führen. Die Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV, wonach die Be-
rechtigung aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis unter anderem nicht für
Personen gilt, denen die Fahrerlaubnis im Inland rechtskräftig von einem Ge-
richt entzogen worden ist, sei nicht auf solche Entziehungen anzuwenden, die
bereits vor dem 1. Januar 1999 "erledigt" gewesen seien. Daher sei die zu die-
sem Zeitpunkt vorhandene Berechtigung, mit der ausländischen Fahrerlaubnis
nach Ablauf einer gerichtlich angeordneten Sperrfrist wieder am öffentlichen
Straßenverkehr im Inland teilzunehmen, nicht im Hinblick auf eine früher er-
folgte Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis erloschen.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht
Karlsruhe durch den Beschluß des Saarländischen Oberlandesgerichts vom
19. Juli 2000 - Ss 25/2000 (28/00) - gehindert. Darin wird entscheidungserheb-
lich die Auffassung vertreten, § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gelte für Inhaber einer gül-
tigen EU/EWR-Fahrerlaubnis, denen die deutsche Fahrerlaubnis im Inland
rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist, auch dann, wenn die
ausländische Fahrerlaubnis vor dem Inkrafttreten der FeV und nach Ablauf der
Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erworben wurde.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat deshalb die Sache (durch Be-
schluß vom 19. Juli 2001, NStZ-RR 2000, 86) gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem
Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
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"Macht sich der Inhaber einer in einem EU-Staat erworbenen
Fahrerlaubnis nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG i.V.m. 28 Abs. 4
Nr. 3 FeV strafbar, wenn er seine ausländische Fahrerlaubnis
vor dem Inkrafttreten der FeV am 01.01.1999 erworben hat,
nachdem ihm zuvor seine deutsche Fahrerlaubnis in einem
Strafverfahren durch rechtskräftiges Urteil entzogen worden
war?"
3. Der Generalbundesanwalt hat sich im Ergebnis der Rechtsauffassung
des Saarländischen Oberlandesgerichts angeschlossen und beantragt zu be-
schließen:
"Der Inhaber einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis
macht sich als Führer eines Kraftfahrzeugs im Inland nach
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV strafbar,
wenn er seine ausländische Fahrerlaubnis vor dem 1. Januar
1999 erworben hat, nachdem ihm zuvor seine deutsche Fahr-
erlaubnis in einem Strafverfahren durch rechtskräftiges Urteil
entzogen worden war."
II.
Die Vorlegung ist gemäß § 121 Abs. 2 GVG zulässig.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe kann über die Revision der Staatsan-
waltschaft nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der Rechtsansicht des
Saarländischen Oberlandesgerichts abzuweichen. Obwohl in § 28 Abs. 4 Nr. 3
FeV nicht zwischen dem Entzug einer inländischen und einer ausländischen
Fahrerlaubnis unterschieden wird, hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die
Vorlegungsfrage mit Recht allein mit Blick auf die Entziehung einer inländi-
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schen Fahrerlaubnis gestellt, denn für Fälle, in denen eine Entziehung einer
ausländischen Fahrerlaubnis nach §§ 69, 69 b StGB in der bis zum
31. Dezember 1998 geltenden Fassung erfolgt war, welche nur die Wirkung
eines zeitlich begrenzten Fahrverbots hatte, kann der Anwendungsbereich des
§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV anders als bei der Entziehung einer im Inland erteilten
Fahrerlaubnis zu beurteilen sein (vgl. dazu OLG Köln NZV 2001, 225; VG
Bremen, Beschluß vom 31. März 1999 - 5 V 452/99 = DAR 1999, 377
- Leitsatz -; vgl. auch Hentschel NZV 2001, 193, 195).
Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu eng gestellt, denn sie erfaßt nach ih-
rem Wortlaut die Frage der Strafbarkeit nur für eine bestimmte zeitliche Rei-
henfolge von (früherer) Entziehung der deutschen und (späterem) Erwerb der
ausländischen Fahrerlaubnis, auf die es nach den einschlägigen Bestimmun-
gen des Fahrerlaubnisrechts nicht ankommt. Sie bedarf auch der Präzisierung,
weil sie nicht erkennen läßt, daß es dem vorlegenden Oberlandesgericht in
erster Linie um die Klärung geht, ob § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV auch für "Altfälle"
gilt, in denen eine Fahrberechtigung aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis
wegen Fristablaufs der Sperre (§ 69 a StGB) vor dem 1. Januar 1999 wieder
bestanden hat.
Der Senat faßt deshalb die Vorlegungsfrage insgesamt wie folgt neu:
Macht sich der Inhaber einer in einem EU- oder EWR-Staat
erworbenen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland, dem die
deutsche Fahrerlaubnis von einem Gericht rechtskräftig ent-
zogen worden war und der nach dem 31. Dezember 1998 im
Inland ein Kraftfahrzeug führt, auch dann nach § 21 Abs. 1
Satz 1 StVG i.V.m. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV strafbar, wenn er
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aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis vor dem 1. Januar
1999 im Inland (wieder) Kraftfahrzeuge führen durfte?
III.
Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlußformel
ersichtlich.
1. Seit dem 1. Januar 1999 richtet sich die Berechtigung zum Führen
von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland für den Inhaber einer
in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertrags-
staat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erteilten Fahr-
erlaubnis (EU/EWR-Fahrerlaubnis), der seinen ordentlichen Wohnsitz im In-
land hat, nach der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Stra-
ßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung, FeV) vom 18. August 1998 (BGBl
I 2214). Nach § 28 Abs. 1 FeV darf er im Umfang seiner sich aus der ausländi-
schen Fahrerlaubnis ergebenden Berechtigung zeitlich unbegrenzt im Inland
Kraftfahrzeuge führen, vorbehaltlich der in § 28 Abs. 2 bis 4 FeV vorgesehenen
Einschränkungen. So besteht nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV keine Fahrberechti-
gung im Inland für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die
Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder
sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen
worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder
denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwi-
schenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben.
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2. Die Erstreckung von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV auch auf Fälle der vorlie-
genden Art (im folgenden Altfälle), in denen der Inhaber einer vor dem
1. Januar 1999 in einem EU oder EWR-Staat erworbenen Fahrerlaubnis, der
seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat, von seiner ausländischen Fahrer-
laubnis vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung Gebrauch machen durf-
te, weil ihm zwar die inländische Fahrerlaubnis durch ein Gericht entzogen,
eine Sperrfrist jedoch nicht (mehr) lief, entspricht dem Wortlaut der Norm.
Insbesondere trägt sie aber der Zielsetzung des Verordnungsgebers, ei-
ne möglichst weitgehende Angleichung der Rechtsverhältnisse in Bezug auf
inländische und ausländische Fahrerlaubnisse zu erreichen (BRDrucks. 443/98
S. 283), Rechnung. Dies wird nicht nur daran deutlich, daß § 28 Abs. 4 Nr. 3
FeV sich in das Regelungsgefüge einpaßt, zu dem auch die zeitgleich mit der
FeV in Kraft getretene Neufassung des § 69 b Abs. 1 StGB durch das Gesetz
zur Änderung des StVG und anderer Gesetze vom 24. April 1998 (BGBl I 747)
gehört, nach der die Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis entgegen
der bisherigen Gesetzeslage nicht mehr nur eine fahrverbotsähnliche Wirkung,
sondern - wie beim Entzug einer inländischen Fahrerlaubnis - das Erlöschen
des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland zur Folge hat. Das Be-
streben des Normgebers nach einer kontinuierlichen schrittweisen Harmonisie-
rung der Befugnisse von Inhabern inländischer und ausländischer Fahrerlaub-
nisse unter Fortführung und Erweiterung bereits bestehender Anpassungsvor-
schriften ergibt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte des § 28 Abs. 4
FeV:
Für die Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse galt bis zum 30. Juni
1996 allein die Verordnung über Internationalen Kraftfahrzeugverkehr (IntVO).
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Gemäß § 4 Abs. 2 b IntVO in der bis zum 14. Februar 1996 geltenden Fassung
durften Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse im Inland keine Kraftfahrzeuge
führen, ihnen die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war oder ihnen
aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis
erteilt werden durfte. Mit Wirkung vom 15. Februar 1996 wurde § 4 Abs. 2 Int-
VO dahin ergänzt, daß Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse unter anderem
auch dann keine Kraftfahrzeuge führen dürfen, wenn ihnen im Inland von einer
die Fahrerlaubnis sofort vollziehbar oder bestandskräftig
entzogen oder ihnen die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt
worden ist (§ 4 Abs. 2 c IntVO, eingefügt durch Art. 4 Nr. 1 der 22. Verordnung
zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 14. Februar 1996,
BGBl I S. 216).
Diese Einschränkungstatbestände wurden in die EU/EWR-
Führerscheinverordnung vom 19. Juni 1996 übernommen. Diese Verordnung
galt vom 1. Juli 1996 bis 31. Dezember 1998 als lex specialis für Inhaber einer
gültigen Fahrerlaubnis aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Uni-
on oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum, die ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland hatten.
Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 trat die Fahrerlaubnisverordnung vom
18. August 1998 in Kraft. Sie ersetzte u.a. die EU/EWR-
Führerscheinverordnung und faßte die bislang geltenden Einschränkungstat-
bestände in § 28 Abs. 4 FeV neu. Der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die
Verwaltungsbehörde wurde nunmehr die gerichtliche Entziehung der Fahrer-
laubnis gleichgestellt. Anders als bisher ist der Inhaber einer ausländischen
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Fahrerlaubnis nach Ablauf einer vom Gericht verhängten Sperrfrist im Inland
nicht wieder automatisch fahrberechtigt (vgl. hierzu VkBl. 1998, 1049, 1055).
Die angestrebte Harmonisierung bliebe aber unvollständig, wollte man
von der Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV den Personenkreis ausnehmen,
der trotz gerichtlicher Entziehung seiner deutschen Fahrerlaubnis infolge un-
terbliebener oder abgelaufener Sperrfrist vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnis-
verordnung von seiner EU/EWR-Fahrerlaubnis wieder Gebrauch machen
durfte. Dies erscheint weder sachgerecht noch ist ersichtlich, daß der Verord-
nungsgeber dem Interesse des betroffenen Personenkreises am Bestand der
Fahrberechtigung im Inland den Vorrang einräumen und eine Abschwächung
der Wirkung seiner Harmonisierungsbestrebungen in Kauf nehmen wollte.
Letzteres ergibt sich insbesondere daraus, daß solche Altfälle nicht ausdrück-
lich vom Anwendungsbereich des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ausgenommen worden
sind. Bei einem ausschließlich in die Zukunft gerichteten Anwendungsbereich
von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV hätte sich eine Übergangsregelung aber schon des-
halb aufgedrängt, weil sich mit der oben beschriebenen Änderung von § 4
Abs. 2 IntVO zum 15. Februar 1996 für Inhaber einer ausländischen Fahrer-
laubnis, denen die Fahrerlaubnis durch eine Verwaltungsbehörde vor dem
1. Februar 1996 entzogen war, eine vergleichbare Fragestellung ergeben hat-
te, die von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Sinne einer Er-
streckung der Neufassung des Gesetzes auch auf Altfälle gelöst worden war
(vgl. OLG Zweibrücken VRS 93, 195, 197; OVG Bremen NJW 1998, 3731; VG
München DAR 1997, 457, 458).
3. Einer solchen Auslegung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV steht das Recht
der Europäischen Gemeinschaften nicht entgegen. Das Führerscheinrecht der
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Europäischen Gemeinschaften läßt es vielmehr ausdrücklich zu, Personen die
Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis zu
versagen, wenn gegen den Betreffenden zuvor nach den innerstaatlichen Vor-
schriften Maßnahmen über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhe-
bung der Fahrerlaubnis angewandt worden sind (Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richt-
linie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Führerschein vom
29. Juli 1991 - 91/439/EWG, ABl EG Nr.L 237, S. 1, 5; vgl. auch EuGH DAR
1996, 193, 194; OVG Bremen NJW 1998, 3731; OVG des Saarlandes ZfS
1998, 239). Das europäische Recht ist durch die EU/EWR-FührerscheinVO, an
deren Stelle mit Wirkung vom 1. Januar 1999 die FeV getreten ist, in nationa-
les Recht umgesetzt worden.
4. Bedenken aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen ebenfalls nicht.
Zwar kann die an Wortlaut und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung des
§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV dazu führen, daß einem Angeklagten, der vor Inkrafttre-
ten der Vorschrift nach Ablauf der Sperrfrist mit seiner ausländischen Fahrer-
laubnis berechtigt am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat, diese
Rechtsposition wieder genommen wird. Darin ist jedoch kein Verstoß gegen
das aus dem Rechtsstaatsprinzip und den daraus folgenden Grundsätzen der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes abgeleitete allgemeine Rückwir-
kungsverbot zu sehen. Es handelt sich lediglich um einen Fall tatbestandlicher
Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung), da die Rechtsfolgen erst nach In-
krafttreten der Verordnung eintreten, der Tatbestand aber an einen in der Ver-
gangenheit liegenden Sachverhalt anknüpft (vgl. BVerfGE 72, 200, 242). Eine
solche Regelung ist jedenfalls dann unbedenklich, wenn das mit der Neurege-
lung verfolgte Anliegen das Interesse des Betroffenen am Erhalt seiner
Rechtsposition überwiegt (vgl. BVerfGE 97, 67, 79 f.). Dies ist hier angesichts
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der angestrebten Harmonisierung des Fahrerlaubnisrechts im Bereich der Eu-
ropäischen Gemeinschaften gegeben.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanoviæ Ernemann