Urteil des BGH vom 18.01.2000

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 46/99
Verkündet am:
18. Januar 2000
Weber,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
BGB § 607
Bei der Prüfung, ob auf der Grundlage des § 16 Finanzierungsver-
ordnung (DDR) aufgenommene Instandhaltungs- und Instandset-
zungskredite ausgezahlt worden sind, sind auch besondere in der
DDR bei der Kreditvergabe übliche Gepflogenheiten zu berücksichti-
gen (Ergänzung zum Urteil vom 2. März 1999 - XI ZR 124/98;
W M 1999, 899).
BGH, Urteil vom 18. Januar 2000 - XI ZR 46/99 - KG Berlin
LG Berlin
- 2 -
- 3 -
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 18. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter
Nobbe und die Richter Dr. Schramm, Dr. Siol, Dr. van Gelder und
Dr. Joeres
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des
14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt als Rechtsnachfolgerin der Sparkasse der
Stadt Berlin (Ost) (im folgenden: Sparkasse Ost) die Rückzahlung von
gekündigten DDR-Altkrediten in Höhe von 673.356,31 DM nebst 8%
Zinsen seit dem 1. April 1995 und aus eingetragenen Grundpfandrech-
ten die Duldung der Zwangsvollstreckung in das im Grundbuch von B.
Blatt ... eingetragene Grundstück der Beklagten.
Die Beklagte ist ein W ohnungsbauunternehmen, das früher sei-
nen Sitz in Ost-Berlin hatte und Eigentümer dort gelegener Grundstük-
- 4 -
ke ist. Eine im Jahre 1949 in W est-Berlin gegründete Zweigniederlas-
sung der Beklagten verselbständigte sich infolge der politischen Ent-
wicklung. Der Magistrat von Groß-Berlin bestellte 1950 und in der Fol-
gezeit für die Beklagte Treuhänder "zwecks Sicherung der W eiterarbeit
der zur Zeit unvertretenen und unserer Aufsicht unterstellten W oh-
nungsgenossenschaften". Diese ließen die Verwaltung des Grundbesit-
zes der Beklagten durch den VEB Kommunale W ohnungsverwaltung B.
(im folgenden: KW V), die Rechtsvorgängerin der Streithelferin, durch-
führen. Die KW V beantragte unter Mitwirkung des jeweiligen Treuhän-
ders in den Jahren 1965 bis 1990 bei der Sparkasse Ost Kredite zur
Finanzierung von Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen.
Grundlage der Kreditgewährung waren jeweils Baumaßnahmen gemäß
der Verordnung über die Finanzierung von Baumaßnahmen zur Schaf-
fung und Erhaltung von privatem W ohnraum vom 28. April 1960 (Finan-
zierungsVO – GBl. DDR I S. 351; vom Magistrat von Groß-Berlin über-
nommen durch Verordnung vom 30. September 1960, VOBl. für Groß-
Berlin I S. 691). Zur Sicherung der Kredite wurde das Grundstück der
Beklagten mit einer Aufbaugrundschuld (Abt. III lfd. Nr. 19) und 6 Auf-
bauhypotheken (Abt. III lfd. Nr. 20–25) belastet.
Die Beklagte hat u.a. geltend gemacht, nicht sie, sondern die
KW V bzw. die Treuhänder seien Vertragspartei der mit der Sparkasse
Ost geschlossenen Kreditverträge. Im übrigen seien die Grundpfand-
rechte nicht entstanden, da weder die Auszahlung der Kreditbeträge an
den Treuhänder noch ihre Verwendung für Baumaßnahmen auf dem
belasteten Grundstück belegt seien. Tatsächlich hätten die Kredite der
Finanzierung der KW V gedient. Die Grundpfandrechte seien eingetra-
gen worden, um gezielt die Überschuldung des Grundstücks herbeizu-
führen und dieses enteignen und in Volkseigentum überführen zu kön-
nen.
- 5 -
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Das Kammergericht hat durch Teilurteil die Berufung der Beklagten zu-
rückgewiesen, soweit sie verurteilt worden ist, an die Klägerin
491.579,65 DM nebst 8% Zinsen seit dem 1. April 1995 zu zahlen und
die Zwangsvollstreckung aus den Grundpfandrechten zu dulden. W e-
gen des weitergehenden, Kreditzinsen betreffenden Zahlungsanspruchs
hat es die Sache noch nicht für entscheidungsreif gehalten. Mit der Re-
vision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhe-
bung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin sei zur Geltendmachung der streitgegenständlichen
Ansprüche legitimiert; dies folge bereits aus dem Senatsurteil vom
6. Oktober 1998 (XI ZR 36/98, W M 1998, 2423).
Die Beklagte sei passivlegitimiert. Die vom Magistrat von Groß-
Berlin wirksam bestellten Treuhänder hätten bei den Kreditaufnahmen
als Vertreter der Beklagten gehandelt. Dies folge zum einen aus dem
W ortlaut der Bestallungsurkunden. Zum anderen hätten die jeweiligen
- 6 -
Treuhänder in dieser Eigenschaft die Kreditanträge genehmigt, so daß
sie ersichtlich die Kredite nicht im eigenen Namen beansprucht hätten.
Es sei auch die für einen Anspruch der Klägerin erforderliche
Kreditvalutierung anzunehmen. Zur Darstellung der Valutierung ge-
nügten die Vorlage der Kreditverträge, der Kontenkarten, Darlehens-
journale und Abrechnungslisten, wobei die erfolgte Bestellung der Auf-
bauhypotheken ein Indiz dafür sei, daß die hierdurch gesicherten Dar-
lehensforderungen auch tatsächlich ausgekehrt worden seien.
Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken zwischen Dar-
lehensgeber und Verwalter im Sinne einer gemeinsamen Schädigungs-
absicht hinsichtlich des Vermögens der Beklagten lägen nicht vor. Daß
im konkreten Fall eine gezielte Überschuldung herbeigeführt worden
sei, sei nicht hinreichend dargetan.
Die Kreditverträge seien auch formwirksam. Dies ergebe sich
zum einen aus §§ 241 Abs. 2, 453 Abs. 1 ZGB, wonach zum Entste-
hungstatbestand für Kreditvertrag und Hypothek ein schriftlicher Ver-
trag erforderlich gewesen sei. Zum anderen gelte zugunsten der Kläge-
rin für die aufgrund der Kreditverträge eingetragenen Grundpfandrechte
der öffentliche Glaube des Grundbuchs.
Diese Ausführungen halten in einem wesentlichen Punkt revisi-
onsrechtlicher Prüfung nicht stand.
II.
- 7 -
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Aktivlegitimation der
Klägerin festgestellt. Funktionsnachfolger der Sparkassen der ehemali-
gen DDR als Teile der volkseigenen W irtschaft sind in bezug auf das
Verwaltungsvermögen nach Art. 21 des Einigungsvertrages die durch
Landesgesetze bestimmten öffentlichen Kreditinstitute (Senatsurteil
BGHZ 139, 357, 365), hier die Klägerin. Das wird von der Revision
nicht in Frage gestellt.
2. Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei die Passivlegi-
timation der Beklagten bejaht. Die Feststellung des Berufungsgerichts,
die Treuhänder seien durch den Magistrat von Groß-Berlin wirksam für
die Beklagte bestellt worden, läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird
von der Revision nicht angegriffen.
Die Treuhänder haben bei der Kreditaufnahme entgegen der An-
sicht der Revision nicht im eigenen Namen, sondern mit Vertretungs-
macht für die Beklagte gehandelt. Das Berufungsgericht hat zutreffend
auf die Bestellungsurkunden abgestellt, nach denen den Treuhändern
zwecks Sicherung der W eiterarbeit der zur Zeit unvertretenen und der
Aufsicht des Magistrats unterstellten Beklagten Vertretungsmacht für
die Beklagte eingeräumt wurde, die u.a. die Aufnahme von Krediten für
Baumaßnahmen bei der Sparkasse Ost und das Recht zur Bestellung
von Grundpfandrechten nach der FinanzierungsVO vom 28. April 1960
(GBl. DDR I S. 351) umfaßte. Ob die den Bestellungsurkunden zugrun-
deliegenden Rechtsnormen eine derartige Verfügung rechtfertigten,
bedarf keiner Entscheidung; denn nach allgemeinen Grundsätzen des
Verwaltungsrechts, die sich in der ehemaligen DDR entwickelt hatten,
hatten staatliche Einzelentscheidungen die Vermutung der Gesetzlich-
keit für sich und waren auch im Fall der Fehlerhaftigkeit zwar aufheb-
bar, aber grundsätzlich rechtswirksam (vgl. Senatsurteile vom 15. No-
- 8 -
vember 1994 – XI ZR 64/94, W M 1995, 150, 151 und vom 2. März 1999
– XI ZR 124/98, W M 1999, 899, 901). Eine besonders schwerwiegende
und für den Adressaten des Verwaltungshandelns objektiv unzweifel-
haft erkennbare Gesetzesverletzung, die zu einer Nichtigkeit des Ver-
waltungshandelns geführt hätte, liegt nicht vor.
Daß die Kredite nicht – wie die Revision geltend macht – von der
KW V im eigenen Namen aufgenommen wurden, ergibt sich daraus, daß
diese als vom Treuhänder bevollmächtigte Verwalterin tätig wurde. Sie
hat die Kreditverträge auf der Grundlage der FinanzierungsVO ge-
schlossen und damit den in der Kopfzeile der Kreditverträge aufge-
führten Grundstückseigentümer berechtigt und verpflichtet (vgl. Se-
natsurteile vom 15. November 1994 und 2. März 1999 aaO).
3. Die Kreditverträge sind nicht formunwirksam. Entgegen der
Ansicht der Revision muß den Ausführungen des Berufungsgerichts
entnommen werden, daß es von vorliegenden, der Schriftform des
§ 241 Abs. 2 Satz 1 ZGB genügenden Verträgen ausgeht. Im übrigen
wäre ein Mangel der Form geheilt, wenn der Kreditbetrag - wie von der
Klägerin geltend gemacht - ausgezahlt worden ist (§ 241 Abs. 2 Satz 2
ZGB).
4. Ansprüche der Klägerin sind auch nicht deshalb ausgeschlos-
sen, weil die Sparkasse Ost an einer "gezielten Überschuldung" des
Grundstücks zum Nachteil der Beklagten mitgewirkt hätte. Das hat das
Berufungsgericht mangels konkreten Vorbringens der Beklagten
rechtsfehlerfrei verneint. Entgegen der Ansicht der Revision kann in
diesem Zusammenhang aus dem Umstand, daß Zahlungen zu Lasten
der Beklagten direkt an die Bauhandwerker geleistet worden sein sol-
len, nichts zugunsten der Beklagten hergeleitet werden, zumal dann
- 9 -
nicht, wenn dies - wie die Klägerin behauptet - der in der DDR seiner
Zeit allgemein üblichen Praxis entsprach. Der Sparkasse Ost oblag
keine Kontrolle, ob die Überweisungen an die Handwerker wegen ent-
sprechender Baumaßnahmen auch berechtigt waren.
5. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Ansicht des Berufungs-
gerichts, die bisher getroffenen Feststellungen rechtfertigten die An-
nahme, die streitigen Kreditbeträge seien ausgezahlt worden, Zah-
lungs- und Duldungsanspruch damit gegeben. Die vom Berufungsge-
richt dafür als Indizien angeführten Verträge, internen Dokumente und
Eigenbelege der Sparkasse Ost lassen diesen Schluß noch nicht zu.
Nach der Rechtsprechung des Senats - zu deren Änderung kein
Anlaß besteht - sind an die Darlegung und den Beweis der Valutierung
des Darlehens grundsätzlich nicht geringere Anforderungen zu stellen,
als im Bereich des § 607 BGB. So genügen bloße, der eigenen W ahr-
nehmung des Vertragsgegners entzogene rein interne Dokumentatio-
nen des Kreditgebers für sich allein genommen nicht den Anforderun-
gen, die an den Beweis einer Auszahlung der Darlehensvaluta zu stel-
len sind (Senatsurteil vom 2. März 1999 - XI ZR 124/98, W M 1999, 899,
901). Auch aus der Tatsache der grundpfandrechtlichen Sicherung der
Darlehen kann die Klägerin - wie der Senat im Urteil vom 15. November
1994 (XI ZR 64/94, W M 1995, 150, 152) im einzelnen dargelegt hat -
für sich nichts herleiten. Das schließt allerdings keineswegs aus, bei
der Prüfung der Kreditvalutierung besondere, in der DDR bei der Kre-
ditvergabe übliche Gepflogenheiten zu berücksichtigen.
Das ist bisher nicht geschehen. Aufgrund seiner rechtsfehlerhaf-
ten Ansicht hat es das Berufungsgericht, wie die Revisionserwiderung
zu Recht rügt, unterlassen, dem unter Beweis gestellten Vortrag der
- 10 -
Klägerin zur Kreditvergabe- und -auszahlungspraxis in der ehemaligen
DDR nachzugehen und dazu Feststellungen zu treffen. Die Klägerin hat
insoweit insbesondere behauptet, seit dem Jahr 1970 seien zwischen
der Sparkasse Ost und der KW V für jedes Planjahr zunächst Global-
kreditverträge über die Bereitstellung von Kreditmitteln für sämtliche
von der KW V geplante Baumaßnahmen geschlossen worden. Nach die-
ser Kreditzusage habe die KW V Bauaufträge für die von ihr verwalte-
ten, verschiedenen Eigentümern gehörenden Hausgrundstücke erteilt.
Die Handwerkerrechnungen seien dann von der Sparkasse Ost mit den
bereitgestellten Kreditmitteln direkt bezahlt worden. Erst nach Zusam-
menstellung der auf ein bestimmtes Grundstück entfallenden bereits
bezahlten Handwerkerrechnungen in einer "Schlußabrechnung" seien
die vorgelegten Einzelkreditverträge abgeschlossen und die Aufbauhy-
potheken über die Kreditsummen bewilligt worden.
Das Berufungsgericht hat deshalb auch eine Prüfung der Frage
unterlassen, ob die Einzelkreditverträge auf der Grundlage des Vor-
bringens der Klägerin den Charakter von Schuldurkunden haben, die
zusammen mit den vorgelegten Rechnungen, Abrechnungslisten und
Überweisungsbelegen eine Valutierung der streitigen Kredite belegen.
6. Entgegen der Ansicht der Revision ist nicht zu beanstanden,
daß das Berufungsurteil keine Ausführungen zu einer etwaigen Haf-
tungsbeschränkung nach §§ 16, 18 VermG enthält. Die vom Landge-
richt verneinten Voraussetzungen liegen ersichtlich nicht vor. § 1
Abs. 4 Fallgruppe 2 VermG, der hier allein in Betracht zu ziehen ist,
greift nicht ein, da es sich bei der Beklagten nicht um eine juristische
Person mit Sitz in Berlin (W est) handelt, deren "Ostvermögen" gem. § 1
Abs. 4 Fallgruppe 2 VermG unter vorläufige staatliche Verwaltung ge-
stellt worden war. Sie war vielmehr eine juristische Person mit Sitz in
- 11 -
Ost-Berlin, die im W estteil lediglich eine Zweigniederlassung gegründet
hatte, die sich später verselbständigt hat.
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1
ZPO). Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat deshalb nicht
möglich, weil weitere Feststellungen zur Frage der Kreditvalutierung zu
treffen sind. Die Klägerin wird auch Gelegenheit haben, ihren auf Dul-
dung der Zwangsvollstreckung gerichteten Klageantrag zur präzisieren
(vgl. z.B. Staudinger/Scherübl, BGB 12. Aufl. § 1147 Rdn. 22).
Nobbe Dr. Schramm Dr. Siol
Richter am Bundes- Dr. Joeres
gerichtshof
Dr. van Gelder ist
wegen Urlaubs an
der Unterzeichnung
verhindert
Nobbe