Urteil des BGH vom 29.11.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 246/05 Verkündet
am:
29. November 2006
E r m e l ,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
KWKG (2000) § 2 Abs. 2
Die Ausschlussregelung des § 2 Abs. 2 KWKG (2000) erfordert, dass beide dort ge-
nannten Ausschlussgründe kumulativ gegeben sind.
BGH, Urteil vom 29. November 2006 - VIII ZR 246/05 - OLG Hamm
LG Dortmund
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Wie-
chers, die Richterin Dr. Milger, den Richter Dr. Koch und die Richterin
Dr. Hessel
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 29. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. September 2005 wird zu-
rückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist ein kommunales Energieversorgungsunternehmen, das
unter anderem im Gebiet der Stadt D. die allgemeine Versorgung von
Letztverbrauchern mit Strom sicherstellt. Den Strom erzeugt sie zum Teil selbst
in vier eigenen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen) auf der Basis
von Erdgas, die vor dem 1. Januar 2000 in Betrieb genommen oder deren we-
sentliche Anlagenteile vor diesem Tag bestellt worden sind. Die installierte
elektrische Kraftwerksleistung der KWK-Anlagen beträgt weniger als 25% der
gesamten Kraftwerksleistung der Klägerin. Die in den KWK-Anlagen erzeugte
Strommenge beträgt im Jahr nicht weniger als 10% der gesamten Stromerzeu-
gung der Klägerin.
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Aus den KWK-Anlagen hat die Klägerin in der Zeit vom 18. Mai bis zum
31. Dezember 2000 eine Strommenge von 4.673.833 kWh in ihr Netz einge-
speist. Dafür begehrt sie von der Beklagten, die das ihrem Netz vorgelagerte
Übertragungsnetz betreibt, Belastungsausgleich nach dem am 18. Mai 2000 in
Kraft getretenen Gesetz zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-
Kopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) vom 12. Mai 2000 (BGBl. I S. 703;
im Folgenden: KWKG 2000). Neben anderen Forderungen hat sie die Beklagte
insoweit auf Zahlung von 71.690,79 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage wegen dieses Anspruchs abgewiesen. Das
Oberlandesgericht hat ihr insoweit stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht
hierauf beschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte insoweit ihr
Klageabweisungsbegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat, soweit hier noch von Interesse, ausgeführt:
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Die Klägerin habe Anspruch gegen die Beklagte aus § 5 Abs. 1 KWKG
auf Zahlung von 71.690,79 € nebst Zinsen. Es handele sich bei dem in vier ei-
genen Werken produzierten Strom um den sogenannten ersten Förderweg, § 2
Abs. 1 Satz 2 (richtig: 1) KWKG. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 2
KWKG lägen unstreitig vor. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass bei der
Klägerin die installierte elektrische Kraftwerksleistung in Kraft-Wärme-Kopplung
bezogen auf ihre installierte Kraftwerksleistung insgesamt weniger als 25%
betragen habe. Für die Förderung reiche, dass der Anteil des von der Klägerin
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in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugten Stroms bezogen auf ihre gesamte Strom-
erzeugung im Jahr mehr als 10%, nämlich 21,9%, betragen habe. Nach dem
Wortlaut des § 2 Abs. 2 KWKG müssten die Voraussetzungen für den Aus-
schluss von der Förderung kumulativ vorliegen, was hier nicht der Fall sei. Die-
ser Wortlaut sei maßgeblich. Es lasse sich nicht feststellen, dass es sich bei der
Regelung um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers gehandelt habe und
dieser eigentlich einen Ausschluss von der Förderung schon gewollt habe,
wenn lediglich ein Kriterium unterschritten werde. Die grammatikalisch verun-
glückte Gesetzesbegründung ergebe dies jedenfalls nicht mit der erforderlichen
Sicherheit. Auch Sinn und Zweck der Bagatellklausel, Ausschluss von Anlagen
mit untergeordneter Bedeutung, sprächen nicht gegen eine Auslegung entspre-
chend dem Wortlaut. Die gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 KWKG in Verbindung mit § 9
Abs. 2 EnWG erforderlichen getrennten Konten seien geführt worden.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand,
so dass die Revision zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat den in der
Revisionsinstanz noch streitigen Anspruch der Klägerin aus § 5 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 KWKG 2000 auf Belastungsausgleich für den Strom, den sie in der Zeit
vom 18. Mai 2000 bis zum 31. Dezember 2000 aus ihren KWK-Anlagen in ihr
eigenes Netz eingespeist hat, in der nicht angegriffenen Höhe von 71.690,79 €
zu Recht bejaht.
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1. Der vorgenannte Anspruch ist noch nach dem Kraft-Wärme-Kopp-
lungsgesetz vom 12. Mai 2000 (aaO) zu beurteilen. Dieses Gesetz ist zwar in-
zwischen außer Kraft getreten. Das ist jedoch nach § 13 Abs. 1 Satz 2 des Ge-
setzes für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-
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Kopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) vom 19.
März 2002 (BGBl.
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S. 1092; im Folgenden: KWKG 2002) erst am 1. April 2002 und damit nach dem
hier in Rede stehenden Zeitraum geschehen.
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2. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 KWKG 2000 kann ein Netzbetreiber,
soweit er Zahlungen nach § 3 zu leisten hat, von dem Betreiber des vorgelager-
ten Netzes ("vorgelagerter Netzbetreiber") einen Ausgleich für seine Zahlungen
verlangen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin betreibt ein
Stromnetz, dem das Netz der Beklagten vorgelagert ist. Die Klägerin hat für den
in der Zeit vom 18. Mai bis zum 31. Dezember 2000 aus ihren KWK-Anlagen in
ihr Netz eingespeisten Strom auch Zahlungen nach § 3 KWKG 2000 zu leisten.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 KWKG 2000 sind Netzbetreiber verpflichtet,
KWK-Anlagen nach § 2 Abs. 1 an ihr Netz anzuschließen, den Strom aus Anla-
gen nach § 2 abzunehmen und den eingespeisten Strom nach § 4 zu vergüten.
Danach ist die Klägerin zur Vergütung des vorbezeichneten Stroms verpflichtet.
a) Dem steht nicht bereits entgegen, dass die Klägerin nicht nur das Netz
betreibt, in das der Strom eingespeist worden ist, sondern auch die KWK-
Anlagen, in denen er erzeugt worden ist. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 KWKG 2000
gilt Absatz 1 für Netzbetreiber, die den Strom aus Anlagen nach § 2 in ihr eige-
nes Netz einspeisen, entsprechend. Allerdings müssen die Netzbetreiber ge-
mäß § 3 Abs. 2 Satz 2 KWKG 2000 für diese Stromlieferungen getrennte Kon-
ten nach § 9 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes in der seinerzeit geltenden
Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom
24. April 1998 (BGBl. I S. 730; nachfolgend: EnWG 1998) führen. Das hat die
Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts getan.
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b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es sich
bei dem hier in Rede stehenden Strom um solchen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1
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KWKG 2000 handelt. Nach dieser Vorschrift regelt das Gesetz die Abnahme
und Vergütung von Strom aus Kraftwerken mit KWK-Anlagen auf Basis von
Steinkohle, Braunkohle, Erdgas, Öl oder Abfall, der in Anlagen erzeugt wird, die
von Energieversorgungsunternehmen betrieben werden, die die allgemeine
Versorgung von Letztverbrauchern sicherstellen und als Energieversorger be-
reits am 31. Dezember 1999 tätig waren. Diese Voraussetzungen (vgl. dazu
zuletzt Senatsurteil vom 11. Oktober 2006 – VIII ZR 148/05, zur Veröffentli-
chung bestimmt, unter II 1) sind hier nach dem unstreitigen Sachverhalt ebenso
erfüllt wie die des § 2 Abs. 1 Satz 2 KWKG 2000, wonach nur Anlagen im Sinne
des vorangehenden Satzes 1 erfasst werden, die vor dem 1. Januar 2000 in
Betrieb genommen oder deren wesentliche Anlagenteile vor dem 1. Januar
2000 bestellt worden sind. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwendun-
gen.
c) Die Parteien streiten allein darüber, ob die Ausschlussregelung des
§ 2 Abs. 2 KWKG 2000 eingreift. Danach wird nicht erfasst Strom von Energie-
versorgungsunternehmen gemäß Absatz 1 Satz 1, sofern deren installierte
elektrische Kraftwerksleistung in Kraft-Wärme-Kopplung bezogen auf ihre in-
stallierte Kraftwerksleistung insgesamt weniger als 25 vom Hundert und deren
in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugte Strommenge bezogen auf ihre gesamte
Stromerzeugung im Jahr weniger als 10 vom Hundert beträgt. Während der
erste Ausschlussgrund, der die installierte Kraftwerksleistung betrifft, hier nach
dem unstreitigen Sachverhalt erfüllt ist, trifft das für den zweiten Ausschluss-
grund, der sich auf die erzeugte Strommenge bezieht, nicht zu. Angesichts des-
sen stellt sich die Frage, ob die Ausschlussregelung nur dann eingreift, wenn
beide Ausschlussgründe gegeben sind, oder ob bereits das Vorliegen eines
Ausschlussgrundes ausreicht.
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Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass beide Aus-
schlussgründe gegeben sein müssen, wenn der betreffende Strom ausnahms-
weise nicht von dem Gesetz erfasst werden soll (ebenso Herrmann, RdE 2000,
184, 188; Salje, Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, 1. Aufl. 2001, § 2 Rdnrn. 134
bis 138; a.A. im Ergebnis Friedrich RdE 2001, 9, 12). Dafür spricht zunächst der
eindeutige Wortlaut der Vorschrift, der beide Ausschlussgründe mit dem Wort
"und" verbindet und damit kumulativ aufführt. Entgegen der Ansicht der Revisi-
on ergibt sich aus der Gesetzesbegründung nichts anderes. Darin heißt es
wörtlich (BT-Drucks. 14/2765 S. 4):
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"Es müssen nicht alle Anlagen der öffentlichen Versorgung be-
günstigt werden. Wenn sie anteilmäßig für die Stromversorgung
nur von deutlich untergeordneter Bedeutung sind, wird ihr Weiter-
betrieb im Unternehmen insgesamt nicht gefährdet sein. Als Gren-
ze ist vorgesehen mindestens 25% Anteil an der installierten Ge-
samtleistung des Unternehmens und mindestens 10% Anteil des
KWK-Stroms an der Stromerzeugung des Unternehmens."
Der letzte Satz rechtfertigt nicht die Annahme, bei dem Gesetzeswortlaut
handele es sich wegen der sprachlich schwierigeren negativen Formulierung
um ein Redaktionsversehen. Denn dieser Satz ist nicht nur sprachlich misslun-
gen, weil es angesichts der darin vorgenommenen Aufzählung grammatikalisch
statt in der Einzahl "Grenze ist" richtig in der Mehrzahl "Grenzen sind" heißen
müsste (Salje, aaO, Rdnr. 136). Vielmehr ist er auch inhaltlich unklar, weil darin
als Grenze der Begünstigung Mindestwerte (statt Höchstwerte) angegeben
werden, obwohl zuvor von Anlagen "untergeordneter Bedeutung" die Rede ist
(Friedrich, aaO, Fn. 17). Angesichts dessen ist nicht auszuschließen, dass es
sich nicht bei dem Gesetzeswortlaut, sondern bei der Gesetzesbegründung um
ein Redaktionsversehen handelt und der sprachlich richtige sowie inhaltlich
schlüssige Gesetzeswortlaut den wirklichen Willen des Gesetzgebers wieder-
gibt. Dafür spricht auch der in der Gesetzesbegründung (aaO) angeführte
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Zweck der Regelung, Anlagen "deutlich" untergeordneter Bedeutung von der
Begünstigung auszuschließen. Dieser Zweck wird eher dann erfüllt, wenn beide
Ausschlussgründe kumulativ vorliegen müssen.
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Müssen nach alledem beide Ausschlussgründe kumulativ gegeben sein,
ist der hier in Rede stehende Strom nicht gemäß § 2 Abs. 2 KWKG 2000 von
der Anwendung des Gesetzes ausgeschlossen.
Ball
Wiechers
Dr. Milger
Dr. Koch
Dr. Hessel
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 25.06.2004 - 6 O 563/03 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 23.09.2005 - 29 U 97/04 -