Urteil des BGH vom 18.02.2014

BGH: fremdkapital, kapitalmarkt, anleihe, eigenkapital, emission, energie, liquidität, vergleich, bonität, daten

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
E n V R 6 7 / 1 2
Verkündet am:
18. Februar 2014
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die
Richter Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats und
Kartellsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. November
2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der not-
wendigen Auslagen der Antragstellerin werden der Landesregulie-
rungsbehörde auferlegt. Die Auslagen der Bundesnetzagentur trägt
diese selbst.
Der Wert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 45.000
€ fest-
gesetzt.
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Gründe:
I.
Die Antragstellerin betreibt ein Gasverteilernetz auf der Mittel- und Nieder-
druckstufe. Am 30. Januar 2006 beantragte sie bei der zuständigen Landesregulie-
rungsbehörde die Genehmigung ihrer Entgelte für den Netzzugang nach § 23a
Abs. 1, 3 EnWG. Mit Bescheid vom 22. Juni 2007 genehmigte die Landesregulie-
rungsbehörde - unter Ablehnung des weitergehenden Antrags - für den Zeitraum
vom 1. Juli 2007 bis 31. März 2008 niedrigere als die von der Antragstellerin bean-
tragten Höchstpreise. Sie begründete dies u.a. mit einer Kürzung bei der Kostenposi-
tion kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und
die Kürzung des nach § 7 Abs. 1 Satz 3 GasNEV in der bis zum 5. November 2007
geltenden Fassung (im Folgenden: aF) nach den Maßgaben des § 5 Abs. 2 Halbs. 2
GasNEV zu ermittelnden fiktiven Fremdkapitalzinssatzes auf 4,8% anstelle der von
ihr begehrten 5,4% gerügt. Das Beschwerdegericht hat mit Zustimmung der Beteilig-
ten das in dem Verfahren W 605/06 Kart des Oberlandesgerichts Koblenz eingeholte
schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Christoph Kaserer verwertet.
Es hat sodann den Bescheid der Landesregulierungsbehörde unter Zurückweisung
der weitergehenden Beschwerde aufgehoben, soweit der Entgeltgenehmigungsan-
trag abgelehnt worden ist, und die Landesregulierungsbehörde verpflichtet, den An-
trag der Antragstellerin mit der Maßgabe neu zu bescheiden, dass bei der Bestim-
mung des Zinssatzes für den wie Fremdkapital zu behandelnden Anteil des Eigenka-
pitals ein Liquiditätszuschlag von 0,31 Prozentpunkten, d.h. 31 Basispunkten, und
ein Risikozuschlag von 15 Basispunkten zu berücksichtigen seien. Hiergegen richtet
sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Landesre-
gulierungsbehörde und der Bundesnetzagentur.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht (OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November
2012 - 1 W 1516/07, juris) hat ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs gemäß § 5 Abs. 2 Halbs. 2 GasNEV Fremdkapitalzinsen höchstens
in der Höhe berücksichtigt werden könnten, zu der sich der Netzbetreiber auf dem
Kapitalmarkt langfristig Fremdkapital durch Ausgabe einer fest verzinslichen Anleihe,
wie etwa einer Inhaberschuldverschreibung, hätte verschaffen können. Die Höhe des
Fremdkapitalzinssatzes könne nach dem auf die letzten zehn abgeschlossenen Ka-
lenderjahre bezogenen Durchschnitt der von der Deutschen Bundesbank veröffent-
lichten Umlaufrendite festverzinslicher Anleihen der öffentlichen Hand mit einer län-
geren Laufzeit von über vier Jahren, soweit ihre mittlere Laufzeit mehr als drei Jahre
betrage, zuzüglich eines angemessenen Risikozuschlags bemessen werden. Für
diese Risikobewertung sei aus der Sicht eines fiktiven Kreditgebers die Einschätzung
der Bonität des Emittenten und die Art der Emission maßgeblich. Dabei müsse je-
doch keine unternehmensscharfe Risikobewertung vorgenommen werden. Aus
Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität sei die Bildung sachgerecht abge-
grenzter Risikoklassen geboten.
Nach diesen Maßgaben sei der fiktive Fremdkapitalzinssatz mit 5,26% zu
bemessen. Auszugehen sei von der durchschnittlichen Umlaufrendite festverzinsli-
cher Anleihen der öffentlichen Hand mit einer längeren Laufzeit von über vier Jahren,
soweit ihre mittlere Laufzeit mehr als drei Jahre betrage, von 4,8%. Dieser sei um
einen Liquiditätszuschlag von 31 Basispunkten und einen - um 10 Basispunkte zu
reduzierenden - Risikozuschlag von 25 Basispunkten zu erhöhen.
Der Liquiditätszuschlag von 31 Basispunkten ergebe sich nachvollziehbar
aus der im Vergleich zu Bundesanleihen geringeren Liquidität der Inhaberschuldver-
schreibungen eines Netzbetreibers. Der Liquiditätszuschlag sei Bestandteil der von
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einem Unternehmen zu zahlenden Zinsen und ergebe sich daraus, dass der Anleger
einen Ausgleich dafür möchte, die Anleihe nicht ebenso leicht zu Geld machen zu
können wie eine Bundesanleihe. Für die Existenz eines solchen Zuschlags habe der
Sachverständige mehrere Studien angeführt, von denen eine den deutschen Ren-
tenmarkt betreffe. Ein liquiditätsbedingter Renditeabstand zeige sich auch bei einem
Vergleich von Bundesanleihen mit Anleihen der Deutschen Bahn, der Deutschen
Post oder der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Höhe des Zuschlags habe der
Sachverständige überzeugend mit 31 Basispunkten aus einem Vergleich der höchst
liquiden Bundesanleihen und Öffentlichen Pfandbriefen ermittelt. Dabei sei die her-
angezogene Laufzeit von 9 bis 10 Jahren eine geeignete Beurteilungsgrundlage, weil
eine solche Laufzeit dem Finanzierungsverhalten eines typischen vergleichbaren
Netzbetreibers entspreche. Sinn und Zweck der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 3, § 5
Abs. 2 GasNEV sei es nicht, den Netzbetreiber so zu behandeln, als würde er auf
einen Schlag sein überschießendes Eigenkapital durch Fremdkapital ersetzen, son-
dern so, als verfüge er über einen wettbewerbsgemäßen Eigenkapitalanteil. Dann
müsse sich aber auch die Höhe der kapitalmarktüblichen Zinsen nicht an einer ein-
zelnen Neuemission, sondern an der durchschnittlichen Zinshöhe für den gesamten
um das überschießende Eigenkapital erhöhten Fremdkapitalanteil orientieren.
Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen sei ferner
zugunsten der Antragstellerin ein Risikozuschlag von 15 Basispunkten anzuerken-
nen. Zu dessen Ermittlung habe der Sachverständige zwei alternative Wege be-
schritten. Zum einen habe er den Risikozuschlag für alle deutschen Industrieunter-
nehmen, die Anleihen emittieren, ermittelt, indem er deren Rendite mit derjenigen der
Öffentlichen Pfandbriefe als (nahezu) risikolosen und liquiditätskongruenten Anleihen
verglichen habe. Daraus habe sich ein Risikozuschlag von 21 Basispunkten ergeben.
Zum anderen habe der Sachverständige den Risikozuschlag anhand der (hypothe-
tisch) vom Kapitalmarkt vorgenommenen Risikoeinschätzung ermittelt, indem er die
von den großen Ratingagenturen veröffentlichten Ratings und - mangels ausreichen-
der Datengrundlage für den hier in Rede stehenden Zeitraum 1995 bis 2004 - die
Prämien einer Kreditausfallversicherung (Credit Default Swaps - CDS) für den Zeit-
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raum 2004 bis 2007 herangezogen habe. Daraus ergebe sich ein AA-Rating an der
Grenze zum AAA-Rating und folglich ein Risikozuschlag von 25 Basispunkten. Die
Einstufung mit AA halte der Sachverständige auch dann für gerechtfertigt, wenn die
"Deckelung" des Eigenkapitals auf 40% zugrunde gelegt werde, weil auch bei der
dadurch eintretenden Verschlechterung des Verschuldungsgrades die übrigen Kenn-
zahlen im Bereich "AA oder besser" blieben. Eine AAA-Einstufung sei zu verneinen,
weil dazu in den Vergleichszeiträumen der Fremdkapitalanteil 40% nicht hätte über-
steigen dürfen, das einzige Energieversorgungsunternehmen mit einem AAA-Rating
in staatlicher Hand sei und wegen der Regulierung deutsche Energieversorger ein
solches Rating eher nicht bekommen würden. Im Übrigen sei nach den nachvollzieh-
baren Bekundungen des Sachverständigen der Zuschlag eher zu niedrig ermittelt.
Der Zuschlag sei ferner nach unten zu korrigieren, weil der Sachverständige
mangels anderer Daten das Rating für den Netzbetreiber für den gesamten Ge-
schäftsbetrieb des Unternehmens (einschließlich Gas, Wasser, Fernwärme und Bä-
der) ermittelt habe. Daten speziell für Netzbetreiber seien nicht vorhanden. Insoweit
sei auch zu berücksichtigen, dass das Risiko des Anlegers durch die Preisregulie-
rung gemindert sei und dass die Eigentümerstruktur das - allerdings existent blei-
bende - Ausfallrisiko vermindere. Ein Versorgungsunternehmen mit Monopolstellung,
dessen Anteile sich im Eigentum der öffentlichen Hand befänden, werde nach der
nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen trotzdem nur ein AA-Rating
erreichen. Diese Unsicherheiten seien dadurch zu berücksichtigen, dass der vom
Sachverständigen ermittelte Risikozuschlag um 10 Basispunkte zu kürzen sei.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass - wie der
Senat mit Beschluss vom 14. August 2008 (KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395,
Rn. 55 ff. - Rheinhessische Energie) entschieden und im Einzelnen begründet hat -
der Fremdkapitalzinssatz i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 GasNEV aF nach den Maßstä-
ben des § 5 Abs. 2 Halbs. 2 GasNEV zu ermitteln ist. Nach dem Sinn und Zweck
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dieser Vorschrift sollen Fremdkapitalzinsen höchstens in der Höhe berücksichtigt
werden, zu der sich der Netzbetreiber auf dem Kapitalmarkt langfristig Fremdkapital
durch Ausgabe einer festverzinslichen Anleihe, wie etwa einer Inhaberschuldver-
schreibung, hätte verschaffen können. Für die Risikobewertung kommt es aus der
Sicht eines fiktiven Kreditgebers auf die Art der Emission und die Einschätzung der
Bonität des Emittenten an. Der fiktive Kreditgeber wird dabei von dem im Anlagezeit-
punkt erzielbaren Zinssatz für eine langfristige, insolvenzfeste Anleihe, wie sie die
öffentliche Hand bietet, ausgehen und im Falle der Geldanlage bei einem anderen
Emissionsschuldner für die Inkaufnahme des Ausfallrisikos einen bestimmten Risiko-
zuschlag verlangen.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann des Weiteren im Ausgangspunkt
die aus den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ersichtliche durchschnittli-
che Umlaufrendite festverzinslicher Anleihen der öffentlichen Hand mit einer längsten
Laufzeit von über vier Jahren, soweit ihre mittlere Laufzeit mehr als drei Jahre be-
trägt, herangezogen werden. In entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens
des § 7 Abs. 4 Satz 1 GasNEV ist auf den durchschnittlichen Zinssatz der letzten
zehn abgeschlossenen Kalenderjahre vor Antragstellung abzustellen. Denn bei § 7
Abs. 1 Satz 3 GasNEV aF geht es nicht um einen zukunftsgerichteten Renditesatz
für das (überschießende) Eigenkapital, sondern um die fiktive Frage, zu welchem
Zinssatz die Antragstellerin - hätte sie insoweit kein Eigenkapital eingesetzt - Fremd-
kapital hätte aufnehmen können. Dabei muss jedoch keine unternehmensscharfe
Risikobewertung vorgenommen werden. Aus Gründen der Vereinfachung und Prak-
tikabilität ist die Bildung sachgerecht abgegrenzter Risikoklassen geboten.
Unter Einhaltung dieser Maßgaben unterliegt die Ermittlung des Fremdkapi-
talzinssatzes i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 3 GasNEV aF einschließlich der Bildung sach-
gerecht abgegrenzter Risikoklassen grundsätzlich der Beurteilung des Tatrichters.
Dabei hat er entsprechend § 287 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit Absatz 1 die Mög-
lichkeit, unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände nach freier Überzeugung die
Höhe zu schätzen. Mangels Vorhandenseins tatsächlicher Zinssätze für die Bege-
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bung von Anleihen auf dem Kapitalmarkt durch Netzbetreiber hat das Gericht einen
fiktiven Zinssatz zu bestimmen, wobei es von verschiedenen hypothetischen An-
nahmen ausgehen muss und ihm nur Annäherungen möglich sind. Seine Entschei-
dung kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt dahingehend über-
prüft werden, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Beteiligten unberücksich-
tigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Zinsbemessung verkannt, wesentliche Bemes-
sungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe
zu Grunde gelegt hat. Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor.
Der Zinssatz darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachli-
cher Erwägungen bestimmt werden. Bei seiner Schätzung dürfen ferner nicht we-
sentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen außer Acht bleiben. Schließlich
darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen auf nach Sachlage
unerlässliche fachliche Erkenntnisse nicht verzichten (vgl. BGH, Urteile vom
17. Dezember 1996 - X ZR 76/94, NJW-RR 1997, 688, 689 und vom 22. Februar
2011 - VI ZR 353/09, NJW-RR 2011, 823 Rn. 6 f. mwN).
b) Ein solcher Fehler wird von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt und
ist auch im Übrigen nicht erkennbar.
aa) Entgegen der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht den Zins-
zuschlag für das Ausfallrisiko ohne Rechtsfehler mit 15 Basispunkten bemessen.
(1) Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Beschwerdegericht habe den
vom Sachverständigen für notwendig gehaltenen Eigentumsabschlag unberücksich-
tigt gelassen, verkennt sie den Aussagegehalt der angefochtenen Entscheidung.
Das Beschwerdegericht hat den vom Sachverständigen ermittelten Risikozu-
schlag von 25 Basispunkten um 10 Basispunkte gekürzt, um mehrere Unsicherheiten
zu berücksichtigen. Zu diesen Unwägbarkeiten gehört zwar nach Auffassung des
Beschwerdegerichts auch der Umstand, dass der Sachverständige mangels anderer
Daten das Rating für den Netzbetreiber für den gesamten Geschäftsbetrieb des Un-
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ternehmens (einschließlich Gas, Wasser, Fernwärme und Bäder) ermittelt habe, da-
mit aber nicht dem geringeren (Ausfall-)Risiko eines reinen Netzbetreibers mit glei-
cher Eigentümerstruktur Rechnung getragen werde. Daneben hat es eine Reduzie-
rung des von dem Sachverständigen als Obergrenze ermittelten Risikozuschlags von
25 Basispunkten aber auch deshalb erwogen, weil es der vom Sachverständigen in
diesem Zusammenhang vorgenommenen Übertragung der Zahlen für den Zeitraum
2004 bis 2007 auf den maßgeblichen Zeitraum 1995 bis 2004 für angreifbar gehalten
hat. Des Weiteren hat das Beschwerdegericht die Eigentümerstruktur der Antragstel-
lerin, die Monopolstellung des Netzbetreibers, die Auswirkungen der Regulierung
und schließlich das erreichbare Rating in seine Beurteilung einbezogen und ist auf-
grund einer Gesamtbetrachtung zu einer Kürzung des vom Sachverständigen als
Obergrenze ermittelten Risikozuschlags um 10 Basispunkte gekommen. Dies ist je-
denfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Allerdings begegnet es Bedenken, dass das Beschwerdegericht im Rahmen
der Bewertung des Ausfallrisikos fiktiv nur auf einen isolierten Netzbetrieb der An-
tragstellerin abstellen möchte. Es ist nämlich nicht unzulässig, der Risikobewertung
der Antragstellerin als Netzbetreiberin die Kennzahlen ihres integrierten Gesamtun-
ternehmens zugrunde zu legen, das auch netzfremde Sparten einschließt, weil auf
diese Weise auch netzfremde Risiken in die Zinsbemessung einfließen.
Die regulatorischen Vorschriften bestimmen zwar in § 6 Abs. 1 Satz 1
EnWG, dass vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen und rechtlich selb-
ständige Betreiber von Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen, die im Sinne des
§ 3 Nr. 38 EnWG mit einem vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen
verbunden sind, zur Gewährleistung von Transparenz sowie diskriminierungsfreier
Ausgestaltung und Abwicklung des Netzbetriebs verpflichtet sind, und sehen hierfür
in §§ 6 ff. EnWG verschiedene Entflechtungsvorgaben vor. Dies hat aber nach den
für den hier maßgeblichen Zeitraum geltenden Vorschriften nicht zur Folge, dass der
Netzbetrieb aus dem Konzernverbund rechtlich und wirtschaftlich vollständig ausge-
gliedert werden muss und keinerlei eigentumsrechtliche Verflechtungen bestehen
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dürfen. Dann begegnet es aber keinen rechtlichen Bedenken, bei der Risikobewer-
tung der Antragstellerin als - fiktiver - Emittentin einer Anleihe auf dem Kapitalmarkt
die dort berücksichtigten - tatsächlichen - Kennzahlen ihres integrierten Gesamtun-
ternehmens bzw. eines für die Risikoklasse der Antragstellerin typischen Gesamtun-
ternehmens und nicht - wofür die Rechtsbeschwerde hält - die Kennzahlen einer
rechtlich verselbständigten Netzbetreibergesellschaft zugrundezulegen. Eine Belas-
tung des Netzbetriebs mit netzfremden Kosten ergibt sich hieraus entgegen der Mei-
nung der Rechtsbeschwerde nicht.
Davon abgesehen hat die Rechtsbeschwerde auch nicht auf einen substanti-
ierten und einem Beweis zugänglichen Tatsachenvortrag verwiesen, wonach unter
Zugrundelegung der vorherrschenden Eigentümerstruktur der Antragstellerin bzw.
der typischen Eigentümerstruktur einer der Risikoklasse der Antragstellerin zugehö-
rigen Netzbetreiberin eine rechtlich verselbständigte Netzbetreibergesellschaft stets,
d.h. unabhängig von dem Rating ihrer Eigentümer, das höchste Rating erhalten wür-
de. Dafür bieten auch weder die Feststellungen des Beschwerdegerichts noch die
Ausführungen des Sachverständigen hinreichende Anhaltspunkte.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige seiner Beurtei-
lung die von den Ratingagenturen veröffentlichten Kennzahlenwerte und Ratings für
die Branche der Versorgungsunternehmen zugrunde gelegt hat. Da nach den Aus-
führungen des Sachverständigen spezifische Kennzahlen für Netzbetreiber tatsäch-
lich nicht zur Verfügung stehen, ist es nicht rechtsfehlerhaft, sondern sogar nahelie-
gend, auf die Kennzahlen der nächsthöheren Branchenstufe - nämlich diejenigen der
Versorgungsunternehmen - abzustellen. Dem entspricht nach den von der Rechts-
beschwerde nicht angegriffenen Bekundungen des Sachverständigen das Vorgehen
der Ratingagenturen und damit - was nach der Senatsrechtsprechung zugrundezule-
gen ist - die Sichtweise eines (fiktiven) Investors auf dem Kapitalmarkt. Die von der
Bundesnetzagentur geforderte "netzscharfe" Risikobewertung ist nicht geboten.
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Ob aufgrund dessen - auf der Grundlage der übrigen Beurteilung des Be-
schwerdegerichts - die Kürzung des Risikozuschlags um 10 Basispunkte zu hoch
ausgefallen ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die Landesregulierungsbehörde
hierdurch nicht beschwert wäre. Insoweit räumt die Rechtsbeschwerde selbst ein,
dass die vom Beschwerdegericht in seiner Gewichtung möglicherweise vernachläs-
sigte Eigentümerstruktur der Antragstellerin ebenfalls einen Abschlag von 10 Basis-
punkten rechtfertigen würde.
(2) Soweit die Rechtsbeschwerde ein höheres Rating der Antragstellerin als
das vom Beschwerdegericht angenommene Rating "AA" unter Hinweis auf die mo-
nopolartige Marktstellung, das fehlende Verlustrisiko, den beständigen Cashflow, die
Gewinngarantie, die Eigenkapitalgarantie und die Investitionsgarantie zu begründen
versucht, berührt dies den Kernbereich der tatrichterlichen Würdigung, die in der
Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt überprüft werden kann. Das Beschwer-
degericht hat diese Umstände berücksichtigt und aufgrund sachverständiger Bera-
tung kein höheres Rating als das - ohnehin schon hohe - "AA"-Rating angenommen.
Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Vielmehr wird die Annahme des Be-
schwerdegerichts dadurch bestätigt und abgesichert, dass sich der Risikozuschlag
seiner Größenordnung nach auch aufgrund der von dem Sachverständigen ange-
wendeten alternativen Berechnungsmethode ergibt.
bb) Die Rechtsbeschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich dagegen
wendet, dass das Beschwerdegericht der Bonitätsbewertung der Antragstellerin nicht
deren tatsächliche (höhere) Eigenkapitalausstattung, sondern lediglich eine fiktive
Eigenkapitalquote von 40% zugrunde gelegt hat.
Das Oberlandesgericht Koblenz hat dem Sachverständigen zu Recht für die
Ermittlung der Bilanzkennzahlen die Vorgabe gemacht, von einer Eigenkapitalquote
der Antragstellerin von (lediglich) 40% auszugehen. Dies ist Folge des rein kalkulato-
rischen Berechnungsansatzes nach §§ 4 ff. GasNEV. Die kalkulatorische Eigenkapi-
talverzinsung ist Teil der kalkulatorischen Kostenrechnung, die die Entgeltbildung
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unter funktionierenden Wettbewerbsbedingungen simulieren soll. In dieser "kalkulato-
rischen Welt" ist gemäß § 7 GasNEV auch die Verzinsung des Eigenkapitals rein
kalkulatorisch zu berechnen, indem das (betriebsnotwendige) Eigenkapital fiktiv in
zwei Teile aufgespalten wird, nämlich einen solchen, der mit dem von der Bundes-
netzagentur festgelegten Eigenkapitalzinssatz verzinst wird, und einen solchen, der
nominal wie Fremdkapital zu verzinsen ist und damit im Hinblick auf die im Rahmen
der kostenbasierten Entgeltgenehmigung anzuerkennenden (Zins-)Kosten wie
Fremdkapital behandelt wird. Die tatsächliche Höhe des Eigenkapitals ist hierfür in-
soweit ohne Bedeutung (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 14. August 2008
- KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 70 [zu § 8 StromNEV] - Rheinhessische Ener-
gie).
Davon abgesehen hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die Antrag-
stellerin auch bei Zugrundelegung eines höheren Eigenkapitalanteils nicht in eine
Risikoklasse mit einem "AAA"-Rating einzustufen wäre. Denn bei der diesbezügli-
chen Schlüsselkennzahl Debt/Capital (Fremdkapital/Gesamtkapital) handelt es sich -
wie der Sachverständige bekundet hat - nicht um die ausschlaggebende Größe für
das Rating. Eine empirische Vergleichsuntersuchung der Ratingagentur Moody’s aus
dem Jahr 2005 hat vielmehr ergeben, dass Energieversorgungsunternehmen nur
ausnahmsweise ein "AAA"-Rating erhalten. Nach dem Kriterienkatalog dieser Rating-
agentur ist nach den Ausführungen des Sachverständigen die Erteilung eines "AAA"-
Ratings für einen deutschen Energieversorger allein schon wegen der regulatori-
schen Verhältnisse eher unwahrscheinlich und bei Vorhandensein eines hundertpro-
zentigen Eigentumsanteils der öffentlichen Hand nur dann möglich, wenn der Eigen-
tümer selbst über ein solches Rating verfügt. Dass dies bei der Antragstellerin und
der insoweit maßgeblichen Risikoklasse der Fall ist, wird von der Bundesnetzagentur
nicht behauptet und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich.
cc) Schließlich wendet sich die Rechtsbeschwerde auch ohne Erfolg gegen
die Einbeziehung eines Liquiditätszuschlags. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass
das Beschwerdegericht nicht auf eine "Kaufen-und-Halten"-Perspektive des (fiktiven)
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Investors abgestellt hat und den Liquiditätszuschlag höher veranschlagt hat als das
eigentliche Ausfallrisiko.
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist im Rahmen des § 5 Abs. 2
Halbs. 2 GasNEV der Ansatz eines Liquiditätszuschlags neben dem Insolvenzrisiko
des Netzbetreibers geboten. Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Risiko-
bewertung aus der Sicht eines fiktiven Kreditgebers die Einschätzung der Bonität des
Emittenten und die Art der Emission maßgeblich (Senatsbeschluss vom 14. August
2008 - KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 60 - Rheinhessische Energie). Soweit der
Senat insoweit ausdrücklich einen bestimmten Risikozuschlag für die Inkaufnahme
des Ausfallrisikos erwähnt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2008 - KVR
42/07, WuW/E DE-R 2395 Rn. 56 - Rheinhessische Energie), ist dies ersichtlich nur
beispielhaft gemeint. Dass daneben auch andere Faktoren eine Rolle spielen kön-
nen, ergibt sich bereits aus der Erwähnung der Art der Emission. Insbesondere stellt
es keinen Rechtsfehler dar, dass das Beschwerdegericht - entgegen der von der
Bundesnetzagentur bereits in der Beschwerdeinstanz vorgebrachten und nunmehr
weiterverfolgten Argumentation - nicht auf eine "Kaufen-und-Halten"-Perspektive des
(fiktiven) Investors abgestellt hat, für den die Liquidität einer Anleihe keine Rolle spie-
le und der deshalb keinen Liquiditätszuschlag verlange. Die Einwände der Rechtsbe-
schwerde berühren den Kernbereich der tatrichterlichen Würdigung, die in der
Rechtsbeschwerdeinstanz nur eingeschränkt überprüft werden kann. Das Beschwer-
degericht hat sich mit den Einwänden der Regulierungsbehörde auseinandergesetzt
und nach sachverständiger Beratung einen Liquiditätszuschlag zuerkannt. Dies lässt
keinen Rechtsfehler erkennen. Nach den Bekundungen des Sachverständigen ist die
Bedeutung von Liquiditätsprämien für Anleihemärkte umfangreich dokumentiert und
das Investorenverlangen nach einem Renditezuschlag bei Anleihen niedriger Liquidi-
tät anerkannt. Soweit die Bundesnetzagentur behauptet, Liquiditätszuschläge seien
eher bei Fremdwährungsgeschäften üblich, während Anleihen von Netzbetreibern
eher von Investoren gezeichnet würden, die an einem langfristigen Investment inter-
essiert seien, ist dies ohne Substanz.
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Entgegen der Rechtsbeschwerde ist es auch nicht zu beanstanden, dass der
Liquiditätszuschlag höher ist als der Risikozuschlag. Dieser Umstand als solcher
kann einen Rechtsfehler nicht begründen. Die unterschiedliche Höhe beruht in erster
Linie darauf, dass der Risikozuschlag aufgrund der besonderen Eigentümerstruktur
der Antragstellerin vergleichsweise gering ist. Soweit die Rechtsbeschwerde eine
Anerkennung des Liquiditätszuschlags wegen dessen Missverhältnis zum Ausfallrisi-
ko unter Bezugnahme auf verschiedene Zeiträume (2000 bis 2007, September 2008
bis März 2009, 2001 bis 2010, 2002 bis 2011) verneinen möchte, bleibt dies ohne
Erfolg. Das Beschwerdegericht hat - was auf der Hand liegt - im Anschluss an die
Ausführungen des Sachverständigen wegen der durch die Weltfinanzmarktkrise her-
vorgerufenen Turbulenzen den insoweit betroffenen Zeitraum aus seiner Betrachtung
gerade ausgenommen und deshalb - wenn auch als Untergrenze - einen Liquiditäts-
zuschlag von 31 Basispunkten ermittelt, der - folgerichtig - unterhalb der von der
Rechtsbeschwerde ermittelten Werte liegt. Dies lässt einen Rechtsfehler nicht erken-
nen.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.
Meier-Beck
Strohn
Grüneberg
Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 06.11.2012 - 1 W 1516/07 -
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