Urteil des BGH vom 04.12.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 2/12
vom
4. Dezember 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 5
Hat ein Pressevertreter als Zeuge in Kenntnis seines Zeugnisverweigerungsrechts in
einem Rechtsstreit in öffentlicher Sitzung umfassend zur Person eines Informanten
und zu den mit diesem geführten Gesprächen ausgesagt, ohne sich auf sein Zeug-
nisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zu berufen, darf er regelmäßig
in einem nachfolgenden Zivilrechtsstreit die Zeugenaussage zu den gleichen Beweis-
fragen nicht unter Berufung auf ein solches Zeugnisverweigerungsrecht verweigern.
BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - VI ZB 2/12 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den
Richter Pauge und die Richterin von Pentz
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 4 und 5 gegen
das Zwischenurteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Oldenburg vom 13. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden wie folgt
verteilt:
Die weiteren Beteiligten zu 4 und 5 tragen die jeweils auf sie ent-
fallenden Gerichtskosten sowie jeweils 1/5 der außergerichtlichen
Kosten der Klägerin; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tra-
gen sie selbst.
Die Klägerin trägt hinsichtlich der zurückgenommenen Rechtsbe-
schwerde gegen die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 die auf sie ent-
fallenden Gerichtskosten sowie 3/5 ihrer außergerichtlichen Kos-
ten; die außergerichtlichen Kosten der weiteren Beteiligten zu 1
bis 3 trägt sie in vollem Umfang.
Streitwert: 50.000
€ (je 10.000 € hinsichtlich jedes Streitverhältnis-
ses zwischen der Klägerin und jedem weite-
ren Beteiligten)
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Gründe:
I.
Im vorliegenden Rechtsstreit wenden sich die weiteren Beteiligten zu 4
und zu 5, ein Journalist und ein TV-Redakteur, unter Berufung auf § 383 Abs. 1
Nr. 5 ZPO dagegen, als Zeugen vernommen zu werden.
Die Klägerin produziert und vermarktet Geflügelprodukte. 2007 geriet sie
in den Verdacht, nicht einwandfreies Fleisch verarbeitet zu haben. Dem vo-
rausgegangen waren betriebsbedingte Kündigungen von etwa 230 Mitarbeitern.
Diese waren zum Teil in der Gewerkschaft NGG, der Beklagten zu 2, organi-
siert. Der Beklagte zu 1 ist der Geschäftsführer der Gewerkschaft in O.. Einige
der gekündigten Mitarbeiter erhoben Kündigungsschutzklagen, an denen auch
die Gewerkschaft beteiligt wurde. Nachdem der beschriebene Verdacht in die-
sem Zusammenhang dem Beklagten zu 1 zu Ohren gekommen war, veranlass-
te dieser die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 (im Folgenden: Beteiligte zu 1 bis 3)
dazu, insoweit eidesstattliche Versicherungen abzugeben. Dieser Sachverhalt
wurde durch Berichte in Sendungen des NDR öffentlich bekannt, nachdem die
weiteren Beteiligten zu 4 und zu 5 (im Folgenden: Beteiligte zu 4 und 5) mit den
Beteiligten zu 1 bis 3 wegen des Verdachts Rücksprache gehalten hatten. Ein
auf Anzeige des Beklagten zu 1 eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Staats-
anwaltschaft gegen die Klägerin wurde im Juni 2008 gemäß § 170 Abs. 2 StPO
eingestellt. Der Beklagte zu 1 wurde im Januar 2009 wegen übler Nachrede
erstinstanzlich zu einer Geldstrafe verurteilt, im Januar 2011 aber vom Ober-
landesgericht O. freigesprochen.
Die Klägerin macht geltend, aufgrund der Ereignisse Verluste in Millio-
nenhöhe erlitten zu haben. Ihre Schadensersatzklage gegen den NDR wurde
im Juli 2011 vom Landgericht H. erstinstanzlich abgewiesen. In jenem Rechts-
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streit hat das Landgericht u.a. die Beteiligten zu 4 und 5 ausführlich zu ihren
Kontakten mit den Beteiligten zu 1 bis 3 und den dabei gewonnenen Erkennt-
nissen als Zeugen vernommen. Es hat seine Entscheidung u.a. auf die Aussa-
gen dieser Zeugen gestützt.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Gewerkschaft NGG,
die Beklagte zu 2, und deren Geschäftsführer in O., den Beklagten zu 1, auf
Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die gegen den Beklagten
zu 1 gerichtete Klage abgewiesen, die Klage gegen die Beklagte zu 2 hat es
hinsichtlich einiger Klageanträge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Dagegen haben die Klägerin und die Beklagte zu 2 Berufung eingelegt. Das
Berufungsgericht hat am 28. Juni 2011 einen Beweisbeschluss erlassen. Da-
nach soll Beweis erhoben werden über das Zustandekommen der eidesstattli-
chen Versicherungen der Beteiligten zu 1 bis 3 und über den Inhalt etwaiger
zwischen den genannten Beteiligten und den Beteiligten zu 4 und 5 anschlie-
ßend geführter Gespräche durch deren Vernehmung als Zeugen.
Sämtliche genannten Beteiligten haben das Zeugnis verweigert, die Be-
teiligten zu 1 bis 3 unter Berufung auf § 384 Nr. 2 ZPO, die Beteiligten zu 4 und
5 unter Berufung auf § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Das Berufungsgericht hat durch
Zwischenurteil die Zeugnisverweigerung der Beteiligten zu 1 bis 3 für berech-
tigt, die der Beteiligten zu 4 und 5 für unberechtigt erklärt. Dagegen haben die
Klägerin und die Beteiligten zu 4 und zu 5 die vom Berufungsgericht zugelasse-
ne Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Klägerin hat ihre Rechtsbeschwerde in-
zwischen zurückgenommen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 4 und zu 5 ist statthaft, weil ein
Zwischenurteil über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung grundsätzlich
anfechtbar ist (vgl. § 387 Abs. 3 ZPO) und das Berufungsgericht die Rechtsbe-
schwerde zugelassen hat (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO; BGH, Be-
schluss vom 8. April 2008 - VIII ZB 20/06, WM 2008, 1808, 1809). Das Rechts-
beschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, die Zeugnisverweige-
rung der Beteiligten zu 4 und zu 5 für unberechtigt zu erklären, wie folgt be-
gründet:
Diese Zeugen könnten sich nicht mit Erfolg auf ein Zeugnisverweige-
rungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO berufen. Nach dieser Vorschrift seien
zwar Personen, die in einem Rundfunksender arbeiteten, grundsätzlich berech-
tigt, Angaben zu ihren Informanten (den Beteiligten zu 1 bis 3) und dem Inhalt
der von diesen Personen erlangten Auskünfte zu verweigern. Eine Ausnahme
vom Grundsatz der Zeugnisverweigerung bezüglich des Namens eines Infor-
manten und des Inhalts des mit diesem geführten Gesprächs bestehe jedoch
dann, wenn der Pressemitarbeiter den Informanten bereits öffentlich bekannt
gegeben und über den Inhalt der mit diesem geführten Gespräche berichtet
habe. Denn der Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts liege im Schutz des
Vertrauensverhältnisses zwischen den Medien und den privaten Informanten
und - mittelbar - in der Gewährleistung einer institutionellen eigenständigen und
funktionsfähigen Presse. Das Zeugnisverweigerungsrecht diene jedoch nicht
dazu, Journalisten grundsätzlich von der Mitwirkung an der gerichtlichen Aufklä-
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rung von Rechtsverletzungen freizustellen. Diese Grundsätze gälten auch im
Streitfall. Denn die Beteiligten zu 4 und 5 hätten zum Inhalt der Gespräche mit
den Beteiligten zu 1 bis 3 vor dem Landgericht H. in öffentlicher Sitzung umfas-
send ausgesagt. Auch in einem solchen Fall sei nach Auffassung des Senats
der Schutzbereich des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht berührt.
2. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
a) Die Pressefreiheit findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen
(Art. 5 Abs. 2 GG). Dazu gehören auch die Prozessgesetze. Im Interesse der
Pressefreiheit einerseits und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege anderer-
seits enthält § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO für Presseangehörige eine Ausnahme von
der allgemeinen Zeugnispflicht. Dies ist kein persönliches Privileg der Presse-
angehörigen. Der Zweck der Privilegierung liegt vielmehr unmittelbar in dem
Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen der Presse und den privaten In-
formanten und mittelbar in der Gewährleistung einer institutionell eigenständi-
gen und funktionsfähigen Presse. Die Privilegierung dient insbesondere nicht
dazu, Journalisten grundsätzlich von der Mitwirkung an der gerichtlichen Aufklä-
rung von Rechtsverletzungen freizustellen. Dementsprechend ist das Vertrau-
ensverhältnis zwischen Presse und Informanten nur im Rahmen der tatbestand-
lichen Voraussetzungen des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützt, nicht aber ein
umfassendes Recht zur Geheimhaltung von Tatsachen eingeräumt worden, die
zur Rechtsverfolgung der von einer Presseveröffentlichung nachteilig betroffe-
nen Personen erheblich sind (BVerfG, NJW 2002, 592 f. unter Hinweis auf
BVerfGE 20, 162, 176; 36, 193, 204; 64, 108, 114 f.; 95, 28, 36).
b) Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass das Zeugnisverweige-
rungsrecht des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO regelmäßig nicht auf einen Pressever-
treter anzuwenden ist, der seine Beziehung zu bestimmten Informanten, über
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die er als Zeuge bekunden soll, namentlich und inhaltlich bereits offengelegt
hat, sofern das Vertrauensverhältnis zu dem Informanten durch die Zeugenaus-
sage nicht weiter als bereits geschehen beeinträchtigt wird. Dies ist entgegen
der mit der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung nicht nur dann der Fall,
wenn ein Pressevertreter sich selbst als Autor eines Artikels bezeichnet hat, in
dem ein Gewährsmann namentlich und mit wörtlichen Zitaten benannt wird (so
in dem Fall BVerfG, aaO).
Auch wenn ein Pressevertreter - ohne sich auf sein Zeugnisverweige-
rungsrecht (mit Erfolg) berufen zu haben - in einem Rechtsstreit in öffentlicher
Sitzung umfangreich zur Person eines Informanten und zu den mit diesem ge-
führten Gesprächen bekundet hat, ist das Vertrauensverhältnis zu dem Infor-
manten offengelegt. Der Zweck des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, das Vertrauens-
verhältnis zwischen Presse und Rundfunk und ihren Informanten zu schützen,
so dass sie ihre Kontrollfunktion unter Einschaltung verlässlicher Informanten
unter Wahrung des Redaktionsgeheimnisses wahrnehmen können, ist in die-
sem Fall nicht mehr zu erreichen.
c) Dem kann die Rechtsbeschwerde nicht mit Erfolg entgegenhalten, die
Zeugenaussage in einem Gerichtsverfahren habe eine geringere Öffentlich-
keitswirkung als etwa eine Presseveröffentlichung. Jedenfalls bei einer Fallge-
staltung wie der vorliegenden ist dies kein überzeugender Gesichtspunkt. Denn
hier geht es wiederum allein um die Aussage in einer mündlichen Verhandlung,
so dass eine weitere Offenlegung des Verhältnisses zu den Informanten nicht
zu besorgen ist.
d) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die Aussagen der
Beteiligten zu 4 und 5 vor dem Landgericht H. hätten dazu gedient, die Behaup-
tungen der Klägerin hinsichtlich einer Schadensersatzpflicht des NDR
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- Arbeitgeber der Beschwerdeführer - zu widerlegen; eine Beeinträchtigung des
Vertrauensverhältnisses zwischen den Beschwerdeführern und den Informan-
ten sei hiermit nicht verbunden gewesen. Dagegen fordere das Berufungsge-
richt nun von den Beteiligten zu 4 und 5 die gezielte Preisgabe der Informatio-
nen ihrer Informanten.
Dem ist entgegenzuhalten, dass eben diese Informationen bereits bei
den ersten Zeugenaussagen der Beteiligten zu 4 und 5 preisgegeben wurden.
§ 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO statuiert kein Zeugnisverweigerungsrecht von Presse-
mitarbeitern, das je nach dem intendierten Zweck der Zeugenaussage frei aus-
geübt werden kann. Ist der Zweck der Vorschrift nicht mehr erreichbar, weil die
Beziehung zu den Informanten namentlich und inhaltlich bereits offengelegt
wurde, ist die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht unzulässig.
e) Bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden ist der Zweck des § 383
Abs. 1 Nr. 5 ZPO im Übrigen aus einem weiteren Grund nicht zu erreichen. Die
Aussagen der Beteiligten zu 4 und 5 vor dem Landgericht H. könnten gegebe-
nenfalls im vorliegenden Rechtsstreit im Wege des Urkundenbeweises verwer-
tet werden. Die Zeugnisverweigerung eines Zeugen im Zivilprozess schließt
- anders als im Strafprozess, § 252 StPO - die Verwertung von Niederschriften
früherer in Kenntnis des Zeugnisverweigerungsrechts getätigter Aussagen nicht
aus (vgl. OLG Köln, VersR 1993, 335 f.; BeckOK ZPO/Scheuch, Stand: Oktober
2012, § 383 Rn. 17; MünchKomm-ZPO/Damrau, 4. Aufl., § 383 Rn. 43; Zöl-
ler/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 373 Rn. 9 und § 383 Rn. 6). Für ein Verwertungs-
verbot (vgl. dazu Senatsurteile vom 12. Februar 1985 - VI ZR 202/83, VersR
1985, 573; vom 10. Dezember 2002 - VI ZR 378/01, BGHZ 153, 165) ist hier
nichts ersichtlich. Kommt es zur Verwertung der früheren Aussagen im Wege
des Urkundenbeweises, ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten
zu 4 und 5 und den Beteiligten zu 1 bis 3 in gleicher Weise offengelegt, wie es
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bei der vom Berufungsgericht beabsichtigten Zeugenvernehmung der Fall sein
wird.
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Zoll
Diederichsen
Pauge
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 21.12.2009 - 5 O 3480/08 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 13.12.2011 - 13 U 4/10 -