Urteil des BGH vom 07.02.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 320/00
Verkündet am:
14. März 2002
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GG Art. 14 (Ea); HessEnteigG § 40; WertV § 25
Zur Bemessung der Enteignungsentschädigung für dem öffentlichen
Verkehr übergebene Erschließungsanlagen, die der Eigentümer in
der Zwangsversteigerung erworben hatte, um sie an die Gemeinde
weiterzuveräußern.
BGH, Urteil vom 14. März 2002 - III ZR 320/00 - OLG Frankfurt/Main
LG Frankfurt/Main
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter
Dr. Wurm, Streck, Schlick und Dörr
für Recht erkannt:
Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil
des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
23. November 2000 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisonsrechtszuges werden gegeneinander auf-
gehoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entschädigung des Klägers we-
gen der Enteignung von vier insgesamt 4.123 m² großen Grundstücken in der
Gemarkung H. zugunsten der beklagten Stadt.
Bei diesen Grundstücken handelt es sich um ausgebaute Straßen-, We-
ge- und Parkplatzflächen, die der Erschließung der Reihenhaussiedlung "Im
H." dienen; eine dazugehörige Teilfläche ist als Kinderspielplatz hergerichtet.
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Vor ihrem Ausbau gehörten die betreffenden Flächen zu einem Bereich, für
den der Bebauungsplan "W." der Beklagten vom 22. Dezember 1966 ein
Wohngebiet mit drei- bis fünfgeschossiger Blockbebauung unter direkter An-
bindung an die bereits vorhandene H.-Straße vorsah. Im Jahre 1980 erfolgte
auf Veranlassung einer Bauträgergesellschaft, die das Baugelände erworben
hatte (im folgenden: frühere Eigentümerin), eine Umplanung in ein mit kleine-
ren Stichstraßen versehenes Reihenhausgebiet. Voraussetzung für den ent-
sprechenden, am 18. März 1980 in Kraft getretenen Teilbebauungsplan
Nr. N 24 "B.-Baugebiet W." war der Abschluß eines schriftlichen Erschlie-
ßungsvertrages zwischen der früheren Eigentümerin und der Beklagten vom
29. Januar 1980, in dem sich die frühere Eigentümerin verpflichtete, die weite-
ren Erschließungsmaßnahmen einschließlich Parkplatzausbau selbst und auf
eigene Kosten vorzunehmen - weiterhin unter anderem auch einen geplanten
Spielplatz anzulegen - und die in Rede stehenden Anlagen nach ihrer Fertig-
stellung kostenlos auf die Beklagte zu übertragen. Im Sommer 1982 waren die
Straßen- und Wegeflächen samt den zugehörigen Grünflächen und Ge-
meinschaftsstellplätzen hergestellt und wurden dem Verkehr übergeben.
Nachdem die frühere Eigentümerin (Bauträgerin) in Konkurs geraten war, wur-
den die hier in Rede stehenden Erschließungsflächen später zwangsverstei-
gert. Der Verkehrswert wurde in diesem Verfahren von einem Sachverständi-
gen auf 308.887, 50 DM geschätzt. Am 19. August 1987 erhielt der Kläger auf
ein Bargebot von 8.100 DM den Zuschlag, wobei nach den Versteigerungsbe-
dingungen Vormerkungen auf Eintragung von Sicherungshypotheken zum Ge-
samtbetrag von 97.766,43 DM nebst Zinsen bestehen blieben.
Dem - mit Anwaltsschreiben vom 27. August 1987 erklärten - Ansinnen
des Klägers, die Erschließungsflächen zu erwerben, kam die Beklagte nicht
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nach. Daraufhin beantragte der Kläger am 29. September 1987 beim Re-
gierungspräsidium in D. die Durchführung eines Enteignungsverfahrens, was
die Enteignungsbehörde zunächst ablehnte. Nachdem in einem vom Kläger
gegen die Beklagte geführten verwaltungsgerichtlichen Prozeß das Verwal-
tungsgericht F. mit Urteil vom 24. September 1991 festgestellt hatte, daß die
betreffenden Grundstücke - außer der als Kinderspielplatz dienenden Teil-
fläche - straßenrechtlich öffentliche Wegeflächen seien und daß die Beklagte
gemäß § 13 des Hessischen Straßengesetzes (HStrG) verpflichtet sei, diese
Flächen zu erwerben, betrieb das Regierungspräsidium in D. das Enteignungs-
verfahren und übertrug durch - unangefochten gebliebenen - Teil A seines
Beschlusses vom 1. September 1995 das Eigentum vom Kläger auf die Be-
klagte.
In Teil B desselben Beschlusses setzte die Enteignungsbehörde die Ent-
schädigung auf 125.000 DM nebst gesetzlichen Zinsen fest. Kläger und Be-
klagte haben hiergegen Klage erhoben. Der Kläger hat für die von ihm in erster
Linie angestrebte "angemessene" Entschädigung eine Größenordnung von
926.662,50 DM angegeben. Die Beklagte hat mit ihrer Widerklage jeden ent-
schädigungspflichtigen Wert der enteigneten Flächen in Abrede gestellt. Das
Landgericht hat die von der Beklagten zu leistende Enteignungsentschädigung
auf 134.000 DM angehoben, das Oberlandesgericht hat sie weiter auf
311.000 DM erhöht. Mit der Revision erstrebt der Kläger eine Verdoppelung
des vom Oberlandesgericht ausgeurteilten Betrages, während die Beklagte mit
ihrer Revision ihren Standpunkt, es sei überhaupt keine Enteignungsentschä-
digung zu zahlen, weiterverfolgt.
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Entscheidungsgründe
Die Revisionen beider Parteien haben keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht sieht für die Enteignungsentschädigung den Ver-
kehrswert der betroffenen Grundstücke im Zeitpunkt der Entscheidung über
den Enteignungsantrag als maßgebend an. Die Wertermittlung für diesen
Stichtag habe hier - so das Berufungsgericht weiter - im sogenannten Sach-
wertverfahren zu erfolgen. Im Anschluß an ein entsprechendes Gutachten des
Sachverständigen Sch. gelangt es unter Zusammenrechnung eines Boden-
werts von 206.000 DM (50 DM/m²) und des Werts der Herstellungskosten für
alle Auf- und Ausbauten von (1.506.405 DM abzüglich Altersabschlag =)
1.037.915 DM zu einem "ungeminderten Sachwert" von 1.243.920 DM. Letzte-
rer sei jedoch, wie das Berufungsgericht wiederum im Anschluß an den Sach-
verständigen Sch. annimmt, unter dem Gesichtspunkt einer Wertminderung in
zweifacher Hinsicht zu kürzen: Zum einen sei eine Wertminderung - um 50 %,
also um 621.960 DM - wegen der "eingeschränkten Nutzung für den Eigentü-
mer" anzunehmen, weil die Flächen unstreitig öffentlich genutzt würden und
nur so genutzt werden könnten. Zum anderen sei von den verbleibenden rund
622.000 DM ein weiterer 50 %iger "Marktanpassungsabschlag" zu machen,
weil es für die in Rede stehenden Flächen keinen gewöhnlichen Geschäftsver-
kehr gebe und als Käuferin praktisch nur die Beklagte in Frage komme; über-
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dies seien bei der Bemessung dieses Abschlags erhebliche Pflege- und In-
standhaltungskosten sowie die Gefahr von Altlasten mit zu berücksichtigen.
Aus beiden Abschlägen ergebe sich mithin ein auf 311.000 DM angepaßter
Verkehrswert.
II.
Die Revision des Klägers
1.
Ausgangspunkt ist, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
zur Ermittlung des maßgeblichen Verkehrswerts im Streitfall nur das sogenann-
te Sachwertverfahren (§§ 7, 21 WertV) zur Verfügung steht, weil es einen
Markt für hergestellte Erschließungsanlagen der hier in Rede stehenden Art als
Grundlage für das Vergleichswertverfahren (§§ 7, 13 f WertV) nicht gibt und
auf den hier betroffenen Flächen, die mit der Verkehrsübergabe als dem öf-
fentlichen Verkehr gewidmet gelten (§ 2 Abs. 1 Satz 2 HStrG), Erträge als An-
knüpfungspunkt für ein Ertragswertverfahren (§§ 7, 15 ff WertV) ausscheiden.
Zwar gehört zu den nach Straßenrecht öffentlichen Wegeflächen nicht der Kin-
derspielplatz auf einem Teil des Flurstücks 554; dem Vorbringen der Parteien
ist jedoch nicht zu entnehmen, daß für diese ebenfalls der Allgemeinheit zur
Verfügung gestellte Anlage bewertungsmäßig etwas anderes gelten soll als für
die im Streit befindlichen eigentlichen Erschließungsflächen.
Das für die Ermittlung des Wertes bereits hergestellter Erschließungs-
anlagen grundsätzlich geeignete (vgl. - für eine Privatstraße - Senatsurteil vom
6. April 1995 - III ZR 27/94 - WM 1995, 1195) Sachwertverfahren geht dahin,
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daß der Wert der baulichen und sonstigen Anlagen getrennt vom Bodenwert
nach Herstellungswerten zu ermitteln ist (§ 21 Abs. 1 WertV). Der - in der Re-
gel im Vergleichswertverfahren zu ermittelnde (§ 21 Abs. 2 WertV) - Bodenwert
und der Wert der baulichen Anlagen bzw. der sonstigen Anlagen ergeben den
"Sachwert des Grundstücks" (§ 21 Abs. 5 WertV). Nach diesen Grundsätzen ist
hier erklärtermaßen auch der Sachverständige, dessen Hilfe das Berufungsge-
richt sich bedient hat, vorgegangen.
2.
Was die Qualität des dem Kläger durch die Enteignung genommenen
Grund und Bodens zum maßgeblichen Stichtag (vgl. §§ 38 Abs. 4 HEG, 93
Abs. 4 BauGB) angeht, hat das Berufungsgericht im Anschluß an den Sach-
verständigen Sch. rechtsfehlerfrei - nach Maßgabe der (auch ins Werk ge-
setzten) Bebauungsplanänderung von 1980 - diejenige von Straßenland ange-
nommen. Es hat entgegen den Beanstandungen der Revision im Ergebnis mit
Recht den Grundsatz der Vorwirkung der Enteignung für unanwendbar erachtet
und deshalb eine höhere Einstufung des Bodenwerts - als Bauland - abgelehnt.
a) Nach letzterem Grundsatz tritt bei einem sich über einen längeren
Zeitraum hinziehenden Enteignungsverfahren als Qualitätsstichtag an die
Stelle des Enteignungsbeschlusses diejenige Planungsmaßnahme, von der ab
eine konjunkturelle Weiterentwicklung des Grundstücks ausgeschlossen wurde
(vgl. auch §§ 40 Abs. 2 HEG, 95 Abs. 2 BauGB; BGHZ 98, 341 f; 141, 319,
321). Voraussetzung hierfür ist, daß die Planung - sei es auch noch unverbind-
lich - ursächlich für die spätere Enteignung war (BGHZ 98, 341 f).
b) aa) Im Streitfall ist es schon deshalb zweifelhaft, ob in Anwendung
dieses Grundsatzes der am 18. März 1980 in Kraft getretenen Bebauungspla-
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nänderung - durch die im vorliegenden Bereich früheres Bauland zu Straßen-
land wurde - eine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommen kann, weil das
neue Planungskonzept und die damit zwangsläufig verbundene Herabzonung
der für die innere Erschließung benötigten Flächen des ursprünglichen Bauge-
biets den erklärten Bebauungsabsichten der früheren Grundstückseigentüme-
rin (Bauträgergesellschaft) und dem von ihr hierfür mit der Gemeinde abge-
schlossenen Erschließungsvertrag vom 29. Januar 1980 entsprachen. Letzte-
res und der weitere Umstand, daß der besagte Erschließungsvertrag die ko-
stenlose (rechtsgeschäftliche) Übertragung der Erschließungsflächen auf die
Gemeinde vorsah, sprechen - unbeschadet dessen, daß die Verpflichtung zur
Übertragung von Grundflächen formunwirksam gewesen sein dürfte (§ 313
BGB; BGH, Urteil vom 5. Mai 1972 - V ZR 63/70 - NJW 1972, 1364, 1365) -
eher dagegen, die Änderung des Bebauungsplans vom 18. März 1980 rück-
blickend als auf eine Enteignung als einen zwangsweisen Entzug der für sei-
nen Vollzug benötigten Erschließungsflächen "angelegt" (vgl. Senatsurteil vom
6. April 1995 aaO) anzusehen.
Aus dem Gesichtspunkt, daß die betreffende Umplanung (1980) im Ein-
verständnis mit der früheren Grundstückseigentümerin erfolgte, ergibt sich ein
weiteres Bedenken dagegen, ihr entschädigungsrechtlich eine Vorwirkung bei-
zumessen: Es spricht alles dafür, daß im Hinblick auf die Art der eigenen Mit-
wirkung der früheren Eigentümerin an dem Verfahren ein Anspruch derselben
auf eine Entschädigung wegen der teilweisen Herabzonung innerhalb des
Baugebiets nach dem sogenannten Planungsschadensrecht (vgl. §§ 40, 42
BauGB) ausgeschlossen gewesen wäre. Solche Entschädigungsansprüche
können nur durch - aus der Sicht des betroffenen Eigentümers - fremdnützige
(Um-)Planungen der Gemeinde ausgelöst werden (vgl. auch Senatsurteil vom
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9. Oktober 1997 - III ZR 148/96 - NJW 1998, 2215, 2216 f). Bodenwertände-
rungen aufgrund von (Um-)Planungsmaßnahmen, die planungsschadensrecht-
lich folgenlos bleiben, sind aber auch bei der Entschädigungsberechnung im
Falle der Enteignung von Grundstücken im Planbereich durch Verwaltungsakt
unberücksichtigt zu lassen; sie dürfen auch nicht auf dem Umweg über die
Grundsätze der Vorwirkung der Enteignung in die Bewertung einfließen (vgl.
§ 95 Abs. 2 Nr. 7 BauGB; dazu BGHZ 141, 319).
b) Über die dargelegten Bedenken hinaus kann sich jedenfalls nicht der
Kläger, der den enteigneten Grundbesitz im Jahre 1987 in seiner jetzigen Be-
schaffenheit durch Zuschlag in der Zwangsversteigerung erworben hat, auf
eine enteignungsrechtliche Vorwirkung der Bebauungsplanänderung vom
18. März 1980 berufen. Die Enteignungsentschädigung ist der Ausgleich für
den bei dem jeweiligen Enteigneten (Entschädigungsberechtigten) eintreten-
den Rechtsverlust oder für andere bei ihm durch die Enteignung eintretende
Vermögensnachteile (vgl. §§ 40, 41 HEG; § 93 Abs. 2 BauGB). Daraus folgt,
daß bei einem Eigentumswechsel der neue Eigentümer im Falle der Enteig-
nung eine Mehrentschädigung, die sich aus vor seinem Rechtserwerb einge-
tretenen Vorwirkungen ergeben könnte, grundsätzlich nicht verlangen kann;
sonst würde er für mehr entschädigt als ihm durch die Enteignung entzogen
worden ist (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1968 - III ZR 114/66 - WM 1969, 274,
276;
Beschluß vom 25. November 1991 - III ZR 65/91 - BGHR BauGB § 93 Eigen-
tümerwechsel 1). Eine etwa in der Person des früheren Eigentümers begrün-
dete weitergehende Rechtsposition ("Anwartschaft"; vgl. Senatsbeschluß vom
25. November 1991) kann beim Entschädigungsanspruch des enteigneten neu-
en Eigentümers nur berücksichtigt werden, wenn sie durch Gesamtrechtsnach-
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folge oder Einzelrechtsnachfolge (Abtretung oder Übertragung) auf ihn über-
gegangen ist (Senatsurteile vom 2. Februar 1978 - III ZR 90/76 - WM 1978,
520, 522 und vom 6. April 1995 - III ZR 27/94 - WM 1995, 1195 f; Beschluß
vom 25. November 1991 aaO; vgl. auch BGHZ 93, 165, 170; 129 124, 135).
An einem derartigen Übertragungstatbestand fehlt es im Streitfall allemal. In
dem Urteil vom 6. April 1995 (aaO) hat der Senat offengelassen, ob eine auf
der Vorwirkung der Enteignung beruhende Rechtsposition beim Grunderwerb
in der Zwangsversteigerung vom letzten Eigentümer auf den Ersteher über-
geht. Die Frage ist zu verneinen. Der Zuschlag in der Zwangsversteigerung
führt zu einem originären Erwerb des Eigentums. Der Eigentumserwerb umfaßt
das Grundstück und die Gegenstände, auf die sich die Versteigerung erstreckt
hat (§§ 20 Abs. 2, 21, 55, 90 ZVG). Dazu können auch mit dem Eigentum an
dem Grundstück verbundene Rechte als Bestandteile desselben Grundstücks
gehören (§§ 96, 1120 ff BGB). Dem bisherigen Eigentümer aus vorausgegan-
genen planerischen Vorgängen bezüglich des Grundstücks erwachsene ent-
schädigungsrechtliche Rechtspositionen gehören nicht dazu. Bei ihnen handelt
es sich um vom Grundstück losgelöste, frei verfügbare persönliche (bedingte)
Ansprüche oder Anwartschaften des jeweilig Betroffenen, was in den Fällen
besonders deutlich wird, in denen bei Wirksamwerden der vorwirkenden Maß-
nahme für den Eigentümer bereits ein fälliger Entschädigungsanspruch ent-
steht (vgl. §§ 40, 42 BauGB). Folgerichtig spielte dieser Gesichtspunkt auch
bei der Ermittlung des Verkehrswerts (§ 74 a ZVG) des vom Kläger ersteigerten
Grundbesitzes nach Maßgabe der damaligen Situation (1987) keine Rolle; das
Gutachten des Sachverständigen B. vom 14. Mai 1985, das zu einem Ver-
kehrswert von 308.887,50 DM gelangte, stellte dementsprechend maßgeblich
darauf ab, daß es sich um nicht dem gewöhnlichen Grundstücksverkehr zu-
gängliche Flächen handelte.
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3.
Im Ergebnis ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen,
daß das Berufungsgericht im Anschluß an den Sachverständigen Sch. den aus
der Addition des - vorschriftsgemäß im Vergleichswertverfahren ermittelten
(§§ 13 f, 21 Abs. 2 WertV) - Bodenwerts (206.000 DM) und des Werts der
baulichen Anlagen (1.506.405 DM minus Altersabschlag = 1.037.915 DM) zum
Stichtag 1. September 1995 errechneten Gesamtbetrag von 1.243.920 DM
("ungeminderter Sachwert") durch Abschläge letztlich auf ein Viertel
(311.000 DM) herabgemindert hat. Es handelt sich um eine vertretbare Schät-
zung (§ 287 ZPO) innerhalb eines dem Tatrichter insoweit offenstehenden
weiten Bewertungsspielraums.
a) Es ist im Ansatz nicht zu beanstanden, daß der Sachverständige und
mit ihm das Berufungsgericht einen (ersten) Wertabschlag unter dem Ge-
sichtspunkt der "eingeschränkten Nutzung" für den Eigentümer, nämlich der
tatsächlichen öffentlichen Nutzung, in Betracht gezogen haben. Rechtlicher
Anknüpfungspunkt hierfür ist § 25 WertV, wonach im Sachwertverfahren "son-
stige nach den §§ 22 bis 24 bisher noch nicht erfaßte, den Wert beeinflussen-
de Umstände.." durch Zu- oder Abschläge oder in anderer geeigneter Weise zu
berücksichtigen sind. Ein für einen wesentlichen Abschlag maßgeblicher Ge-
sichtspunkt kann auch das Fehlen jeglicher privatwirtschaftlichen Ertragsmög-
lichkeit auf den in Rede stehenden Flächen sein (vgl. Senatsurteil vom 6. April
1995 aaO). Vorliegend können die Straßen bzw. Wege und (Park-)Plätze, um
die es geht, schon deshalb keinen privaten Ertrag erbringen, weil es sich um
öffentliche Straßen im Sinne des Straßenrechts handelt (§ 2 Abs. 1 HStrG), wie
dies auch in einem Verwaltungsrechtsstreit zwischen den Parteien rechtskräftig
festgestellt worden ist. Für den Kläger waren die fehlenden Ertragsmöglichkei-
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ten vor der Enteignung zusätzlich dadurch fühlbar geworden, daß seine Klagen
auf Zahlung von Notwegrenten gegen zwei anliegende Grundstückseigentümer
rechtskräftig abgewiesen wurden. Dies stellt auch die Revision im Grundsatz
nicht in Frage; sie beanstandet auch nicht, daß im Streitfall für die Bewertung
des auf einem der betroffenen Grundstücke angelegten Kinderspielplatzes
ähnliche Bewertungsgrundsätze angewandt werden wie bei den eigentlichen
Erschließungsflächen.
b) Hierin liegt - entgegen der einen "Rechenfehler" beanstandenden Re-
vision - auch nicht insoweit ein durchgreifender Mangel, als der Sachverständi-
ge Sch. im Zusammenhang mit der von ihm vorgeschlagenen (ersten) Minde-
rung des zuvor aus dem Bodenwert und dem Wert der Außenanlagen errech-
neten "ungeminderten Sachwerts" (1.243.920 DM) um 50 % zugleich ausge-
führt hat, die hierfür maßgebliche besondere Nutzungseinschränkung für den
Eigentümer werde "nicht dem Bodenwert angelastet". Diese Äußerung des
Sachverständigen ist nach ihrem Zusammenhang so zu verstehen, daß sich
der erörterte Gesichtspunkt der eingeschränkten Nutzung zwar nicht bei der
Ermittlung des Bodenwerts für sich, gleichwohl aber beim - gesamten - Sach-
wert des mit den baulichen Anlagen versehenen Grundstücks mit einem be-
stimmten prozentualen Abschlag niederschlagen soll.
aa) Eine solche Aussage scheint allerdings - ohne zusätzliche Erläute-
rung - der Systematik der Wertermittlungsverordnung zu widersprechen. Nach
dieser setzt sich der Sachwert eines bebauten Grundstücks ("Sachwert des
Grundstücks") aus dem regelmäßig im Vergleichswertverfahren zu ermittelnden
Bodenwert (§ 21 Abs. 2 WertV) und dem Wert der baulichen Anlagen zusam-
men (§ 21 Abs. 1, 3 WertV). Der Sachwert ("Herstellungswert") von Gebäuden
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- entsprechend auch von Außenanlagen und sonstigen Anlagen - ist gemäß
§ 21 Abs. 3 Satz 1 WertV (vgl. auch § 21 Abs. 4 WertV) "unter Berücksichti-
gung ... sonstiger wertbeeinflussender Umstände (§ 25) nach § 22 zu ermit-
teln". Gegenstand der Vorschrift des § 25 WertV ist nach diesem Regelungs-
zusammenhang - unmittebar - der Sachwert der baulichen Anlagen als solcher
(vgl. Kleiber, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg BauGB § 25 WertV Rn. 2, 9). Daraus
rechtfertigt sich also nicht ohne weiteres der in Betracht gezogene prozentuale
Abschlag vom gesamten "ungeminderten Sachwert" (Sachwert des Grund-
stücks).
bb) Andererseits ist nach dem Grundanliegen der Wertermittlungsver-
ordnung, daß die Bewertung dem wirklichen "Zustand" Rechnung tragen soll
(vgl. § 5 WertV), eine durchgehende Minderung des Gesamtwerts des Grund-
stücks unter dem Gesichtspunkt "sonstiger wertbeeinflussender Umstände"
- wie im Streitfall vom Tatrichter angenommen - keineswegs ausgeschlossen
(vgl. Nr. 3.6.5.2 der Wertermittlungsrichtlinien 1976/1996 [WertR 76/96]; Klei-
ber aaO Rn. 10). Sie kann sich sogar aufdrängen, wenn - wie hier - die in Rede
stehenden Grundflächen derart (zweckgerichtet) mit baulichen Anlagen verse-
hen und in Dienst gestellt worden sind, daß ihre wirtschaftliche Nutzbarkeit mit
derjenigen der Baulichkeiten steht und fällt. In einem solchen Fall ist es entge-
gen der Revision auch kein Widerspruch, den Bodenwert - als Teil des Sach-
werts des Grundstücks - an Wertminderungen wegen Umständen zu beteiligen,
die bei der Ermittlung des bloßen Bodenwerts im Verfahren nach § 21 Abs 2
WertV keinen Niederschlag gefunden hatten.
c) Soweit das Berufungsgericht mit dem Sachverständigen von dem auf-
die beschriebene Weise reduzierten Sachwert einen nochmaligen 50 %igen
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Abschlag unter dem Gesichtspunkt der "Marktanpassung" vorgenommen hat,
ist zwar die Begründung nicht in jeder Hinsicht unbedenklich, letztlich durch-
greifende rechtliche Bedenken bestehen jedoch gegen die tatrichterliche Ein-
schätzung - insbesondere bei Berücksichtung zusätzlicher wertender Ge-
sichtspunkte - als Ganze nicht.
aa) Als Grundlage für einen - nach Auffassung des Sachverständigen:
zusätzlichen (selbständigen) - Wertabschlag zur "Marktanpassung" käme in
erster Linie die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 WertV in Betracht, wonach der
Verkehrswert aus dem Ergebnis des jeweils herangezogenen Bewertungs-
verfahrens unter Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt (§ 3
Abs. 3) zu bemessen ist. Ob diese Vorschrift im Streitfall einschlägig sein kann,
ist allerdings schon deshalb zweifelhaft, weil es - wovon auch der Sachver-
ständige und das Berufungsgericht ausgehen - einen gewöhnlichen Geschäfts-
verkehr (Markt) für ausgebaute Erschließungsanlagen der hier in Rede stehen-
den Art überhaupt nicht gibt, also auch eine Anpassung des Verkehrswerts an
ein "Markt"-Geschehen im eigentlichen Sinne ausscheidet. Bezogen auf den
Bodenwertanteil im Sachwert wird im übrigen in der Einschätzung des Sach-
verständigen in diesem Zusammenhang nicht deutlich, wodurch eine weitere
"Marktanpassung" des Werts des Straßenlandes, den der Sachverständige als
solchen in Anlehnung an die Vergleichswertmethode ermittelt hat, gerechtfer-
tigt sein soll; die von dem Sachverständigen insoweit herangezogenen Ankäufe
der öffentlichen Hand - für den öffentlichen Straßenbau - deuten auf einen ent-
sprechenden (begrenzten) "Markt" hin.
Jedenfalls kann nach den im Streitfall gegebenen Besonderheiten den
vom Sachverständigen für eine "Marktanpassung" angeführten Gesichtspunk-
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ten - als Käuferin komme praktisch nur die Beklagte in Frage; mit dem Erwerb
öffentlich (unentgeltlich) genutzter Verkehrsflächen fielen Pflegeaufwendungen
wie Reinigen, Schnee- und Eisbeseitigung sowie Reparaturen und Instandhal-
tungskosten an; insbesondere sei die Gefahr von Bodenverunreinigungen und
spezifischen Altlasten nicht zu unterschätzen - bewertungsmäßig keine eigen-
ständige Bedeutung gegenüber den Gründen zukommen, die zu dem (ersten)
Abschlag nach § 25 WertV geführt haben. Die mit dem betroffenen Grundbesitz
verbundenen Belastungen und Gefahren und der Umstand, daß es für diese
Flächen private Erwerbsinteressenten nicht gibt, sind hier nämlich im wesentli-
chen nur die "Kehrseite" der Indienststellung als Erschließungsanlagen für den
Gemeingebrauch. Augenfällig wird dies im Blick darauf, daß die straßenrechtl i-
che Widmung - die, wie dargelegt, dem Eigentümer die private Nutzungsmög-
lichkeit nimmt - zugleich die Straßenbaulast und Verkehrssicherungspflicht der
öffentlichen Hand (hier: der Gemeinde) begründet hat.
bb) Wenn danach im Streitfall bewertungsmäßig nur eine Gesamtwürdi-
gung der erörterten Gesichtspunkte, mithin nur ein einheitlich zu beurteilender
Wertabschlag in Frage kommt - am nächstliegenden im Sinne einer bei § 25
WertVO anzusiedelnden "wirtschaftlichen Wertminderung" (vgl. Nr. 3.6.5.1
WertR 76/96) -, so hat das Berufungsgericht (mit dem Sachverständigen Sch.)
die Wertminderung gleichwohl in ihrer gesamten Größenordnung durchaus
zutreffend eingeschätzt.
Denn angesichts dessen, daß ein wirtschaftliches (privates) Interesse
am Erwerb der vorliegenden Erschließungsanlagen nicht ersichtlich ist und ein
solches auch nicht zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs des Klägers in der
Zwangsversteigerung gegeben war - mit Ausnahme der Aussicht, die betref-
- 16 -
fenden Anlagen an die nach ihren öffentlichen Aufgaben verantwortliche Ge-
meinde gegen ein Entgelt veräußern zu können -, kann bei einer wertenden
Betrachtung und Einschätzung des dem Kläger durch die Enteignung Genom-
menen nicht unberücksichtigt bleiben, was der Kläger seinerseits für den Er-
werb dieser Position aufzuwenden hatte. Selbst wenn man in diesem Zusam-
menhang außer Betracht läßt, daß der Kläger den Zuschlag zu noch wesentlich
günstigeren Bedingungen erhielt, kommt als ein für die Angemessenheitsprü-
fung maßgeblicher (objektiver) Gesichtspunkt allemal die Wertfestsetzung im
Zwangsversteigerungsverfahren in Betracht. Vorliegend hatte der Zwangsver-
steigerung ein Sachverständigengutachten (B.) vom 14. Mai 1985 zugrunde
gelegen, in dem der in Rede stehende Grundbesitz mit vertretbarer Begrün-
dung - unter ausdrücklichem Hinweis auf die Zweckbestimmung als Erschlie-
ßungsanlage für ein Wohngebiet und unter Verneinung jeglicher Ertragsmög-
lichkeiten - mit 308.887,50 DM bewertet worden war. In der gleichen Größen-
ordnung liegt die jetztige Wertschätzung - unter angemessener Minderung des
im Sachwertverfahren ermittelten Betrages - für das Enteignungsverfahren. Es
sind entgegen dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers in der
Revisionsverhandlung auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der im
Zwangsversteigerungsverfahren zum 14. Mai 1985 zugrunde gelegte Wert
schon wegen des Zeitablaufs bis zu dem im Enteignungsverfahren maßgebli-
chen Stichtag angehoben werden müßte; der reine Bodenwert mag seither in
begrenztem Umfang gestiegen sein (das Gutachten B. im Zwangsversteige-
rungsverfahren setzt 45 DM/m² an, während der Sachverständige Sch. für 1995
einen Quadratmeterpreis von 50 DM ermittelt hat); dem steht jedoch eine auf
den ersten Blick wesentlich höhere Alterswertminderung des Herstellungswerts
der baulichen und sonstigen Anlagen gegenüber.
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III.
Die Revision der Beklagten
1.
Die Revision macht geltend, die vom Berufungsgericht mit Hilfe des
Sachverständigen Sch. vorgenommene Schätzung (§ 287 ZPO) sei zu Lasten
der Beklagten fehlerhaft, weil sie nicht genügend deren Vortrag berücksichtige,
daß die unentgeltlichen Benutzungsrechte der Anwohner ("Notwegrechte") den
Sachwert der enteigneten Grundflächen vollständig ausgehöhlt hätten, deren
Wert also gegen "Null" gehe. Indessen ist nicht ersichtlich, daß das Beru-
fungsgericht bei seiner - nur auf Rechtsfehler überprüfbaren - tatrichterlichen
Würdigung den von der Beklagten angesprochenen Gesichtspunkt fehlerhaft
überhaupt nicht gewürdigt oder greifbar "unterschätzt" hätte. Soweit die Revisi-
on dem Senatsurteil vom 6. April 1995 (aaO) entnehmen will, daß in einem Fall
wie dem vorliegenden jeglicher Verkehrswert der enteigneten Flächen verneint
werden müsse, so trifft dies nicht zu. Es heißt zwar in dem genannten Urteil
- das die Bewertung einer Privatstraße betrifft -, daß eine "andere Beurteilung
bezüglich der Maßgeblichkeit (auch) des Sachwerts" in Betracht käme, "wenn
und soweit ... Umstände ... den an sich in der ausgebauten Straßen liegenden
Sachwert als solchen ausgehöhlt hätten". Diese Formulierung besagt jedoch
nicht, daß Flächen, die bereits dem öffentlichen Verkehr gewidmet und damit
der privaten Nutzung entzogen sind, im Enteignungsverfahren - mit dem Ziel,
den Träger der Straßenbaulast auch zum Eigentümer zu machen (vgl. § 13
HStrG) - als wertlos eingestuft werden könnten. Der Senat hat in demselben
Urteil betont, daß ein entschädigungsloser Eigentumsentzug mit Art. 14 GG
grundsätzlich unvereinbar wäre. Unter diesem Gesichtspunkt läßt es keinen
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Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten erkennen, daß das Berufungsgericht
dem Kläger 25 % des "ungeminderten Sachwerts" als Enteignungsentschädi-
gung zuerkannt hat.
2.
Fehl geht auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe ver-
kannt, daß die Ausführungen des Sachverständigen Sch. hinsichtlich der erfor-
derlichen Aufwendungen für die Unterhaltung und möglicherweise zur Altla-
stensanierung auf den in Rede stehenden Flächen neben den von ihm ge-
machten Abzügen noch Raum für weitere Minderungsabschläge eröffnet hät-
ten. Im letzteren Sinne ist das Gutachten des Sachverständigen nicht zu ver-
stehen; der Sachverständige hat vielmehr die von ihm insgesamt als angemes-
sen angesehenen Abzüge unter Einbeziehung sämtlicher - auch der jetzt von
der Revision hervorgehobenen - Gesichtspunkte vorgeschlagen.
Rinne
Wurm
Streck
Schlick
Dörr