Urteil des BGH vom 29.05.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 3/08
vom
29. Mai 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 80 Abs. 1; ZVG § 74a Abs. 5 Satz 3
Die sofortige Beschwerde eines Schuldners, über dessen Vermögen ein Insolvenz-
verfahren eröffnet worden ist, gegen die Festsetzung des Verkehrswerts eines mas-
sezugehörigen Grundstücks durch das Vollstreckungsgericht ist unzulässig.
BGH, Beschl. v. 29. Mai 2008 - V ZB 3/08 - LG Hamburg
AG Hamburg
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 29. Mai 2008 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 28
des Landgerichts Hamburg vom 4. Dezember 2007 wird zurück-
gewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.022.000 €.
Gründe:
I.
Über das Vermögen des Schuldners wurde am 15. März 2003 das Insol-
venzverfahren eröffnet. Der Beteiligte zu 2 wurde zum Verwalter in diesem Ver-
fahren bestellt. Zur Insolvenzmasse gehört eine Mehrzahl von Wohnungs- und
Teileigentumseinheiten, deren Versteigerung die Beteiligten zu 3 bis 5 betrei-
ben. Mit Beschluss vom 20. April 2007 hat das Amtsgericht sachverständig be-
raten den Verkehrswert des Wohnungs- und Teileigentums auf insgesamt
3.278.000 € festgesetzt.
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Der Schuldner hält diesen Wert für zu niedrig. Mit der sofortigen Be-
schwerde hat er die Festsetzung des Verkehrswerts auf mindestens
4.300.000 € beantragt. Das Landgericht hat die Beschwerde als unzulässig
verworfen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner
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weiterhin die Erhöhung der Festsetzung des Verkehrswerts des Wohnungs-
und Teileigentums.
II.
Das Beschwerdegericht sieht die sofortige Beschwerde als unzulässig
an. Es meint, der Schuldner habe mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über sein Vermögen die Befugnis verloren, Entscheidungen im Zwangsverstei-
gerungsverfahren anzugreifen, soweit § 30d ZVG die Beschwerde nicht trotz
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewähre.
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III.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Die sofortige Beschwerde
des Schuldners ist unzulässig.
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Soweit das Zwangsversteigerungsgesetz nichts anderes bestimmt, hat
der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen
und der Bestellung eines Verwalters in diesem Verfahren die Befugnis verloren,
in Verfahren über massezugehörige Bestandteile seines Vermögens Anträge zu
stellen oder Rechtsmittel einzulegen (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2007, V ZB
141/06, ZfIR 2008, 150, 151; LG Lübeck Rpfleger 2004, 235, 236). Dagegen
wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
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1. Ziel des Insolvenzverfahrens ist es, die Gläubiger durch die Verwer-
tung des Vermögens des Schuldners gemeinsam zu befriedigen, soweit eine
Befriedigung aus den Erträgen eines von dem Schuldner betriebenen Unter-
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nehmens nicht erwartet werden kann, § 1 Satz 1 InsO. Mit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens und der Bestellung eines Verwalters in diesem Verfahren
geht die Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über das Vermögen des
Schuldners auf den Insolvenzverwalter über, § 80 Abs. 1 InsO.
Soweit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Rechte des Schuld-
ners aus Art. 14 Abs. 1 GG beschränkt, ist dies notwendig und verfassungsge-
mäß, weil das Ziel des Insolvenzverfahrens anders nicht erreicht werden kann
(BVerfGE 51, 405, 408 unter Hinweis auf BVerfGE 21, 150, 155; 25, 112, 117;
42, 263, 295, 305). Die Rechte des Schuldners werden dadurch gewahrt, dass
der Schuldner gemäß § 34 Abs. 1 InsO den Eröffnungsbeschluss anfechten
kann (BVerfGE 51, 405, 408). Werden der Eröffnungsbeschluss und die Ernen-
nung eines Verwalters rechtskräftig, wird der Schuldner von der Verwaltung und
Verfügung über sein Vermögen ausgeschlossen, soweit dieses zur Masse ge-
hört, weil von dem Schuldner weder erwartet werden kann, dass er sein Ver-
mögen in der gebotenen Weise verwaltet und in dieser Weise hierüber verfügt,
noch dass er sein Vermögen zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger
einsetzt.
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Die Übertragung der Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über das
Vermögen des Schuldners auf den Verwalter gilt nicht nur im Bereich des mate-
riellen Rechts, sondern führt dazu, dass ein gerichtliches Verfahren über mas-
sezugehöriges Vermögen des Schuldners nur von oder gegen den Verwalter
begonnen oder fortgesetzt werden kann. Die Rechtsstellung eines Verfahrens-
beteiligten kann grundsätzlich nicht von der Befugnis zur Verwaltung und Ver-
fügung über das Vermögen getrennt werden, dessentwegen das Verfahren ge-
führt wird, weil das Verhalten in einem gerichtlichen Verfahren auf das der Ver-
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waltung unterliegende Vermögen im Ergebnis nicht anders wirkt als sonstiges
tatsächliches oder rechtsgeschäftliches Verhalten.
Die gesetzliche Regelung nimmt in Kauf, dass die von dem Verwalter
wahrgenommenen Interessen der Gläubiger und die Interessen des Schuldners
zueinander in Widerspruch stehen oder geraten können. Die Insolvenzordnung
gewährt insoweit dem Verwalter bzw. den Gläubigern den Vorrang. Dies ist
sachdienlich, weil der Mangel der Fähigkeit des Schuldners zur Erfüllung seiner
Verbindlichkeiten mit der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses festgestellt ist.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestimmung des Verwalters
machen den Schuldner auch nicht schutzlos. Für ihn wirkt vielmehr die in § 60
Abs. 1 InsO angeordnete Haftung des Verwalters (BGH, Urt. v. 22. Januar
1985, VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425; OLG Köln, ZIP 1980, 94, 95; Heidel-
berger Kommentar zur InsO/Eickmann, 4. Aufl., § 60 Rdn. 6; Jaeger/Gerhardt,
InsO § 60 Rdn. 81 f; MüchnKomm-InsO/Brandes, §§ 60, 61 Rdn. 65).
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2. So liegt es auch im Zwangsversteigerungsverfahren. Von der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners und der Be-
stellung eines Insolvenzverfahrens an ist der Schuldner nicht mehr Beteiligter
des Zwangsversteigerungsverfahrens; seine Stelle wird von dem Verwalter im
Insolvenzverfahren eingenommen (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2007, ZfIR
2008, 150, 151; LG Lübeck Rpfleger 2004, 235, 236; Dassler/Schiffhauer/
Rellermeier, ZVG, 13. Aufl., § 9 Rdn. 6; Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 9 Anm. 3.15).
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a) Hält der Schuldner die Festsetzung des Verkehrswertes für ein Ge-
bäude in einem Zwangsversteigerungsverfahren für unrichtig, kann er den In-
solvenzverwalter hierauf hinweisen und diesen so veranlassen, die Festsetzung
zu prüfen und gegebenenfalls anzufechten. Sieht der Verwalter hiervon ab, ist
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dies durch seine Befugnisse gedeckt. Dem Schuldner ein Recht zur Anfechtung
einzuräumen, würde einen Eingriff in die Befugnisse des Verwalters bedeuten
und hätte zur Folge, dass der Schuldner das Versteigerungs- und damit das
Insolvenzverfahren in nicht gebotener Weise erschweren und verzögern könnte.
b) 114a ZVG führt entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde zu kei-
ner anderen Beurteilung. Der Insolvenzverwalter ist anstelle des Schuldners
Beteiligter des Zwangsvollstreckungsverfahrens. Erhält ein betreibender Gläu-
biger den Zuschlag auf ein Gebot, das 7/10 des Verkehrswertes des Grund-
stücks nicht erreicht, gilt der Gläubiger trotzdem in dieser Höhe als befriedigt.
Haftet der Schuldner dem Gläubiger - wie regelmäßig - auch persönlich, tritt
diese Wirkung auch gegenüber der Masse ein; der Gläubiger nimmt allein we-
gen des Ausfalls an der Verteilung teil, §§ 52 Satz 2, 190 InsO. Ist der Ver-
kehrswert zu gering festgesetzt und erhält der absonderungsberechtigte Gläu-
biger auf ein Gebot von weniger als 7/10 des festgesetzten Wertes den Zu-
schlag, erreicht die Befriedigungsfiktion von § 114a ZVG zu Lasten der Masse
einen zu geringen Betrag (vgl. Keller, ZfIR 2008, 134, 137 f.). Der Schuldner ist
hierdurch nicht anders betroffen als er durch jede Handlung des Verwalters be-
troffen ist, die für die Masse und damit letztlich auch für ihn wirtschaftlich
nachteilig ist.
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Das führt nicht dazu, dass dem Schuldner entgegen dem Ziel des Insol-
venzverfahrens die Beschwerde gegen die Festsetzung des Verkehrswertes zu
eröffnen und ihm so Gelegenheit zu geben wäre, gegen den Willen des Verwal-
ters auf das Zwangsversteigerungsverfahren Einfluss zu nehmen. Die Situation
des Schuldners unterscheidet sich im Ergebnis durch nichts von seiner Situati-
on bei der wirtschaftlich ungünstigen Verwertung eines Massegegenstandes,
verfehlter Prozessführung oder bei dem Abschluss eines nachteiligen Ver-
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gleichs durch den Verwalter. Dass die nachteilige Wirkung des Verhaltens des
Verwalters ihren Ausgang in einem gerichtlichen Verfahren nimmt, führt nicht
dazu, dass das Verhalten des Verwalters nicht zum Nachteil des Schuldners
wirkte oder dem Schuldner ein Recht zur Anfechtung einer gerichtlichen Ent-
scheidung zu eröffnen wäre.
c) Das ist entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde auch dann nicht
anders zu beurteilen, wenn der Gläubiger durch das Recht, dessentwegen er
die Zwangsversteigerung betreibt, voll gesichert und damit im Ergebnis von
dem Insolvenzverfahren nicht betroffen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 29. November
2007, IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281). Der Zuschlag bewirkt die Verwertung des
massezugehörigen Grundstücks. Werden die betreibenden Gläubiger aus dem
Erlös vollständig befriedigt, scheiden sie aus dem Insolvenzverfahren aus. Der
Mehrerlös ist Bestandteil der Masse, für die allein der Verwalter handelt.
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Die Rechtsbeschwerde verweist insoweit auch nicht auf Vortrag des
Schuldners, nach welchem die Beteiligten zu 3 bis 5 durch das von ihnen in An-
spruch genommene Recht vollständig gesichert wären. Entsprechend liegt es
mit dem Hinweis der Rechtsbeschwerde auf § 213 InsO.
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III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten fallen we-
der für die sofortige Beschwerde noch für die Rechtsbeschwerde an (vgl. Nr.
2240 bis 2243 KV-GKG). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfahrens der Beteiligten zu 2 bis 5 kommt nicht in Be-
tracht, da sich die Beteiligten des Zwangsversteigerungsverfahrens im Wert-
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festsetzungs-Beschwerdeverfahren nicht als Parteien gegenüberstehen (Senat,
Beschl. v. 18. Mai 2006, V ZB 142/05, WM 2006, 1727, 1730).
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 20.04.2007 - 71b K 9/04 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 04.12.2007 - 328 T 39/07 -