Urteil des BGH vom 04.11.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 202/10
vom
4. November 2010
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. November 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. Schmidt-
Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub
beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskos-
tenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der
11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 28. Juli 2010
wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Betroffene ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste am 13. Juni
2010 ohne gültige Dokumente aus den Niederlanden nach Deutschland ein und
wurde am gleichen Tag in die Niederlande zurückgeschoben. Am Tage darauf
wurde er zurücküberstellt. Es ergab sich, dass er in Malta einen Asylantrag ge-
stellt hatte. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss
vom 14. Juni 2010 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschie-
bung für die Dauer von höchstens drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit
der Entscheidung angeordnet. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde
des Betroffenen mit Beschluss vom 28. Juli 2010 zurückgewiesen. Der Betrof-
fene ist am 5. August 2010 nach Malta zurückgeschoben worden.
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Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die Rechtsbe-
schwerde des Betroffenen, für die er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Eine Erklärung
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über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat er nicht vorgelegt,
wohl aber einen Kontoauszug der JVA Hannover, aus dem sich ergibt, dass er
am 30. Juni 2010 dort über 69,75 € verfügt hat.
II.
Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für
das Rechtsbeschwerdeverfahren ist unbegründet.
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1. Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Oktober 2010 (V ZB 214/09, zur
Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, dass ein Betroffener grundsätzlich
auch nach seiner Abschiebung (oder Zurückschiebung) die Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem durch § 1 PKH-VV fest-
gelegten Formular abgeben oder eine gleichgestellte Unterlage vorlegen muss.
Zur näheren Begründung wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.
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2. Eine solche Erklärung hat der Betroffene nicht vorgelegt. Soweit er auf
„die vorinstanzlich vorgelegten Erklärungen und Unterlagen“ Bezug genommen
hat, ist dies schon deswegen ohne Belang, weil sich in den Verfahrensakten
eine formgerechte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Ver-
hältnisse nicht findet. Im Übrigen wäre sie auch - wie der Senat ebenfalls in
dem zitierten Beschluss entschieden hat - nicht ausreichend, weil sich seine
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Abschiebung geändert
haben können. Eine Erklärung, die den aktuellen Verhältnissen Rechnung trägt,
ist dann unerlässlich, es sei denn, er macht glaubhaft, dass sich die persönli-
chen und wirtschaftlichen Verhältnisse trotz der geänderten Lebensumstände
im Ergebnis nicht verändert haben. Daran fehlt es.
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Die Angaben sind auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Betroffene un-
ter Vorlage eines Kontoauszuges der JVA Hannover vom 30. Juni 2010 darge-
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legt hat, dass er zu diesem Zeitpunkt nur über 69,75 € verfügt hat. Das besagt
nichts über seine jetzigen Lebensumstände und finanziellen Verhältnisse.
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3. Von der Abgabe der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftli-
chen Verhältnissen ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des effektiven
Rechtsschutzes abzusehen.
a) Der Betroffene eines Freiheitsentziehungsverfahrens vor deutschen
Gerichten hat zwar einen aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden verfas-
sungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechts-
schutzes (BVerfGE 85, 337, 345; 88, 118, 123; 108, 341, 347). Der Zugang zu
den Gerichten und zu den im Verfahrensrecht vorgesehenen Rechtsmittelver-
fahren darf ihm nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfer-
tigender Weise erschwert werden (BVerfGE 81, 123, 129). Diese Anforderung
ist auch bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, die die Situation einer
unbemittelten Person weitgehend der Situation eines Bemittelten bei der Ver-
wirklichung des Rechtsschutzes angleichen soll, zu beachten (vgl. BVerfGE 67,
245, 248). Sie steht aber dem Zwang zur Verwendung des mit § 1 PKH-VV
festgelegten Formulars für die Erklärung der persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse bei Beteiligten mit Aufenthalt in einem anderen Staat nicht entge-
gen. Denn auch solchen Beteiligten steht Verfahrenskostenhilfe nur zu, wenn
sie bedürftig sind und dies in der von dem Gesetzgeber festgelegten Form dar-
legen. Diese Darlegung wird durch den Formularzwang auch bei Abgabe der
Erklärung im Ausland nicht erschwert.
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b) Es mag allerdings Fälle geben, in denen der Betroffene in dem Staat,
in den er abgeschoben worden ist, aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen,
etwa infolge einer Inhaftierung, gehindert ist, die Erklärung zu seinen persönli-
chen und wirtschaftlichen Verhältnissen unter Verwendung des vorgeschriebe-
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nen Formulars oder durch eine gleichwertige Bescheinigung des Aufenthalts-
oder des Heimatstaats abzugeben. Wie dann zu verfahren ist, bedarf hier kei-
ner Entscheidung, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass es sich in
dem Fall des Betroffenen so verhält.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Stresemann
Czub
Vorinstanzen:
AG Nordhorn, Entscheidung vom 14.06.2010 - 11 XIV 4356-B- -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 28.07.2010 - 11 T 440/10 -