Urteil des BGH vom 14.02.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 171/06
vom
14. Februar 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 323 Abs. 1, 4; 522 Abs. 1 bis 3
a) Hat das Berufungsgericht die Berufung durch einstimmigen Beschluss nicht
nach § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückgewiesen, sondern nach
§ 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, schließt § 522 Abs. 3 ZPO die
allgemeine Anfechtbarkeit nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht aus (An-
schluss an BGH Beschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZB 75/05 - NJW 2006,
2910).
b) Im Abänderungsverfahren setzt die Herabsetzung eines Unterhaltstitels, der
in Form einer Jugendamtsurkunde nach den §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 60 SGB VIII
einseitig errichtet worden ist, die Darlegung veränderter Umstände voraus.
BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 - XII ZB 171/06 - OLG Karlsruhe
AG
Freiburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Februar 2007 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof.
Dr. Wagenitz und Dose
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 18. Familien-
senats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 21. August 2006
wird auf Kosten des Klägers verworfen.
Beschwerdewert: 3.451 €.
Gründe:
I.
Die Parteien stritten um die Herabsetzung des vom Kläger geschuldeten
Kindesunterhalts.
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In Jugendamtsurkunden vom 9. April 2001 verpflichtete sich der Kläger,
an die Beklagten, seine ehelichen Kinder, monatlichen Unterhalt in Höhe von
190 % des Regelbetrags abzüglich hälftigen Kindergeldes zu zahlen. Nach der
Scheidung von der Mutter der Beklagten ließ der Kläger am 20. November 2002
neue Urkunden errichten, in denen er sich für die Zeit ab Dezember 2002 zur
Zahlung monatlichen Unterhalts in Höhe von 114 % des jeweiligen Regelbe-
trags abzüglich anteiligen Kindergeldes verpflichtete.
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Das Amtsgericht hat die auf Abänderung der Unterhaltspflichten aus den
ursprünglichen Jugendamtsurkunden vom 9. April 2001 gegen beide Beklagte
gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Beru-
fung eingelegt mit dem Antrag, die Beklagten zu 1 und 2 zu verurteilen, die voll-
streckbaren Ausfertigungen der Jugendamtsurkunden vom 9. April 2001 an ihn
herauszugeben. Mit weiterem Schriftsatz vom 24. Juli 2006 hat der Kläger ein
- nach seiner Auffassung in den Berufungsanträgen enthaltenes - Abände-
rungsbegehren zusätzlich mit seinem gegenwärtig erzielten Einkommen be-
gründet.
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Mit Beschluss vom 28. Juli 2006 hat das Berufungsgericht den Kläger
darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2
Satz 2 ZPO "als unzulässig zu verwerfen", da der Kläger nicht die Beseitigung
einer Beschwer aus dem amtsgerichtlichen Urteil erstrebe. In seiner Stellung-
nahme hat der Kläger seine Rechtsauffassung wiederholt, wonach trotz der ge-
änderten Anträge auch der Streitgegenstand der erstinstanzlichen Abände-
rungsklage weiter verfolgt werde. Das Berufungsgericht hat die Berufung am
21. August 2006 "durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen". Zur Begrün-
dung hat es auf den Hinweisbeschluss vom 28. Juli 2006 Bezug genommen
und ausgeführt, dass das allgemein gehaltene Vorbringen des Klägers auf den
Hinweisbeschluss zu keiner anderen Beurteilung führe. Gegen diesen Be-
schluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist nicht zulässig, weil die Voraus-
setzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist allerdings statthaft. Nach § 574 Abs. 1 Nr. 1
in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO findet gegen einen Beschluss,
durch den eine Berufung als unzulässig verworfen wird, die Rechtsbeschwerde
statt. Ein solcher Beschluss liegt hier vor.
Trotz der missverständlichen Formulierung in den Gründen des ange-
fochtenen Beschlusses hat das Oberlandesgericht die Berufung nicht als unbe-
gründet zurückgewiesen. Zwar ist dort ausführt, die Berufung werde "durch ein-
stimmigen Beschluss zurückgewiesen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat, die
Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist und die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entschei-
dung des Berufungsgerichts nicht erfordern (§ 522 Abs. 2 ZPO)". Diese Ausfüh-
rungen stehen allerdings im Widerspruch zu der weiteren Begründung, wonach
auf die Gründe des Hinweisbeschlusses vom 28. Juli 2006 Bezug genommen
und die Stellungnahme des Klägers als unerheblich beurteilt worden ist. Sowohl
der Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 28. Juli 2006 als auch der
weitere Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 21. August 2006 befassen sich
ausschließlich mit der Zulässigkeit der eingelegten Berufung. Wegen des in
§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausdrücklich niedergelegten Grundsatzes des vorhe-
rigen rechtlichen Gehörs ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht sei-
nen einstimmigen Zurückweisungsbeschluss nur auf die Gründe gestützt hat,
die es dem Kläger zuvor mitgeteilt hat. Daraus und aus der Bezugnahme in
dem angefochtenen Beschluss folgt, dass die Berufung trotz der widersprüchli-
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chen Formulierung in dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen
worden ist.
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Das Berufungsgericht hat somit keine Entscheidung nach § 522 Abs. 2
Satz 1 ZPO (einstimmige Zurückweisung als unbegründet), sondern eine solche
nach § 522 Abs. 1 ZPO (Verwerfung als unzulässig) getroffen. Deren Anfecht-
barkeit ist aber nicht nach § 522 Abs. 3 ZPO eingeschränkt (BGH Beschluss
vom 20. Juni 2006 - VI ZB 75/05 - NJW 2006, 2910).
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unzulässig, weil die Voraussetzun-
gen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Rechtsfrage, ob
der in zweiter Instanz angekündigte Herausgabeantrag denselben Streitgegen-
stand betrifft wie die Abänderungsklage in erster Instanz, weder grundsätzliche
Bedeutung noch ist insoweit eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-
chung erforderlich. Denn diese Rechtsfrage ist im vorliegenden Rechtsstreit für
die Beurteilung der Erfolgsaussicht unerheblich.
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Selbst wenn der Antrag auf Herausgabe der Unterhaltstitel vom 26. Juni
2006 auch das Ziel einer Herabsetzung des geschuldeten Kindesunterhalts
nach § 323 Abs. 4 ZPO in Verbindung mit den §§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, 59
Abs. 1 Nr. 3, 60 SGB VIII verfolgen würde - wofür wegen der unterschiedlichen
Zielrichtung beider Anträge wenig spricht -, wäre die Berufung unzulässig, weil
es ihr insoweit an der nach § 520 ZPO erforderlichen Berufungsbegründung
fehlt. Die innerhalb der bis zum 7. Juli 2006 verlängerten Begründungsfrist ein-
gegangene Berufungsbegründung befasst sich ausschließlich mit der Frage, ob
der Kläger seine "einseitig errichteten Jugendamtsurkunden" ohne Mitwirkung
der Beklagten wirksam widerrufen durfte. Obwohl schon das Amtsgericht die
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Abänderungsklage mangels hinreichenden Vortrags zu der Frage, ob sich die
Verhältnisse geändert haben, abgewiesen hatte, enthält auch der weitere
Schriftsatz des Klägers vom 24. Juli 2006 lediglich Vortrag zu Unterhaltsan-
sprüchen auf der Grundlage des Einkommens der Jahre 2004 und 2005. Das
allein kann eine Abänderung des Titels auf laufenden Kindesunterhalt nicht be-
gründen, da der Vortrag eine Darlegung einer etwaigen Einkommensminderung
vermissen lässt.
Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Wagenitz Dose
Vorinstanzen:
AG Freiburg, Entscheidung vom 06.04.2006 - 45 F 1/06 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 21.08.2006 - 18 UF 97/06 -