Urteil des BGH vom 02.06.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 67/07
vom
2. Juni 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
HGB §§ 114, 116, 161; ZPO § 286 B
a) Ein Gesellschafter, der sich bei seinem geschäftsführenden Handeln über
die in der Gesellschaft intern zu beachtende Kompetenzordnung hinweg-
setzt, haftet für die Schäden, die durch die schuldhafte Missachtung dieser
internen Bindungen entstehen.
b) Das Gericht darf sich ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständi-
gengutachtens gemäß §
286 ZPO nur dann der Bewertung eines
- qualifizierten Parteivortrag darstellenden - Privatgutachtens, gegen das
der Gegner Einwendungen erhoben hat, anschließen, wenn es eigene
Sachkunde besitzt und darlegt, dass es deswegen in der Lage ist, die strei-
tigen Fragen abschließend zu beurteilen.
BGH, Beschluss vom 2. Juni 2008 - II ZR 67/07 - KG Berlin
LG Berlin
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 2. Juni 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil
des 23. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 8. März 2007
im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als in Höhe von
1.230.781,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 3. Februar 2005 zum Nachteil der Be-
klagten erkannt worden ist.
Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbe-
schwerdeverfahrens - an den 26. Zivilsenat des Berufungsgerichts
zurückverwiesen.
Streitwert: 1.515.468,48 €
Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist im Umfang von
1.230.781,17 € (= 447.380,39 € + 639.114,86 € + 144.285,92 € - Entrümpe-
lungskosten -) nebst Zinsen begründet und führt insoweit - unter Zurückweisung
der weitergehenden Nichtzulassungsbeschwerde - gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache
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an das Berufungsgericht, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1
Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
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I. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) mehrfach in entscheidungserheblicher Weise ver-
letzt.
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1. a) Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz, nachdem ihr erstinstanzli-
cher Vortrag hierzu unsubstantiiert war, zur Schadenshöhe unter Vorlage von
drei Gutachten des Dipl.-Ing. S. eine Differenz zwischen den Verkaufsprei-
sen der Grundstücke und den ihrer Ansicht nach darüber liegenden tatsächli-
chen Verkehrswerten dargelegt. Diese Privatgutachten stellten - lediglich - qua-
lifizierten Parteivortrag dar (BGH, Urt. v. 14. April 1981 - VI ZR 264/79,
VersR 1981, 576 f.; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 402 Rdn. 2 m.w.Nachw.).
Hiergegen hat die Beklagte (GA II, 23 bis 28) umfängliche Einwendungen erho-
ben. Die daraufhin von der Klägerin vorgelegte Gegenäußerung des Privatgut-
achters stellte wiederum nur Parteivortrag dar, dem sich das Berufungsgericht
unter Verstoß gegen Art. 103 GG angeschlossen hat. Das Berufungsgericht
hätte den qualifizierten Parteivortrag der Klägerin nur dann - wie geschehen -
gemäß § 286 ZPO seiner Entscheidung zugrunde legen dürfen, ohne dadurch
den Anspruch der Beklagten aus Art. 103 GG zu verletzen, wenn es eigene
Sachkunde besaß und darlegte, dass es deswegen in der Lage war, die streiti-
gen Fragen abschließend zu beurteilen (vgl. Sen.Beschl. v. 21. Mai 2007
- II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524 ff., Tz. 9). Anderenfalls musste das Berufungs-
gericht, wie von den Parteien beantragt, zu dem tatsächlichen Wert der
Grundstücke im Zeitpunkt der Veräußerung Beweis erheben durch Einholung
des beantragten gerichtlichen Sachverständigengutachtens.
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b) Dieser Verstoß gegen Art. 103 GG ist entscheidungserheblich, da
nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beweisaufnahme zu abweichen-
den Verkehrswerten und damit zu einem niedrigeren oder gar zur Feststellung
des Fehlens eines Schadens geführt hätte.
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2. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Ersatzfähigkeit der Entrümpe-
lungskosten in Höhe von 282.198,75 DM (= 144.285,92 €) betreffend das
Grundstück G. straße hat das Berufungsgericht wiederum unter Ver-
stoß gegen Art. 103 GG den Vortrag der Beklagten übergangen, dass die Ge-
fahr des Rücktritts des Käufers vom Vertrag bestand, wenn die eingemauerten
Schuttreste nicht auf Kosten der H. , & Co. KG (= Verkäuferin)
beseitigt, und die infolge der Entfernung der Mauern teilweise eingestürzte Kel-
lerdecke auf deren Kosten wieder hergestellt würden. Hätte das Berufungsge-
richt diesen Vortrag zur Kenntnis genommen, ist nicht ausgeschlossen, dass es
den Schadensersatzanspruch der Klägerin insoweit mangels pflichtwidrigen
Verhaltens der Beklagten verneint hätte.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist unbegründet, so-
weit sie sich gegen die Zurückweisung ihrer Berufung in Höhe von
556.800,00 DM (= 284.687,31 €) wegen pflichtwidrigen Verhaltens im Zusam-
menhang mit den Vertragsschlüssen und den hierauf geleisteten Zahlungen an
die Herren Se. und W. wendet. Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO)
liegen insoweit nicht vor. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544
Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. ZPO abgesehen.
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III. Für das wieder eröffnete Berufungsverfahren weist der Senat auf Fol-
gendes hin:
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Der Beklagten ist es trotz des schuldhaften Unterlassens der - wie vom
Berufungsgericht zutreffend festgestellt - gebotenen Herbeiführung eines Ge-
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sellschafterbeschlusses über die Veräußerung der Grundstücke O. -
Allee, B. straße und O. straße/H. straße nicht verwehrt, darzutun
und gegebenenfalls zu beweisen, dass dieses Unterlassen nicht zu einem
Schaden auf Seiten der betroffenen Kommanditgesellschaften und damit der
Kommanditisten geführt hat (Sen.Urt. v. 4. November 1996 - II ZR 48/95;
WM
1996, 2340
f. mit Anm. Goette DStR
1997, 81, 82; Mayen in
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB 2. Aufl. § 114 Rdn. 40 f. m.w.N.).
Sollte das nunmehr einzuholende Sachverständigengutachten zur Fest-
stellung von über den Verkaufspreisen liegenden Verkehrswerten führen, wird
das Berufungsgericht dem - gegebenenfalls noch zu ergänzenden - Vortrag der
Beklagten nachzugehen haben, dass höhere Preise als die tatsächlich erzielten
im Zeitpunkt des Verkaufs der jeweiligen Grundstücke nicht realisierbar waren.
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Hinsichtlich des Grundstücks B. straße 4 ist der Vortrag der Beklag-
ten zu beachten und gegebenenfalls durch die angebotenen Beweismittel auf-
zuklären, dass es dort einen Schwammbefall gab, der zu der nachträglichen
Kaufpreisreduzierung geführt hat. Sollte es einen solchen Befall gegeben ha-
ben, hätte dessen Vorhandensein den Wert des Grundstücks gemindert, was
der Gutachter im Rahmen der Erstellung des Verkehrswertgutachtens zu be-
rücksichtigen hätte.
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Das Berufungsgericht wird sich auch - gegebenenfalls sogar vor Einho-
lung eines Sachverständigengutachtens - mit dem beweisbewehrten Vortrag
der Beklagten zu befassen haben, dass die jeweils betroffenen Kommanditisten
mit der Veräußerung der Grundstücke durch die Beklagte - nachträglich - ein-
verstanden waren. Ein solches Einverständnis könnte auch stillschweigend er-
klärt worden sein, indem die Kommanditisten über den jeweiligen Verkauf und
die damit verbundene Sonderausschüttung informiert wurden (siehe z.B. Anl.
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B 4, Schreiben vom 4. September 2000) und im Anschluss daran den auf sie
entfallenden Anteil der jeweiligen Sonderausschüttung entgegengenommen
haben, ohne gegen den Verkauf des Grundstücks zu protestieren. Insoweit be-
steht in dem wiedereröffneten Berufungsverfahren für die Parteien Gelegenheit
zu gegebenenfalls ergänzendem Vortrag. Sollte etwa - auch - der Rechtsvor-
gänger der Klägerin, die die Kommanditanteile erst zwei bis drei Jahre nach der
Veräußerung der Grundstücke erworben hat, die anteiligen Erlöse in Kenntnis
der Veräußerungen widerspruchslos entgegengenommen haben, könnte der
actio pro socio der Klägerin der Einwand aus § 242 BGB entgegenstehen.
Goette Kurzwelly
Kraemer
Caliebe Drescher
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 22.02.2006 - 105 O 18/05 -
KG Berlin, Entscheidung vom 08.03.2007 - 23 U 65/06 -