Urteil des BGH vom 02.08.2001

BGH (strafkammer, stpo, befangenheit, inhalt, antrag, ergebnis, stv, dauer, hauptverhandlung, beweismittel)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 557/01
vom
12. März 2002
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2002 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Deggendorf vom 2. August 2001 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Er-
pressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt
und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen
die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, da die
Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat
(§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Vergeblich macht die Revision geltend, die Strafkammer habe zwei ge-
gen die Schöffin P. gerichtete Befangenheitsanträge zu Unrecht zurückge-
wiesen (§ 338 Nr. 3 StPO).
1. Nachdem die Hauptverhandlung schon mehrere Monate gedauert
hatte, erschien im Plattlinger Anzeiger ein mehrspaltiger Artikel "Bankräuber-
Prozeß tritt auf der Stelle". Darin heißt es, die Schöffin habe "schon vor Wo-
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chen ... bei einem zufälligen Flurgespräch auf die Frage nach der Dauer des
Prozesses gemeint, daß von einer so langen Prozessdauer bei Antritt ihres
Amtes keine Rede war." Wörtlich habe sie gesagt: "Der soll doch endlich ge-
stehen, dass er es war."
Auf diesen Satz ist der Ablehnungsantrag gestützt, der darüber hinaus
eingehende, ersichtlich an die gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 StPO zur Entschei-
dung berufenen berufsrichterlichen Mitglieder gerichtete Rechtsausführungen
enthält. Da die Hauptverhandlung bei Eingang des Schriftsatzes für einige Ta-
ge unterbrochen war, übersandte ihn der Vorsitzende - ohne weitere Zusätze -
an die Schöffin "zur eiligen Stellungnahme".
In der daraufhin eingegangenen mehrseitigen handschriftlichen Stel-
lungnahme der Schöffin legt sie eindringlich dar, sie habe lediglich auf die Fra-
ge nach der mutmaßlichen Dauer des Verfahrens geäußert, für sie sei "kein
Ende in Sicht. Es sei denn, es käme ein Geständnis, wenn der B. es ge-
wesen ist."
Darüber hinaus wendet sie sich gegen die "Vorwürfe" des Verteidigers,
sie sei befangen. "Woher will er wissen, ob und daß ich bereits von der Schuld
des Angeklagten überzeugt bin?", da er doch "nicht der liebe Gott" und auch
"kein Hellseher" sei. In diesem Zusammenhang führt sie auch aus, es sei "Tra-
dition" des Verteidigers, "erst die Staatsanwältin, dann das Gericht und jetzt die
Schöffen abzulehnen".
Ohne daß dies Gegenstand des Ablehnungsantrags gewesen wäre, be-
faßt sie sich dann auch noch mit ihren in dem Artikel wiedergegebenen Äuße-
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rungen zur Dauer des Verfahrens. Wenn sie noch nicht berentet wäre sondern
noch immer als Akkordarbeiterin am Fließband einer Fabrik arbeiten würde,
hätte sie Schwierigkeiten in dem für dieses Verfahren erforderlichen Umfang
frei zu bekommen.
Diese dienstliche Äußerung, insbesondere die den Verteidiger betref-
fenden Passagen, ist Grundlage eines weiteren Ablehnungsantrags.
2. Der Senat hat das gesamte Vorbringen auch in tatsächlicher Hinsicht
(nach "Beschwerdegrundsätzen") zu würdigen. Ebenso wie die Strafkammer
hält er die Anträge im Ergebnis für unbegründet.
a) Ohne daß dies näherer Darlegung bedürfte, griffe der Ablehnungsan-
trag durch, wenn die Schöffin geäußert hätte, der Angeklagte solle endlich ge-
stehen.
Jedoch ergibt die dienstliche Äußerung, daß die Schöffin diese Aussage
nicht getan hat. Im Ergebnis erhärtet wird ihr Inhalt durch die von der Revision
nicht bestrittene Erklärung des Journalisten, er habe den Artikel erst in deutli-
chem zeitlichen Abstand zu dem Gespräch geschrieben - dies ergibt sich auch
aus dem Artikel selbst - und sich über dessen Inhalt auch keine Notizen ge-
macht. Dementsprechend könne er die Richtigkeit des Zitats "nicht beschwö-
ren"; vielmehr würde er gegebenenfalls einen Wunsch der Schöffin nach einer
Gegendarstellung befürworten. Dieses entgegen der Auffassung der Revision
widerspruchsfreie Ergebnis der Ermittlungen zu dem Pressezitat ist geeignet,
ursprünglich berechtigtes Mißtrauen gegen die Unbefangenheit der Schöffin
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auszuräumen (vgl. schon BGHSt 4, 264, 269, 270 zu einer im Kern identischen
Fallgestaltung; vgl. auch Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 26 Rdn. 7 m. w. N.).
b) Auch der Inhalt der dienstlichen Äußerung begründet die Besorgnis
der Befangenheit nicht.
Nach ihrem Inhalt und ihrem gesamten Duktus versteht der Senat die
dienstliche Äußerung vielmehr dahin, daß sich die Schöffin des Kerns ihrer
richterlichen Pflicht, am Ende des Prozesses unvoreingenommen über Schuld
oder Unschuld zu entscheiden, genau bewußt ist und sie sich mit ihren Worten
nachhaltig gegen die Annahme wendet, sie werde dieser Pflicht nicht nach-
kommen. Wenn die Schöffin dies betont, folgt daraus auch dann nicht die Be-
sorgnis ihrer Befangenheit wenn sie sich dabei, wie es in dem Antrag heißt,
"den rechtlich erheblichen Unterschied zwischen Befangenheit und Besorgnis
der Befangenheit nicht vergegenwärtigt" hat. "Ungeheuerliche" Vorwürfe ge-
genüber dem Verteidiger, die eine Voreingenommenheit gegen den Angeklag-
ten besorgen lassen könnten, sind auch im übrigen der dienstlichen Äußerung
nicht zu entnehmen. Schließlich führt es auch zu keinem anderen Ergebnis,
daß die Schöffin auch auf vorangegangene Verfahrensvorgänge hingewiesen
hat, mit denen mangelnde Objektivität von Verfahrensbeteiligten geltend ge-
macht wurde. Mag dieser Hinweis auch nicht unbedingt geboten gewesen sein
und überdies zeigen, daß der Schöffin der Zweck von §§ 22 ff StPO als "mate-
riell-rechtliche Garantie des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG manifestierten Prin-
zips ... gänzlich unbekannt" ist, so ist er doch in tatsächlicher Hinsicht im Kern
nicht falsch und schon deshalb kein Anzeichen für eine Befangenheit. Der ihr
in diesem Zusammenhang unterlaufene Irrtum - zusätzlich zu dem Antrag auf
Ablösung der Sitzungsstaatsanwältin war nicht das Gericht abgelehnt worden
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sondern beantragt worden, insgesamt "die Staatsanwaltschaft Deggendorf
auszuwechseln" - ist unwesentlich und daher ebenfalls kein Anzeichen für Be-
fangenheit (vgl. Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 24 Rdn. 7 m. w. N.).
3. Unbeschadet der Unbegründetheit der Anträge sieht der Senat Anlaß
zu folgenden Hinweisen:
a) In aller Regel wird erfahrungsgemäß ein abgelehnter Schöffe vom
Vorsitzenden mündlich zur Abgabe der dienstlichen Erklärung (§§ 26 Abs. 3,
31 Abs. 1 StPO) aufgefordert. Ergeht diese Aufforderung, wie hier, schriftlich,
sollte bei der Gestaltung des Schriftverkehrs schon zur Vermeidung von Miß-
verständnissen darauf Bedacht genommen werden, daß ein Schöffe nicht über
die gleiche strafprozessuale Ausbildung und Erfahrung verfügt wie ein Berufs-
richter (vgl. auch Nr. 126 Abs. 2 Satz 2 RiStBV).
b) Aus dem selben Grunde sollte sich die dem Vorsitzenden anempfoh-
lene Belehrung von Schöffen über mögliche Befangenheitsgründe (vgl. Nr. 126
Abs. 1 Satz 1 RiStBV) jedenfalls in erkennbar Aufsehen erregenden Verfahren
auch auf die Behandlung von Presseanfragen in laufender Hauptverhandlung
erstrecken.
II.
Zu den übrigen Verfahrensrügen verweist der Senat auf das auch durch
die Erwiderung der Revision vom 4. Januar 2002 nicht entkräftete Vorbringen
des Generalbundesanwalts und bemerkt ergänzend:
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1. Der Antrag auf Ladung des Polizeibeamten S. ist von der
Strafkammer rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden.
a) Hinsichtlich der Wertungen, die vorliegenden Banküberfälle seien für
den Angeklagten "untypisch" bzw. "persönlichkeitsfremd", war der Polizeibe-
amte entsprechend der Einordnung der Strafkammer ein völlig ungeeignetes
Beweismittel. Ein Zeuge kann grundsätzlich nur über seine eigenen Wahrneh-
mungen vernommen werden (BGHSt 39, 251, 253). Er ist als Beweismittel völ-
lig ungeeignet, wenn er nicht über die besondere Befähigung verfügt, die zur
Wahrnehmung eines Vorgangs erforderlich ist, der nur einem Sachverständi-
gen verständlich werden kann (Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im
Strafprozeß, 5. Aufl. S. 605). Die genannten Wertungen sind dem Sachver-
ständigenbeweis bzw. dem Gericht vorbehalten.
b) Hinsichtlich der Beweisbehauptung, der Angeklagte habe bei den
"Altfällen" nie Mitwisser gehabt, ist bereits fraglich, ob darin eine konkrete Tat-
sachenbehauptung liegt. Insoweit hat die Strafkammer den Antrag ausweislich
der Beschlußgründe jedenfalls rechtsfehlerfrei wegen Bedeutungslosigkeit ab-
gelehnt.
2. Die Rüge, das Landgericht habe gegen die Verpflichtung zur er-
schöpfenden Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO verstoßen, weil es die
durch Verlesung eingeführten Vorstrafen des Hauptbelastungszeugen im Urteil
nicht erörtert habe, ist unbegründet. Aus dem Schweigen der Gründe zu erho-
benen Beweisen kann nicht geschlossen werden, der Tatrichter habe diese
ungewürdigt gelassen (BGH NJW 1951, 325; BGH MDR 1989, 114). Richtig ist
zwar, daß es für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und der
Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen regelmäßig nicht unerheblich ist, ob er in
anderem Zusammenhang vorsätzlich die Unwahrheit vor Gericht bekundet hat.
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Eine bindende Beweisregel des Inhalts, daß einem Zeugen, der zu anderen
Punkten vorsätzlich die Unwahrheit ausgesagt hat, generell nicht geglaubt
werden dürfe, besteht jedoch nicht (BGH StV 1999, 80, 81). Die Erörterung der
beiden Vorstrafen in den Entscheidungsgründen war hier nicht unbedingt er-
forderlich. Die Strafkammer stellt nämlich nicht auf die "allgemeine Glaubwür-
digkeit" des Zeugen, sondern im Rahmen einer ausführlichen Beweiswürdigung
anhand anerkannter Kriterien auf die - wesentlich besser zu überprüfende -
Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage des Zeugen ab. Insbesondere aufgrund
der Selbstbelastungen des Zeugen und der Bestätigung durch andere Be-
weismittel bejaht die Kammer die Glaubhaftigkeit der Aussage. Die abgeurteilte
Falschaussage des Zeugen betrifft zudem eine Konstellation, die erhebliche
Unterschiede zur vorliegenden Aussage aufweist. Bei der Vorstrafe ging es um
die Verlobte des Zeugen; dem Angeklagten steht er dagegen "neutraler" ge-
genüber. Hinzu kommt, daß Falschbelastungen hinsichtlich ihrer Indizwirkung
für die Persönlichkeit des Aussagenden schwerwiegender sind als eine - hier
bei der Vorstrafe vorliegende - falsche entlastende Aussage (vgl. Bender/Nack,
Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 69). Es liegt schließlich
auch nicht die Fallgestaltung "Aussage gegen Aussage" vor, so daß die dort
geltenden strengeren Kriterien - die Erörterung sämtlicher Umstände (vgl. BGH
NStZ 1997, 494; Sander StV 2000, 45, 47) - nicht eingreifen.
3. Die Rüge, das Landgericht habe den Beweisantrag auf Einholung ei-
nes Sachverständigengutachtens zu der Beweisbehauptung, daß es sich bei
dem Angeklagten "um einen guten Zellengeber handelt", entgegen § 244
Abs. 6 StPO nicht beschieden, ist zulässig. Die Beweisbehauptung ist der Re-
visionsbegründung zu entnehmen. Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsan-
trages, mit dem eine zunächst versehentlich nicht übersandte Ablichtung der
dritten Seite des Beweisantrages nachgereicht wurde, kann daher dahingestellt
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bleiben. Die Rüge ist jedoch unbegründet, weil die Strafkammer dem Be-
weisantrag nachgekommen ist. Zur Beweisfrage hat sie ein Behördengutachten
eingeholt und verlesen. Dabei ist unerheblich, daß sie einen Sachverständigen
vom BKA und nicht - wie beantragt - einen solchen vom LKA beauftragt hat.
Die Auswahl des Sachverständigen obliegt nach § 73 StPO dem Gericht. Man-
gelhafte Sachkunde des beauftragten Sachverständigen oder einen Verstoß
gegen die Aufklärungspflicht macht die Revision insoweit nicht geltend.
4. Schließlich greift auch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht
durch, mit der angegriffen wird, daß die in den sichergestellten Turnschuhen
entdeckten DNA-Mischspuren nicht mit allen beim BKA gespeicherten DNA-
Daten verglichen worden sind. Es ist nicht ersichtlich, was die Strafkammer zu
dieser Beweiserhebung gedrängt haben sollte. Nach den Feststellungen hat
der Angeklagte diese Turnschuhe, die zu den am Tatort gefundenen Schuhab-
drücken passen, bei den beiden Banküberfällen getragen. Daß die beiden an
den Schuhen gefundenen DNA-Spuren nicht vom Angeklagten stammten, hat
die Strafkammer gesehen. Dies wurde im Rahmen der Beweiswürdigung als
entlastendes Indiz berücksichtigt. Die Spuren schließen - wie die Kammer auf-
grund sachverständiger Beratung rechtsfehlerfrei festgestellt hat - nicht aus,
daß der Angeklagte diese Schuhe bei den Überfällen getragen hat, ohne dabei
eigene Spuren zu hinterlassen. Erkenntnisse darüber, wer die Schuhe noch
getragen hat, hätten die Täterschaft des Angeklagten daher nicht ausgeschlos-
sen. Zumal unter Berücksichtigung des übrigen Beweisergebnisses brauchte
sich die Strafkammer daher zu einem Datenabgleich nicht gedrängt zu sehen.
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III.
Zur Sachrüge ist lediglich zu bemerken:
Die Strafkammer hat die Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung
nach sachverständiger Beratung rechtsfehlerfrei aus den zahlreichen Vorstra-
fen des Angeklagten (etwa wegen über zehn bewaffneten Überfällen) und den
sonstigen zu seiner Persönlichkeit angefallenen Erkenntnissen geschlossen.
Wie eine Gesamtschau der Urteilsgründe mit hinlänglicher Klarheit ergibt, hat
sie dabei nicht auch auf das Prozeßverhalten des Angeklagten abgestellt, was
rechtsfehlerhaft wäre (vgl. BGH StV 1993, 469; BGH b. Pfister NStZ-RR 2000,
365). Sie hat vielmehr nur dargelegt, daß auch das Prozeßverhalten keinen
Anlaß gibt, die Gefährlichkeitsprognose in Zweifel zu ziehen. Dies ist nicht zu
beanstanden (vgl. BGH Urteil vom 30. August 1994 - 1 StR 271/94 m. w. N.).
Schäfer Wahl Boetticher
Herr RiBGH Dr. Kolz ist
wegen Urlaubs an der
Unterschrift verhindert.
Schäfer Hebenstreit