Urteil des BGH vom 29.04.2010

BGH (verhältnis zu, abweisung der klage, anrechnung, vorschrift, zpo, verhältnis, gegner, partei, rechtsmittel, festsetzung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 38/10
vom
29. April 2010
in dem Kostenfestsetzungsverfahren
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 durch die Rich-
ter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann
und den Richter Dr. Czub
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird der Beschluss des 2. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Januar 2010 auf-
gehoben und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts
Lüneburg vom 8. Dezember 2009 abgeändert.
Die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten wer-
den auf 7.959 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 29. Oktober
2009 festgesetzt.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
2.044,90 €.
Gründe:
I.
Nach Abweisung der Klage der Insolvenzverwalterin auf Rückübertra-
gung eines von der Schuldnerin an die Beklagte verkauften Grundstücks hat
diese am 28. Oktober 2009 bei dem Landgericht einen Kostenfestsetzungsan-
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trag gestellt, in dem sie - hier allein von Interesse - unter anderem eine 1,3fache
Verfahrensgebühr nach § 13, Nr. 3100 VV RVG in Ansatz gebracht hat. Auf
Nachfrage der Rechtspflegerin teilte die Beklagte mit, dass für die außergericht-
liche Tätigkeit ihrer Anwälte eine 1,3fache Geschäftsgebühr nach §§ 13, 14,
Nr. 2300 VV RVG entstanden sei.
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In dem Kostenfestsetzungsbeschluss hat das Landgericht die von der
Klägerin zu erstattenden Kosten unter Abzug der zur Hälfte auf die Verfahrens-
gebühr angerechneten Geschäftsgebühr (eines Betrags von 2.044,90 €) auf
insgesamt 5.914,10 € zzgl. Zinsen seit der Antragstellung festgesetzt.
Der von der Beklagten gegen diesen Beschluss eingelegten sofortigen
Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Das Oberlandesgericht hat
das Rechtsmittel zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit
dieser verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, dem Kostenfestsetzungsantrag
auch hinsichtlich weiterer 2.044,90 € zzgl. Zinsen stattzugeben.
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II.
Das Beschwerdegericht meint, die Anrechnungsvorschrift der Vorbemer-
kung 3 Abs. 4 VV RVG sei von dem Landgericht zu Recht angewendet und die
im Kostenfestsetzungsbeschluss anzusetzende Verfahrensgebühr entspre-
chend gekürzt worden.
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Der durch Art. 7 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im an-
waltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle
der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli
2009 (BGBl. I 2010, 2449) eingefügte § 15a Abs. 2 RVG sei gemäß dem in § 60
Abs. 1 RVG bestimmten Grundsatz auf Altfälle nicht anzuwenden. Gegenstand
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der Festsetzung sei der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts gegen die von
ihm vertretene Partei und nicht ein Anspruch gegenüber dem Prozessgegner.
§ 15a Abs. 2 RVG enthalte daher nicht nur eine Klarstellung, sondern eine Neu-
regelung, weil diese Vorschrift - nunmehr erstmals - bestimme, wann sich ein
Dritter, wie beispielsweise der Gegner im Kostenfestsetzungsverfahren, auf ei-
ne Vorschrift über eine Anrechnung von Gebühren berufen könne.
III.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die statthafte (§ 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässige Rechtsbe-
schwerde hat Erfolg.
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1. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, die durch die Tätigkeit
des Anwalts in dem Rechtsstreit entstanden ist, ist in dem Verfahren der Kos-
tenfestsetzung in voller Höhe in Ansatz zu bringen. Diese Gebühr ist bei der
Kostenfestsetzung nicht auf Grund der Vorschrift in der Vorbemerkung 3 Abs. 4
VV RVG über die hälftige Anrechnung der wegen desselben Gegenstands ent-
standenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu kürzen.
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Die Vorschrift über die Anrechnung der Geschäftsgebühr betrifft das In-
nenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten und wirkt
sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfah-
ren, grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschl. v. 2. September 2009, II ZB 35/07,
NJW 2009, 3101, 3102; Beschl. v. 9. Dezember 2009, XII ZB 175/07, FamRZ
2010, 456, 457). Die Anrechnung ist bei der Kostenerstattung nur dahingehend
zu berücksichtigen, dass der Gegner nicht mehr zu zahlen hat, als die siegrei-
che Partei ihrem Rechtsanwalt aus dem Mandatsverhältnis schuldet. Die An-
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rechnung findet daher im Rahmen der Kostenfestsetzung nur in den Fällen
statt, die nunmehr in § 15a Abs. 2 RVG gesetzlich geregelt worden sind.
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§ 15a bestimmt den im Gesetz bisher nicht definierten Begriff der An-
rechnung. Absatz 1 regelt die Folgen der Anrechnung im Innenverhältnis zwi-
schen dem Anwalt und seinem Mandanten. Absatz 2 betrifft die sich daraus
ergebenden Wirkungen im Verhältnis zu Dritten, die am Mandatsverhältnis nicht
beteiligt sind (BT-Drucks. 16/12717, S. 58), und stellt klar, welche Rechtsfolgen
in diesem Verhältnis eintreten, wenn nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV
eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 bis 2303 auf die Verfahrensgebühr nach
Nr. 3100 VV RVG anzurechnen ist. Zu dieser Klarstellung sah sich der Gesetz-
geber wegen einer nach seiner Auffassung dem Zweck der Anrechnung wider-
sprechenden Auslegung der Vorschrift über die Anrechnung nach einer Ent-
scheidung des VIII. Zivilsenats (Beschl. v. 22. Januar 2008, VIII ZB 57/07, NJW
2008, 1323, 1324) veranlasst (vgl. BT-Drucks. 16/12717, S. 58). Dies hat der
XII. Zivilsenat in dem Beschluss vom 9. Dezember 2009, (XII ZB 175/07,
FamRZ 2010, 456 ff.) im Einzelnen dargelegt. Der erkennende Senat tritt dieser
Auffassung bei.
Die von dem X. Zivilsenat (Beschluss vom 29. September 2009, X ZB
1/09, NJW 2010, 76, 78) gegen dieses Verständnis der Gesetzesmaterialien zu
§ 15a RVG vorgetragenen Bedenken teilt der Senat nicht. Der Wille des Ge-
setzgebers zu einer bloßen Klarstellung der Rechtslage kommt in den Materia-
lien eindeutig zum Ausdruck, wenn in diesen erklärt wird, dass das Verständnis
der Anrechnung in den im Vorjahr ergangenen Entscheidungen des Bundesge-
richtshofs den Auftraggeber benachteilige und das Kostenfestsetzungsverfah-
ren zusätzlich belaste, was beides unmittelbar den Zwecken zuwider laufe, die
der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt habe (BT-
Drucks 16/12717, S. 58). Da das davon abweichende Verständnis des § 15a
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RVG als Gesetzesänderung für die Entscheidung des X. Zivilsenats nicht tra-
gend ist (aaO, 78), bedarf es keiner Vorlage der Rechtsfrage an den Großen
Senat für Zivilsachen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 GVG.
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2. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist wegen des Rechtsfehlers,
auf dem er beruht, aufzuheben und der Kostenfestsetzungsbeschluss des
Landgerichts dahin abzuändern, dass die Verfahrensgebühr aus der Kosten-
rechnung in vollem Umfange berücksichtigt wird.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Festset-
zung des Beschwerdewerts für die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 3
ZPO.
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Klein Lemke
Schmidt-Räntsch
Stresemann
Czub
Vorinstanzen:
LG Lüneburg, Entscheidung vom 08.12.2009 - 4 O 155/08 -
OLG Celle, Entscheidung vom 12.01.2010 - 2 W 6/10 -