Urteil des BGH vom 15.04.2010

Femur-Teil Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 145/08 Verkündet
am:
15. April 2010
Führinger
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Femur-Teil
UWG § 4 Nr. 9 lit. a und b, § 4 Nr. 11; MPG § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1; HWG
§ 3 Satz 2 Nr. 1, § 6 Nr. 2
a) Technisch bedingte Merkmale eines Erzeugnisses sind nur dann frei wählbar
und austauschbar und können wettbewerbliche Eigenart begründen, wenn
mit ihrem Austausch keine Qualitätseinbußen verbunden sind.
b) Eine der Erwerbssituation nachfolgende Herkunftstäuschung scheidet bei
Produkten, die unterschiedlich gekennzeichnet sind und von Fachkreisen
verwendet werden, regelmäßig aus, wenn die Benutzung der Produkte eine
sorgfältige Planung voraussetzt.
c) Eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung i.S. von § 4 Nr. 9 lit. b
Fall 1 UWG liegt im Allgemeinen nicht vor, wenn ein Originalprodukt, dessen
Sonderrechtsschutz abgelaufen ist, nachgeahmt wird und aufgrund unter-
schiedlicher Kennzeichen die Gefahr einer Verwechslung des Originaler-
zeugnisses und der Nachahmung ausgeschlossen ist.
d) Wird ein technisches Erzeugnis, dessen Wertschätzung maßgeblich auf des-
sen äußerer Gestaltung beruht, nahezu identisch nachgeahmt, liegt eine un-
angemessene Beeinträchtigung des Rufs des Originalprodukts vor, wenn die
Nachahmung qualitativ minderwertig ist.
BGH, Urteil vom 15. April 2010 - I ZR 145/08 - OLG Hamburg
LG
Hamburg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 15. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen
Oberlandesgerichts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 24. Juli 2008 auf-
gehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückver-
wiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin produziert und vertreibt seit 1982 unter der Bezeichnung
"SPII" eine Hüftgelenk-Endoprothese (Femur-Teil). Deren Schaft weist eine
S-Form auf, die für eine günstige Einleitung der Kraft von der Prothese in den
Knochen sorgt. Die S-Form der Endoprothese war Gegenstand eines Patents
der Klägerin, dessen Schutz 2001 ausgelaufen ist. Die Oberschenkel-Prothese
der Klägerin weist neben der S-Form am Schaft ein seitliches Profil, einen um-
1
- 3 -
laufenden Kragen mit einer Bohrung, einen Hals und einen anschließenden Ko-
nus zum Aufstecken des Hüftkopfes mit zwei Bohrungen auf:
Die Beklagte vertreibt ebenfalls ein Femur-Teil einer Hüftprothese. Die-
ses bezeichnete sie zunächst mit "S
2+
". Nach Abgabe einer strafbewehrten Un-
terlassungserklärung vertreibt die Beklagte ihr Femur-Teil nunmehr unter
"AS-PLUS".
2
Die Klägerin hält das Femur-Teil der Hüftprothese der Beklagten für eine
unlautere Nachahmung ihres Produkts. Sie hat geltend gemacht, infolge der
nahezu identischen Übernahme der Form der Prothese durch die Beklagte be-
stehe die Gefahr von Verwechslungen. Die Beklagte nutze durch die Nachah-
mung den guten Ruf des Originalprodukts aus. Das Erzeugnis der Beklagten
sei zudem von minderer Qualität.
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Die Klägerin hat die Beklagte - soweit für die Revisionsinstanz von Be-
deutung - auf Unterlassung des Angebots und des Inverkehrbringens der bean-
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standeten Femur-Teile von Hüftgelenk-Prothesen, auf Auskunftserteilung, Fest-
stellung der Schadensersatzverpflichtung und auf Erstattung der Abmahnkosten
in Anspruch genommen.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat behauptet, zwi-
schen den von den Parteien vertriebenen Femur-Teilen bestünden deutliche
Unterschiede. Sämtliche übernommenen Gestaltungselemente der Endopro-
these der Klägerin seien technisch notwendig. Verwechslungen der Produkte
der Parteien vor und nach der Kaufsituation seien ausgeschlossen.
Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen abgewiesen. In der Beru-
fungsinstanz hat die Klägerin zuletzt beantragt,
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die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurtei-
len, es zu unterlassen, Femur-Teile von Hüftgelenk-Prothesen anzubieten
und/oder in den Verkehr zu bringen,
(1) deren
Schaft
(1.1) in der Sagittalebene S-förmig verläuft und
(1.2) in der Frontalebene ein Oberflächenprofil aufweist,
(1.2.1) welches in einem ersten, hüftkopffernen Abschnitt aus
einer etwa mittigen Längsnut entlang des Schafts und
(1.2.2) in einem zweiten hüftkopfnahen Abschnitt aus einer Er-
hebung besteht,
(1.2.3) wobei die Erhebung die gebogene und in sich verjün-
gende Außenkontur des Schafts in der Frontalebene im
verkleinerten Maßstab nachzeichnet,
(2) mit einem umlaufenden Kragen
(3) und einem Hals,
(3.1) dessen hüftkopfferner Abschnitt
(3.1.1) sich ohne Stufung vom Kragen abhebt und
(3.1.2) sich in einem gebogenen Verlauf verjüngt und
(3.2) dessen hüftkopfnaher Abschnitt einen Konus zum Aufstecken
des Hüftkopfs bildet, der an der Stirnseite zwei runde Löcher
aufweist, wie nachfolgend abgebildet:
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insbesondere
wenn,
(4.1) der Kragen einen ovalen Umfang aufweist und/oder
(4.2) sich von lateral nach medial verjüngt und/oder
(5) der Konus für den Hüftkopf an seiner Stirnseite zwei in der Sagittalebe-
ne übereinander angeordnete Sackbohrungen gleichen Durchmessers
aufweist;
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, es unter Abänderung des landgerichtlichen Ur-
teils zu unterlassen, Femur-Prothesen in Verkehr zu bringen, die wie nach-
folgend gekennzeichnet sind:
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Ferner hat die Klägerin die Beklagte auf Auskunftserteilung, Feststellung
der Schadensersatzverpflichtung und Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch
genommen.
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Das Berufungsgericht hat die Berufung - vom Kostenpunkt abgesehen -
zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision,
mit der die Klägerin ihre zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Die Beklagte
beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klageanträge seien weder
unter dem Gesichtspunkt des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungs-
schutzes noch wegen Verstoßes gegen das Medizinproduktegesetz oder das
Heilmittelwerbegesetz begründet. Hierzu hat es ausgeführt:
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Das Femur-Teil "SPII" der Hüftgelenk-Prothese der Klägerin verfüge
durch das seitliche Profil des Schafts, den umlaufenden schmalen Kragen und
die gelungene Ausformung des anschließenden Halses über wettbewerbliche
Eigenart, die durch eine hohe Bekanntheit in den Fachkreisen noch gesteigert
sei. Die Beklagte habe das Femur-Teil der Klägerin mit ihrem Produkt
"AS-PLUS" nahezu identisch nachgeahmt. Die Voraussetzungen einer ver-
meidbaren Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG lägen jedoch nicht
vor. Abzustellen sei auf die Erwerbssituation. Die mit dem Angebot und Kauf
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- 7 -
von Endoprothesen befassten normal informierten Fachkreise seien mit der
Produktpalette im Bereich von Oberschenkelprothesen vertraut und unterlägen
aufgrund der unterschiedlichen Kennzeichnung keiner Herkunftstäuschung. Die
Voraussetzungen einer unangemessenen Rufausbeutung und Rufbeeinträchti-
gung i.S. von § 4 Nr. 9 lit. b UWG lägen ebenfalls nicht vor. Weder würden die
Gütevorstellungen, die der Verkehr mit dem Originalprodukt verbinde, auf die
Nachahmung übertragen, noch erwarteten die angesprochenen Fachkreise,
dass das Produkt der Beklagten dem der Klägerin qualitativ entspreche.
Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 MPG liege nicht vor. Die Produkte der Be-
klagten würden aus Sicht eines normal informierten und verständigen Angehö-
rigen der Fachkreise nicht mit einer irreführenden Aufmachung versehen. Die
Beklagte habe auch nicht irreführend i.S. des § 3 HWG geworben. Allein aus
der nahezu identischen Form folge nicht, dass das Produkt der Beklagten dem
Verarbeitungsstand des Originalerzeugnisses entspreche.
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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Klägerin stünden die geltend
gemachten Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungs-
schutz nach § 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1, § 9 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 9 UWG i.V. mit
§ 242 BGB nicht zu, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das
Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass ein Verstoß ge-
gen die Grundsätze des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschut-
zes unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung nach § 4
Nr. 9 lit. a UWG nicht gegeben ist und auch eine unangemessene Ausnutzung
der Wertschätzung des von der Klägerin angebotenen Erzeugnisses i.S. von
14
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§ 4 Nr. 9 lit. b UWG ausscheidet. Nach den bislang vom Berufungsgericht ge-
troffenen Feststellungen können die Ansprüche der Klägerin wegen Beeinträch-
tigung der Wertschätzung des Femur-Teils der Klägerin nach § 4 Nr. 9 lit. b
UWG aber nicht verneint werden.
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a) Hinsichtlich der maßgeblichen Rechtsgrundlagen ist zwischen dem
Unterlassungsanspruch und den Ansprüchen auf Auskunftserteilung und Scha-
densersatz zu unterscheiden. Auf das in die Zukunft gerichtete Unterlassungs-
begehren sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wett-
bewerb in der zur Zeit der Entscheidung geltenden Fassung anzuwenden. Der
auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings
nur, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten auch zur Zeit der Bege-
hung nach der am 8. Juli 2004 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes ge-
gen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (UWG 2004) wettbewerbswid-
rig war. Demgegenüber kommt es für die Feststellung der Schadensersatz-
pflicht und der Verpflichtung zur Auskunftserteilung zur Vorbereitung der Be-
rechnung des Schadensersatzanspruchs auf die Rechtslage zur Zeit der bean-
standeten Handlungen an (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 28.5.2009
- I ZR 124/06, GRUR 2010, 80 Tz. 15 = WRP 2010, 94 - LIKEaBIKE). Für den
Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ist die Rechtslage zum Zeitpunkt
der Abmahnung maßgeblich (BGH, Urt. v. 11.3.2009 - I ZR 194/06, GRUR
2009, 1064 Tz. 13 = WRP 2009, 1229 - Geld-zurück-Garantie II).
Eine für die Beurteilung des Streitfalls entscheidungserhebliche Ände-
rung der Rechtslage ist allerdings nicht eingetreten.
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aa) Die Änderungen in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 3 UWG sind für den Streit-
fall ohne Bedeutung. Das beanstandete Verhalten der Beklagten ist sowohl eine
Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 UWG 2004 als auch eine ge-
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schäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 UWG. Der Begriff der
geschäftlichen Handlung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist nicht enger als der
der Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 (vgl. BGH, Urt. v.
15.1.2009 - I ZR 141/06, GRUR 2009, 881 Tz. 11 = WRP 2009, 1089 - Über-
regionaler Krankentransport). Die Voraussetzungen des Unterlassungsan-
spruchs (§ 8 Abs. 1 UWG) und des Schadensersatzanspruchs (§ 9 Satz 1
UWG) sind gleich geblieben.
bb) Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 UWG über den ergänzenden wettbe-
werbsrechtlichen Leistungsschutz gilt ebenfalls fort. Die Richtlinie 2005/29/EG
über unlautere Geschäftspraktiken steht einer Anwendung des § 4 Nr. 9 UWG
nicht entgegen (vgl. BGH GRUR 2010, 80 Tz. 17 - LIKEaBIKE). Ob unter den
derzeit geltenden Vorschriften des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb
auch geschäftliche Handlungen, die in die Zeit nach dem Kauf fallen, von § 4
Nr. 9 lit. a UWG erfasst werden, braucht vorliegend nicht entschieden zu wer-
den (dazu II 1 e bb).
18
b) Durch die Bestimmung des § 4 Nr. 9 UWG 2004 ist der ergänzende
wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz nur gesetzlich geregelt, nicht aber in-
haltlich geändert worden (BGH, Urt. v. 28.10.2004 - I ZR 326/01, GRUR 2005,
166, 167 = WRP 2005, 88 -
Puppenausstattungen; Urt. v. 9.10.2008
- I ZR 126/06, GRUR 2009, 79 Tz. 25 = WRP 2009, 76 - Gebäckpresse). Da-
nach kann der Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses wettbewerbswidrig
sein, wenn es wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände hin-
zutreten, die seine Nachahmung als unlauter erscheinen lassen. Dabei besteht
eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der
Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wett-
bewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je größer
der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die be-
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sonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begrün-
den und umgekehrt (BGH, Urt. v. 26.6.2008 - I ZR 170/05, GRUR 2008, 1115
Tz. 18 = WRP 2008, 1510 - ICON; Urt. v. 2.4.2009 - I ZR 144/06, GRUR 2009,
1069 Tz. 12 = WRP 2009, 1509 - Knoblauchwürste).
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c) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass das Femur-
Teil der Klägerin über hohe wettbewerbliche Eigenart verfügt.
aa) Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn dessen konkre-
te Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten
Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hin-
zuweisen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 24.5.2007 - I ZR 104/04, GRUR 2007, 984
Tz. 16 = WRP 2007, 1455 - Gartenliege). Dies gilt auch für technische Erzeug-
nisse (BGH, Urt. v. 2.4.2009 - I ZR 199/06, GRUR 2009, 1073 Tz. 10 = WRP
2009, 1372 - Ausbeinmesser).
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Technisch notwendige Merkmale - also Merkmale, die bei gleichartigen
Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen -
können allerdings aus Rechtsgründen keine wettbewerbliche Eigenart begrün-
den. Die Übernahme solcher nicht (mehr) unter Sonderrechtsschutz stehender
Gestaltungsmerkmale ist mit Rücksicht auf den Grundsatz des freien Stands
der Technik wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urt. v.
10.1.2008 - I ZR 67/05, GRUR 2008, 790 Tz. 36 = WRP 2008, 1234 - Bau-
gruppe). Handelt es sich dagegen nicht um technisch zwingend notwendige
Merkmale, sondern nur um solche, die zwar technisch bedingt, aber - ohne
dass damit Qualitätseinbußen verbunden sind - frei austauschbar sind, so kön-
nen sie eine wettbewerbliche Eigenart (mit-)begründen, sofern der Verkehr we-
gen dieser Merkmale auf die Herkunft der Erzeugnisse aus einem bestimmten
Betrieb Wert legt oder mit ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbindet (vgl.
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BGH GRUR 2007, 984 Tz. 20 - Gartenliege; GRUR 2009, 1073 Tz. 10 - Aus-
beinmesser).
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bb) Das Berufungsgericht hat zu Recht die wettbewerbliche Eigenart des
Femur-Teils "SPII" der Klägerin jedenfalls in der Kombination des seitlichen
Profils des Schafts, des Kragens und der Ausformung des Halses gesehen.
Hierzu hat es ausgeführt, für das Erzeugnis der Klägerin sei das in etwa gleich
lange Abschnitte aufgeteilte Profil des Schafts charakteristisch, das aus der
Längsnut im unteren Abschnitt und der zentralen Erhebung im hüftkopfnahen
Abschnitt bestehe. Hinzu kämen der umlaufende schmale Kragen und die ge-
lungene Ausformung des Halses, die sich harmonisch vom Kragen abhebe und
dem Prothesenteil eine bei den anderen auf dem Markt befindlichen Angeboten
nicht vorzufindende Eleganz verleihe, die den Wiedererkennungswert des Teils
erhöhe. Es könne offenbleiben, ob einzelne Gestaltungsmerkmale zwingend
technisch bedingt seien, weil das Femur-Teil der Klägerin jedenfalls aufgrund
der Kombination seiner Merkmale über wettbewerbliche Eigenart verfüge.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die wettbewerbliche
Eigenart des Femur-Teils der Klägerin aufgrund seiner Verkehrsbekanntheit
weiter gesteigert ist. Es hat hierzu festgestellt, dass das Produkt der Klägerin
seit mehr als zwanzig Jahren auf dem Markt ist und aufgrund seines guten Ab-
schneidens in klinischen Beobachtungsstudien über einen hohen Bekanntheits-
grad verfügt. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Auch
wenn das Vorliegen einer wettbewerblichen Eigenart eine Bekanntheit des Er-
zeugnisses nicht voraussetzt, kann doch der Grad der wettbewerblichen Eigen-
art eines Produkts durch seine tatsächliche Bekanntheit im Verkehr verstärkt
werden (vgl. BGH, Urt. v. 15.6.2000 - I ZR 90/98, GRUR 2001, 251, 253 = WRP
2001, 153 - Messerkennzeichnung; BGH GRUR 2010, 80 Tz. 37 - LIKEaBIKE).
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- 12 -
d) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte
das Femur-Teil "SPII" der Klägerin nahezu identisch nachgeahmt hat. Davon ist
auszugehen, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden
Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original
aufweist (vgl. BGH, Urt. v. 8.12.1999 - I ZR 101/97, GRUR 2000, 521, 524 =
WRP 2000, 493 - Modulgerüst). Dabei ist zu prüfen, ob gerade die übernom-
menen Gestaltungsmittel diejenigen sind, die die wettbewerbliche Eigenart des
Produkts ausmachen, für das der Schutz beansprucht wird (BGHZ 141, 329,
340 - Tele-Info-CD; BGH, Urt. v. 11.1.2007 - I ZR 198/04, GRUR 2007, 795
Tz. 32 = WRP 2007, 1076 - Handtaschen).
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Eine nahezu identische Übernahme hat das Berufungsgericht in tatrich-
terlicher Würdigung derjenigen Merkmale bejaht, die in den gegenüberstehen-
den Produkten gleichermaßen vorhanden sind. Als identisch übernommen hat
das Berufungsgericht - wenn auch in anderem Zusammenhang angeführt - das
seitliche Profil des Schafts, den umlaufenden Kragen mit der Bohrung des Fi-
xierungsinstruments, den Hals als Verbindung zwischen Schaft und Konus und
die Bohrungen im Konus für die Eingriffstellen der Führungszange angesehen.
Diese Ausführungen sind aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden
und werden von den Parteien auch nicht in Frage gestellt.
26
e) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht in dem Anbieten und Inver-
kehrbringen des Femur-Teils "AS-PLUS" der Beklagten keine vermeidbare Täu-
schung über die betriebliche Herkunft i.S. von § 4 Nr. 9 lit. a UWG gesehen.
27
aa) Das Berufungsgericht hat eine Herkunftstäuschung verneint, weil die
Fachkreise in der Erwerbssituation, auf die es allein ankomme, keiner Gefahr
einer Herkunftstäuschung ausgesetzt seien. Der Beschaffung von Medizinpro-
dukten gingen Auswahlverfahren und Abstimmungsprozesse voraus, an denen
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- 13 -
die operierenden Ärzte und die mit der Beschaffung in den Kliniken befassten
Mitarbeiter beteiligt seien. Diesen seien die Parteien als Anbieter mit ihren Pro-
dukten bekannt. Die Fachkreise hätten keine Veranlassung, die Produkte allein
anhand der äußeren Gestaltung einem bestimmten Unternehmen zuzuordnen,
sondern stellten auf die unterschiedliche Kennzeichnung der Produkte ab. In
den Angebotsunterlagen sei das Produkt der Beklagten mit "AS-PLUS" ge-
kennzeichnet. Beim Vertrieb seien auf der Verpackung das Unternehmens-
kennzeichen und das Logo der Beklagten angegeben.
Die Revision wendet sich vergeblich dagegen, dass das Berufungsgericht
die Gefahr einer Herkunftstäuschung in der Kaufsituation verneint hat.
29
(1) Zu Recht hat das Berufungsgericht für die Beurteilung der Frage der
Herkunftstäuschung allein auf die angesprochenen Fachkreise abgestellt. Nach
seinen auf dem Vortrag der Parteien beruhenden Feststellungen bieten die Par-
teien ihre in Rede stehenden Produkte ausschließlich Fachkreisen an. Das An-
gebot richtet sich nicht an Endverbraucher. Die abweichende Darstellung der
Revision findet im Parteivortrag keine Stütze. Die von der Revision für ihre ge-
genteilige Sichtweise herangezogenen Anlagen K 13, K 38 und K 40 enthalten
nur allgemeine Informationen zu Endoprothesen und keine Angebote an
Verbraucher.
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(2) Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, auch die angespro-
chenen Fachkreise unterlägen Fehlvorstellungen über die Herkunft des Pro-
dukts der Beklagten.
31
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die mit dem Einkauf befass-
ten durchschnittlich informierten und verständigen Fachleute aufgrund ihrer
Kenntnisse über die verschiedenen Hersteller und deren jeweilige Produktpalet-
32
- 14 -
te sowie der unterschiedlichen Kennzeichen der Parteien keiner Herkunftstäu-
schung unterliegen. Soweit die Revision geltend macht, bei Ärzten und Einkäu-
fern der Kliniken erfolge die Einkaufsentscheidung gelegentlich aufgrund einer
oberflächlichen Prüfung, kommt es hierauf aus Rechtsgründen nicht an. Zu
Recht hat das Berufungsgericht auf einen durchschnittlich informierten und
aufmerksamen Angehörigen der Fachkreise abgestellt, der bei der Einkaufsent-
scheidung mit der gebotenen Sorgfalt vorgeht. Dafür, dass bei diesem - selbst
bei nur sporadischen Käufen, auf die die Revision abstellt - die Gefahr von Her-
kunftstäuschungen besteht, ist vom Berufungsgericht nichts festgestellt. Gegen-
teiliges ergibt sich auch nicht aus dem Abschlussbericht vom 10. Dezember
2007 zu den Vorkommnissen im Endoprothetikbereich des Krankenhauses H.
in B.. Die in diesem Bericht dokumentierten Vorgänge in einem einzelnen Kran-
kenhaus betreffen nicht die Beschaffung der Endoprothesen und lassen keinen
Rückschluss auf den im Endoprothetikbereich allgemein eingehaltenen
Standard zu. Im Übrigen versucht die Revision mit ihren Ausführungen zur Ge-
fahr einer Herkunftstäuschung lediglich, die Beurteilung des Tatrichters durch
ihre eigene zu ersetzen, ohne dabei einen Rechtsfehler des Berufungsgerichts
aufzeigen zu können.
bb) Ohne Erfolg macht die Revision weiter geltend, für die Herkunftstäu-
schung sei nicht ausnahmslos auf die Erwerbssituation abzustellen. Infolge der
Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken sei es geboten, in die
Beurteilung der Herkunftstäuschung auch nach dem Zeitpunkt des Kaufs lie-
gende Umstände einzubeziehen. Aufgrund des nahezu identischen Aussehens
der von den Parteien vertriebenen Femur-Teile könne es in der Operationssitu-
ation zu Verwechslungen kommen.
33
(1) Nach der Rechtsprechung des Senats zum UWG 2004 kann eine
nicht schon im Zeitpunkt der Werbung und/oder des Kaufs, sondern erst nach-
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folgend auftretende Herkunftstäuschung keine Ansprüche aus ergänzendem
wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz begründen, weil die Bestimmungen
des UWG 2004 allein das Marktverhalten regeln und Rechtsfolgen daher nur für
solche Verhaltensweisen vorsehen, die schon für sich gesehen eine Störung
des Marktgeschehens darstellen (vgl. BGHZ 161, 204, 211 - Klemmbau-
steine III; BGH, Urt. v. 21.9.2006 - I ZR 270/03, GRUR 2007, 339 Tz. 39 = WRP
2007, 313 - Stufenleitern).
(2) Ob an dieser Rechtsprechung unter den derzeit geltenden Vorschrif-
ten des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb weiter festzuhalten ist,
braucht nicht entschieden zu werden. Nach den Feststellungen, die das Beru-
fungsgericht in anderem Zusammenhang getroffen hat, scheidet entgegen der
Ansicht der Revision eine Herkunftstäuschung des Arztes während der Operati-
on aus. Danach sind Verwechslungen der Produkte der Parteien aufgrund des
äußeren Erscheinungsbilds der Femur-Teile bei einem situationsadäquat auf-
merksamen Durchschnittsarzt auch während der Operation ausgeschlossen.
Denn die Femur-Teile der Parteien verfügen über unterschiedliche Produktbe-
zeichnungen. Der behandelnde Arzt muss bei der Operationsvorbereitung das
Fabrikat des Femur-Teils, seine Größe und die für die jeweilige Körperseite des
Patienten vorgesehene Ausführungsform bestimmen und sich während der
Operation mit der gebotenen ärztlichen Sorgfalt davon überzeugen, dass er das
gewünschte Implantat erhalten hat.
35
Die Revision setzt dem ohne Erfolg entgegen, aufgrund des nahezu iden-
tischen Aussehens könnte dem operierenden Arzt statt des bestellten Femur-
Teils "SPII" der Klägerin eine "AS-PLUS"-Endoprothese der Beklagten gereicht
werden; der Arzt werde den Irrtum erst bemerken, wenn er die Eingriffswerk-
zeuge im Rahmen der Operation ansetze.
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Die Revision zeigt schon keine Anhaltspunkte dafür auf, dass das Klinik-
personal und der behandelnde Arzt sich trotz der bei Operationen einzuhalten-
den Sorgfaltsanforderungen allein an der äußeren Gestaltung des Femur-Teils
orientieren und die an den Produkten der Parteien angebrachten unterschiedli-
chen Kennzeichnungen ausblenden werden.
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f) Die Revision hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet,
dass das Berufungsgericht eine unangemessene Ausnutzung der Wertschät-
zung des Produkts der Klägerin nach § 4 Nr. 9 lit. b Fall 1 UWG verneint hat.
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aa) Das Berufungsgericht ist von einer Wertschätzung des Femur-Teils
"SPII" der Klägerin in den angesprochenen Verkehrskreisen ausgegangen. Es
hat festgestellt, dass das Produkt der Klägerin in der seit 1979 fortgeschriebe-
nen schwedischen Langzeitstudie regelmäßig die besten Ergebnisse erzielt und
über einen außergewöhnlich guten Ruf verfügt. Dagegen erinnert die Revisi-
onserwiderung nichts; Rechtsfehler sind auch insoweit nicht ersichtlich.
39
bb) Das Berufungsgericht hat eine unangemessene Ausnutzung der
Wertschätzung des Erzeugnisses der Klägerin durch die Nachahmung der Be-
klagten verneint. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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(1) Eine unlautere Rufausnutzung folgt nicht schon aus einer Täuschung
der Fachkreise über die Herkunft der Nachahmung der Beklagten. Zwar liegt
eine unlautere Rufausnutzung vor, wenn die Eigenart und die Besonderheiten
des Originalerzeugnisses zu Qualitätserwartungen führen, die diesem Produkt
zugeschrieben werden und der Nachahmung deshalb zugute kommen, weil der
Verkehr sie mit dem Original verwechselt (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.1995
- I ZR 240/93, GRUR 1996, 210, 212 = WRP 1996, 279 - Vakuumpumpen). Von
41
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der Gefahr einer Herkunftstäuschung ist vorliegend aber nicht auszugehen (da-
zu II 1 e).
42
(2) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine nach § 4 Nr. 9 lit. b
Fall 1 UWG unlautere Rufausnutzung allerdings auch ohne Täuschung der an-
gesprochenen Verkehrskreise auf einer Anlehnung an die fremde Leistung be-
ruhen, die eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Pro-
dukte erfordert. Die Frage, ob hierdurch eine Gütevorstellung i.S. von § 4 Nr. 9
lit. b Fall 1 UWG unangemessen ausgenutzt wird, ist jeweils im Wege einer Ge-
samtwürdigung zu beantworten, bei der alle relevanten Umstände des Einzel-
falls, insbesondere der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des
nachgeahmten Produkts, zu berücksichtigen sind. Dabei kann grundsätzlich
schon die Annäherung an die verkehrsbekannten Merkmale eines fremden
Produkts als solche zu einer für die Annahme einer Rufausbeutung erforderli-
chen Übertragung der Gütevorstellung führen. Allerdings reicht für eine Rufaus-
beutung nicht aus, wenn lediglich Assoziationen an ein fremdes Produkt und
damit Aufmerksamkeit erweckt werden (vgl. BGHZ 161, 204, 214 - Klemmbau-
steine III). Dasselbe gilt, wenn der Nachahmende nach Ablauf eines Patent-
schutzes des Originalherstellers beim Eindringen in dessen Markt die ange-
sprochenen Verkehrskreise durch eine gegenüber dem Original unterscheidba-
re Kennzeichnung unmissverständlich darüber informiert, dass sich das nach-
geahmte Produkt vom Original unterscheidet (vgl. BGHZ 161, 204, 215
- Klemmbausteine III).
Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen und hat zu Recht an-
genommen, dass in Anbetracht der fehlenden Herkunftstäuschung die Interes-
sen der Beklagten, eine nach dem freien Stand der Technik und den mit dem
Vorbild gewonnenen Erfahrungen angemessene Gestaltung nachahmen zu
dürfen, die Interessen der Klägerin überwiegen, nach Ablauf des Sonderrechts-
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schutzes als einziger Hersteller ein der äußeren Gestaltung ihres Femur-Teils
"SPII" entsprechendes Produkt anzubieten.
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g) Das Berufungsgericht hat jedoch eine unangemessene Beeinträchti-
gung der Wertschätzung des Femur-Teils "SPII" der Klägerin i.S. von § 4 Nr. 9
lit. b Fall 2 UWG rechtsfehlerhaft verneint.
aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Beeinträchtigung des
Rufs des Femur-Teils der Klägerin sei mangels Herkunftstäuschung ausge-
schlossen. Die Ärzte erwarteten nicht, dass das Nachahmerprodukt qualitativ
dem Original entspreche, sondern nur, dass es die an ein Medizinprodukt zu
stellenden Anforderungen erfülle. Diese Ausführungen halten der revisions-
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu hohe Anfor-
derungen an eine unangemessene Rufbeeinträchtigung gestellt.
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bb) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob
- wie die Klägerin geltend macht - das Femur-Teil "AS-PLUS" der Beklagten
aufgrund der Gussqualität negativ von demjenigen der Klägerin abweicht, es
nicht dem Stand der Technik entspricht und die Verwendungszeiten des von
der Klägerin angebotenen Produkts nicht erreicht werden oder ob es - wie von
der Beklagten vorgetragen - qualitativ dem Produkt der Klägerin zumindest ent-
spricht. Für das Revisionsverfahren ist daher zugunsten der Klägerin zu un-
terstellen, dass das Femur-Teil "AS-PLUS" der Beklagten die Gussqualität des
Produkts der Klägerin nicht erreicht, hinter dem Stand der Technik zurückbleibt
und seine Verwendungszeiten kürzer ausfallen als beim Produkt der Klägerin.
In diesem Fall liegen die Voraussetzungen einer unangemessenen Rufbeein-
trächtigung i.S. von § 4 Nr. 9 lit. b Fall 2 UWG vor.
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Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist auf der Grundlage des
Vortrags der Parteien nicht von einer Erwartung der angesprochenen Verkehrs-
kreise auszugehen, dass das nahezu identische Femur-Teil der Beklagten qua-
litativ hinter demjenigen der Klägerin zurückbleibt.
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Das Berufungsgericht hat angenommen, die Fachkreise brächten dem
Produkt der Klägerin die Wertschätzung entgegen, weil es von einem renom-
mierten Hersteller von Medizinprodukten stamme, dessen bisheriges Wirken
und dessen Unternehmenstradition für eine optimale Verarbeitungsqualität bür-
ge. Den Fachkreisen sei bekannt, dass Nachahmungen nicht die Qualität des
Vorbilds aufwiesen. Vielmehr stellten sie in Rechnung, dass die Nachahmung
vorliegend in Gussqualität und Oberflächenbearbeitung hinter dem Originalpro-
dukt zurückbleiben könne. Diese Feststellungen zum Verkehrsverständnis hat
das Berufungsgericht nicht verfahrensfehlerfrei getroffen.
Die Revision rügt zu Recht, dass die Feststellungen des Berufungsge-
richts keine Stütze im Parteivortrag haben. Die Klägerin hatte vielmehr geltend
gemacht, dass eine Übertragung von Gütevorstellungen bei einem nahezu
identischen Nachbau zwangsläufig stattfindet. Gegenteiliges folgt nicht aus dem
von der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang angeführten Vortrag
der Klägerin. Dieser betraf eine Herkunftstäuschung des Klinikpersonals und
befasste sich nicht mit gegenüber dem Original geringeren Qualitätserwartun-
gen der Fachkreise bei Nachahmungen. Die Beklagte, die ihre Endoprothese
als mindestens gleichwertig im Verhältnis zum Produkt der Klägerin ansieht,
hatte dagegen geltend gemacht, die Leistungsfähigkeit einer Hüftgelenk-
Endoprothese beruhe insbesondere auf der konkreten Formgebung; die Quali-
tät des Materials sei nur eines von vielen Kriterien für die Leistungsfähigkeit der
Endoprothese. Ist nach diesem Parteivortrag davon auszugehen, dass die äu-
ßere Form der in Rede stehenden Femur-Teile für deren Leistungsfähigkeit be-
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sonders bedeutsam ist, ist auch von der von der Klägerin angenommenen
Übertragung negativer Qualitätsvorstellungen von dem in der äußeren Form
nahezu identischen Produkt der Beklagten auf dasjenige der Klägerin auszuge-
hen.
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Das Berufungsgericht hat seine gegenteiligen Feststellungen zur Ver-
kehrsauffassung nicht verfahrensfehlerfrei getroffen. Die Ermittlung des Ver-
kehrsverständnisses beruht auf einer Anwendung eines speziellen Erfahrungs-
wissens (vgl. BGHZ 156, 250, 254 - Marktführerschaft; BGH, Urt. v. 29.3.2007
- I ZR 122/04, GRUR 2007, 1079 Tz. 36 = WRP 2007, 1346 - Bundes-
druckerei). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht dargelegt, dass es in dem
hier in Rede stehenden Bereich der Endoprothetik über spezielles Erfahrungs-
wissen verfügt. Es konnte daher nicht unabhängig vom Parteivortrag die Auf-
fassung der beteiligten Verkehrskreise feststellen.
Da der gute Ruf des Produkts der Klägerin auf dessen Qualität beruht,
wird er unangemessen beeinträchtigt, wenn ein nahezu identisches Produkt
nicht denselben oder jedenfalls im Wesentlichen denselben Qualitätsmaßstä-
ben genügt, die der Originalhersteller durch seine Ware gesetzt hat (vgl. BGH,
Urt. v. 8.12.1999 - I ZR 101/97, GRUR 2000, 521, 526 f. = WRP 2000, 493
- Modulgerüst).
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2. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche nach § 4
Nr. 11 UWG i.V. mit § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 MPG zutreffend verneint.
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 MPG ist es verboten, Medizinprodukte in den Verkehr
zu bringen, wenn sie mit einer irreführenden Aufmachung versehen sind. Ge-
mäß § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MPG liegt eine Irreführung insbesondere dann vor,
wenn Medizinprodukten eine Leistung beigelegt wird, die sie nicht haben.
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a) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass es aufgrund des äuße-
ren Erscheinungsbilds des Femur-Teils "AS-PLUS" der Beklagten, der vorope-
rativen Planung und der auf den Schäften eingravierten Angaben nicht zu Ver-
wechslungen der Produkte der Parteien kommt. Die dagegen gerichteten An-
griffe der Revision greifen nicht durch, weil nicht nur in der Erwerbssituation,
sondern auch in der Operationsphase eine Verwechslungsgefahr zwischen den
von den Parteien vertriebenen Femur-Teilen nicht besteht (dazu II 1 e bb (2)).
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b) Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass die
Beklagte ihrem Produkt "AS-PLUS" keine Leistung beigelegt hat, über die es
nicht verfügt. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, ein Großteil des Fach-
personals werde bei der Endoprothese der Beklagten annehmen, den Bautyp
vor sich zu haben, der in Langzeitstudien exzellente Ergebnisse erzielt habe.
Einer derartigen Annahme steht entgegen, dass das mit der Beschaffung und
Implantation der Endoprothese befasste Fachpersonal die unterschiedlich ge-
kennzeichneten Erzeugnisse der Parteien nicht verwechselt.
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3. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche zu Recht
auch nicht aus den Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes für begründet er-
achtet.
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a) Nach § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG liegt eine Irreführung vor, wenn Medizin-
produkten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden,
die sie nicht haben. Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen aus denselben
Gründen nicht vor, aus denen auch der insoweit inhaltsgleiche § 4 Abs. 2
Satz 2 Nr. 1 MPG nicht eingreift (dazu II 2 b).
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b) Die Revision macht weiter geltend, die von der Klägerin verfolgten An-
sprüche ergäben sich auch aus § 6 Nr. 2 HWG. Die Beklagte habe durch Wer-
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beaussagen und durch das Aussehen ihres Femur-Teils auf die in Fachkreisen
bekannte "Schweden-Studie" Bezug genommen, ohne klarzustellen, dass der
Betrachter nicht das Produkt vor sich habe, das die langjährigen Erfolge erzielt
habe.
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Auch dieser Revisionsangriff hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat
sich mit den Voraussetzungen des § 6 Nr. 2 HWG zwar nicht befasst. Der Se-
nat kann aufgrund des feststehenden Sachverhalts aber selbst in der Sache
entscheiden, weil weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind. Danach
liegen die Voraussetzungen des § 6 Nr. 2 HWG nicht vor. Die Werbeaussagen
der Beklagten zu den Ergebnissen der wissenschaftlichen Langzeitstudie in
Schweden sind nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits, nachdem die Beklag-
te bereits erstinstanzlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben
hat und die Parteien den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt
erklärt haben.
Die Beklagte nimmt durch die nahezu identische Produktkennzeichnung
nicht konkludent Bezug auf die Ergebnisse des Produkts der Klägerin in der
Langzeitstudie in Schweden. Da die Fachkreise aufgrund der unterschiedlichen
Kennzeichnung keiner Herkunftstäuschung bei den Produkten der Parteien un-
terliegen, liegt in der Gestaltung des Femur-Teils "AS-PLUS" der Beklagten al-
lein keine - auch keine schlüssige - Bezugnahme auf die wissenschaftliche Stu-
die aus Schweden, die sich zur Hüftgelenks-Prothese "SPII" der Klägerin ver-
hält.
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III. Das Berufungsurteil kann daher nicht aufrechterhalten werden (§ 562
ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht
zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird im
wiedereröffneten Berufungsrechtszug die notwendigen Feststellungen dazu zu
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treffen haben, ob das beanstandete Produkt der Beklagten nicht denselben
oder jedenfalls nicht im Wesentlichen denselben Qualitätsmaßstäben entspricht
wie das Erzeugnis der Klägerin.
Bornkamm
Büscher
Schaffert
Bergmann
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 04.07.2006 - 407 O 13/06 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 24.07.2008 - 3 U 2/07 -