Urteil des BGH vom 26.05.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 597/08
vom
26. Mai 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
BGHR: ja
______________________
StPO § 261
Zum Beweiswert einer mitochondrialen DNA-Analyse, ggf. in Kombination mit dem
Ergebnis der Analyse von Kern-DNA.
BGH, Urt. vom 26. Mai 2009 - 1 StR 597/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
- 2 -
wegen versuchten Mordes u.a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Mai 2009,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-
gerichts Landshut vom 20. Juni 2008 mit den Feststellungen auf-
gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-
richt zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des tateinheitlich mit
Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung begangenen versuchten
Mordes freigesprochen, weil es sich von seiner Täterschaft nicht hat überzeu-
gen können. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der
Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat
Erfolg.
1
I.
1. Nach den Feststellungen wurde die zum Tatzeitpunkt 75 Jahre alte
M. K. am 24. Februar 1990 zwischen 5.15 Uhr und 5.30 Uhr (oder
2
- 5 -
aber eine Stunde später) in der D. straße von einem Mann von
hinten gepackt und auf dem Parkplatz der dortigen Firma Minimal in eine Ni-
sche zwischen Eingang und Einkaufswagenunterstand gezogen. Dort führte der
die Geschädigte mit dem Tode bedrohende Mann gegen deren Willen stehend
von hinten etwa fünf Minuten den vaginalen Geschlechtsverkehr aus, ohne zum
Samenerguss zu kommen. Im Anschluss schlug er der Geschädigten, die
daraufhin stark blutend zu Boden ging, mehrfach mit einer Eisenstange auf den
Kopf, da er sie töten wollte, damit die zuvor begangene Vergewaltigung nicht
entdeckt werde. Die bewusstlos gewordene M. K. erlitt durch die Tat
eine offene Schädelimpressionsfraktur, mehrere Frakturen der rechten Hand
sowie multiple Stich- und Schnittverletzungen. Sie erwachte erst drei Tage spä-
ter im Krankenhaus, in dem sie noch etwa einen Monat stationär behandelt
werden musste, und litt bis zu ihrem Tod am 12. Juni 2003 unter erheblichen
Tatfolgen.
Die D. straße kreuzt die Straßen, in denen zur Tatzeit der Angeklagte
und seine Freundin G. M. ihre jeweilige Wohnung hatten. Nach
der Einschätzung der Geschädigten fühlte sich die Jacke des Täters nach Le-
der an. Dieser hatte sie „ziemlich sicher“ bereits kurz zuvor mit niederbayeri-
schem Dialekt angesprochen, nachdem er an der nahe gelegenen Deltin-
Tankstelle aus einem „vermutlich roten Auto mit flachem Heck“ ausgestiegen
war. Der Mann war etwas größer als die Geschädigte und trug einen Oberlip-
penbart, braune Wildlederstiefel sowie eine blaue Jeans.
3
2. Der festgestellte Tatverlauf entspricht dem Anklagevorwurf. Das Land-
gericht hat sich jedoch nicht davon überzeugen können, dass der in der Haupt-
verhandlung zur Person und zur Sache schweigende Angeklagte der Täter war.
4
- 6 -
a) Als auf dessen Täterschaft hindeutende Indizien hat es allerdings an-
gesehen, dass
5
- der Angeklagte zur Tatzeit wenige Gehminuten vom Tatort entfernt
wohnte,
- in der Regel Jeans sowie braune Stiefel und „immer wieder“ einen
Oberlippenbart trug,
- seine Arbeit in einer Diskothek häufig in den frühen Morgenstunden en-
dete und er dann des Öfteren von seinem Freund C. G. in
dessen rotem Ford Taunus mitgenommen sowie an der nahe dem Tat-
ort gelegenen Deltin-Tankstelle abgesetzt wurde,
- er während des Ermittlungsverfahrens darauf gedrängt hat, der Polizei
zu erklären, dass eine ggf. von ihm stammende Blutspur durch den Tä-
ter eines zuvor auf ihn verübten Überfalls zum Tatort auf dem Gelände
der Firma Minimal gelangt sein könnte, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt
seitens des Vernehmungsbeamten von der dortigen tatsächlichen Spu-
renlage noch nichts mitgeteilt worden war,
- er im Zusammenhang mit diesem Überfall wahrheitswidrig angegeben
hat, seine Nase sei ihm durch C. G. wieder eingerenkt wor-
den,
- die „eher seltene“ mitochondriale DNA (mtDNA) des Angeklagten mit
zwei an der Kleidung M. K. s gefundenen Schamhaaren des
Täters übereinstimmt und
- der Angeklagte u.a. wegen eines Gewaltdelikts (räuberischer Angriff auf
Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub) vorbestraft ist.
- 7 -
b) Diese Umstände hat das Landgericht jedoch im Rahmen einer Ge-
samtwürdigung als nicht ausreichend bewertet, eine Verurteilung des Angeklag-
ten zu tragen, auch wenn „das Aussageverhalten bei der Polizei und die Ent-
stellung des Sachverhalts bezüglich der Nasenverletzung … den Angeklagten
natürlich“ belasteten. „Wohnort, Kleidung, Ausstiegsstelle und Autofarbe könn-
ten auf bloßem zufälligem Zusammentreffen beruhen.“ Die Einschätzungen der
Geschädigten zu Größe, Alter und Aussehen des Täters hätten „nicht überzeu-
gend“ mit dem äußeren Erscheinungsbild des Angeklagten zur Tatzeit „in Ein-
klang gebracht werden“ können. Die „Tatkonstellation inklusive der Lichtverhält-
nisse“ habe „eine Einschränkung des Wahrnehmungsvermögens“ bedingt. Der
Angeklagte habe einen „fränkischen Zungenschlag“, während die Geschädigte
einen niederbayerischen Dialekt beschrieben habe, der „vom Angeklagten nicht
gebraucht“ worden sei. Darüber hinaus habe der Angeklagte „bei dem angebli-
chen Überfall auf ihn … wohl eine Jeansjacke“ getragen, „während M.
K. eine Lederjacke ertastete“. Schließlich hat das Landgericht das Er-
gebnis der mitochondrialen DNA-Untersuchung als „nur begrenzt beweiswertig“
eingestuft.
6
II.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
7
1. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an sei-
ner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsge-
richt in der Regel hinzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsge-
richt angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hät-
te. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatgericht ge-
8
- 8 -
troffene Feststellung „lebensfremd“ erscheinen mag. Es gibt im Strafprozess
keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf der Gewissheit des Richters,
sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.
Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft,
wenn sie von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lücken-
haft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie wider-
sprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfah-
rungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit
überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. vom
22. Mai 2007 - 1 StR 582/06 -; BGH NJW 2005, 1727; BGH NStZ-RR 2003,
371). Aus den Urteilsgründen muss sich zudem ergeben, dass die einzelnen
Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Ge-
samtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 206, 207; BGHR
StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11 und 24, Überzeugungsbildung 30; BGH
NStZ 2000, 48).
9
2. Hieran gemessen, unterliegt die landgerichtliche Beweiswürdigung
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht hat nicht hinrei-
chend dargelegt, weshalb als Ergebnis seiner Gesamtabwägung „die Anzei-
chen, die dem Angeklagten zugute kamen bzw. seine Täterschaft nicht zur
Überzeugung der Kammer belegten“, überwogen. Es ist vielmehr zu besorgen,
dass das Landgericht einigen entlastenden Umständen zu großes Gewicht
(a. bis c.) und dem Ergebnis der mitochondrialen DNA-Untersuchung einen zu
geringen Beweiswert (d.) zugemessen hat.
10
a) Das Landgericht hat bei den Erwägungen zur Täterbeschreibung
durch die Geschädigte seine Bewertung, deren Angaben seien schon hinsicht-
11
- 9 -
lich der Größe des Täters nicht genügend konstant gewesen, nicht belegt. In-
soweit führt es aus, die Geschädigte habe den Täter in der Vernehmung durch
die Ermittlungsrichterin am 5. März 1990 auf ca. 1,70 m geschätzt, gegenüber
ihrer Tochter, die sie im Krankenhaus mehrfach besucht hat, geäußert, der Tä-
ter habe die Größe des behandelnden Arztes (1,72 m) gehabt, und in einer po-
lizeilichen Vernehmung am 27. März 1991 angegeben, der Täter sei etwas grö-
ßer als sie selbst (1,60 m) gewesen. Eine relevante Abweichung der Größen-
angaben lässt sich dem nicht entnehmen. Dies gilt auch deshalb, weil die Ge-
schädigte die Größe des Täters - wie das Landgericht ausdrücklich festgestellt
hat - nach eigenem Bekunden nur geschätzt, sich also nicht auf eine genau be-
stimmte Körperlänge festgelegt hat.
In diesem Zusammenhang führt das Landgericht zudem aus, dass der
etwa 1,78 m große Angeklagte - wäre er der Täter gewesen - die Geschädigte
„deutlich, nämlich um fast einen Kopf überragt“ hätte, weil er „unter Berücksich-
tigung, dass der Täter auch noch Stiefeletten trug, die ihn um wenige Zentime-
ter erhöhten“, „wohl mehr als 1,80 m groß gewesen“ wäre. Bei dieser verglei-
chenden Berechnung bleibt außer Betracht, dass die sich auf dem Weg zur Kir-
che befindliche Geschädigte nahe liegend ebenfalls Schuhe trug.
12
b) Dem landgerichtlichen Ergebnis, der von der Geschädigten als „nie-
derbayerisch“, aber auch als „bayerisch“ beschriebene Dialekt des Täters sei
„vom Angeklagten nicht gebraucht“ worden, liegt keine umfassende Beweis-
würdigung zugrunde. Insoweit hat das Landgericht ausdrücklich auf das letzte
Wort des Angeklagten abgestellt. Diesem sei „jedenfalls zu entnehmen“ gewe-
sen, dass der Angeklagte „keine ausgeprägte niederbayerische Mundart
spricht“. Diese Formulierung lässt die Deutung zu, dass es sich um eine Aus-
sprache gehandelt hat, die zumindest Anklänge an den niederbayerischen Dia-
13
- 10 -
lekt aufwies. Ob das letzte Wort insoweit überhaupt aussagekräftig gewesen ist,
kann allerdings nicht beurteilt werden, da dessen Umfang nicht mitgeteilt wird.
Außerdem verdeutlicht das Landgericht nicht, ob ihm bei seiner Einschätzung
bewusst war, dass innerhalb der mehr als 18 Jahre, die seit der Tat bis zur
Hauptverhandlung verstrichen sind, sprachliche Modifikationen erfolgt sein kön-
nen. Schließlich bleibt bei der Gesamtwürdigung außer Betracht, dass die als
glaubwürdig angesehene Zeugin G. M. bekundet hat, der Ange-
klagte „habe in der Zeit ihres Zusammenseins gemischt niederbayerisch, aber
eher mehr fränkisch gesprochen“, und auch der Zeuge C. G. angege-
ben hat, die Sprachfärbung sei „ein bisschen bayerisch und ein bisschen frän-
kisch“ gewesen.
Zudem besorgt der Senat, dass das Landgericht bei der Würdigung der
Angaben der Geschädigten zur Mundart des Täters von einem unzutreffenden
Maßstab ausgegangen ist. Während es namentlich bei den Angaben zur Größe
und zur Barttracht des Täters nachvollziehbar (vgl. BGHR StPO § 261 Identifi-
zierung 16) als verständlich angesehen wird, dass die Geschädigte „während
der Vergewaltigung auf derartige Details nicht achtete, sondern von der grau-
envollen Situation gefangen war“, nimmt das Landgericht ohne Weiteres an,
dass „Worte, vernommen in beängstigender Lage, … sehr wohl im Gedächtnis
haften bleiben“ können. Einer Begründung dieser divergierenden Einschätzung
hätte es bereits deshalb bedurft, weil Menschen generell zu auditiver Wahr-
nehmung geringer befähigt sind als zu visueller und speziell bei Dialektstimmen
die Differenzierungsmöglichkeiten im Allgemeinen zusätzlich begrenzt sind (vgl.
Eisenberg, Beweisrecht der StPO 6. Aufl. Rdn. 1395, 1398).
14
c) Soweit das Landgericht in seiner zusammenfassenden Würdigung an-
nimmt, der Angeklagte habe „bei dem angeblichen Überfall auf ihn … wohl eine
15
- 11 -
Jeansjacke“ getragen, „während M. K. eine Lederjacke ertastete“,
beruht dies ebenfalls nicht auf einer erschöpfenden Auswertung der maßgebli-
chen Umstände. Die angestellten Überlegungen, „Leder und Jeansstoff fühlen
sich unterschiedlich an“, so dass „die als lebenstüchtig beschriebene M.
K. diese Verschiedenheit bemerkt hätte“, lassen wiederum die beängsti-
gende Tatsituation außer Acht. Abgesehen davon, dass nicht mitgeteilt wird, bei
welcher Gelegenheit und wie lange die Geschädigte das Material der Jacke hat
erfühlen können, hätte erörtert werden müssen, ob deren Wahrnehmungsfähig-
keit auch insofern eingeschränkt gewesen sein könnte. Ferner hatte der Ange-
klagte gegenüber der Polizei zwar angegeben, er hätte „im Winter eine Jeans-
jacke besessen“, zugleich aber bestätigt, zu seiner Kleidung hätte auch eine
schwarze Lederjacke gehört.
d) Soweit das Landgericht das Ergebnis der mitochondrialen DNA-
Untersuchung als „nur begrenzt beweiswertig“ eingestuft und es daher als „kein
durchschlagendes Indiz für die Täterschaft des Angeklagten“ angesehen hat,
genügen die Urteilsgründe den an die diesbezügliche Beweiswürdigung zu stel-
lenden Anforderungen ebenfalls nicht.
16
Ihnen lässt sich insoweit entnehmen, dass den beiden an der Kleidung
der Geschädigten gesicherten Schamhaaren zum Zeitpunkt der aktuellen Un-
tersuchung keine Wurzel mehr angehaftet und deshalb keine Kern-DNA zur
Verfügung gestanden habe. Es sei daher auf die mitochondriale DNA zurück-
gegriffen worden. Die Untersuchung habe für beide Haare dieselbe Sequenz
erbracht, die wiederum mit derjenigen des Angeklagten übereingestimmt habe.
Eine Sequenz mitochondrialer DNA sei jedoch nicht einzigartig, sondern werde
- von Mutationen abgesehen - in ihrer Gesamtheit von einer Mutter auf ihre Kin-
der und dann wiederum von den Töchtern weitergegeben. Die Häufigkeit einer
17
- 12 -
Sequenz werde daher anders als bei der Kern-DNA durch einen Abgleich mit
einer Datenbank bestimmt. Für die westeurasische Bevölkerung existiere eine
Datenbank in Innsbruck, in der zum Zeitpunkt des Urteils 3.830 Individuen er-
fasst gewesen seien. Die vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat
dargelegt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Sequenz werde in der Datenbank
vorhanden sein, umso geringer ist, je seltener sie in der Bevölkerung gegeben
sei. Die Sequenz des Angeklagten sei in der Datenbank bislang nicht erfasst,
weswegen sie „eher selten“ sei.
aa) Das Landgericht hat die Datenbank in Innsbruck, die „die gesamte
westeurasische Bevölkerung erfassen, also eine Zielgruppe von vielen Millionen
Individuen abbilden“ soll, als „nicht repräsentativ“ angesehen. Mit 3.830 Daten-
sätzen lasse sich „keine Wahrscheinlichkeit herleiten, auf die … eine Verurtei-
lung gestützt werden könnte“. Diese Einschätzung begegnet in zweifacher Hin-
sicht rechtlich erheblichen Einwänden:
18
Zum einen deutet die vom Landgericht gewählte Formulierung darauf
hin, dass es an den Beweiswert, der einem belastenden Indiz zukommen muss,
zu hohe Anforderungen gestellt hat. Insofern ist es nämlich nicht erforderlich,
dass schon ein einzelnes Beweisanzeichen für sich allein dem Richter die volle
Gewissheit verschafft, weil für die gerichtliche Überzeugung bei - wie hier -
mehreren auf die entscheidungserhebliche Tatsache hindeutenden Indizien die
Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände maßgebend ist (vgl. BGH
NJW 2008, 2792, 2794). Für diese können aber auch Umstände, die nur eine
gewisse Wahrscheinlichkeit für eine entscheidungserhebliche Tatsache be-
gründen, herangezogen werden (vgl. BGH JR 1975, 34).
19
- 13 -
Das Urteil lässt zum anderen nicht erkennen, ob das Landgericht bei sei-
ner Bewertung von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist. Dies
gilt namentlich im Hinblick darauf, dass die Innsbrucker Datenbank nach den
Angaben der Sachverständigen mit „Prüfungsmechanismen“ und „Sicherheits-
regularien“ versehen ist und von mehreren Instituten getragen wird. Insofern
wird aber vom Landgericht nichts Näheres mitgeteilt. Dies wäre jedoch erforder-
lich gewesen. Zwar bedarf es bei ständig wiederkehrenden Sachverständigen-
fragen, die wegen ihrer Häufigkeit in der gerichtlichen Praxis allen Beteiligten
geläufig sind, regelmäßig keiner näheren Erörterung, sofern - wie beispielswei-
se bei der Daktyloskopie, der Blutalkoholanalyse oder bei der Bestimmung von
Blutgruppen - standardisierte Untersuchungsmethoden verwendet werden. Um
eine solche handelt es sich aber bei der mitochondrialen DNA-Analyse bislang
nicht, so dass die Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar hätten mitgeteilt wer-
den müssen (vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107 m.w.N.).
20
In diesem Zusammenhang wird zudem nicht deutlich, ob auch die Sach-
verständige die Repräsentativität der Datenbank skeptisch beurteilt hat. Hierge-
gen könnte sprechen, dass infolge der - grundsätzlich - unveränderten Verer-
bung der mitochondrialen Sequenzen in der weiblichen Linie die Erfassung ei-
ner relativ geringen Zahl von unterschiedlichen Datensätzen ausreichend sein
könnte, um eine wesentlich größere Gesamtmenge von Individuen repräsenta-
tiv darzustellen. Sollte jedoch die Sachverständige, deren Kompetenz das
Landgericht nicht in Zweifel gezogen hat und der es an anderer Stelle aus-
drücklich gefolgt ist, die Datenbank als repräsentativ eingestuft haben, wäre
dies in den Urteilsgründen näher darzulegen gewesen. Zwar ist es einem Tat-
gericht unbenommen, bei seiner Beweiswürdigung von der Ansicht eines Sach-
verständigen abzuweichen. Dann muss es aber die Argumente des Sachver-
ständigen, dessen Rat es bei der Beauftragung für erforderlich hielt, so weit
21
- 14 -
erörtern und mit eigenen Gründen so widerlegen, dass ersichtlich wird, dass es
das von ihm nunmehr beanspruchte bessere Sachwissen auf dem zur Erörte-
rung stehenden Teilbereich des fremden Wissensgebietes zu Recht für sich in
Anspruch nimmt (vgl. BGH NStZ-RR 2006 242, 243; BGH, Urt. vom 20. März
2008 - 4 StR 5/08). Hieran würde es fehlen.
bb) Durchgreifenden Bedenken begegnet es auch, dass das Landgericht
„die Maßgeblichkeit der Sammlung von mtDNA-Sequenzen“ durch das weibli-
che Vererbungsmuster als „getrübt“ angesehen hat. Zwar trifft die zur Begrün-
dung angeführte Überlegung, dass sich hierdurch bestimmte Sequenzen lokal
konzentrieren können, grundsätzlich zu. Es wäre jedoch - worauf der General-
bundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - zu erörtern gewesen, ob dieser Ein-
wand im konkreten Fall überhaupt bedeutsam sein kann. Dies wäre in Betracht
gekommen, wenn die vom Landgericht erwogene Konzentration namentlich in
Landshut und Umgebung hätte festgestellt werden können. Zum Lebenslauf der
Mutter (oder früherer weiblicher Vorfahren) des im fränkischen Lauf a. d. Peg-
nitz geborenen Angeklagten enthält das Urteil jedoch keine Angaben. Ein Tat-
gericht ist aber nicht gehalten, einen Umstand zugunsten des Angeklagten zu
unterstellen, für den ein realer Anknüpfungspunkt fehlt, bei dem es sich folglich
nur um eine abstrakt-theoretische Möglichkeit handelt (vgl. BGH, Urt. vom 20.
Oktober 2004 - 1 StR 232/04).
22
cc) Der Senat kann daher nicht prüfen, ob das Landgericht den Umstand,
dass die mitochondriale DNA des Angeklagten mit derjenigen der gesicherten
Schamhaare übereinstimmt und von der Sachverständigen als „eher selten“
angesehen wurde, mit dem zutreffenden Beweiswert in seine Gesamtwürdigung
eingestellt hat. Dies erscheint zweifelhaft, zumal das Landgericht in diesem Zu-
sammenhang ausgeführt hat, die Einschätzung der Sachverständigen beruhe
23
- 15 -
„auf einer wissenschaftlichen Herangehensweise. Für einen Schuldspruch“ wä-
ren - hier nach Ansicht des Landgerichts nicht gegebene - „andere Kriterien an-
zulegen, unter anderem eine Bevölkerungsabgrenzung und die Größe des Pro-
bandenkreises, die in ein charakteristisches Vergleichsmaterial Eingang finden“
müssten. Diese Erwägung ist schon für sich genommen ohne nähere Erläute-
rung, welche fehlt, kaum verständlich. Die vorgenommene Gegenüberstellung
lässt zudem besorgen, das Landgericht könnte nicht hinreichend bedacht ha-
ben, dass es sich bei seiner Beweiswürdigung über gesicherte wissenschaftli-
che Erkenntnisse nicht hinwegsetzen darf (vgl. BGHR StPO § 261 Erfahrungs-
satz 3 bis 5).
III.
Auf diesen Beweiswürdigungsmängeln kann das Urteil beruhen. Der Se-
nat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei ihrer Vermeidung die
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte. Jedenfalls
in ihrer Gesamtheit führen sie deshalb dazu, dass die Sache erneut verhandelt
und entschieden werden muss.
24
Dabei wird das für die Bestimmung des Beweiswertes der mitochondria-
len DNA-Analyse maßgebliche Vergleichsmaterial einer sorgfältigen Bewertung
bedürfen. Insofern wird sich die Beauftragung eines biostatistischen Sachver-
ständigen empfehlen (vgl. BGH NStZ 2000, 106, 107; s. auch BGHSt 38, 320,
322 f.). Sollte dieser auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnis-
standes keine statistisch verlässlich abgesicherte Quantifizierung vornehmen
können, würde dies nicht dazu führen, dass dem Ergebnis der mitochondrialen
Untersuchung jeglicher Beweiswert abzusprechen wäre. Dieses wäre vielmehr
25
- 16 -
mit der ihm zukommenden Ungewissheit in die Gesamtwürdigung einzustellen
(vgl. BGH StV 1996, 251 zu untersuchten Faserspuren).
Ferner wird zu bedenken sein, dass - wie sich aus den Urteilsgründen
ergibt - eines der beiden Schamhaare ursprünglich eine Wurzel hatte, die vom
Bayerischen Landeskriminalamt zur Untersuchung der Kern-DNA verwendet,
hierbei allerdings verbraucht wurde. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit zu
der Prüfung haben, ob das dabei erzielte Ergebnis noch mit der Kern-DNA des
Angeklagten verglichen werden kann, auch wenn das damals genutzte D1S80-
System seit mehr als elf Jahren nicht mehr verwendet und produziert wird. Inso-
fern wird es nahe liegen, sich der Hilfe des Bundeskriminalamtes zu bedienen.
26
- 17 -
Sollte der genannte Vergleich durchgeführt werden können, wird der Fra-
ge nachzugehen sein, ob die Untersuchungsergebnisse der Kern-DNA einer-
seits und der mitochondrialen DNA andererseits im Sinne der Produktregel der-
gestalt voneinander unabhängig sind (vgl. hierzu BGHSt 38, 320, 323; BGH
NStZ 1992, 601, 602), dass sie als Faktoren - mit der Folge eines ggf. deutlich
gesteigerten Beweiswertes - miteinander kombiniert werden können.
27
Nack Wahl Graf
Jäger Sander