Urteil des BGH vom 28.05.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 34/05
vom
28. Mai 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 645, 646, 652; BGB § 288
a) Wird ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren teilweise
zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen der §§ 645, 646 Abs. 1 ZPO insoweit
fehlen, kann der Antragsteller unter den Voraussetzungen des § 652 ZPO gegen
den erlassenen Festsetzungsbeschluss sofortige Beschwerde einlegen; § 646
Abs. 2 Satz 3 ZPO steht der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde bei einer
Teilzurückweisung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn ansonsten bei einer Auf-
splitterung der Kompetenzen zur Entscheidung über ein Rechtsmittel des An-
tragstellers (Erinnerung) und des Antragsgegners (Beschwerde) in der gleichen
Sache die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht (Fortführung des Se-
natsbeschlusses vom 28. Mai 2008 - XII ZB 104/06 - zur Veröffentlichung be-
stimmt).
b) Unterhaltsschulden sind beim Vorliegen des Schuldnerverzuges gemäß § 288
Abs. 1 BGB wie andere Geldschulden zu verzinsen.
c) Im vereinfachten Verfahren können gesetzliche Verzugszinsen ab dem Zeitpunkt
der Zustellung des Festsetzungsantrages (§ 647 Abs. 1 ZPO) auf den zu dieser
Zeit rückständigen Unterhalt festgesetzt werden; die Festsetzung künftiger Ver-
zugszinsen ist ausgeschlossen.
BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 - XII ZB 34/05 - OLG Koblenz
AG
Simmern
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Mai 2008 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr.
Hahne und die Richter Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz, Prof. Dr. Ahlt und Dose
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 7. Zivilsenats - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlan-
desgerichts Koblenz vom 3. Februar 2005 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Simmern vom 9. Dezember 2004
unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
„Der aufgrund der Unterhaltsvorschussleistungen des Antragstel-
lers an das Kind Alexandra A. , geboren am 7. Juli
2000, von dem Antragsgegner an den Antragsteller monatlich im
Voraus zum ersten eines jeden Monats zu zahlende Kindesunter-
halt wird wie folgt festgesetzt:
- ab 1. November 2004 auf 100 % des jeweiligen Regelbetrages
der ersten Altersstufe gemäß § 1 RegelbetragVO abzüglich des
jeweiligen hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind,
- ab 1. Juli 2006 auf 100 % des jeweiligen Regelbetrages der zwei-
ten Altersstufe gemäß § 1 RegelbetragVO abzüglich des jeweili-
gen hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind,
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- ab 1. Januar 2008 auf 76,1 % des jeweiligen Mindestunterhalts
der 2. Altersstufe nach § 36 Nr. 4 EGZPO, § 1612 a BGB abzüg-
lich des jeweiligen hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind.
Die Festsetzung des laufenden Unterhalts erfolgt unter der Bedin-
gung, dass der Antragsteller Unterhaltsvorschussleistungen für
das Kind erbringt. Der Nachweis der Zahlung des Unterhaltsvor-
schusses kann durch eine einfache Bestätigung der Kreiskasse
über den gezahlten Unterhaltsvorschuss erfolgen.
Der von dem Antragsgegner an den Antragsteller zu zahlende Un-
terhaltsrückstand für die Zeit vom 1. April 2004 bis zum 31. Okto-
ber 2004 wird auf 854,00 Euro festgesetzt. Der festgesetzte Un-
terhaltsrückstand ist mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszins-
satz gemäß § 247 BGB seit dem 3. November 2004 zu verzinsen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.“
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwer-
deverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf bis zu 300 € festgesetzt.
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Gründe:
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1. Der Antragsteller (im Folgenden: die Unterhaltsvorschusskasse) er-
bringt für die Tochter des Antragsgegners seit dem Jahre 2004 laufend Leistun-
gen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Die Rechtspflegerin bei dem
Amtsgericht – Familiengericht – setzte auf Antrag der Unterhaltsvorschusskas-
se im vereinfachten Verfahren nach §§ 645 ff. ZPO durch Beschluss vom
9. Dezember 2004 den an das Land zu zahlenden rückständigen und laufenden
Kindesunterhalt gegen den Antragsgegner fest. Den weitergehenden Antrag der
Unterhaltsvorschusskasse, den zugunsten des Landes festgesetzten Unterhalt
„ab Rechtshängigkeit“ mit einem jährlichen Zinssatz von 5 % über dem Basis-
zinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen, wies die Rechtspflegerin zurück.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendete sich die Unterhaltsvorschuss-
kasse dagegen, dass das Amtsgericht es abgelehnt hat, im vereinfachten Ver-
fahren Verzugszinsen festzusetzen. Das Oberlandesgericht, dessen Entschei-
dung in FamRZ 2005, 2000 f. veröffentlicht ist, wies die Beschwerde zurück.
Hiergegen richtet sich die von dem Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbe-
schwerde, mit der die Unterhaltsvorschusskasse ihr Begehren weiterverfolgt.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
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Gegen Beschlüsse des Beschwerdegerichts kann der Bundesgerichtshof
in den Fällen des § 574 Abs. 1 ZPO angerufen werden. Danach ist die Rechts-
beschwerde statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574
Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder wenn das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde in
dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Eine
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ausdrückliche Bestimmung bezüglich der Rechtsbeschwerde gegen Beschwer-
deentscheidungen nach § 652 Abs. 1 ZPO enthält das Gesetz nicht, so dass
die Rechtsbeschwerde in diesen Fällen nur dann stattfinden kann, wenn sie das
Beschwerdegericht - wie auch im vorliegenden Fall - zugelassen hat.
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An die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht
ist der Senat unter den hier vorliegenden Umständen gebunden. Der Bin-
dungswirkung steht nicht entgegen, dass etwa bereits die Erstbeschwerde zum
Oberlandesgericht unzulässig gewesen wäre (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse
BGHZ 159, 14, 15 und vom 11. Mai 2005 - XII ZB 189/03 - FamRZ 2005, 1481;
BGH Beschluss vom 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02 - NJW 2004, 1112,
1113). Mit Recht hat das Oberlandesgericht die Erstbeschwerde der Unter-
haltsvorschusskasse als zulässig angesehen.
1. Allerdings ist eine Zurückweisung des Festsetzungsantrages, die auf
dem Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen für das vereinfachte Verfahren
gemäß §§ 645, 646 Abs. 1 ZPO beruht, gemäß § 646 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht
anfechtbar. Soweit es die Rechtspflegerin im vorliegenden Fall abgelehnt hat,
die beantragten Zinsen zugunsten des Landes festzusetzen, folgt diese Zu-
rückweisung daraus, dass die Geltendmachung von Zinsen als im vereinfachten
Verfahren unzulässig angesehen wurde. Eine Beschwerde der Unterhaltsvor-
schusskasse gegen die Zurückweisungsentscheidung der Rechtspflegerin
müsste daher im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit nach § 646 Abs. 2 Satz 3
ZPO an sich als unstatthaft angesehen werden.
6
Indessen entspricht es wohl überwiegender Auffassung, dass § 646
Abs. 2 Satz 3 ZPO nur solche Fälle erfasst, in denen der Festsetzungsantrag
insgesamt zurückgewiesen worden ist; handelt es sich dagegen - wie im vorlie-
genden Fall - um eine bloße Teilzurückweisung, muss dem Antragsteller nach
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dieser Ansicht die Beschwerde zum Oberlandesgericht eröffnet bleiben (vgl.
Johannsen/Henrich/Voßkuhle Eherecht 4. Aufl. § 652 ZPO Rdn. 3; Baumbach/
Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 66. Aufl. § 646 Rdn. 18; Thomas/Putzo/
Hüßtege ZPO 28. Aufl. § 646 Rdn. 6). Dieser Auffassung ist jedenfalls für den
vorliegenden Fall zuzustimmen, wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt:
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Gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die ein Rechtsmittel
nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht gegeben ist, fin-
det die Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG statt. Ein Rechtsmittel im Sin-
ne dieser Vorschrift ist auch - und insbesondere - dann nicht gegeben, wenn ein
solches Rechtsmittel wegen Unanfechtbarkeit der Ausgangsentscheidung nicht
statthaft ist. Dem Antragsteller ist aus diesem Grunde bei einer Zurückweisung
des Festsetzungsantrages wegen Fehlens der in §§ 645, 646 Abs. 1 ZPO be-
zeichneten Verfahrensvoraussetzungen die befristete Erinnerung eröffnet, über
die der Familienrichter im Falle der Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger ab-
schließend entscheidet (allg. Meinung; vgl. Johannsen/Henrich/Voßkuhle aaO
§ 646 Rdn. 22; Wendl/Thalmann, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterli-
chen Praxis 6. Aufl. § 8 Rdn. 331a; Zöller/Philippi ZPO 26. Aufl. § 646 Rdn. 13;
vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. Mai 2008 - XII ZB 104/06 -; zur Veröffentli-
chung bestimmt). Allerdings ist dann, wenn im Falle der bloßen Teilzurückwei-
sung des Festsetzungsantrages die Gefahr besteht, dass die Überprüfung des
Festsetzungsbeschlusses durch den Familienrichter (auf eine Erinnerung des
Antragstellers) und durch das Oberlandesgericht (auf eine Beschwerde des An-
tragsgegners) zu widersprechenden Entscheidungen führen könnte, eine Zu-
sammenführung der Entscheidungskompetenzen geboten und dem Antragstel-
ler unbeschadet des § 646 Abs. 2 Satz 3 ZPO die sofortige Beschwerde als
statthaftes Rechtsmittel zu eröffnen.
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So liegt der Fall auch bei der Ablehnung der Festsetzung von Verzugs-
zinsen. Würde der Familienrichter im Rahmen einer befristeten Erinnerung mit
der Frage der Zulässigkeit einer Festsetzung von Zinsen im vereinfachten Ver-
fahren befasst, könnte etwa die Konstellation entstehen, dass der Familienrich-
ter auf die Erinnerung des Antragstellers Verzugszinsen auf Unterhaltsrück-
stände festsetzt, die nach einer zugunsten des Antragsgegners ergehenden
Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts nicht bestehen. Das Ober-
landesgericht ist daher im Ergebnis zu Recht von der Statthaftigkeit der Erstbe-
schwerde ausgegangen.
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2. Aus dem Umstand, dass der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss nicht
gemäß § 646 Abs. 2 Satz 3 ZPO unanfechtbar, sondern die sofortige Be-
schwerde gegen die Entscheidung des Rechtspflegers nach § 652 Abs. 1 ZPO
statthaft ist, lässt sich aber nicht folgern, dass dem Antragsteller eines verein-
fachten Verfahrens in diesen Fällen die sofortige Beschwerde ohne Bindung an
die Beschwerdegründe des § 652 Abs. 2 ZPO eröffnet ist. Die besonderen Zu-
lässigkeitsvoraussetzungen des § 652 Abs. 2 ZPO gelten in jedem Fall auch für
die Beschwerde des Antragstellers (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 28. Mai
2008 - XII ZB 104/06 - mit weiteren Nachweisen; zur Veröffentlichung be-
stimmt). Sie sind im vorliegenden Fall indessen gegeben, da die Frage der
Festsetzbarkeit von Zinsen eine Einwendung hinsichtlich der Zulässigkeit des
vereinfachten Verfahrens (§ 648 Abs. 1 ZPO) und damit einen zulässigen An-
fechtungsgrund nach § 652 Abs. 2 ZPO betrifft.
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III.
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde teilweise Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Rechts-
pflegerin habe es zu Recht abgelehnt, die beantragten Verzugszinsen festzu-
setzen. Das Gesetz sehe in den Vorschriften über das vereinfachte Verfahren
lediglich die Festsetzung von Unterhalt (§ 646 Abs. 1 Nr. 4 bis Nr. 6 ZPO) sowie
der im Verfahren entstandenen Kosten (§ 649 Abs. 1 ZPO) vor. Das vereinfach-
te Verfahren sei auf größtmögliche Vereinfachung und Beschleunigung ausge-
richtet, weshalb es in weitem Umfang formalisiert sei und den Rechtspfleger
von wertenden Beurteilungen freistelle. Damit sei es unvereinbar, wenn im ver-
einfachten Verfahren geklärt werden müsse, welche Nebenforderungen (Ver-
zugszinsen, Mahnkosten) zuerkannt werden könnten. Auch solle der Rechts-
pfleger im vereinfachten Verfahren hinsichtlich der Verzugszinsen nicht zu prü-
fen haben, ob eine ordnungsgemäße Mahnung vorliege und ob der Höhe nach
nur die gesetzlichen Mindestzinsen (§ 288 Abs. 1 BGB) oder ein höherer Ver-
zugszins zugesprochen werden könne. Hinsichtlich der Verzugszinsen auf die
noch nicht fälligen Unterhaltsbeträge könne der Rechtspfleger zudem nicht be-
urteilen, ob die prozessualen Voraussetzungen gegeben seien, unter denen
künftige Verzugszinsen zugesprochen werden könnten.
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Die von dem Antragsteller begehrte Verzinsung ab Rechtshängigkeit
könne im vereinfachten Verfahren auch deshalb nicht ausgesprochen werden,
weil die Einleitung des vereinfachten Verfahrens keine Rechtshängigkeit herbei-
führe, sondern eine Rechtshängigkeit gemäß § 651 Abs. 3 ZPO lediglich bei
Überleitung in das streitige Verfahren - dann allerdings mit Rückwirkung auf die
Zustellung des Festsetzungsantrages - eintrete.
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Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punk-
ten stand.
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2. Die Geltendmachung von Zinsen im vereinfachten Verfahren wird nicht
bereits dadurch ausgeschlossen, dass nach dem Wortlaut der §§ 645 Abs. 1,
646 Abs. 1 Nr. 4 bis Nr. 6 ZPO auf Antrag nur der „Unterhalt eines minderjähri-
gen Kindes“ gegen den in Anspruch genommenen Elternteil festzusetzen ist.
Damit ist lediglich klargestellt, dass ein vereinfachtes Unterhaltsfestsetzungs-
verfahren in der Hauptsache nur Unterhaltsansprüche eines minderjährigen
Kindes zum Gegenstand haben kann. Es entspricht demgegenüber einem all-
gemeinen zivilprozessualen Grundsatz (vgl. § 4 Abs. 1, 2. Halbs. ZPO), dass
Nebenforderungen - mithin solche Forderungen, die von der eingeklagten
Hauptsache abhängig sind - im Verfahren ohne Erhöhung des Streitwerts und
damit ohne zusätzliche Kosten neben der Hauptsache geltend gemacht werden
können. Gerade in einem Verfahren, welches auch der Kostenersparnis dienen
soll, kann es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, die Titulierung
von kostenrechtlich privilegierten Nebenforderungen in jedem Falle auszu-
schließen und den Gläubiger nur wegen dieser Nebenforderungen auf eine mit
zusätzlichen Kosten verbundene Individualklage zu verweisen.
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3. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Unterhalts-
vorschusskasse die von ihr beantragte Festsetzung von Zinsen gegen den An-
tragsgegner indessen nicht auf einen vom Eintritt des Schuldnerverzuges un-
abhängigen Anspruch auf Prozesszinsen (§ 291 BGB) stützen. Zwar unterliegt
es keinem Zweifel, dass § 291 BGB grundsätzlich auch auf Unterhaltsforderun-
gen anzuwenden ist (Senatsurteil vom 14. Januar 1987 - IVb ZR 3/86 - FamRZ
1987, 352). Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Prozesszinsen sind
unter den hier vorliegenden Umständen aber nicht gegeben.
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Gemäß § 291 Abs. 1 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld vom Ein-
tritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen; der Begriff der Rechtshängigkeit wird
dabei verfahrensrechtlich verstanden (MünchKomm/Ernst BGB 5. Aufl. § 291
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Rdn. 8). Nach den Grundsätzen der Zivilprozessordnung ist ein materiell-
rechtlicher Anspruch rechtshängig, solange über ihn ein kontradiktorisches Er-
kenntnisverfahren durchgeführt wird. Die Zustellung eines Festsetzungsantra-
ges gemäß § 647 Abs. 1 ZPO steht in dieser Hinsicht der Erhebung einer Klage
(§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) allerdings nicht gleich. Die Erhebung einer
Klage ist von vornherein auf die streitige Entscheidung der Rechtssache durch
ein Urteil gerichtet. Das vereinfachte Verfahren zielt dagegen - ähnlich wie das
Mahnverfahren - darauf ab, dem Gläubiger einen einfachen und schnellen Weg
zur Erlangung eines Vollstreckungstitels ohne vorherige Sachverhandlung und
Sachentscheidung durch den Rechtspfleger zu eröffnen (vgl. zum Mahnverfah-
ren BGH Urteile vom 8. März 1977 - VI ZR 111/76 - NJW 1977, 1149 f. und vom
16. Dezember 1987 - VII ZR 4/87 - NJW 1988, 1980, 1981). In diesem Verfah-
ren tritt keine Rechtshängigkeit wie in einem streitigen Verfahren ein. Das ver-
einfachte Verfahren als besondere Prozessart ist erst dann beendet und geht in
ein kontradiktorisches Verfahren über, wenn der Antragsgegner gegenüber dem
Festsetzungsantrag nicht zurückzuweisende oder zulässige Einwendungen er-
hebt und eine Partei daraufhin die Durchführung des streitigen Verfahrens be-
antragt (§§ 650 Abs. 1, 651 ZPO). Das war hier indessen nicht der Fall.
Auch Sinn und Zweck des § 291 BGB gebieten es nicht, dem Antragstel-
ler eines vereinfachten Verfahrens einen Anspruch auf Prozesszinsen ab Zu-
stellung des Festsetzungsantrages zuzubilligen. Der Anspruch auf Prozesszin-
sen findet seinen Rechtsgrund allein in der Rechtshängigkeit; er soll das Ver-
halten des Schuldners sanktionieren, der seinen Gläubiger zu Unrecht zu einer
Klageerhebung zwingt und damit einem Prozessrisiko aussetzt (vgl. BGH Urteil
vom 5. Januar 1965 - VI ZR 24/64 - NJW 1965, 531, 532; MünchKomm/Ernst
BGB 5. Aufl. § 291 Rdn. 1; Wilske/Schweda MDR 2006, 191, 192 f.). In einem
Beschlussverfahren, das von vornherein nicht auf eine streitige Sachentschei-
dung ausgerichtet ist, bedarf es einer solchen Sanktion nicht.
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4. Zutreffend ist die Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass die Zuer-
kennung künftiger Verzugszinsen auf noch nicht fällige Unterhaltsraten im ver-
einfachten Verfahren nicht in Betracht kommt. Dies ergibt sich schon daraus,
dass etwaige Verzugszinsen, die beansprucht werden können, wenn wieder-
kehrende Leistungen nicht rechtzeitig erbracht werden, vom künftigen Zah-
lungsverhalten des Gläubigers abhängen und deshalb in ihrer Entstehung un-
gewiss sind. Anders als die künftigen Unterhaltsraten sind die Verzugszinsen
daher keine wiederkehrenden Leistungen im Sinne von § 258 ZPO, so dass sie
nur unter den Voraussetzungen des § 259 ZPO bei der Besorgnis der Leis-
tungsverweigerung zuerkannt werden können (vgl. OLG Koblenz FamRZ 1980,
583, 585; OLG Frankfurt FamRZ 1985, 704, 706; MünchKomm/Becker-
Eberhard ZPO 3. Aufl. § 258 Rdn. 9; Musielak/Foerste aaO § 258 Rdn. 3;
Stein/Jonas/Schumann ZPO 21. Aufl. § 259 Rdn. 2). Für die Klärung der damit
zusammenhängenden Fragen ist in dem vereinfachten Verfahren nach den
§§ 645 ff. ZPO kein Raum.
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Das vereinfachte Verfahren soll nicht nur der Kostenersparnis, sondern
auch und insbesondere der zügigen Schaffung eines Vollstreckungstitels die-
nen (vgl. BT-Drucks. 13/7338, S. 36). Aus diesem Grunde ist es auf größtmögli-
che Vereinfachung und Beschleunigung ausgerichtet und in weitem Umfang
schematisiert. Es soll den Rechtspfleger davon entheben, im Rahmen der
Schlüssigkeitsprüfung wertende Beurteilungen abgeben zu müssen (DIJuF-
Rechtsgutachten vom 30. April 2002, JAmt 2002, 251, 252). Die dem An-
tragsteller nach § 646 Abs. 1 ZPO obliegenden Angaben - auch zur tatsächli-
chen Begründung des geltend gemachten Anspruchs - umschreiben zwar ledig-
lich den notwendigen Mindestinhalt eines ordnungsgemäßen verfahrenseinlei-
tenden Antrags; andererseits werden dadurch im Hinblick auf das Vereinfa-
chungs- und Beschleunigungsgebot aber auch die Maßstäbe für die sachliche
Prüfung durch den Rechtspfleger gesetzt. Er soll sich bei der materiellen Prü-
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fung grundsätzlich auf die Frage beschränken können, ob die gemäß § 646
Abs. 1 ZPO von dem Antragsteller zu machenden Angaben - ihre Richtigkeit
unterstellt - den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe rechtferti-
gen. In diesem schematisierten Verfahren können künftige Zinsen deshalb nicht
festgesetzt werden (vgl. ebenso Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO aaO § 646
Rdn. 2; Vogel FPR 2002, 628, 632; Runge JAmt 2002, 110; van Els RPfleger
2003, 477, 479; DIJuF-Rechtsgutachten vom 30. April 2002 JAmt 2002, 251,
252).
5. Nicht uneingeschränkt gefolgt werden kann dem Oberlandesgericht
jedoch in seiner Auffassung, dass die Geltendmachung gesetzlicher Verzugs-
zinsen auch für rückständigen Unterhalt im vereinfachten Verfahren ausge-
schlossen sei.
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a) Es entspricht ganz überwiegender Auffassung in Literatur und Recht-
sprechung, dass die Vorschriften über die Verzinsung einer Geldschuld bei
Schuldnerverzug (§§ 288, 286 BGB) auch für Unterhaltsforderungen gelten
(OLG Hamburg FamRZ 1984, 87; OLG München FamRZ 1984, 310, 311; OLG
Hamm FamRZ 1984, 478; OLG Frankfurt FamRZ 1985, 704, 706;
Palandt/Heinrichs BGB 67. Aufl. § 288 Rdn. 6; MünchKomm/Ernst aaO § 288
Rdn. 13; Erman/Hager BGB 11. Aufl. § 288 Rdn. 6; Bamberger/Roth/Unberath
BGB § 288 Rdn. 2; Wendl/Gerhardt aaO § 6 Rdn. 132; Johannsen/Henrich/
Graba aaO § 1613 Rdn. 8; Kalthoener/Büttner/Niepmann Die Rechtsprechung
zur Höhe des Unterhalts 10. Aufl. Rdn. 269; Schwab/Borth Handbuch des
Scheidungsrechts 5. Aufl. Rdn. IV 1265; offen gelassen im Senatsurteil vom
14. Januar 1987 - IVb ZR 3/86 - FamRZ 1987, 352).
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Soweit hiergegen eingewendet worden ist, dass die Verzinsungspflicht
gemäß § 288 Abs. 1 BGB Unterhaltsforderungen nicht erfassen könne, weil
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Unterhalt zur Deckung des aktuellen Lebensbedarfs, nicht aber zur verzinsli-
chen Anlage bestimmt sei (vgl. OLG Celle FamRZ 1983, 525 mit zust. Anm.
Brüggemann, S. 525 ff.), ist dem bereits entgegenzuhalten, dass die Zuerken-
nung von Verzugszinsen nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur einen gesetzlich
fingierten Mindestschaden des Gläubigers ausgleichen, sondern daneben auch
bewirken soll, dass dem Schuldner durch die Abschöpfung der möglichen Vor-
teile aus der Leistungsverzögerung der Anreiz zur Zahlungsverzögerung ge-
nommen wird. Gerade dieser präventive Gedanke, den Schuldner durch die
Androhung eines Verzugszinses davon abzuhalten, bei Liquiditätsschwierigkei-
ten durch Unterlassen der fälligen Zahlung statt eines Bankkredits einen günsti-
gen „Gläubigerkredit“ in Anspruch zu nehmen, ist zuletzt im Zusammenhang mit
der Erhöhung des Verzugszinses durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger
Zahlungen vom 30. März 2000 (BGBl. I, S. 330) in den Vordergrund getreten
(vgl. BT-Drucks. 14/1246, S. 5).
b) Im Ausgangspunkt beizutreten ist dem Oberlandesgericht in der Ein-
schätzung, dass dem Rechtspfleger im vereinfachten Verfahren nicht die mate-
rielle Prüfung abverlangt werden kann, ob und wann der Antragsgegner mit den
rückständigen Unterhaltsraten schon vor Einleitung des Verfahrens durch eine
Mahnung in Verzug geraten ist. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwer-
de lässt sich dies nicht ohne weiteres anhand der gemäß § 646 Abs. 1 Nr. 5
ZPO erforderlichen Angaben beurteilen. Nach dieser Vorschrift hat der An-
tragsteller für den Fall der Geltendmachung von Unterhaltsrückständen an-
zugeben, wann die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 2 BGB
vorgelegen haben. Dieser Zeitpunkt muss indessen nicht mit dem Zeitpunkt
identisch sein, von dem an der Gläubiger Verzugszinsen auf die nicht gezahlten
Unterhaltsraten verlangen kann. Denn die bloße Aufforderung zur Auskunft im
Sinne von § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB eröffnet dem Unterhaltsgläubiger zwar die
rechtliche Möglichkeit, Unterhalt auch für die Vergangenheit zu fordern; der Un-
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terhaltsschuldner wird dadurch aber nach allgemeiner Meinung nicht in einer
den Schuldnerverzug nach § 286 Abs. 1 BGB begründenden und damit einen
etwaigen Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1 BGB auslösenden Weise zur Leis-
tung aufgefordert (MünchKomm/Born BGB 4. Aufl. § 1613 Rdn. 18; Johannsen/
Henrich/Graba aaO § 1613 Rdn. 2; DIJuF-Rechtsgutachten vom 30. April 2002
JAmt 2002, 251). Es wären daher Darlegungen erforderlich, die über die Anga-
ben nach § 646 Abs. 1 Nr. 5 ZPO hinausgehen und die dementsprechend einen
höheren Prüfungsaufwand erfordern. Dies gilt insbesondere dann, wenn der
Unterhaltsschuldner in der Vergangenheit bereits Teilleistungen erbracht hat. In
diesem Falle müsste der Rechtspfleger wegen der möglichen Auswirkungen auf
eine Beendigung des Schuldnerverzuges bei älteren Unterhaltsforderungen
beurteilen, ob den Teilzahlungen eine ausdrückliche oder stillschweigende Leis-
tungsbestimmung zugrunde lag oder ob sie in Ermangelung einer solchen Be-
stimmung nach § 366 Abs. 2 BGB anzurechnen wären. Für eine solche Prüfung
ist im Rahmen eines weitgehend schematisierten Verfahrens kein Raum.
c) Diese Bedenken können aber nicht erhoben werden, soweit für den
Beginn der Verzinsung wegen der Unterhaltsrückstände nicht auf eine vom An-
tragsteller besonders darzulegende Mahnung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB), son-
dern auf die einer Mahnung gleichstehende gerichtliche Geltendmachung
(§ 286 Abs. 1 Satz 2 BGB) der bereits fällig gewordenen Unterhaltsraten abge-
stellt wird. Nach § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB treten die Verzugsfolgen wie bei der
Mahnung auch bei der Erhebung der Leistungsklage sowie bei der Zustellung
des Mahnbescheides im Mahnverfahren ein. Die Vorschrift ist auch auf andere
Formen gerichtlicher Geltendmachung einer Geldforderung entsprechend an-
zuwenden (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 1983 - IVb ZR 351/81 – NJW 1983,
2318, 2320: Zustellung eines Antrages auf einstweilige Anordnung; Senatsurteil
vom 15. November 1989 - IVb ZR 3/89 - FamRZ 1990, 283, 285: Zugang eines
Prozesskostenhilfegesuchs), so dass jedenfalls die Zustellung des Festset-
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zungsantrages (§ 647 Abs. 1 ZPO) schon wegen der dem Mahnverfahren ähn-
lichen Ausgestaltung des vereinfachten Verfahrens als verzugsbegründender
Vorgang im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB anzusehen ist.
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Wird der Zinsanspruch demzufolge auf den Zeitpunkt der Zustellung des
Festsetzungsantrages bezogen, beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtspfle-
gers darauf, diesen Zeitpunkt aus den Akten festzustellen, um anschließend die
Verzinsung der Unterhaltsrückstände mit dem gesetzlichen Zinssatz von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz von diesem Zeitpunkt an aussprechen
zu können. Umfangreicher materieller Prüfungen oder einer wertenden Beurtei-
lung bedarf es insoweit nicht, so dass der Vereinfachungs- und Beschleuni-
gungsgrundsatz des vereinfachten Verfahrens nicht in Frage gestellt wird. So-
weit das Oberlandesgericht auch insoweit Bedenken trägt, vermag der Senat
dem nicht zu folgen:
aa) Das Problem, ob der Antragsteller möglicherweise höhere Zinsen als
den gesetzlichen Verzugszins beanspruchen kann (§ 288 Abs. 4 BGB), könnte
sich nur dann stellen, wenn eine höhere Zinsforderung tatsächlich geltend ge-
macht werden würde. Selbst wenn die Überprüfung der höheren Zinsforderung
auf ihre Schlüssigkeit den Prüfungsumfang des vereinfachten Verfahrens über-
steigen sollte - was nicht von der Hand zu weisen ist -, ist nichts dagegen zu
erinnern, dem Antragsteller ohne weitergehende Prüfung der Schadenshöhe
zumindest den gesetzlichen Verzugszins als gesetzlich fingierten Mindestscha-
den zuzusprechen. Mehr war im vorliegenden Fall auch nicht beantragt worden.
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bb) Auch die vom Oberlandesgericht aufgeworfene Frage, welche Ne-
benforderungen durch den Rechtspfleger überhaupt zuerkannt werden könnten
und wo im Hinblick auf andere verzugsbedingte Sekundäransprüche (insbeson-
dere Schadenersatzforderungen) die Grenzen hierfür zu ziehen seien, stellt sich
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nicht. Denn der Rechtspfleger hat nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des
Schuldnerverzuges nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits vor Einleitung des
Verfahrens vorgelegen haben. Aus diesem Grunde kommt die Festsetzung von
anderen Nebenforderungen (etwa Mahnkosten), die ihre Begründung notwen-
digerweise in einem Schuldnerverzug vor Zustellung des Feststellungsantrages
haben, von vornherein nicht in Betracht.
d) Demzufolge waren auf die bei Zustellung des Festsetzungsantrages
am 3. November 2004 bereits fälligen Unterhaltszahlungen von diesem Zeit-
punkt an die gesetzlichen Verzugszinsen (§ 288 Abs. 1 BGB) zuzuerkennen.
Bereits das Oberlandesgericht hat insoweit zutreffend erkannt, dass die von der
Unterhaltsvorschusskasse beantragte Zuerkennung von Zinsen „ab Rechtshän-
gigkeit“ - schon im Auslegungsrückgriff auf § 651 Abs. 3 ZPO - dahin verstan-
den werden kann, dass jedenfalls eine Verzinsung ab Zustellung des Festset-
zungsantrages begehrt wird.
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e) Für die Zeit ab 1. Januar 2008 war der Unterhalt nach § 36 Nr. 3 a, 4
EGZPO als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts festzusetzen.
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Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Ahlt Dose
Vorinstanzen:
AG Simmern, Entscheidung vom 09.12.2004 - 5 FH 48/04 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 03.02.2005 - 7 UF 985/04 -