Urteil des BGH vom 29.11.2002

BGH (abweisung der klage, bundesverfassungsgericht, rente, satzung, berechnung, höhe, rentner, zukunft, zusatzrente, stichtag)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 8/03
Verkündet am:
15. September 2004
Heinekamp,
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 15. September
2004
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird das Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 29. November
2002 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom
9. April 2002 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine höhere Zusatzrente mit Wir-
kung ab 1. Januar 2001.
Sie ist 1935 geboren und war im öffentlichen Dienst bei einem Dienst-
herrn beschäftigt, der an der beklagten Versorgungsanstalt beteiligt ist. Seit
1. November 1994 bezieht die Klägerin eine Zusatzversorgungsrente von der
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Beklagten. Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa ihrer Satzung
(im folgenden: VBLS) in der für die Berechnung der Rentenhöhe der Klägerin
maßgebenden Fassung berücksichtigte die Beklagte für den Faktor der ge-
samtversorgungsfähigen Zeit, von dem die Höhe ihrer Zusatzrente abhängt,
außer den Umlagemonaten, in denen ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes
mit Umlagezahlungen an die Beklagte für die Altersversorgung der bei ihm be-
schäftigten Klägerin beigetragen hat, darüber hinaus andere Zeiten, die (über
die Umlagemonate hinaus) der gesetzlichen Rente der Klägerin zugrunde lie-
gen, nur zur Hälfte (sog. Halbanrechnungsgrundsatz). Andererseits war nach
der seinerzeit geltenden Satzung bei der Berechnung der Versorgungsrente
grundsätzlich von der vollen Höhe der an die Klägerin gezahlten gesetzlichen
Rente auszugehen; diese wurde durch die von der Beklagten gewährte Zusatz-
versorgung lediglich insoweit aufgestockt, wie die gesetzliche Rente hinter der
nach der Satzung berechneten Gesamtversorgung zurückblieb (§ 40 Abs. 1
VBLS a.F.). Das Bundesverfassungsgericht hat in der Halbanrechnung von
Vordienstzeiten bei voller Berücksichtigung der gesetzlichen Rente einen Ver-
stoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen, der nur bis zum Ablauf des Jahres 2000
hingenommen werden könne (VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341). Die Kläge-
rin hat daher beantragt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ab
1. Januar 2001 ihre vollen, nicht im öffentlichen Dienst zurückgelegten Renten-
versicherungszeiten zu berücksichtigen, bis eine neue, die Regelung der Vor-
dienstzeiten ändernde Satzung in Kraft trete, allerlängstens bis zum
31. Dezember 2001, sowie ihr eine weitere Versorgungsrente in Höhe von mo-
natlich 169,25 DM vom 1. Januar bis 30. Juni 2001 zu zahlen.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten
ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihr Klageabweisungsbegeh-
ren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.
1. Das Berufungsgericht stützt sich auf die zitierte Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2000 (aaO) und hält deshalb die in
§ 42 Abs. 2 VBLS a.F. vorgesehene Halbanrechnung als eine der richterlichen
Inhaltskontrolle unterliegende Bestimmung im Rahmen Allgemeiner Geschäfts-
bedingungen gemäß §§ 242 BGB, 9 AGBG für unwirksam. Die Beklagte sei
aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung verpflichtet, die Vordienstzeiten
bei der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Zeit in vollem Umfang zu
berücksichtigen, solange sie auch die vollen Ansprüche aus der gesetzlichen
Rente auf die zu zahlende Versorgungsrente anrechne.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, wie der Senat bereits in
seinem Urteil vom 26. November 2003 (IV ZR 186/02 - VersR 2004, 183) ent-
schieden hat.
a) Am 19. September 2002 hat die Beklagte ihre Satzung mit Wirkung ab
1. Januar 2001 geändert. Nach der Übergangsregelung in § 75 Abs. 2 der Neu-
fassung werden die nach bisherigem Satzungsrecht gezahlten Versorgungsren-
ten grundsätzlich als Besitzstandsrenten weitergezahlt und entsprechend § 39
der Neufassung jährlich um 1% vom Jahr 2002 an erhöht. Die von der Klägerin
geforderte volle Anrechnung der Vordienstzeiten ist nach wie vor nicht vorgese-
hen.
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b) Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 22. März
2000 (aaO), auf den sich die Klägerin stützt, die Verfassungsbeschwerde einer
1921 geborenen Rentnerin, die seit Anfang 1983 Leistungen von der Beklagten
erhielt und im Ausgangsverfahren erfolglos deren Erhöhung wegen Unwirksam-
keit von Satzungsbestimmungen verlangt hatte, nicht zur Entscheidung ange-
nommen. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die volle Berücksichtigung
ihrer Sozialversicherungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversor-
gung einerseits, aber die nur halbe Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme
ihrer Tätigkeit im öffentlichen Dienst bei der Bemessung der gesamtversor-
gungsfähigen Zeit andererseits gewandt hatte, hat das Bundesverfassungsge-
richt die Regelung in § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F.
zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG beanstandet, eine Verletzung von Grund-
rechten der Beschwerdeführerin aber "(noch) nicht" festgestellt. Die Ungleich-
behandlung sei zwar gravierend, halte sich derzeit jedoch noch im Rahmen ei-
ner zulässigen Generalisierung. Der Satzungsgeber sei wegen der hochkompli-
zierten Materie zu gewissen Vereinfachungen gezwungen. Dabei dürfe er Un-
gleichbehandlungen in Kauf nehmen, solange davon nur eine verhältnismäßig
kleine Zahl von Personen betroffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz
nicht sehr intensiv sei. Das treffe auf die Rentnergeneration der Beschwerde-
führerin zu, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt. Für die jüngeren Ver-
sichertengenerationen sei ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbiographie im öf-
fentlichen Dienst angesichts stark gestiegener Teilzeitarbeit und einer stärkeren
Diskontinuität des Erwerbslebens allerdings nicht mehr in hinreichender Weise
typisch. Angesichts dieser Entwicklung könne die Benachteiligung der Rentner
durch volle Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche
bei nur hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit im Rah-
men der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht länger als
bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt
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sei die Beklagte durch die Entscheidung BVerfGE 98, 365 = VersR 1999, 600
ohnehin zu einer grundlegenden Änderung ihrer Satzung gezwungen.
c) Dieser Beschluß des Bundesverfassungsgerichts mag bei den Ren-
tenempfängern der Beklagten die Erwartung geweckt haben, ihnen stehe vom
Jahr 2001 an eine höhere Rente zu, wie sie sich bei voller Berücksichtigung der
Vordienstzeiten aus der früher geltenden Fassung der VBLS ergeben würde.
Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens gehört jedoch nicht zu jenen jüngeren
Versichertengenerationen, für die die angegriffene Halbanrechnung nach Auf-
fassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr hinnehmbar ist. Das Bun-
desverfassungsgericht hat die Halbanrechnung trotz verfassungsrechtlicher Be-
denken noch als zulässige Typisierung und Generalisierung im Rahmen einer
komplizierten Materie angesehen, weil ein bruchloser Verlauf der Erwerbsbio-
graphie im öffentlichen Dienst erst für die jüngeren Versichertengenerationen
nicht mehr hinreichend typisch sei. Bis zum Ablauf des Jahres 2000 könne die
Halbanrechnung aber noch hingenommen werden. Mithin ist das Bundesverfas-
sungsgericht davon ausgegangen, daß alle Versicherten, die vor Ablauf des
Jahres 2000 Rentner bei der Beklagten geworden sind, noch zu denjenigen
Generationen zählen, für die ein bruchloser Verlauf der (bei Rentenbeginn ab-
geschlossenen) Erwerbsbiographie als typisch angesehen werden kann. Soweit
die Versicherten im Revisionsverfahren diese Annahme des Bundesverfas-
sungsgerichts mittels statistischen Materials und unter Berufung auf ein einzu-
holendes Sachverständigengutachten in Zweifel gezogen haben, ist dies in Be-
zug auf die rein wertende Abgrenzung der Versichertengenerationen durch das
Bundesverfassungsgericht unerheblich. Die Klägerin bezieht bereits seit
1. November 1994 eine Zusatzrente von der Beklagten. Für sie und für die Ge-
neration, der sie angehört, ist die Halbanrechnung der Vordienstzeiten also
noch hinzunehmen.
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Die Unterscheidung, die das Bundesverfassungsgericht zwischen der
Rentnergeneration der dortigen Beschwerdeführerin einerseits und den jünge-
ren Versichertengenerationen andererseits trifft, verlöre ihren Sinn, wenn auch
Personen, die vor dem Stichtag schon Rentner bei der Beklagten waren, nach
dem Stichtag als Angehörige der jüngeren Versichertengeneration hätten gelten
sollen. Daß auch die Beschwerdeführerin (und nicht nur die am Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht nicht beteiligten jüngeren Versichertengenera-
tionen) vom Stichtag an einen Anspruch auf Änderung der sie benachteiligen-
den, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Satzungsbestimmungen gehabt hät-
te, ist nicht ersichtlich.
d) Der Senat folgt dem Bundesverfassungsgericht darin, daß die Anwen-
dung des § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F. bei der Be-
rechnung der Versorgungsrente für solche Versicherte, die - wie die Klägerin -
bis zum 31. Dezember 2000 versorgungsberechtigt geworden sind, nicht gegen
Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Damit liegt auch kein Verstoß gegen §§ 9 AGBG,
307 BGB vor. Dabei kann auf sich beruhen, ob den Erwägungen des Bundes-
verfassungsgerichts zur Ungleichbehandlung der von der Halbanrechnung be-
troffenen Versichertengruppe trotz der Kritik der Beklagten in jedem Punkte zu
folgen ist (vgl. auch Hebler, ZTR 2000, 337 ff.). Denn mit dem Bundesverfas-
sungsgericht ist der Senat der Auffassung, daß - ist mit der Halbanrechnung ei-
ne Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Versicherten verbunden, die ihr
ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben - sich die Ungleich-
behandlung jedenfalls im Rahmen einer zulässigen Typisierung und Generali-
sierung einer komplizierten, eine sehr große Gruppe von Versicherten betref-
fenden Materie hielt. Diese Ungleichbehandlung hat ein Versicherter, der bis
zum Ablauf des Jahres 2000 Zusatzrentenempfänger geworden ist, nicht zuletzt
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auch im Interesse der Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versor-
gungsträgers hinzunehmen, selbst wenn für die Zukunft eine andere, eine die
Ungleichbehandlung für zukünftige Rentenempfänger vermeidende Regelung
zu treffen ist.
e) Die Klägerin wird auch gegenüber Versicherten, deren Rente sich
nach der ab 1. Januar 2001 geltenden Neufassung der VBLS richtet, nicht in
rechtlich erheblicher Weise benachteiligt. Nach unwidersprochenem Vortrag der
Beklagten ist das Niveau der von ihr in Zukunft aufgrund ihrer neuen Satzung
zu leistenden Versorgungsrenten generell niedriger als bisher; den Berechtigten
wird daneben eine ergänzende Altersvorsorge angeboten, die aus eigenen Bei-
trägen aufgebaut werden muß. Daß die Klägerin trotz der dynamisierten Besitz-
standsrente, die sie nach § 75 Abs. 2 VBLS n.F. erhält, wirtschaftlich im Ergeb-
nis schlechter stehe als Berechtigte, deren Versorgungsrente nach neuem Sat-
zungsrecht ohne Rücksicht auf Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen
Dienstes berechnet wird, ist von ihr weder dargetan noch ersichtlich. Der in der
Halbanrechnung von Vordienstzeiten vom Bundesverfassungsgericht gesehene
Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist für die Zukunft ausgeräumt. Im Hinblick
darauf stehen Rentenempfängern alten Rechts wie der Klägerin über die Wah-
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rung ihres Besitzstandes hinaus auch nach dem 31. Dezember 2000 keine wei-
tergehenden Ansprüche aus Gründen der Gleichbehandlung zu.
Terno
Dr. Schlichting
Wendt
Dr. Kessal-Wulf
Felsch