Urteil des BGH vom 05.05.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 145/06
Verkündet
am:
28. März 2007
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VBLS §§ 36, 78, 80
Es verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, dass bei der Ermittlung der Startgut-
schrift von am 1. Januar 2002 bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Län-
der (VBL) beitragsfrei Versicherten, die wegen Nichterfüllung der Wartezeit von
60 Monaten (noch) keine Rentenanwartschaft erworben haben, der Altersfaktor nicht
angewendet wird.
BGH, Urteil vom 28. März 2007 - IV ZR 145/06 - LG Karlsruhe
AG Karlsruhe
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Richter
Seiffert als Vorsitzenden, den Richter Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und die Richter Felsch und Dr. Franke auf die mündliche
Verhandlung vom 28. März 2007
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 5. Mai
2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dar-
in zum Nachteil der Beklagten erkannt ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amts-
gerichts Karlsruhe vom 3. Juni 2005 wird insgesamt zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren
zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die am 9. April 1953 geborene Klägerin war Lehrerin im Angestell-
tenverhältnis und vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Januar 2001 - mithin
49 Monate - bei der beklagten Versorgungsanstalt des Bundes und der
Länder (VBL) pflichtversichert. Mit Wirkung vom 1. Februar 2001 wurde
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die Klägerin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Stu-
dienrätin z.A. ernannt und mit Wirkung vom 15. Dezember 2003 in das
Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen.
Die Beklagte hat die Aufgabe, den Angestellten und Arbeitern der
an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privat-
rechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs-
und Hinterbliebenenversorgung (Zusatzversorgung) zu gewähren. An-
lässlich der Umstellung der Zusatzversorgung durch Neufassung ihrer
Satzung (im Folgenden: VBLS) von einem endgehaltsbezogenen Ge-
samtversorgungssystem auf ein Betriebsrentensystem, das auf einem
Punktemodell beruht, zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) hat
die Beklagte den Wert der von den Versicherten bis zu diesem Zeitpunkt
erworbenen rentenrechtlichen Positionen ermittelt, ohne Berücksichti-
gung von Altersfaktoren in Versorgungspunkte (VP) umgerechnet und als
sog. Startgutschriften (vgl. § 78 Abs. 1 VBLS) in das neue System über-
führt. Für die Klägerin ergeben sich so ein monatsbezogener Wert von
50,76 € und eine Startgutschrift von 12,69 VP.
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Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz lediglich noch darum,
ob die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Startgutschrift
den Altersfaktor gemäß § 36 Abs. 3 VBLS anzuwenden. Das Berufungs-
gericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Mit der Revision begehrt die
Beklagte, die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil
des Amtsgerichts insgesamt zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Startgutschrift beruhe
auf § 80 VBLS i.V. mit § 44 der Satzung der Beklagten in der Fassung
der 41. Satzungsänderung (im Folgenden: VBLS a.F.). Ein Eingriff in den
geschützten Besitzstand liege nicht vor, weil die Wartezeit von 60 Umla-
gemonaten nicht erfüllt sei. Allerdings verstoße es gegen Art. 3 Abs. 1
GG, dass bei der Berechnung der Startgutschrift der Altersfaktor gemäß
§ 36 Abs. 3 VBLS nicht angewendet worden sei. Dadurch werde die
Gruppe der vor dem Umstellungsstichtag bereits Versicherten gleich-
heitswidrig schlechter gestellt als die Gruppe der erstmals nach Ablauf
des 31. Dezember 2001 bei der Beklagten versicherten Personen. Es
liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Insbe-
sondere die Startpunkte der jüngeren rentenfernen Jahrgänge würden
entwertet. Eine satzungskonforme Regelung lasse sich aufgrund der
Gleichstellung nur darin finden, dass die Startpunkte mit dem Altersfaktor
multipliziert würden, der eine jährliche Verzinsung von 3,25% während
der Anwartschaftsphase beinhalten solle.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Dem Berufungsgericht ist allerdings darin zuzustimmen, dass
sich die Berechnung der Startgutschrift (§ 78 Abs. 1 VBLS) hier nach
§ 80 VBLS i.V. mit § 44 VBLS a.F. richtet. Danach sind die Startgut-
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schriften für die am 1. Januar 2002 beitragsfrei Versicherten nach der
am 31. Dezember 2001 geltenden Versicherungsrentenberechnung zu
ermitteln. Zu den am 1. Januar 2002 beitragsfrei Versicherten gehört
auch die Klägerin, weil ihre Versicherung seit 1. Februar 2001 als bei-
tragsfreie Versicherung fortbesteht (vgl. §§ 24 Abs. 1 Buchst. b, 30
Abs. 1 VBLS, 25 Abs. 1 Buchst. c, 34 Abs. 1 Buchst. a VBLS a.F.).
2. Nach der Umstellung der Zusatzversorgung auf ein Betriebsren-
tensystem, deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht für die Ent-
scheidung des anhängigen Rechtsstreits dahinstehen kann, errechnet
sich gemäß § 35 Abs. 1 VBLS die monatliche Betriebsrente des Versi-
cherten aus der Summe der bis zum Rentenbeginn erworbenen Versor-
gungspunkte (§§ 36, 78 Abs. 1 Satz 2 VBLS), multipliziert mit dem
Messbetrag von vier Euro. Für nach dem 31. Dezember 2001 erzieltes
zusatzversorgungspflichtiges Entgelt (§ 64 Abs. 4 VBLS) ergibt sich nach
§ 36 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 Satz 1 VBLS die Anzahl der Versor-
gungspunkte pro Kalenderjahr aus dem Verhältnis eines Zwölftels des
zusatzversorgungspflichtigen Jahresentgelts zum Referenzentgelt von
1.000 €, multipliziert mit dem in § 36 Abs. 3 VBLS vorgesehenen Alters-
faktor. Bei der Ermittlung der Anzahl der Versorgungspunkte aus vor
dem 1. Januar 2002 erzieltem zusatzversorgungspflichtigen Entgelt
- mithin bei der Ermittlung der Startgutschrift - sind die Altersfaktoren
hingegen gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 u. 2 VBLS nicht zu berücksichtigen.
Demzufolge finden sie auch bei der Ermittlung der Startgutschrift der
Klägerin, die lediglich bis zum 31. Januar 2001 zusatzversorgungspflich-
tiges Entgelt bezogen hat, keine Anwendung.
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Auch im Übrigen wird die Startgutschrift der Klägerin nach der Sat-
zung der Beklagten nicht verzinst. Eine Dynamisierung derselben ist e-
benfalls nicht vorgesehen. Denn nach § 78 Abs. 1 Satz 3 VBLS findet ei-
ne Verzinsung vorbehaltlich des § 68 Abs. 1 VBLS nicht statt und nach §
80 Satz 2 VBLS gilt für die Dynamisierung der Startgutschrift § 68 VBLS.
Diese Bestimmung regelt, ob und in welchem Ausmaß aus verbleibenden
Überschüssen Bonuspunkte vergeben werden können. Gemäß § 68 Abs.
1 Satz 2 VBLS kommen für die Zuteilung von Bonuspunkten neben den
am Ende des laufenden Geschäftsjahres Pflichtversicherten nur die zum
gleichen Zeitpunkt beitragsfrei Versicherten in Betracht, die eine Warte-
zeit von 120 Umlage-/Beitragsmonaten erfüllt haben. Hierzu zählt die le-
diglich 49 Monate pflichtversicherte und seit 1. Februar 2001 beitragsfrei
versicherte Klägerin nicht.
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3. Das verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere
genügt es den Anforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und des
Art. 3 Abs. 1 GG.
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a) Jedenfalls bei am 1. Januar 2002 beitragsfrei Versicherten, die
wie die Klägerin wegen fehlender Erfüllung der Wartezeit von 60 Mona-
ten (§§ 34 VBLS, 38 VBLS a.F.) (noch) keine Rentenanwartschaft erwor-
ben haben (vgl. BGHZ 84, 158, 173), kann es nicht als unangemessene
Benachteiligung i.S. des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen werden,
wenn sowohl auf eine Verzinsung als auch auf eine Dynamisierung der
Startgutschrift verzichtet wird. Dabei kann offen bleiben, ob und gegebe-
nenfalls inwieweit die Bestimmungen der Satzung der Beklagten in An-
betracht der §§ 307 Abs. 3 Satz 1, 310 Abs. 4 Satz 3 BGB einer AGB-
rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 155,
132, 137 ff.; 142, 103, 110; 103, 370, 385 ff.; Senatsurteile vom 29. Sep-
tember 1993 - IV ZR 275/92 - VersR 1993, 1505 unter 1 d; vom
16. Oktober 1985 - IVa ZR 154/83 - VersR 1986, 142 unter III) kommt ei-
ner Zusatzversorgungseinrichtung bei der Ausgestaltung ihrer Satzung
weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. Es ist in erster Linie Sache der hin-
ter ihr stehenden Tarifvertragsparteien, hierauf Einfluss zu nehmen (vgl.
BGHZ 155, 132, 139; Senatsurteil vom 11. Dezember 1985 - IVa ZR
252/83 - VersR 1986, 360 unter IV), wobei ihnen wiederum durch Art. 9
Abs. 3 GG ein Freiraum bei der Ausgestaltung des der Satzung faktisch
vorgelagerten Tarifvertrages zur Verfügung gestellt ist. Das gilt nicht nur
für den Anspruch auf Zusatzversorgung an sich, sondern erst recht für
Fragen der Dynamisierung (BGHZ 155, 132, 138). In Respektierung die-
ses Gestaltungsspielraums hat der Senat ausgesprochen, dass im
Grundsatz eine wiederkehrende Anpassung der Renten an die veränder-
ten wirtschaftlichen Verhältnisse gefordert ist, soweit die gewährte Zu-
satzversorgung der Existenzsicherung im Alter dient (BGHZ 155, 132,
138 f.). Auch das Bundesverfassungsgericht hat der Beklagten hinsicht-
lich der Dynamisierung von (Versicherungs-)Renten einen Prüfauftrag er-
teilt (BVerfG VersR 2000, 835, 838).
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bb) Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Verzinsung und/oder
Dynamisierung erdienter Rentenanwartschaften geboten sein könnte,
bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung. Denn unabhängig davon
muss es jedenfalls in der ausschließlichen Kompetenz der Zusatzversor-
gungseinrichtung bzw. der hinter ihr stehenden Tarifvertragsparteien lie-
gen, darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Weise
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die weitaus schwächere rentenrechtliche Position - nämlich diejenige, die
sich mangels Erfüllung der Wartezeit noch nicht einmal zu einer Renten-
anwartschaft verdichtet hat - bis zum möglichen Eintritt des Versiche-
rungsfalls zu verzinsen und/oder zu dynamisieren ist. Ansonsten bliebe
von der (auch) insoweit bestehenden "weitgehenden Gestaltungsfreiheit"
praktisch nichts mehr übrig. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass die
Startgutschrift der Klägerin nach der Satzung der Beklagten weder ver-
zinst noch dynamisiert wird.
b) Dies verstößt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch
nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, wes-
wegen es sachlich geboten sein könnte, auf Versicherte wie die Klägerin,
deren Pflichtversicherungsverhältnis ohne Begründung einer Rentenan-
wartschaft vor Ablauf des 31. Dezember 2001 geendet hat, die erst für
Pflichtversicherungszeiten ab dem 1. Januar 2002 Geltung beanspru-
chende Bestimmung des § 36 Abs. 3 VBLS über den Altersfaktor anzu-
wenden, nur weil diese Bestimmung von der Beklagten (auch) bei Perso-
nen angewendet wird, deren Pflichtversicherungsverhältnis erstmals
nach dem 31. Dezember 2001 begonnen hat. Die hier vorgenommene
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Differenzierung zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen von Versi-
cherten liegt vielmehr - wie zuvor ausgeführt - im Gestaltungsermessen
der Beklagten. Damit scheidet zugleich eine von der Revisionserwide-
rung angedeutete Eigentumsverletzung aus.
Seiffert Wendt Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
AG Karlsruhe, Entscheidung vom 03.06.2005 - 10 C 85/04 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 05.05.2006 - 6 S 29/05 -