Urteil des BGH vom 27.09.2012

BGH: besondere härte, treu und glauben, übergangsregelung, versicherter, gleichbehandlung, vorfrage, wechsel, anwartschaft, vertrauensschutz, rechtslehre

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 182/10
vom
27. September 2012
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitze n-
de Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski
am 27. September 2012
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil
des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe
vom 27. Juli 2010 gemäß § 552a ZPO auf Kosten der
Klägerin zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe:
I. Die Klägerin verlangt von der beklagten Versorgungsanstalt die
Neuberechnung der ihr nach der Umstellung von dem Gesamtverso r-
gungs- auf das Betriebsrentensystem erteilten Startgutschrift unter An-
satz der Steuerklasse III/0.
Die am 1. Mai 1943 geborene Klägerin war als Beschäftigte im öf-
fentlichen Dienst bei der Beklagten pflichtversichert und gehört zu den
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so genannten rentennahen Jahrgängen. Die erste Ehe der Klägerin wur-
de im Jahre 1983 geschieden; sie heiratete am 7. Juni 2002 wieder.
In der Rentenmitteilung vom 16. August 2003 errechnete die Be-
klagte die Rentenanwartschaft der Klägerin zum Umstellung sstichtag des
31. Dezember 2001 mit 375,48
€ und erteilte ihr eine Startgutschrift von
93,87 Versorgungspunkten. Dabei legte die Beklagte die Steuerklasse I/0
zugrunde, die dem Familienstand der Klägerin am Stichtag entsprach.
Die in einem Vorprozess von der Klägerin erhobene Klage auf
Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, den Bescheid vom 16. Au-
gust 2003 zu ändern und unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0
eine Neuberechnung der Startgutschrift vorzunehmen, wurde mit Urteil
des Amtsgerichts Karlsruhe vom 3. August 2004 (2 C 44/04) abgewie-
sen.
Die Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung seit
dem 1. Februar 2004 eine gesetzliche Altersrente für schwerbehinderte
Menschen in Höhe von zunächst 1.202,14
€ brutto/1.102,36 € netto, ab
1. Juni 2004 in Höhe von 1.099,36
€ netto und von der Beklagten eine
Betriebsrente in Höhe von anfänglich 402,88
€ brutto/336 € netto, ab
dem 1. Juli 2004 in Höhe von 339,36
€ netto.
Die Klägerin hält es für unzulässig, die erdienten Versorgungsa n-
wartschaften einer Ledigen per 31. Dezember 2001 unwiderruflich auf
der Grundlage der Steuerklasse I/0 zu berechnen, auch wenn sie zuvor
viele Jahre verheiratet gewesen oder jedenfalls bei seinem Ausscheiden
verheiratet sei.
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Die auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, den B e-
scheid vom 25. März 2004 zu ändern und die Versorgungsrente unter
Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 neu zu berechnen, gerichtete
Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Stichtagsregelung,
nach der unter anderem die steuerlichen Verhältnisse zum Umstellungs-
stichtag am 31. Dezember 2001 festgeschrieben werden, für die Vers i-
cherten rentennaher Jahrgänge nicht zu beanstanden. Eine Eheschli e-
ßung des Versicherten nach dem Stichtag verschaffe ihm daher keinen
Anspruch auf eine höhere Betriebsrente.
Ein die Korrektur dieses Ergebnisses rechtfertigender Härtefall li e-
ge nicht vor. Ungeachtet der grundsätzlichen Wirksamkeit der Übe r-
gangsregelungen für rentennahe Versicherte könne eine Berufung der
Beklagten auf die Übergangsregelungen im Einzelfall treuwidrig sein.
Dies sei dann anzunehmen, wenn die nach neuem Satzungsrecht ermi t-
telte Rente erheblich hinter derjenigen zurückbleibe, mit der bei einem
Systemverbleib in etwa hätte gerechnet werden können und besondere
Umstände hinzukämen, die diese Einbuße als besondere Härte ersche i-
nen ließen. Eine erhebliche Einbuße sei zu bejahen, wenn die Betrieb s-
rente um mindestens 30% hinter demjenigen Betrag zurückbleibe, der
sich unter Anwendung des früheren Satzungsrechts ergeben hätte. H in-
zukommen müssten besondere Umstände - etwa aus Besonderheiten in
der Erwerbs- oder Familienbiografie -, die die Einbuße als unzumutbar
erscheinen ließen. Einen besonderen Umstand könne es darstellen,
wenn die Betriebsrente nach den am 31. Dezember 2001 geltenden
steuerlichen Verhältnissen berechnet worden sei, obwohl diese nicht
denjenigen Verhältnissen entsprächen, die die Biografie des Versiche r-
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ten geprägt hätten. Derartige eine Korrektur rechtfertigende besondere
Umstände seien bei einer über 30% hinausgehenden Renteneinbuße an-
zunehmen, wenn der Versicherte lediglich in einem nicht über drei Jahre
hinausgehenden Zeitraum unter Einschluss des Stichtages unverheiratet
gewesen sei. Nach diesem Maßstab liege ein Härtefall hier nicht vor. Die
seit 1983 geschiedene und erst ab Juli 2002 wieder verheiratete Klägerin
sei nicht lediglich in einem über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum u n-
verheiratet gewesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision.
II. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen
nicht vor; der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche
Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Das Rechtsmittel
hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie
eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige
Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen
stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an
der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt
(BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288,
291). Dafür genügt es nicht, dass eine Entscheidung von der Auslegung
einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen - wie den Sat-
zungsbestimmungen der Beklagten - abhängt. Erforderlich ist vielmehr,
dass deren Auslegung und/oder Wirksamkeit über den konkreten
Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den bete i-
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ligten Verkehrskreisen umstritten ist (Senatsbeschlus s vom 20. April
2010 - IV ZR 249/08, ZfS 2011, 31 unter II 1).
2. Dass die am Umstellungsstichtag maßgebliche Steuerklasse bei
Ermittlung der Startgutschrift im Rahmen der Systemumstellung zugru n-
de gelegt werden darf, hat der Senat bereits geklärt.
a) Schon nach der Grundsatzentscheidung zu den Übergangsvor-
schriften für die so genannten rentenfernen Versicherten verstößt es
nicht gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältni s-
mäßigkeit, dass § 78 Abs. 2 Satz 1 VBLS n.F. die am 31. Dezember
2001 maßgeblichen Rechengrößen, insbesondere die an diesem Stichtag
geltende Steuerklasse, festschreibt (Senatsurteil vom 14. November
2007 - IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 78 m.w.N.). In dem weiteren
Grundsatzurteil zu den Übergangsvorschriften für die rentennahen Versi-
cherten hat der Senat entschieden, dass nach den genannten Kriterien
auch die Übergangsregelung für die rentennahen Versicherten - auch mit
Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG - nicht
zu beanstanden und ein etwaiger mit der Regelung verbundener Eingriff
in die erdiente Dynamik im Ergebnis als gerechtfertigt anzusehen sei. Im
Übrigen werden die rentennahen Versicherten im Hinblick auf den zu b e-
rücksichtigenden erhöhten Vertrauensschutz im Vergleich zu den ren ten-
fernen Versicherten dadurch begünstigt, dass ihnen mit der Startgu t-
schrift im Grundsatz eine nach dem früheren Zusatzversorgungsrecht auf
das vollendete 63. Lebensjahr hochgerechnete Versorgungsrentenan-
wartschaft erhalten bleibt (Senatsurteil vom 24. September 2008 - IV ZR
134/07, BGHZ 178, 101 Rn. 50). Dieselben Erwägungen gelten, soweit
nach den §§ 32 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1, 33 Abs. 2 Satz 1 ATV, 78
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, 79 Abs. 2 Satz 1 VBLS die dort genannten wei-
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teren Rechengrößen, insbesondere auch die Steuerklasse des Versi-
cherten, festgeschrieben werden. Zudem kann sich die Festschreibung
der Steuerklasse für die Versicherten je nach Lage des Einzelfalles s o-
wohl vorteilhaft als auch nachteilig auswirken. Insoweit hat der Senat e i-
nen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG verneint (Senatsurteil vom 24. September 2008 aaO Rn. 51). Die
Wirksamkeit der Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte hat
der Senat nochmals mit Urteil vom 16. Dezember 2009 (IV ZR 17/06,
NVwZ-RR 2010, 325) bestätigt. Schließlich hat der Senat in seinem U r-
teil vom 2. Dezember 2009 (IV ZR 279/07, NVwZ-RR 2010, 487 Rn. 20)
ausgeführt, ein vor dem Umstellungsstichtag gefasstes Vertrauen der
Versicherten darauf, dass sich ihre Betriebsrente einst nach dem seiner-
zeit noch unbekannten, außerordentlich erhöhten gesamtversorgungsf ä-
higen Entgelt der letzten drei Jahre vor Rentenbeginn errechnen werde,
genieße nicht den besonderen Schutz eines erdienten Besitzstandes.
Dieser Schutz sichert den Versicherten lediglich den nach der alten Sat-
zung ermittelten Anwartschaftsbetrag, der ihnen selbst dann nicht hätte
entzogen werden können, wenn sie zum Umstellungsstichtag, dem
31. Dezember 2001, aus ihrem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden
wären. Geschütztes Vertrauen kann nur hinsichtlich der Berechnungs-
größen entstanden sein, die bis zur Systemumstellung sicher feststa n-
den. Das gilt auch für Veränderungen, die infolge einer anderen Steue r-
klasse oder bei Gehaltsänderungen nach dem Stichtag eintreten.
b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht es zu Recht
abgelehnt, den durch die Eheschließung der Klägerin nach dem Umste l-
lungsstichtag bedingten Wechsel in die günstigere Steuerklasse III/0 bei
Berechnung der Startgutschrift zu berücksichtigen. Ohne Erfolg rügt die
Klägerin eine nach ihrer Ansicht unzulässige Gleichbehandlung von lan g-
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jährig verheirateten Versicherten, die jahrzehntelang höhere Umlagen als
Ledige gezahlt hätten, mit Versicherten, die durch eine Eheschließung
kurz vor dem Stichtag von der günstigeren Steuerklasse profitieren. Am
Umstellungsstichtag war die Klägerin nicht verheiratet. Soweit für sie erst
nach der Eheschließung höhere Umlagen gezahlt wurden, erwarb sie zu-
sätzliche Versorgungspunkte. Auch der Vorwurf, die Beklagte reagiere
nicht auf den durch die Eheschließung erhöhten Versorgungsbedarf,
greift nicht durch. Dabei verkennt die Klägerin, dass sich die von der B e-
klagten zu leistende Rente seit der Systemänderung nicht mehr am B e-
darf des Versicherten orientiert, sondern nur noch an dem zusatzversor-
gungspflichtigen Entgelt und den dadurch erworbenen Versorgungspun k-
ten.
3. Einen Härtefall hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ve r-
neint, ohne allerdings grundsätzlichen Klärungsbedarf aufzuzeigen.
Der Senat hat bereits entschieden, dass auch dann, wenn eine
Übergangsregelung einer abstrakten Billigkeitskontrolle standhält, eine
Korrektur aufgrund einer besonderen Härte geboten sein kann. Eine so l-
che Härte kann aber nicht nur deshalb bejaht werden, weil ein Versiche r-
ter infolge der Übergangsregelung eine deutlich geringere Betriebsrente
erhält als unter Anwendung des alten Satzungsrechts (Senatsbeschluss
vom 10. März 2010 - IV ZR 333/07, NVwZ-RR 2010, 572 Rn. 16). Hinzu-
kommen müssen - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat -
besondere Umstände, die die Einbuße als besondere Härte erscheinen
lassen. Solche Umstände - etwa aus Besonderheiten in der Erwerbsbio-
grafie des Versicherten - festzustellen, obliegt dem Tatrichter im jeweili-
gen Einzelfall. Dies gilt auch bei durch eine Familienstandsänderung be-
dingten erheblichen Renteneinbußen. Allgemeingültige Maßstäbe lassen
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sich insoweit - wie auch sonst für die Ausfüllung des Grundsatzes von
Treu und Glauben - nur begrenzt aufstellen.
Mit Blick darauf erscheint es fraglich, ob stets - wie das Beru-
fungsgericht meint - besondere, eine Korrektur rechtfertigende Umstände
bei einer über 30% hinausgehenden Renteneinbuße anzunehmen sind,
wenn der Versicherte lediglich in einem nicht über drei Jahre hinausg e-
henden Zeitraum unter Einschluss des Stichtages unverheiratet war.
Diese Frage bedarf aber hier deshalb keiner Klärung, weil sie nicht ent-
scheidungserheblich ist. Denn die Klägerin erfüllt die vom Berufungsg e-
richt genannten Voraussetzungen nicht. Da sie von 1983 bis 2002 un-
verheiratet war, ist ihre vorherige Erwerbsbiografie nicht wesentlich
durch die Ehe geprägt gewesen.
III. Im Übrigen dürfte die Klage - worauf die Revisionserwiderung
zutreffend hinweist - schon deshalb unbegründet sein, weil bereits durch
das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe entschieden ist,
dass die Startgutschrift der Klägerin nicht unter Berücksichti gung der
Steuerklasse III/0 zu berechnen ist. Zwar sagt die Startgutschrift nichts
darüber aus, in welcher Weise sich die Anwartschaft zwischen dem U m-
stellungsstichtag und dem Renteneintritt weiter entwickelt. Sie ist aber
präjudiziell für die Berechnung der Betriebsrente, die auf den von dem
Versicherten erworbenen Versorgungspunkten beruht (§ 35 Abs. 1
VBLS), in die auch die aus der Startgutschrift resultierenden Versor-
gungspunkte einfließen (§ 78 Abs. 1 Satz 2 VBLS). Die Berechnung der
Startgutschrift und der Streitpunkt, ob ihr die Steuerklasse III/0 zugrunde
zu legen ist, können im vorliegenden Rechtsstreit nicht anders beurteilt
werden als im Vorprozess. Da die rechtskräftige Entscheidung des
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Amtsgerichts nur eine Vorfrage dieses Verfahrens betrifft, ist die Klage
nicht unzulässig, aber unbegründet (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar
2008 - XII ZR 216/05, NJW 2008, 1227 Rn. 22 f. m.w.N.).
Mayen Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 29.09.2009 - 6 O 184/04 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 27.07.2010 - 12 U 202/09 -