Urteil des BGH vom 18.06.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 10/00
vom
18. Juni 2001
in dem Verfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
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BRAO § 40 Abs. 4, § 41; FGG §§ 16, 27 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 551 Nr. 7
Ein nach mündlicher Verhandlung ergangener Beschluß ist "nicht mit Grün-
den versehen", wenn er nicht binnen fünf Monaten nach der Verhandlung
vollständig schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrie-
ben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Dies gilt unabhängig da-
von, ob die Beschlußformel verkündet oder die Entscheidung insgesamt durch
Zustellung bekannt gemacht worden ist (Fortführung von BGH, Beschluß vom
30. September 1997 - AnwZ(B) 11/97 - BRAK-Mitt. 1998, 93 und Aufgabe von
BGH, Beschluß vom 29. September 1997 - AnwZ (B) 27/97 - BRAK-Mitt.
1998, 89).
BGH, Beschluß vom 18. Juni 2001 - AnwZ (B) 10/00 - Anwaltsgerichtshof
Berlin
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wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Richter Basdorf, Schlick und die
Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Schott und
Dr. Wosgien
nach mündlicher Verhandlung am 18. Juni 2001
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 10. Januar
2000 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und
der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstande-
nen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
100.000 DM festgesetzt.
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Gründe:
I.
Der Antragsteller ist seit 1981 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechts-
anwalt beim Landgericht Berlin, seit 1988 beim Kammergericht, zugelassen.
Zum 1. März 1991 ist er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebens-
zeit zum Professor an der Fachhochschule P. (für Familien- und Verwaltungs-
recht) ernannt worden. Die frühere Antragsgegnerin, die Präsidentin des Kam-
mergerichts, hat mit Verfügung vom 3. Juni 1998 die Zulassung des Antrag-
stellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO widerrufen. Ge-
gen den Beschluß des Anwaltsgerichtshofs vom 10. Januar 2000, durch den
sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden ist, richtet
sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat je-
doch in der Sache keinen Erfolg. Die Zulassung des Antragstellers zur Rechts-
anwaltschaft war gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO zu widerrufen, weil er zum
Beamten auf Lebenszeit ernannt worden ist und nicht auf die Rechte aus der
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet hat.
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1.
a) Allerdings ist der angefochtene Beschluß mit einem wesentlichen
Verfahrensmangel behaftet. Denn nachdem der Anwaltsgerichtshof über den
Antrag des Rechtsanwalts auf gerichtliche Entscheidung am 12. Juli 1999
mündlich verhandelt hatte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 BRAO), ist seine aufgrund dieser
Verhandlung erlassene Entscheidung von allen Richtern erst mit dem 10. Ja-
nuar 2000 - und damit mehr als fünf Monate nach der mündlichen Verhand-
lung - unterzeichnet und der Geschäftsstelle zur Zustellung zugeleitet worden.
Es entspricht einem mittlerweile für alle Prozeßarten anerkannten
Grundsatz, daß ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil
"nicht mit Gründen versehen" (§ 551 Nr. 7 ZPO) ist, wenn Tatbestand und Ent-
scheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich nie-
dergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle
übergeben worden sind (vgl. GmS-OGB, Beschluß vom 27. April 1993, LM
Nr. 1 zu § 138 VwGO = NJW 1993, 2603). Demgemäß hat auch der Senat (Be-
schluß vom 30. September 1997 - AnwZ (B) 11/97 - LM Nr. 7 zu § 40 BRAO =
BRAK-Mitt. 1998, 93) entschieden, daß der im Zulassungsverfahren nach § 40
BRAO ergangene Beschluß des Anwaltsgerichtshofes dann an einem wesentli-
chen Verfahrensmangel (§ 40 Abs. 4 BRAO i.V. mit § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG,
§ 551 Nr. 7 ZPO) leidet, wenn der vollständig abgefaßte und unterschriebene
Beschluß erst mehr als fünf Monate nach Verkündung der Beschlußformel zur
Geschäftsstelle gelangt. Bei einer Bekanntmachung der aufgrund mündlicher
Verhandlung ergangenen Entscheidung durch Zustellung (§ 40 Abs. 4 BRAO
i.V. mit § 16 Abs. 2 FGG), ohne daß dieser bereits eine Verkündung der Be-
schlußformel vorausgegangen ist, gilt - in entsprechender Anwendung dieses
verfahrensübergreifenden Grundsatzes - nichts anderes. Vielmehr leidet auch
in einem solchen Falle die Entscheidung an einem wesentlichen Verfahrens-
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mangel, wenn der vollständige Beschluß nicht binnen fünf Monaten nach der
mündlichen Verhandlung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unter-
schrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Denn die Annahme
eines Verfahrensmangels bei Überschreitung der Fünf-Monatsfrist wird
- unabhängig davon, ob die jeweilige Verfahrensordnung diese Frist als abso-
lute Frist für die Rechtsmitteleinlegung vorsieht - von der Erwägung bestimmt,
daß das richterliche Erinnerungsvermögen abnimmt und nach Ablauf von mehr
als fünf Monaten insbesondere auch nicht mehr gewährleistet ist, daß der Ein-
druck von der mündlichen Verhandlung noch absolut zuverlässigen Nieder-
schlag in den später abgefaßten Gründen der Entscheidung findet (vgl. Se-
natsbeschluß vom 30. September 1997, aaO). Diese Erwägung beansprucht
unabhängig davon Beachtung, ob nach der mündlichen Verhandlung bereits
eine Beschlußformel verkündet worden ist oder nicht. Denn auch im letztge-
nannten Falle - die Vorschriften der BRAO und des FGG schreiben die Ver-
kündung der Beschlußformel nicht zwingend vor - ist nicht mehr sicher ge-
währleistet, daß das in der mündlichen Verhandlung Erörterte bei der so viel
späteren Abfassung des Beschlusses Berücksichtigung findet, die Entschei-
dung also noch "aufgrund der mündlichen Verhandlung" (§ 40 Abs. 2 Satz 1
BRAO) ergeht. Soweit der Senat im Beschluß vom 29. September 1997
(AnwZ (B) 27/97 - BRAK-Mitt. 1998, 89 f) eine andere Auffassung vertreten hat,
hält er hieran nicht mehr fest.
b) Der Umstand, daß das Verfahren des Anwaltsgerichtshofes danach
mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist, hindert den Anwaltsse-
nat als Beschwerdegericht indessen nicht, im Beschwerdeverfahren, durch das
eine neue Tatsacheninstanz eröffnet ist, nach dem Rechtsgedanken des § 540
ZPO eine eigene Sachentscheidung zu treffen (Senatsbeschluß vom 30. Sep-
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tember 1997, aaO). Denn die Sache - die im Kern ohnehin im wesentlichen
Rechtsfragen betrifft - ist nach dem vorliegenden Verfahrensstoff und nach Be-
rücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung entscheidungs-
reif.
c) Für die Entscheidung über die Beschwerde kommt es schließlich auch
nicht darauf an, ob dem Antragsteller - wie er meint - im Verfahren vor dem
Anwaltsgerichtshof nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist.
Ein etwaiger Verfahrensmangel wäre dadurch geheilt, daß der Antragsteller vor
dem als Tatsacheninstanz beschließenden Senat rechtliches Gehör hatte (Se-
natsbeschluß vom 24. Oktober 1994 - AnwZ (B) 30/94 - BRAK-Mitt. 1995, 76 f).
Einen Anspruch auf zwei Tatsacheninstanzen hat der Antragsteller nicht
(BGHZ 77, 327, 329).
2.
a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt zum Beamten auf Lebenszeit er-
nannt wird und nicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
verzichtet. Die Vorschrift ergänzt mithin § 7 Nr. 10 BRAO für die Fälle, in denen
die Berufung in dieses Beamtenverhältnis erst nach der Zulassung zur Rechts-
anwaltschaft erfolgt. Beide Regelungen haben ihren Grund in der Unvereinbar-
keit des Berufs eines Beamten mit der Stellung als Rechtsanwalt. Diese Unver-
einbarkeit hat ihren Ursprung im Berufsbild des in freier Advokatur tätigen
Rechtsanwalts, das durch innere und äußere Unabhängigkeit geprägt ist. Ab-
hängigkeit und Weisungsgebundenheit sind neben der Dienstpflicht zur Erfül-
lung übertragener Aufgaben dagegen wesentliche Merkmale des Beamtenver-
hältnisses. Der Beamte steht zu seinem Dienstherrn in einem öffentlich-
rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, das ihm besondere Pflichten auferlegt
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und ihn bei der Übernahme und dem Umfang anderer Tätigkeiten grundsätzlich
von Genehmigungen seines Dienstherrn abhängig macht. Dieser Inhalt des
Beamtenverhältnisses steht nicht in Einklang mit der Stellung eines Rechtsan-
walts. Das hat der Senat wiederholt und in ständiger Rechtsprechung zum
Ausdruck gebracht (BGHZ 71, 23, 24 f.; 92, 1, 2 ff.; Senatsbeschlüsse vom
19. Juni 1995 - AnwZ (B) 82/94 - BRAK-Mitt. 1995, 214; vom 26. Januar 1998
- AnwZ (B) 62/97 - BRAK-Mitt. 1998, 155; vom 18. Oktober 1999 - AnwZ (B)
99/98 - BRAK-Mitt. 2000, 44, 45; vom 19. Juni 2000 - AnwZ (B) 58/99 - BRAK-
Mitt. 2000, 255, 256).
b) Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO lassen es nicht zu, die
Vorschrift - entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut - dahin auszulegen, daß
Professoren an Fachhochschulen - wenngleich Beamte auf Lebenszeit - von ihr
nicht erfaßt werden (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Oktober 1999, aaO zu § 7
Nr. 11 BRAO a.F.). Der Gesetzgeber hat - wie auch mit § 7 Nr. 10 BRAO - aus
Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit eine generalisierende und formali-
sierende Entscheidung getroffen, die eine einfache Handhabung gewährleisten
soll und die allein auf die Rechtsstellung als Beamter im aktiven Dienst abstellt
(st. Rspr. vgl. Beschluß vom 19. Juni 1995, aaO; vom 18. Oktober 1999, aaO).
Demgemäß kommt es auch nicht darauf an, ob die Stellung und die Tätigkeit
als Beamter im Einzelfall zu Schwierigkeiten bei der Ausübung des Berufs als
Rechtsanwalt geführt haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. Dezember 1982
- AnwZ (B) 29/82 - BRAK-Mitt. 1983, 86 und vom 26. Januar 1998, aaO). Die
Regelung beruht auf der grundsätzlichen Trennung zwischen dem öffentlich-
rechtlichen Status als Träger staatlicher Verwaltung und dem Anwaltsberuf.
Diese Trennung steht im überragenden Allgemeininteresse und gehört zur Ge-
währleistung der Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft.
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c) In dieser Auslegung begegnet die Vorschrift - auch mit Blick auf den
mit ihr verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit - keinen verfassungsrechtli-
chen Bedenken. Denn an die Voraussetzungen für den Zugang zu einem
Zweitberuf und für den Verbleib in ihm sind nicht die gleichen hohen Anforde-
rungen wie für einen Erstberuf zu stellen. Das hat der Senat in ständiger
Rechtsprechung - sowohl für die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO als
auch für § 7 Nr. 11 BRAO a.F., § 7 Nr. 10 BRAO - wiederholt ausgesprochen
(vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juni 1995, aaO m.w.N.; vom 26. Januar 1998,
aaO; vom 18. Oktober 1999, aaO) und zuletzt mit Beschluß vom 19. Juni 2000
(aaO) bekräftigt. Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlaß zu einer an-
deren Beurteilung.
Hirsch
Ganter
Schlick
Otten
Salditt
Schott
Wosgien